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Veröffentlicht am 06.06.2023

Schuld und Sühne

Der Vorleser
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Michael Berg war gerade 15 Jahre alt, als er von Hanna Schmitz, einer 36jährigen Straßenbahnschaffnerin, verführt wird. Es beginnt ein Liebesverhältnis, bei dem er ihr hörig ist und sie ihn für ihre Zwecke ...

Michael Berg war gerade 15 Jahre alt, als er von Hanna Schmitz, einer 36jährigen Straßenbahnschaffnerin, verführt wird. Es beginnt ein Liebesverhältnis, bei dem er ihr hörig ist und sie ihn für ihre Zwecke ausnutzt – er muss ihr stets vorlesen, bevor es zum Sex kommt. Dann, eines Tages, ist Hanna plötzlich spurlos verschwunden, kein Abschied, keine neue Adresse, nichts. – Jahre später, als er während seines Jurastudiums einen KZ-Prozess verfolgt, sieht er sie wieder. Eine der fünf angeklagten Frauen, die Aufseherinnen in Auschwitz waren und an Selektionen beteiligt gewesen sein sollen, ist Hanna …

Der Autor Bernhard Schlink wurde 1944 in Bielefeld geboren, wuchs in Heidelberg auf, studierte in Heidelberg und Berlin Jura, promovierte 1975 in Heidelberg zum Dr. jur. und habilitierte in Freiburg/Brsg. zum Professor für Öffentliches Recht. Er lehrte an den Universitäten in Bonn, Frankfurt/Main und Berlin und war von 1987 bis 2006 Richter am Verfassungsgerichtshof. Seinen Erfolg als Schriftsteller hatte er ab 1987 - inzwischen veröffentlichte er einige Sachbücher und vierzehn Romane, für die er zahlreiche Preise und Auszeichnungen erhielt. "Der Vorleser" (1995) wurde zu einem internationalen Bestseller. Heute lebt Schlink in New York und Berlin.

Gleich mehrere brisante Themen behandelt der Autor in diesem Roman. Es geht einerseits um die Liebesbeziehung mit einem Minderjährigen, der es danach nie mehr schafft, eine normale Beziehung einzugehen, andererseits um die Verbrechen in den Konzentrationslagern während der NS-Zeit, deren Aufarbeitung und Bewältigung äußerst schmerzlich ist und wohl nie ganz abgeschlossen sein wird, und ein drittes nicht minder wichtiges Thema ist Analphabetismus mit seinen Auswirkungen auf die Psyche der Betroffenen.

Die Geschichte ist in drei Teilen aufgebaut. Wir verfolgen die Entwicklung des Protagonisten vom 15jährigen Schüler zum Jurastudenten und schließlich zum Rechtswissenschaftler. Der Schreibstil ist klar, präzise und von großer Intensität. Der Autor lässt Michael Berg selbst erzählen, so dass man als Leser sich in seine Gedanken und Gefühle hinein versetzen kann. In der Figur von Hanna Schmitz wird dem Leser klar, dass es verschiedene Gründe geben kann, einen Menschen dazu zu bringen, andere zu töten, was ihn jedoch nicht von Schuld und Verantwortung für sein Handeln freispricht. Mehr als einmal stellt sich während des Lesens die Frage: Wie hätte ich gehandelt? Was hätte ich getan? Man denkt darüber nach und stellt fest, dass das Thema Schuld von mehreren Seiten beleuchtet werden kann und jeder für sich selbst entscheiden muss.

Fazit:Ein gutes und wichtiges Buch, das in keinem Bücherschrank fehlen sollte.

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Veröffentlicht am 01.06.2023

Veränderungen – ein Dorf im Wandel der Zeit

Mittagsstunde
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Nach dreißig Jahren in der Stadt kehrt er nun wieder in sein Heimatdorf Brinkebüll zurück, Dr. Ingwer Feddersen, 47, Archäologe an der Uni Kiel. Er hat sich ein Sabbatjahr genommen, um seine alten Großeltern ...

Nach dreißig Jahren in der Stadt kehrt er nun wieder in sein Heimatdorf Brinkebüll zurück, Dr. Ingwer Feddersen, 47, Archäologe an der Uni Kiel. Er hat sich ein Sabbatjahr genommen, um seine alten Großeltern Ella und Sönke Feddersen zu versorgen. Damals hatten sie ihn versorgt, hatten das für ihn getan wozu seine Mutter nicht imstande war, jetzt ist er an der Reihe. Es hat sich viel verändert im Dorf, die alten kleinen Höfe sind verschwunden, ebenso die Schule und der Tante-Emma-Laden, die Dorfstraße ist jetzt geteert, neue Häuser sind entstanden - und in Feddersens alte Gastwirtschaft, die früher der Mittelpunkt des Dorfes war, verirrt sich heute nur selten noch jemand. Es ist still geworden im Dorf, so still wie es früher nur in der Mittagsstunde war …

Dörte Hansen, geb. 1964 in Husum, ist eine deutsche Journalistin und Schriftstellerin. Sie studierte in Kiel Soziolinguistik, Anglistik und Romanistik, absolvierte ein Praktikum beim Magazin Merian und arbeitete danach als Journalistin für mehrere Hörfunksender und verschiedene Zeitschriften. Sie war ab 2012 festangestellte Kulturredakteurin bei NDRInfo, inzwischen ist sie als freie Autorin tätig. Nach ihrem ersten Roman „Altes Land“ (2015) ist „Mittagsstunde“ (2018) ihr zweiter Roman. Beide wurden bereits verfilmt und mit einigen Auszeichnungen und Literaturpreisen bedacht. Dörte Hansen ist verheiratet, hat eine Tochter und lebt heute wieder in Husum.

Der rasche Wandel im Dorfleben, der sich seit der Gebietsreform in den 60er Jahren vollzogen hat, hat die Autorin in den Mittelpunkt dieses Romans gestellt. Was sich hier in Nordfriesland abspielt könnte auch so oder so ähnlich in jeder dörflichen Gegend unseres Landes geschehen sein. Eine Studie über Heimat und Landleben, warmherzig beobachtet, ohne Sentimentalität und Nostalgie. Daneben gibt es auch noch weitere relevante Themen, wie z. B. Gemeinschaft und Zusammenhalt, Geburt und Pflege, Leben und Tod, die in der Geschichte gekonnt und mit viel Empathie angesprochen werden.

Der Schreibstil hierbei ist sehr angenehm, knapp und exakt mit oftmals leicht ironischem Unterton. Die Autorin beschreibt Menschen mit ihren Stärken und Schwächen, gradlinige und sture Charaktere, denen jeder Leser auf die eine oder andere Art schon begegnet ist. Ihre bildhafte Sprache und gewählte Ausdrucksweise zeichnen ein wunderbares Bild der Natur und der Kargheit der Geestlandschaft. Man riecht förmlich die salzige Luft und spürt den meist heftigen Wind, der die Landschaft prägt. Schon allein deswegen lohnt es sich, das Buch zu lesen.

Fazit: Ein schönes Buch, wohltuend anders, kraftvoll erzählt, ohne Romantik und Klischees – ein Roman der dem Leser, trotz manch tragischer Momente, ein Lächeln ins Gesicht zaubert.

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Veröffentlicht am 25.05.2023

Heinrich II. von England vs. Thomas Becket

Conrad Ferdinand Meyer - Gesammelte Werke
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Die Rezension bezieht sich nur auf "Der Heilige" einer anderen Ausgabe:

Zum Jahreswechsel 1191 kommt Hans der Armbruster nach Zürich, wo er vom Chorherrn Burkhard eingeladen wird. Während des Essens ...

Die Rezension bezieht sich nur auf "Der Heilige" einer anderen Ausgabe:

Zum Jahreswechsel 1191 kommt Hans der Armbruster nach Zürich, wo er vom Chorherrn Burkhard eingeladen wird. Während des Essens erzählt ihm Hans, der vor Jahren ein Vertrauter König Heinrich II. von England war, von der eigentümlichen Beziehung zwischen Thomas Becket und seinem König: Heinrich II. kann sich auf seinen Kanzler verlassen, der ihm mit seinem umfangreichen Wissen wertvolle Dienste leistet und auch seine Söhne unterrichtet. Doch das gute Verhältnis der beiden zerbricht, als Heinrich Beckets Tochter Grace verführt und diese zu Tode kommt. Heinrich zwingt Thomas daraufhin, die Stelle des Bischofs von Canterbury anzunehmen, obwohl dieser strikt ablehnt. Thomas wird zum Asketen – und das Schicksal nimmt seinen Lauf …

Conrad Ferdinand Meyer, 1825 bis 1898, gehört zu den bedeutendsten deutschsprachigen Schweizer Dichtern des Realismus, der besonders durch seine historischen Romane und Novellen bekannt ist. In Kilchberg bei Zürich ist seine letzte Ruhestätte.

Wie meist in seinen Romanen und Novellen, hat sich der Autor auch hier weitgehend an den historischen Geschehnissen orientiert. Außer Beckets Tochter Grace (und das frei erfundene Verhältnis mit dem König, das hier für die weitere Handlung von Bedeutung ist), haben alle anderen Protagonisten tatsächlich existiert.

Da die Novelle „Der Heilige“ 1880 erstmals veröffentlicht wurde, ist der Schreibstil entsprechend antiquiert und lässt sich nur mühsam und holperig lesen. Ich finde es eigentlich schade, dass man bei einer Neuauflage nicht eine etwas zeitgemäßere Ausdrucksweise gewählt hat.

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Veröffentlicht am 18.05.2023

Ist das unsere Zukunft?

Blue Skies
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In Kalifornien herrschen Hitze, Dürre und Brände, während in Florida Orkane mit sintflutartigem Regen das Land überziehen und das Meer die küstennahen Ortschaften zu überschwemmen droht. Die Natur ist ...

In Kalifornien herrschen Hitze, Dürre und Brände, während in Florida Orkane mit sintflutartigem Regen das Land überziehen und das Meer die küstennahen Ortschaften zu überschwemmen droht. Die Natur ist aus dem Gleichgewicht geraten, Bienen und andere nützliche Tiere sterben aus, während Zecken und Moskitos sich unkontrolliert ausbreiten und zur tödlichen Gefahr werden. Obwohl Familie Cullen in Kalifornien das Problem rechtzeitig erkannt hat und angesichts der Bedrohung alles richtig machen möchte, sind sie von der Situation total überfordert. Sohn Cooper, er ist Insektenforscher, erleidet einen Zeckenbiss mit gravierenden Folgen, ihre in Florida lebende Tochter Cat kauft sich, um im Internet tolle Fotos posten zu können, eine Tigerpython die ihr außer Kontrolle gerät und Mutter Ottilie hat nach den ersten Missernten die Ernährung auf proteinreiche Heuschrecken umgestellt, die nun auch von Aussterben bedroht sind. Doch das ist erst der Anfang, die Natur rächt sich …

T. C. Boyle ist ein US-amerikanischer Schriftsteller, der 1948 in Peekskill, New York, geboren wurde. Er studierte Englisch und Geschichte an der New York State University und erwarb den Doktortitel in englischer Literatur des 19. Jahrhunderts. Von Ende der 1970er Jahre bis 2012 lehrte er Creative Writing an der University of Southern California in Los Angeles. Er ist bekannt für seine gründlich recherchierten Romane, die oft auf realen Ereignissen basieren, und die in vielen Sprachen übersetzt wurden. Der Autor ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt in Montecito bei Santa Barbara in Kalifornien.

Wie meist bei Boyle steckt auch in diesem Roman eine Warnung, eine Mahnung an die Menschen, sorgsam mit den vorhandenen Ressourcen umzugehen. Extrem spannend, von der ersten bis zur letzten Zeile, werden uns hier die Auswirkungen des Klimawandels vor Augen geführt. Steigende Temperaturen, Hitze, Brände, Dürre und Ernteausfälle im Landesinnern - Dauerregen, steigender Meeresspiegel und Überschwemmungen an den Küsten. Das Gleichgewicht in der Natur ist aus den Fugen geraten. Während einige Tierarten bereits aussterben und Insekten zur Bestäubung kaum noch vorhanden sind, vermehren sich Blutsauger explosionsartig, Zecken und Asiatische Tigermücken werden zur lebensbedrohenden Gefahr.

Im Angesicht dieser Apokalypse begleiten wir eine ganz normale amerikanische Familie, die zwar anfangs alles richtig zu machen versucht, jedoch gegen die Natur nicht ankämpfen kann. Lebensmittelknappheit, Stromausfälle und Wasserrationierung sind noch hinnehmbar, viel schlimmer dagegen wiegen ihre persönlichen Schicksalsschläge. Mehr möchte ich zum Inhalt nicht verraten, nur so viel, es ist absolut kein Buch zum Wohlfühlen. Man wird schonungslos in das Geschehen hinein gezogen und erwartet beinahe von Seite zu Seite neue Schreckensmomente und selbstverschuldetes Unglück. Bei einigen Szenen stockte mir regelrecht der Atem und ich musste beim Lesen ab und zu eine Pause einlegen. Am Schluss kommt zwar gedämpfter Optimismus auf – aber dient das nur zur Beruhigung oder könnte es tatsächlich die Rettung sein?

Dennoch, oder vielleicht gerade deswegen, kann ich das Buch jedem empfehlen, denn wir alle sollten umdenken und unsere verschwenderischen Lebensgewohnheiten ändern.

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Veröffentlicht am 10.05.2023

Zum Teuf’l aber auch, wo steckt bloß Vivien

Der Gentleman
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London, Mitte 19. Jahrhundert. In seinem Haus am vornehmen Pocklington Place lebt der Adlige Lionel Savage in der Überzeugung, er sei ein toller Hecht und ein begnadeter Dichter. Er ist 22 Jahre jung, ...

London, Mitte 19. Jahrhundert. In seinem Haus am vornehmen Pocklington Place lebt der Adlige Lionel Savage in der Überzeugung, er sei ein toller Hecht und ein begnadeter Dichter. Er ist 22 Jahre jung, sieht gut aus, ist sehr kultiviert aber auch sehr faul und lebt gerne über seine Verhältnisse. So muss ihm sein treuer Butler Simmons eines Tages mit Bedauern mitteilen, dass das Geld ausgegangen sei. Nun hat Lionel zwei Möglichkeiten, zu arbeiten oder eine reiche Frau heiraten. Ersteres kommt für den Gentleman ja nicht infrage, also bleibt nur der zweite Weg aus dem Desaster. Eine passende junge Dame aus vermögendem Hause ist bald gefunden, es wird geheiratet und Vivien zieht in das Haus am Pocklington Place ein.

Geld ist zwar nun vorhanden, doch Lionel ist seiner Angetrauten bald überdrüssig. Er empfindet sie als geistlos und nörglerisch, verachtet und hasst sie. Zu allem Übel kommt noch seine Schreibblockade hinzu, er kann nicht mehr dichten und ist verzweifelt. Als einzigen Ausweg sieht er seinen Selbstmord, doch die Umstände, die er seinem treuen Butler dadurch machen würde, halten ihn zunächst davon ab. Während er noch nach einer Lösung sucht, beehrt ihn ein eleganter Gentleman mit seinem Besuch, der sich selbst als Teufel vorstellt. Die beiden unterhalten sich freundschaftlich – und als der Teufel gegangen ist, ist auch plötzlich Vivien verschwunden …

Der US-amerikanische Autor Forrest Leo wurde 1990 in Alaska geboren, wo er auch aufwuchs und mit dem Hundeschlitten zur Schule fuhr. Später machte er einen Bachelor in Schauspiel an der New York University und arbeitete in verschiedenen Berufen. Er war erst 27 Jahre alt, als er sein Debüt „Der Gentleman“ schrieb, das von dem 1973 in Göttingen geborenen Literaturwissenschaftler Cornelius Reiber ins Deutsche übersetzt wurde.

Mit viel Witz und spöttischer Ironie werden wir in die Gepflogenheiten der Londoner Oberschicht im viktorianischen Zeitalter eingeführt – oder was man sich heute darunter vorstellt. Wie am Schluss des Buches zu lesen ist, wurde die Geschichte zunächst als Theaterstück konzipiert, was besonders in der furiosen Schlussszene, in der sämtliche Akteure noch einmal zusammenkommen, zu merken ist. Eine Besonderheit ist auch, dass die Geschichte von Lionel Savage selbst erzählt wird und der Herausgeber des Werkes, Mr Hubert Lancester, ein Verwandter von Savage, in zahlreichen Fußnoten seinen Kommentar dazu abgibt bzw. dessen Aussagen richtigstellt.

Eine Figur nach der anderen betritt die „Bühne“, rasch wechseln die „Kulissen“, es werden allerlei Abenteuer erlebt, Duelle ausgefochten und witzige, schlagfertige Dialoge ausgetauscht. Wir machen die Bekanntschaft mit dem besten Butler Großbritanniens, mit einem Erfinder von Flugmaschinen, mit einem gutaussehenden, kräftig gebauten Abenteurer, mit Lizzie, der quirligen jüngeren Schwester von Lionel, mit Vivien, Lionels schöner und intelligenter Frau – und nicht zuletzt mit dem Teufel, der sich als Buchliebhaber und Literaturkenner entpuppt und Dante Alighieri bei sich zu Hause als Gärtner beschäftigt.

Fazit: Eine intelligente Boulevardkomödie mit viel Witz, selbstverständlich leicht übertrieben, aber immer mit Stil – sehr unterhaltsam und äußerst amüsant.

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