Nicht packend, aber warmherzig
Der Tag, an dem Barbara starb„Der Tag, an dem Barbara starb“, Richard Hootons Debutroman, ist an und für sich ein sogenannter Wohlfühlkrimi im britischem Stil, aber es steckt mehr dahinter, nämlich eine sehr feinfühlige Thematisierung ...
„Der Tag, an dem Barbara starb“, Richard Hootons Debutroman, ist an und für sich ein sogenannter Wohlfühlkrimi im britischem Stil, aber es steckt mehr dahinter, nämlich eine sehr feinfühlige Thematisierung von Demenz, geschickt verwoben mit einer ruhigen Mordermittlung, die mehr oder weniger den roten Faden des Romans bildet, während Margaret Winterbottom eigentlich im Mittelpunkt steht.
Das so typisch britisch anmutende Cover, auch eine ältere Frau à la Miss Marple als Protagonistin, haben mich zum Lesen dieses Buches bewogen, das 2025 im dtv Verlag erschienen ist. Die Originalausgabe trägt den Titel „The Margaret Code“, welcher den Bezug zu Margarets besonderer Fähigkeit herstellt, nämlich Rätsel zu lösen und Codes zu dechiffrieren. Der Schreibstil liest sich locker und flüssig, doch letztlich entwickelte sich die Handlung anders als erwartet. Der Roman verläuft sehr ruhig, Spannungsmomente sind rar. Was aber nicht bedeutet, dass mir das Buch nicht gefiel.
Die Handlung spielt im Frühjahr 2012, was auch durch Erwähnung historischer Geschehnisse verdeutlicht wird. Das britische Vorstadtflair, die nachbarliche Vertrautheit sowie Traditionen wie das Teetrinken, sind gut vorstellbar beschrieben. Der Schreibstil ist flüssig, locker und bildhaft. Insbesondere ist es dem Autor empathisch und achtsam gelungen, die Ängste und Irritationen von Menschen mit beginnender Demenz, auch jene der Umwelt, zum Ausdruck zu bringen. Es ist deutlich zu spüren, dass der Roman von der Beziehung des Autors zu seiner eigenen Großmutter inspiriert ist, die an Alzheimer starb, als er Teenager war. Diese doch ernste Thematik in einen Kriminalfall zu verpacken, noch dazu die Demenz der Protagonistin für Spannungs- und Überraschungsmomente zu nützen, fand ich sehr gelungen.
Im Mittelpunkt des Romans steht Margaret, 89 Jahre alt und verwitwet, und, wie bald zu erkennen ist, leidet sie zunehmend an Vergesslichkeit und Verwirrtheit. Als ihre Nachbarin und beste Freundin Barbara ermordet aufgefunden wird, erinnert sie sich zwar, dass diese ihr beim letzten Treffen etwas Wichtiges anvertraut hat, aber was es war, hat sie verdrängt. Sie ahnt jedoch, dass diese Information für die Aufklärung des Mordes wichtig sein und zum Mörder führen könnte. Mit viel Geduld und Einfühlungsvermögen gelingt es dem 15-jährigen Enkel James, dem Gedächtnis seiner Großmutter auf die Sprünge zu helfen. Puzzlestück für Puzzlestück rekonstruieren sie Barbaras letzte Tage und deren Bitte an Margaret. Auch wenn der Roman größtenteils ruhig verläuft, so endet er schließlich mit einem dramatischen Finale und einer für mich unerwarteten Lösung.
Die Charaktere wirken lebendig und authentisch. Insbesondere Margarets Gefühls- und Gedankenwelt kann man sehr gut nachvollziehen, da der Roman ja aus ihrer Perspektive in Ich-Form verfasst ist. Sie ist einsam, wirkt verloren ohne ihren Mann Albert, der vor einem Jahr verstarb. Sie trauert um ihn, mit dem sie an die 60 Jahre glücklich und sehr harmonisch lebte, mit dem sie alles besprochen hat, auf dessen Rat sie stets hörte. Und so führt sie nach wie vor Zwiegespräche mit ihm, lässt Erinnerungen an gemeinsame Erlebnisse Revue passieren. Ich fand das so berührend. Erst langsam wird ihr ihre Krankheit bewusst, das Nachlassen des Gedächtnisses, der Verlust ängstigt sie. Denn die Erinnerungen verkörpern ihr Leben, ihre Persönlichkeit, ihre Vergangenheit. Ihr Zustand, dieser Wechsel von Verlorenheit und der Fähigkeit analytisch zu denken, ist exzellent dargestellt. James, ihr Enkel, ist ein cleverer Junge, der sehr an seiner Großmutter hängt, empathisch und liebevoll mit ihr umgeht. Tochter und Schwiegersohn wirken auf den ersten Blick weniger sympathisch, doch sind ihre Reaktionen und Handlungen von Verantwortungsgefühl und Sorge getragen.
Ich mochte dieses Buch, auch wenn es nicht jene Spannung mit sich bringt, die man anhand Klappentext oder Titel erwartet. Es ist eine warmherzige, liebenswürdige und auch nachdenklich stimmende Geschichte über eine alte Dame, die eben so nebenbei eine Schlüsselrolle bei der Aufklärung eines Mordes spielt.