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Veröffentlicht am 07.12.2025

Nicht packend, aber warmherzig

Der Tag, an dem Barbara starb
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„Der Tag, an dem Barbara starb“, Richard Hootons Debutroman, ist an und für sich ein sogenannter Wohlfühlkrimi im britischem Stil, aber es steckt mehr dahinter, nämlich eine sehr feinfühlige Thematisierung ...

„Der Tag, an dem Barbara starb“, Richard Hootons Debutroman, ist an und für sich ein sogenannter Wohlfühlkrimi im britischem Stil, aber es steckt mehr dahinter, nämlich eine sehr feinfühlige Thematisierung von Demenz, geschickt verwoben mit einer ruhigen Mordermittlung, die mehr oder weniger den roten Faden des Romans bildet, während Margaret Winterbottom eigentlich im Mittelpunkt steht.

Das so typisch britisch anmutende Cover, auch eine ältere Frau à la Miss Marple als Protagonistin, haben mich zum Lesen dieses Buches bewogen, das 2025 im dtv Verlag erschienen ist. Die Originalausgabe trägt den Titel „The Margaret Code“, welcher den Bezug zu Margarets besonderer Fähigkeit herstellt, nämlich Rätsel zu lösen und Codes zu dechiffrieren. Der Schreibstil liest sich locker und flüssig, doch letztlich entwickelte sich die Handlung anders als erwartet. Der Roman verläuft sehr ruhig, Spannungsmomente sind rar. Was aber nicht bedeutet, dass mir das Buch nicht gefiel.

Die Handlung spielt im Frühjahr 2012, was auch durch Erwähnung historischer Geschehnisse verdeutlicht wird. Das britische Vorstadtflair, die nachbarliche Vertrautheit sowie Traditionen wie das Teetrinken, sind gut vorstellbar beschrieben. Der Schreibstil ist flüssig, locker und bildhaft. Insbesondere ist es dem Autor empathisch und achtsam gelungen, die Ängste und Irritationen von Menschen mit beginnender Demenz, auch jene der Umwelt, zum Ausdruck zu bringen. Es ist deutlich zu spüren, dass der Roman von der Beziehung des Autors zu seiner eigenen Großmutter inspiriert ist, die an Alzheimer starb, als er Teenager war. Diese doch ernste Thematik in einen Kriminalfall zu verpacken, noch dazu die Demenz der Protagonistin für Spannungs- und Überraschungsmomente zu nützen, fand ich sehr gelungen.

Im Mittelpunkt des Romans steht Margaret, 89 Jahre alt und verwitwet, und, wie bald zu erkennen ist, leidet sie zunehmend an Vergesslichkeit und Verwirrtheit. Als ihre Nachbarin und beste Freundin Barbara ermordet aufgefunden wird, erinnert sie sich zwar, dass diese ihr beim letzten Treffen etwas Wichtiges anvertraut hat, aber was es war, hat sie verdrängt. Sie ahnt jedoch, dass diese Information für die Aufklärung des Mordes wichtig sein und zum Mörder führen könnte. Mit viel Geduld und Einfühlungsvermögen gelingt es dem 15-jährigen Enkel James, dem Gedächtnis seiner Großmutter auf die Sprünge zu helfen. Puzzlestück für Puzzlestück rekonstruieren sie Barbaras letzte Tage und deren Bitte an Margaret. Auch wenn der Roman größtenteils ruhig verläuft, so endet er schließlich mit einem dramatischen Finale und einer für mich unerwarteten Lösung.

Die Charaktere wirken lebendig und authentisch. Insbesondere Margarets Gefühls- und Gedankenwelt kann man sehr gut nachvollziehen, da der Roman ja aus ihrer Perspektive in Ich-Form verfasst ist. Sie ist einsam, wirkt verloren ohne ihren Mann Albert, der vor einem Jahr verstarb. Sie trauert um ihn, mit dem sie an die 60 Jahre glücklich und sehr harmonisch lebte, mit dem sie alles besprochen hat, auf dessen Rat sie stets hörte. Und so führt sie nach wie vor Zwiegespräche mit ihm, lässt Erinnerungen an gemeinsame Erlebnisse Revue passieren. Ich fand das so berührend. Erst langsam wird ihr ihre Krankheit bewusst, das Nachlassen des Gedächtnisses, der Verlust ängstigt sie. Denn die Erinnerungen verkörpern ihr Leben, ihre Persönlichkeit, ihre Vergangenheit. Ihr Zustand, dieser Wechsel von Verlorenheit und der Fähigkeit analytisch zu denken, ist exzellent dargestellt. James, ihr Enkel, ist ein cleverer Junge, der sehr an seiner Großmutter hängt, empathisch und liebevoll mit ihr umgeht. Tochter und Schwiegersohn wirken auf den ersten Blick weniger sympathisch, doch sind ihre Reaktionen und Handlungen von Verantwortungsgefühl und Sorge getragen.

Ich mochte dieses Buch, auch wenn es nicht jene Spannung mit sich bringt, die man anhand Klappentext oder Titel erwartet. Es ist eine warmherzige, liebenswürdige und auch nachdenklich stimmende Geschichte über eine alte Dame, die eben so nebenbei eine Schlüsselrolle bei der Aufklärung eines Mordes spielt.

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Veröffentlicht am 02.12.2025

KI außer Rand und Band – ein Albtraum

Algorithmus des Teufels
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Mit „Algorithmus des Teufels“ (erschienen 2025) ist es Georg Brun gelungen, ein schauerliches, beklemmendes, (noch) erfundenes Szenario heraufzubeschwören.

Der Thriller ist raffiniert aufgebaut. Zwei ...

Mit „Algorithmus des Teufels“ (erschienen 2025) ist es Georg Brun gelungen, ein schauerliches, beklemmendes, (noch) erfundenes Szenario heraufzubeschwören.

Der Thriller ist raffiniert aufgebaut. Zwei alltägliche Todesfälle beschäftigen die Polizei, die scheinbar nichts gemeinsam haben: ein Selbstmord in Kempten und ein Mord in München. Der Bruder des angeblichen Selbstmörders lässt aber nicht locker und verstärkt die Zweifel bei der jungen Kommissarin Jennifer Häfele. Er glaubt nicht daran, dass sein lebenslustiger, frisch verliebter Bruder aus dem Leben scheiden wollte. Er recherchiert und entdeckt einen seltsamen Chatverlauf. Auch August Wutz von der Münchner Kripo stößt bei der Suche nach dem Täter bzw. dem Mordmotiv auf fragwürdige IT-Aktivitäten. Je intensiver sich die IT-Fachleute mit den mysteriösen Chats beschäftigen, desto unheimlicher wird es. Denn es wird immer offensichtlicher, dass hinter all dem kein Mensch steht, sondern ein Chatbot, ein Chatbot, der sich Opfer sucht, die er als verführerische Frau getarnt, in den Tod treibt oder so manipuliert, dass sie morden. Man bekommt regelrecht eine Gänsehaut beim Lesen, man spürt die Faszination, die die Menschen erfasst, wenn dieses von der KI generierte, engelhafte Gesicht am Bildschirm erscheint, dieses Wesen, dem sie verfallen und wider alle Vernunft handeln. Georg Brun gelingt es vorzüglich, die doch sehr komplexen Vorgänge auch für Laien gut nachvollziehbar zu beschreiben, denjenigen, die mit der digitalen Welt nicht so vertraut sind, Begriffe und Arbeitsweisen von Dating-Plattformen oder Chatbots nahezubringen.

Die beiden Handlungsstränge nähern sich immer mehr, und es wird von Kapitel zu Kapitel spannender, es passiert so einiges, unerwartete Wendungen und es gibt weitere Opfer. Die beiden Ermittler, Jennifer und August arbeiten, wesentlich unterstützt durch Computerspezialisten, tatkräftig zusammen - bis zum actionreichen Showdown. Die Fälle sind gelöst, doch konnte das teuflische KI-Monster unschädlich gemacht werden? Heißt es doch so treffend: Was einmal im Netz ist, bleibt auf ewig …

Die handelnden Personen sind gut vorstellbar beschrieben, zeigen Emotionen, Stärken und Schwächen, was sich insbesondere auch im Privatleben der Ermittler offenbart. Die Kriminalbeamten üben ihren Beruf quasi mit Leib und Seele aus, die Fälle lassen sie auch nach Dienstschluss nicht los, was sich stets belastend auf Beziehungen auswirkt. Emil, der Bruder des Selbstmörders, personifiziert, wie leicht man Opfer digitaler Manipulation werden kann. Obwohl er sich anfangs kritisch und sorgsam in der digitalen Welt bewegt, gerät er immer mehr in ihren Bann und tappt vertrauensselig in die Falle.

Georg Brun ist ein wirklich packender KI-Thriller gelungen, in dem das Thema einer mörderischen KI erschreckend überzeugend dargestellt wird. Dieses Szenario bringt man nicht so schnell wieder aus dem Kopf. Fragt man sich doch trotz der Versicherung des Autors, „es sei alles nur seiner Fantasie entsprungen“, ob die Künstliche Intelligenz nicht längst schon irgendwo im Netz ihr Unwesen treibt.

Dieses gruselige Leseerlebnis sollte man sich nicht entgehen lassen! 5 Sterne.

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Veröffentlicht am 01.12.2025

Wahre Freundschaft

Kursänderung
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„Kursänderung – Reise mit Hindernissen“ von Johanna Ritter ist eine liebenswerte Geschichte über ein paar alte Leute und deren Freundschaft. Das rund 130 Seiten umfassende Büchlein erschien 2015 im SPICA ...

„Kursänderung – Reise mit Hindernissen“ von Johanna Ritter ist eine liebenswerte Geschichte über ein paar alte Leute und deren Freundschaft. Das rund 130 Seiten umfassende Büchlein erschien 2015 im SPICA Verlag; es ist die Fortsetzung von „Teezeit am Meer“.

Die Geschichte liest sich leicht und locker, sie ist humorvoll und vor allem mit sehr viel Einfühlungsvermögen in die Gedankenwelt älterer Menschen verfasst. Man fühlt sich auch ohne Kenntnis des Vorgängerbandes rasch vom Umfeld eingefangen. Trotzdem erscheint es besser, wenn man die Details der Vorgeschichte kennt. Sehr anschaulich spiegelt sich auch das Lokalkolorit einer ostfriesischen Insel wider, das raue Meer und stürmische Wetter, die Dünenlandschaft, das Ambiente, die spezielle ostfriesische Teezeremonie.

Im Mittelpunkt stehen Helga, Lotte und Hinnerk, drei alte Leute, die sich regelmäßig in einem Teestübchen treffen, einfach um gemeinsam verschiedene Teesorten zu genießen, zu plaudern und füreinander da zu sein. Vor ca. einem Jahr verstarb die Vierte im Bunde, Hilde. Nun sitzen sie etwas trübsinnig nur noch zu dritt an ihrem Stammtisch mit Meerblick. Sie vermissen Hilde. Nicht nur im Teestübchen, alles auf der Insel erinnert die Vier an gemeinsame Stunden, Unternehmungen. Besonders die zwei Frauen empfinden das unerträglich, planen sogar einen Umzug aufs Festland, wovon Hinnerk, der fest verwurzelt mit der Insel ist, nichts wissen möchte. Diese Meinungsverschiedenheit trübt die guten freundschaftlichen Beziehungen etwas. Fürs Erste planen sie Urlaubsreisen. Lotte und Helga schließen sich einer Damen-Reisegruppe an. Hinnerk, angeregt durch eine Lektüre über den Jakobsweg, will den norddeutschen Jakobsweg bewältigen. Er kann Tjalf, den Wirt des Teestübchens als Begleitung gewinnen. Obwohl die beiden Männer die Reise akribisch vorbereiten, stellt sich dem gemeinsamen Marsch letztlich ein Hindernis nach dem anderen in den Weg. Es passiert so einiges, das zwar die Pläne aller durchkreuzt, aber letztlich zeigt, wie wertvoll verlässliche Freunde und rege soziale Kontakte sind. Schließlich sind nicht nur sämtliche Missverständnisse aus dem Weg geräumt, sondern es eröffnen sich völlig unerwartete Möglichkeiten fürs Zusammenleben.

Mit hat diese Kurzgeschichte, in der es um wahre Freundschaft, Verbundenheit mit der Heimat und liebgewordene Traditionen geht, sehr gut gefallen. Die Charaktere sind lebendig gezeichnet, sie sind liebenswürdig, ein wenig schrullig und haben das Herz am rechten Fleck.

Eine bezaubernde Geschichte für zwischendurch, die ich gerne weiterempfehle.

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Veröffentlicht am 30.11.2025

Die Aufgabe ist es, die Wahrheit zu finden! (S. 34)

5 Cottages - Das Dornenhäuschen
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„5 Cottages – Das Dornenhäuschen“ von C.K. Jennar (erschienen 2025) ist der erste von fünf Bänden der 5-Cottages-Serie, ein spannungsreicher Einstieg mit überraschenden Wendungen, der Lust auf mehr macht.

Bereits ...

„5 Cottages – Das Dornenhäuschen“ von C.K. Jennar (erschienen 2025) ist der erste von fünf Bänden der 5-Cottages-Serie, ein spannungsreicher Einstieg mit überraschenden Wendungen, der Lust auf mehr macht.

Bereits das düstere Cover mit dem alten, umrankten Haus stimmt auf das Ambiente ein, auf das Geheimnisvolle, Unheimliche, das den Roman von Anfang bis zum Ende durchzieht. Der Schreibstil ist flüssig und packend, emotional und atmosphärisch. Die Geschichte spielt 2024 mit Rückblenden ins Jahr 2004. Vor allem die Perspektivenwechsel zu jener Person, die Katie beobachtet, steigern die Spannung und regen zum Miträtseln an: wer dahinter stecken könnte und ob sie es gut meint mit Katie oder ihr Gefahr droht.

Ich hatte bereits den Spin-off-Band „Haus der dunklen Geister“ gelesen, kannte somit bereits Rechtsanwalt Robert Harrington, der sich darin einer ebensolchen Herausforderung stellen musste, wie er sie nun im Namen eines unbekannte Gönners jenen fünf Menschen ankündigt, die eines von fünf Häuser geschenkt erhalten, wenn sie die ihnen gestellte Aufgabe innerhalb eines Jahres erfüllen.

Eine dieser fünf Personen ist die 38-jährige Katie McSheeran, die in dem Angebot eine Chance sieht, ein selbstständiges Leben beginnen zu können. Seit sie als Zehnjährige bei einem Unfall ihre Eltern verlor, leidet sie unter Panikattacken und lebte - vor allem nachdem ihre beste Freundin Norah verunglückte - menschenscheu und zurückgezogen und behütet mit ihrer Schwester Carol. Sie vermisst Norah auch 20 Jahre nach ihrem Tod sehr. Dass ihre Challenge mit den rätselhaften Umständen von Norahs Tod zusammenhängt, dass sie die Wahrheit erkunden soll, erkennt Katie relativ rasch. Doch wie sie soll sie das bewerkstelligen? Alleine, mit all ihren Ängsten? Wie sich bald herausstellt, hat Katie nicht nur mit ihren eigenen Dämonen zu kämpfen. Im Haus erwartet sie Unheimliches, zudem fühlt sie sich beobachtet. Doch Katie überwindet sich tagtäglich, wagt sie immer mehr hinaus ins Leben, bezwingt ihre Ängste. Von Zweifeln geplagt, verunsichert, wem sie noch trauen kann, enthüllen sich ihr nach und nach Familiengeheimnisse, bis die Wahrheit über den Tod ihrer besten Freundin ans Tageslicht kommt. Somit ist nicht nur die Aufgabe erfüllt, sondern für Katie eröffnet sich endlich ein eigenständiges, selbstsicheres Leben.

Ein wirklich spannender Roman mit Charakterentwicklung, der so nebenbei auch noch die irische Kultur näherbringt, diesmal Sheela-na-Gig im Fokus hat, eine keltische Göttin, der viele Bedeutungen zugeschrieben werden, vom Fruchtbarkeitssymbol bis Abwehr des Bösen. Mich hat Katies Geschichte begeistert und ich freue mich schon jetzt auf den nächsten Band der Reihe!

Eine unbedingte Leseempfehlung! 5 Sterne!

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Veröffentlicht am 26.11.2025

Englische Agentinnen im französischen Widerstand

Wir dachten, das Leben kommt noch
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„Wir dachten, das Leben kommt noch“ von Elisabeth Sandmann (erschienen 2025) beleuchtet ein Kapitel des Zweiten Weltkriegs, das wohl wenigen geläufig ist: den Einsatz von englischen Agentinnen in Frankreich ...

„Wir dachten, das Leben kommt noch“ von Elisabeth Sandmann (erschienen 2025) beleuchtet ein Kapitel des Zweiten Weltkriegs, das wohl wenigen geläufig ist: den Einsatz von englischen Agentinnen in Frankreich zur Unterstützung der Résistance. Es ist dies ein Folgeroman zu „Porträt auf grüner Wandfarbe“. Zwar sind dies eigenständige Romane, dennoch denke ich, dass man Gwens Umfeld besser überblickt, wenn man Band eins gelesen hat.

Elisabeth Sandmann erzählt eine fiktive Geschichte, basierend auf historischen Fakten, die im Anhang nachzulesen sind. Die Handlung verläuft einerseits in zwei Handlungssträngen, andererseits in zwei Zeitebenen – in der Gegenwart (1998) und während des Zweiten Weltkriegs (1942). In der Gegenwart stehen zwei Personen im Mittelpunkt: die BBC-Reporterin Gwen, die den Auftrag erhält, ein Buch über jene Frauen zu schreiben, die seinerzeit der von Winston Churchill ins Leben gerufenen geheimen Spezialeinheit SOE (Special Operations Executive) als Agentinnen angehört haben, und Pat, die von Gwen bezüglich eines Interviews kontaktiert wird, und eine jener Agentinnen ist, die in Frankreich im Einsatz waren.

An und für sich ist der Schreibstil flüssig und bildhaft, viele Details unterstützen das Kopfkino. Der Lesefluss leidet jedoch ein wenig durch die abrupten Perspektiven- bzw. Ortswechsel und Zeitsprünge. Ich fühlte mich immer wieder unsanft aus dem Paris des Jahres 1942 herausgerissen, wo mich Emmas Schicksal gerade gefangen hielt, um plötzlich bei Gwens Familienleben in der Gegenwart zu landen. Letzeres empfand ich eher als nebensächlich und hie und da auch als zu ausufernd geschildert.

Der Handlungsaufbau ist eigentlich geschickt arrangiert, auch wenn man sich anfangs in der Vielzahl der Personen etwas verirrt – aber da ist das Personenverzeichnis am Ende des Buches recht hilfreich (fände ich am Anfang übrigens sinnvoller). Denn all die scheinbar in keinem Zusammenhang mit Pats/Emmas Einsatz stehenden Szenen, wie die Aufzeichnungen von Gwens Großmutter Ilsabé, deren Ersuchen, Lilou zu finden, die Gespräche mit Nebenpersonen, sind Puzzlesteinchen, die so nach und nach die Fäden verknüpfen, zu überraschenden Wendungen führen und zu einem schlüssigen Ende.

Ich fand den Roman interessant, wissenserweiternd, aber nicht spannend in dem Sinn, dass man sich um Pat/Emma geängstigt hätte. Sie gerät zwar in etliche brenzlige bis lebensgefährliche Situationen, die sie bewundernswert cool meistert, aber es ist zu ruhig, zu distanziert erzählt. Ein bisschen mehr Dramatik, Action und vor allem spürbare Emotionen hätten diese Szenen lebendiger gemacht.

Was die Charaktere anbelangt, so bleiben einige der zahlreichen Nebenfiguren ziemlich blass. Der Haupttenor liegt auf Pats Entwicklung, zunächst vom unscheinbaren Mädchen, im Schatten der hübscheren und energiegeladenen Schwester stehend, zur mutigen, sich in einem riskanten Umfeld bewährenden Agentin Emma, um danach wieder in Unscheinbarkeit zu versinken, denn die Leistungen der Agentinnen gingen seinerzeit unter. Erst als über 70-Jährige, nachdem sie ihre Schuldgefühle aus der Spionagezeit aufgearbeitet hatte, verwandelte sie sich zu einer wieder lebensbejahenden, für Neues offenen Frau. Gwens Wesen offenbart sich eher nur oberflächlich. Sie kämpft mit den Problemen jeder alleinerziehenden Mutter: Beruf und Zeit für das Kind unter einen Hut zu bringen. Sie liebt ihre Selbstständigkeit, ihren Beruf. Sie liebt wohl auch Balthasar, den Vater ihrer Tochter, zu dem freundschaftlicher Kontakt besteht. Aber er ist ebenso fest verwurzelt in Bayern wie sie in London. Eine schillernde Persönlichkeit ist Gwens Großmutter Ilsabé, reich, selbstbewusst und unabhängig, wirkt sie mitten in Kriegszeiten mit ihrem hochherrschaftlichen Stil etwas aus der Zeit gefallen.

Der Roman ist historisch informativ, würdigt die Leistung der Frauen im Zweiten Weltkrieg, die Protagonistinnen wirken authentisch und sympathisch. Auf jeden Fall ein Buch für jene, die gerne Bücher über starke Frauen lesen.

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