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Veröffentlicht am 12.06.2022

" On this day, we`ll see each other again "

Jeder Tag ein neues Wunder
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In dem Roman "Jeder Tag ein neues Wunder" von Jona Sommer wird die Geschichte des Witwers Simon Barsch erzählt. Der Pensionär trauert um seine Frau. Anja hatte sich immer sehr für die Forschungen der Meeresbiologie ...

In dem Roman "Jeder Tag ein neues Wunder" von Jona Sommer wird die Geschichte des Witwers Simon Barsch erzählt. Der Pensionär trauert um seine Frau. Anja hatte sich immer sehr für die Forschungen der Meeresbiologie über die Kegelrobbe interessiert. " " Die Kegelrobbe, Halichoerus gryphus, ist besonders durch die Form des Kopfes mit seiner sehr langen Schnauze ausgezeichnet. Die Tiere erinnern dadurch etwas an einen langschnauzigen Jagdhund. "
( Brehms Tierleben ) Auf eine Karriere in derWissenschaft verzichtete Anja, als sie Simon heiratete. Bei einem seiner Besuche im Düsseldorfer Aquazoo, fasst Simon den Entschluss, mit den sterblichen Überresten seiner Frau eine Reise an das Meer zu unternehmen. Er folgt damit ihrem eigenen Wunsch, sich auf See bestatten zu lassen. Seine Tochter erfährt nichts davon. Nur der Bestatter hat etwas von der Sache gewusst. Auch die lebensnahe Milena erfährt davon. Die resolute, polnische Haushälterin erlaubt Herrn Barsch nicht, ohne ihre Begleitung zu fahren.
Nun beginnt eine turbulente Reise. Sie führt die beiden zunächst nach Helgoland und dann weiter nach England und Schottland bis zu den Orkney-Inseln. Unterwegs lernt Milena David kennen, einen irischen Kellner und Musiker. Er und seine Freunde helfen Simon spontan, als er im Bus nach Leeds überfallen und ausgeraubt wird.
Ihre Freundschaft und Hilfsbereitschaft lassen Simon nicht im Stich. Auf seiner Weiterreise mit Milena ziehen sagenumwobene Landschaften an ihnen vorüber. "Immer wieder tauchte hinter felsigen Abhänge das Meer auf. Dann rückte es ab, verschwand hinter Wiesen und Wäldern, hinter Industriegebieten und Ortschaften." "Und als würde sich das Wetter einen Spaß mit ihnen erlauben, riss im gleichen Moment der Himmel auf, die Sonne warf ein strahlendes Licht über die regennasse Stadt, die daraufhin aufleuchtete, als hätte sich ein Portal zum Feenland geöffnet."
Schließlich kommen sie an ihrem Ziel, dem Hotel an, einem Herrenhaus," das aussah wie einem Jane-Austen- Roman entsprungen." Mit dem Mietwagen geht es zu den Buchten, wo es die Kegelrobben gibt und sie einen gemeinsamen Bekannten von Anja und Simon treffen. Anthony erzählt ihnen von den "Selkies", den Fabelwesen "die, wenn sie an Land gehen, ihr Fell ablegen und zu wunderschönen Frauen werden."
Gelegentlich liest Simon auf der Reise in Anjas Tagebuch vom Sommer 1971/1972 nach, wie sie sich kennen und liebengelernt haben.
Der Autor Jona Sommer ist selber durch die rauhe Insellandschaft zwischen der Nordsee und dem Nordatlantik gefahren. Es ist ein elegischer Ton in seinen Schilderungen und der Leser könnte meinen, es handelt sich doch um eine leise Klage, eine Trauer um die Tote. Als Simon nachts allein mit dem Boot hinausfährt, um die Asche der Toten ins Meer zu streuen, endet dies sehr dramatisch.
"Da waren Männer, die haben die Robben gehört. Am Strand. Eine ganze Herde, die wild geheult hat. Antony war auch mit dabei. Sie sind an den Strand und haben sie gefunden." Seine Haushälterin berichtet Simon im Kankenhaus , wie er aus dem Wasser gerettet wurde. Milena kümmert sich auf der ganzen Reise sorgend um ihren Arbeitgeber. Aber die Familie in Polen läßt sie nicht in Ruhe. Sie findet in David einen neuen Freund. Nach der Rückkehr nach Deutschland werden sie gemeinsam nach Polen gehen. Und Herr Barsch? Er ist zufrieden "Jeder Tag ein neues Wunder" ist für ihn möglich. Er bekommt eine neue Haushaltshilfe und einen Tierpatenschaft für einen Kammbarsch im Aquazoo.
Das Buch stimmt versöhnlich mit dem Alter und den damit verbundenen Abschieden umzugehen. Es regt an über Bestattungsformen nachzudenken. Es bezieht Mythen, Sagen und Träume vom Wiedersehn mit den Vorangegangenen ein. Eine rundherum gelungene Geschichte ist dies, wie ich finde, die Mut macht. Und es macht Freude, sie zu lesen. Die Sprache ist klar und einfach, auch was die Beschreibungen der Landschaft betrifft. Es wird durchgehend spannend erzählt. Dem Roman wünsche ich viele Leser!

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Veröffentlicht am 15.10.2021

Das Leben ist ein Gänsespiel

Atelier Rosen
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In dem Roman "Atelier Rosen " von Marie Lamballe geht es um die spannende Verwicklung der mutigen, jungen Putzmacherin Elise in Adelskreise des Kurfürstentum Hessen-Kassel um 1830.
Marie Lamballe hat ...

In dem Roman "Atelier Rosen " von Marie Lamballe geht es um die spannende Verwicklung der mutigen, jungen Putzmacherin Elise in Adelskreise des Kurfürstentum Hessen-Kassel um 1830.
Marie Lamballe hat schon mehrere, erfolgreiche Romane veröffentlicht. "Atelier Rosen" ist das erste Buch, das ich von ihr gelesen habe.
Der Roman beginnt mit der Julirevolution in Kassel, 1830. Im Atelier Rosen wird fleißig gearbeitet. Die Inhaberin ist Charlotte Rosen mit ihrer Tochter Elise und Mutter Anna. Es gibt zwei Angestellte Babette und Therese, sowie deren Sohn Moritz. Er ist Elises Ziehbruder. Zu den Kunden des Ateliers gehören auch Adelige. Die Damen tauschen gerne Neuigkeiten aus, auch über den Kurfürsten Wilhelm II und seine Freundin Gräfin Reichenbach. Als es zum Aufstand der Bürgerschaft kommt, wird der Bäcker verprügelt und Moritz verschwindet vorübergehend, er wird inhaftiert. Da Elise Mut hat auf einen Leutnant des Kurfürsten zu zugehen, kann er ihr helfen, den Ziehbruder aus der Haft zu entlassen. Elise freundet sich mit Sybilla von Schönhoff an, einer Kundin im Atelier und der Verlobten des Leutnants. Mit ihr teilt sie sich die Leidenschaft für Bücher. Der Rußlandfeldzug Napoleons wird ebenso erinnert wie die Franzosenzeit unter König Jéróme.
Der Bitte der Bürgerschaft, eine Versammlung der Landstände einzuberufen und eine Verfassung auszuarbeiten, wird inzwischen entsprochen.
Infolge einer Vertrauenskrise muss Elise aber Kassel verlassen. Für sie beginnen ein spannender Weg und schließlich eine Suche nach ihrem leiblichen Vater, den sie in einem vornehmen Viertel in Frankfurt findet.
Intuitiv liegt Elise einfach richtig. Das ist so aufregend an ihrer Geschichte. Das Buch ist so atemberaubend, charmant und witzig geschrieben, dass es schwer fällt, es aus der Hand zu legen. Zwei Beispiele:

"Na also", sagte die Mutter zufrieden, als sie von dem neuen Auftrag berichtete. "Nun kommen die Dinge in Fluss." (S.252)
"Da brat mir einer einen Storch", sagte Moritz und stellte die Lampe auf dem Tisch ab. (S.301)

Die Figuren sind glaubhaft dargestellt.
Wer sich für die Deutsche Geschichte interessiert, findet einige Hinweise, denen nachzugehen sich lohnt.
Wer war Kurfürst Wilhelm II? Gab es die Gräfin Reichenbach wirklich? Ja! Wer verbirgt sich hinter dem kranken Vater Sybillas, dem Oberst von Schönhoff? War er ein reformfreudiger Adeliger, der Elise helfen will?
Die Verständigung zwischen dem Adel und den Bürgern ist in der Zeit sehr interessant zu beobachten. Dafür steht der Briefwechsel zwischen Sybilla und Elise.
Bücher wie "Rinaldo Rinaldini", "Lichtenstein" und "Die Odyssee" werden gemeinsam besprochen. Und was ist mit dem "Gänsespiel" am Abend, im Atelier Rosen? "Das Leben ist ein Gänsespiel" heißt ein Gedicht von Johann Wolfgang von Goethe.

"Atelier Rosen" ist eine sehr ansprechende Lektüre für alle die gerne Historische Romane lesen und sich dabei gut und niveauvoll unterhalten lassen wollen.

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Veröffentlicht am 20.08.2021

Ein spannender Geschichtsroman: Das Judentum und die Farbenblindheit

Ein neuer Morgen für Samuel
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"Ein neuer Morgen für Samuel" von Ruth Druart ist ein Roman, in dem es um ein Kind geht. Samuel ist das Kind jüdischer Eltern. Er wird in Paris im Mai 1944 geboren. Kurz darauf werden seine Eltern nach ...

"Ein neuer Morgen für Samuel" von Ruth Druart ist ein Roman, in dem es um ein Kind geht. Samuel ist das Kind jüdischer Eltern. Er wird in Paris im Mai 1944 geboren. Kurz darauf werden seine Eltern nach Auschwitz deportiert. Mit den Worten: " Bitte nehmen Sie mein Baby mit!" gibt Samuels Mutter Sarah ihn in die Obhut eines französischen Gleisarbeiters. Jean-Luc ist am Widerstand (Résistance) gegen die Deutschen (Boches) interessiert. Ihm gelingt es mit seiner Freundin Charlotte und mit dem Säugling über die Pyrenäen nach Amerika zu fliehen. In den USA/ Kalifornien, Santa Cruz kann die kleine Familie eine Existenz aufbauen. Doch neun Jahre später holt sie die Vergangenheit ein. Jean-Luc trifft der Vorwurf der Kindesentführung. Ein Drama bahnt sich an, dessen Ausgang mit Spannung erwartet wird. Viele Fragen werden aufgeworfen: Was ist wirklich passiert, als Sarah ihren Sohn abgibt? Gibt es die Suche nach Identität? Droht ein Integrationsverlust? Was ist Heimat? Wem gehört Samuel?

" Ein neuer Morgen für Samuel " ist der Debütroman der seit 1993 in Paris lebenden Autorin Ruth Druart. Die Psychologin hat es sich zur Aufgabe gemacht, sich in Menschen zu versetzten, die Paris unter der deutschen Besatzung 1940-1944 erlebt haben. Mein Eindruck ist, dass ihr diese Aufgabe sehr gut gelungen ist. Sie schreibt einen spannenden Geschichtsroman und sie hat ein feines, psychologisches Gespür für ihre Figuren Jean-Luc, Charlotte, Sarah und Samuel (Sam) sowie David. Sie ist ihnen nahe. Sie schreibt einfühlsamen über ein Kind in einer Zeit, die für seine Eltern die Hölle war. Die Hölle von Auschwitz.
Über Auschwitz gibt es viele Romane, auch Zeugnisse von Überlebenden, häufig auch von jüdischen Intellektuellen. Hiervon unterscheidet sich das Buch von Ruth Druart. Es hat einen eigenen Akzent, und eine für mich neue, andere Art dem so schwierigen Thema zu begegnen. Das macht es so spannend, sie zu lesen. Sie schreibt mitreißend.

Die Protagonistin dieser Geschichte ist Charlotte, die als Ich-Erzählerin den Leser miterleben lässt, was ihr widerfährt. Sie mag der Autorin besonders am Herzen gelegen haben. Sie ist sympathisch, weil sie bedingungslos liebt und "impulsiv" ist. Sie fungiert als Ersatzmutter für Samuel. Für Jean-Luc ist sie seine große Liebe, Liebe auf den ersten Blick: " Sie sah noch sehr jung aus, und ihre helle Haut war so glatt und makellos, dass sie ihn an eine leere Leinwand denken ließ. " Ihre Beziehung ist Belastungen ausgesetzt, die Charlotte und er vorher kaum ahnen können. Ihnen wünscht man, dass es ein gutes Ende gibt.

Das Buch ist in vier Teile und einen Epilog eingeteilt. Es beginnt mit der Rahmenhandlung, am 24. Juni 1953 in Kalifornien und endet in Paris im Sommer 1968. Die Autorin schreibt sehr flüssig und sie nennt wichtige Fix-Punkte und Fakten der NS-Zeit in Paris , auch kulturelle Ereignisse und auch aus dem Jahr 1953. Dies tut sie, ohne den Leser zu überfordern.
Vieles gibt es, das mir beim Lesen auffiel. Die Bedeutung der Namen und die Lieblingsbücher der Protagonisten sind Beispiele, über die ich nachdenken könnte.
Ruth Druart hat gute Kenntnisse nicht nur über die NS-Zeit in Paris sondern auch von Amerika in den 1950-er Jahren, den Frauenbildern dort, den Klischees, der Anpassung und der Leichtigkeit. Hinter der Oberfläche steht aber eine harte Polizei und Justiz. Ruth Druart schildert das sehr authentisch.

Samuel als leidtragende Figur rückt in der zweiten Buchhälfte ( 53. Kapitel ) besonders in den Vordergrund. Er muss dem Leser ans Herz wachsen .Als es nochmals nur um ihn und sein Überleben geht, kommt es zu einer Zerreißprobe. Muss er zurück zu seinen leiblichen Eltern? Welche Mutter ist zuständig, welche ist schuldig? Schmerzhaftes muss das Kind durchmachen, da es die Zeit so will.

Recht und Egoismus, Zukunft und Vergangenheit, Glaube und Vernunft. Wer sorgt für einen Ausgleich?
Der Sinnlosigkeit der Höllenqualen muss etwas entgegengesetzt werden. Das Unmenschliche, das Menschen degradiert, muss verhindert werden. Wie soll er das aushalten? Wie erklärt sich seine Herkunft?

" Wie? Wie Farbenblindheit? Die wird ja auch vererbt, so wie die Augenfarbe, nicht? "fragt er.
Nur Charlotte kann genauso mitleiden. Die leiblichen Eltern können ihm die Liebe, die er braucht, nicht geben.
Höhepunkte sind zweifellos die Dialoge zwischen Sarah und Jean-Luc und David und Jean-Luc im 84. und 86. Kapitel.

Dieser Autorin Ruth Druart gelingt etwas ganz Wichtiges. In ihrem historischen Roman geht es auch um den Glauben eines Paares an ein Kind, das sie nicht sehen und das ihnen wie durch ein Wunder überleben hilft. Bei aller Grausamkeit ist dies wie ich finde, auch ein sehr poetischer Roman, in dem eine religiöse Deutung mitschwingt. Die Geschichte von Samuel ist eine Geschichte über die Hoffnung, die aller Greul an den Juden und allen Widerwärtigkeiten zum Trotz den Menschen weiterhilft zu leben. Ich würde es gut heißen, wenn dieses Buch viele Leser findet. Es ist mit Herz geschrieben und mit Phantasie. Es lädt ein, sich mit dem Vergangenem zu befassen um für die Zukunft zu lernen.






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