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Veröffentlicht am 21.05.2017

Das Meer, Segen und Fluch …

Die Hummerkönige
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Seit vielen Generationen lebt die Familie Kings auf Loosewood Island, einer kleinen, der Küste vorgelagerten Insel im Atlantik, an der Grenze zwischen Kanada und den USA. Sie sind die Kings, die Hummerkönige ...

Seit vielen Generationen lebt die Familie Kings auf Loosewood Island, einer kleinen, der Küste vorgelagerten Insel im Atlantik, an der Grenze zwischen Kanada und den USA. Sie sind die Kings, die Hummerkönige der Insel, seit ihr Vorfahr, der Maler Brumfitt Kings vor beinahe 300 Jahren die Insel entdeckte und sich dort ansiedelte. Sie leben vom Hummerfang, der in den Gewässern rund um die Insel sehr ertragreich ist. Immer war es ein Sohn, der das Familienerbe übernahm und das Geschäft mit dem Hummerfang weiter führte. Doch jetzt möchte Cordelia Kings, die älteste Tochter, mit der Tradition brechen und diese Aufgabe übernehmen. Sie liebt das Meer und liebt die schwere Arbeit mit den Hummerkörben.

Auch die Fischer von der Küste aus James Harbor wissen von dem Reichtum der Insel und wildern gerne in deren Gewässer. Aber sie kommen nicht nur zum Hummerfang, sie schmuggeln in ihren Booten auch Drogen. Woody Kings, das Oberhaupt der Familie, will mit Hilfe von Cordelia und der anderen Hummerfischer der Insel diesem Treiben Einhalt gebieten. Das könnte jedoch sehr gefährlich werden …

Der Autor Alexi Zentner wuchs in der kanadischen Provinz Ontario auf und lebt heute mit Frau und zwei Töchtern in den USA, in Ithaca im Staat New York. Er besitzt sowohl die kanadische als auch die amerikanische Staatsbürgerschaft. Für seine Geschichten erhielt er bereits zahlreiche Preise. „Die Hummerkönige“ kam im englischen Original bereits 2014 unter dem Titel „The Lobster Kings“ auf den Markt und ist nun in einer ausgezeichneten Übersetzung von Werner Löcher-Lawrence als Taschenbuch-Ausgabe des btb-Verlags auch bei uns erhältlich. Das Cover hierzu ist sehr schön gestaltet und passt gut zur Geschichte.

Das Buch ist in der Ich-Perspektive von Cordelia geschrieben und liest sich wie ein Abenteuerroman. Der Leser erfährt zunächst einige interessante Episoden aus ihrer Kindheit, um dann an ihrem späteren aufregenden und gefahrvollen Leben als Hummerfischerin hautnah dabei zu sein. Aufgelockert wird die Geschichte durch gelegentliche Beschreibungen der Bilder Brumfitt Kings und Erinnerungen aus seinen Tagebüchern, die von Cordelia auf ihre eigene Weise interpretiert werden. Man erfährt von dem Fluch, der auf der Familie lasten soll und dem Pakt, den der Urahn geschlossen hat: Das Meer gibt der Familie Hummer – und nimmt sich dafür einen Sohn. Ob sich dieser Fluch bewahrheitet, soll hier natürlich nicht verraten werden. Er gibt dem Geschehen jedenfalls etwas Mystisches.

Die Protagonisten sind ausgezeichnet beschrieben, sehr lebensecht und liebevoll portraitiert. Jeder der Charaktere ist individuell und einzigartig, dadurch wirken sie sehr authentisch. Als Leser spürt man auch die Wandlungen, die sie im Laufe der Jahre durchmachen. Man liebt mit ihnen, man leidet mit ihnen, man kämpft mit ihnen gegen die raue See, trotzt Sturm und Wellen und ist manchmal über ihren Mut überrascht. Die Spannung ist besonders gegen Ende zu sehr hoch, man wird von Emotionen gepackt, ein stetes Auf und Ab der Gefühle. Auch wenn man nicht alle Handlungsweisen gutheißen kann, sind doch ihre Beweggründe verständlich.

Fazit: Ein großartiges Buch. Allen Lesern, die das Meer lieben und auch bei Sturm noch schön finden, möchte ich es uneingeschränkt empfehlen.

Veröffentlicht am 17.05.2017

Kann man der Vergangenheit entfliehen?

Museum der Erinnerung
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Seit vier Jahren arbeitet die junge britische Insektenforscherin Cathy im Berliner Museum für Naturkunde, wo auch ihr Verlobter, der amerikanische Paläontologe Tom, beschäftigt ist. Dort in ihrem Büro ...

Seit vier Jahren arbeitet die junge britische Insektenforscherin Cathy im Berliner Museum für Naturkunde, wo auch ihr Verlobter, der amerikanische Paläontologe Tom, beschäftigt ist. Dort in ihrem Büro hütet sie ihr ganz persönliches Geheimnis: ein kleines verschlossenes Schränkchen, gefüllt mit Andenken und Erinnerungsstücken aus ihrer Vergangenheit, die meist schmerzhafte Gefühle wachrufen. Gefühle der Schuld und Empfindungen der Scham, von denen auch Tom nichts weiß, eingesperrt um zu vergessen. Doch nun ist die Vergangenheit zurück und die Angst wieder da, die sie die letzten vier Jahre erfolgreich verdrängen konnte. Ein Päckchen ohne Absender liegt auf ihrem Schreibtisch und Cathy weiß sofort von wem es ist. Er hat sie gefunden, Daniel ist in Berlin, heute, am Tag der 200-Jahr-Feier des Museums, bei der Cathy für ihre Forschungsarbeit geehrt werden soll …

Die Autorin Anna Stothard wurde 1983 in London geboren. Nach ihrem Literaturstudium in Oxford studierte sie zwei Jahre Drehbuch am American Film Institute in Los Angeles. Heute lebt sie wieder in London. „Museum der Erinnerung“ ist ihr dritter Roman, der bereits 2016 unter dem Originaltitel „The Museum of Cathy“ in Großbritannien erschienen ist.

Schuld und Rache, Liebe und Verzeihen, sind die fundamentalen Themen dieses Romans, die die Autorin in einer bildhaften, sehr detailgetreuen Schreibweise in Szene gesetzt hat. Schauplatz der Handlung ist das Berliner Naturkundemuseum, über dessen Sammlungen und Arbeitsweise man aufschlussreiche Details erfährt. Ausgestopfte Tiere, interessante Artefakte und skurrile Erinnerungsstücke begegnen dem Leser zuhauf und machen das Geschehen sehr lebendig. Ständige Wechsel der Zeitabläufe zwischen Gegenwart und Vergangenheit sorgen für Spannung. Ganz allmählich, einem Puzzle gleich, erhält man Einblick in Cathys Vergangenheit und erfährt die Umstände, warum sie vom selbstbewussten Kind zur ängstlichen, unsicheren jungen Frau wurde und erfährt auch mehr über ihre verhängnisvolle Beziehung zu Daniel. Die Charaktere sind gut und individuell heraus gearbeitet, so dass man sich gut in ihre Gedanken einfühlen und ihre Handlungsweisen nachvollziehen kann.

Fazit: Eine interessante Geschichte, sehr detailreich und ausgeschmückt erzählt, mit einem Ende, das ich so nicht erwartet hätte.

Veröffentlicht am 01.05.2017

Vergangenheitsbewältigung und Selbstfindung

Ich, Eleanor Oliphant
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Eine seltsame junge Frau, diese Eleanor Oliphant, etwas verschroben und weltfremd. Unangepasst wie sie nun mal ist, hat sie auch keine Freunde. Alles in ihrem Leben ist geregelt: arbeiten, essen, schlafen ...

Eine seltsame junge Frau, diese Eleanor Oliphant, etwas verschroben und weltfremd. Unangepasst wie sie nun mal ist, hat sie auch keine Freunde. Alles in ihrem Leben ist geregelt: arbeiten, essen, schlafen – mittwochs wird mit Mummy telefoniert und am Wochenende werden zwei Flaschen Wodka getrunken. Doch jetzt ist alles anders, plötzlich hat sie Pläne für die Zukunft. Eleanor hat sich Hals über Kopf in einen Mann verliebt, einen Musiker, den sie nur einmal gesehen hat. Ganz langsam, Schritt für Schritt entdeckt sie nun das reale Leben und muss dabei viele Rückschläge einstecken. Einen nicht unwesentlichen Anteil an ihrer Verwandlung hat Raymond, ein Arbeitskollege, der sich als treuer Freund erweist …

„Ich, Eleanor Oliphant“ ist der Debüt-Roman der jungen, in Glasgow lebenden schottischen Schriftstellerin Gail Honeyman, der bereits vor seinem Erscheinen große Beachtung fand. Es ist die Geschichte einer zutiefst einsamen Frau, die durch ihre bösartige Mutter, durch Schicksalsschläge in der Kindheit und durch die ständig wechselnden Pflegefamilien traumatisiert und zur Außenseiterin wurde. Eleanor hat Narben im Gesicht und Narben auf der Seele, verursacht durch ein Ereignis, über das sie nicht reden will, ja nicht reden kann, das sie verdrängt und das sie am liebsten ungeschehen machen möchte. Es ist interessant zu lesen, wie sie im Laufe der Ereignisse eine Wandlung durchmacht, die teils durch äußere Einflüsse und teils durch eigene Erkenntnis ausgelöst wird.

Honeyman lässt ihre Protagonistin selbst erzählen und uns somit an ihren Emotionen hautnah teilhaben, wodurch der Roman sehr authentisch wirkt. Schonungslos offen, erschreckend und voller bedrohlicher Begebenheiten, gleichzeitig aber voller Hoffnung und Zuversicht, berichtet Eleanor Oliphant über ihr Leben. Durch ihre erfrischend eigenwillige Art die Dinge zu sehen zeigt sie uns, wie wichtig doch Freundschaft und Kameradschaft im zwischenmenschlichen Umgang sind. Mit jedem Schritt in ihre Zukunft erfährt der Leser auch etwas aus ihrer Vergangenheit – bis sich am Ende die ganze bestürzende Wahrheit offenbart.

Dennoch ist es kein trauriges Buch, sondern eher eine Hommage an die Freundschaft. Durch den wunderbar natürlichen Schreibstil und die präzise Sprache lässt es sich gut und flüssig lesen und der hintergründige Humor zaubert dem Leser, bei aller Ernsthaftigkeit, ein beständiges Grinsen ins Gesicht. Man beendet das Buch in positiver Stimmung und mit dem guten Gefühl, dass es die Mühe wert ist, sich der Vergangenheit zu stellen und an die Zukunft zu glauben.

Fazit: Das Buch hat mich überzeugt – nicht die ganz große Literatur, aber sehr angenehm zu lesen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Figuren
  • Erzählstil
  • Humor
  • Originalität
Veröffentlicht am 01.05.2017

Unbewältigte Vergangenheit

Familie Salzmann
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Man schreibt das Jahr 1994. Der vierundzwanzigjährige Hanno Salzmann arbeitet zur Zufriedenheit seiner Vorgesetzten als Kanzleikraft in der „Steiermärkischen Gebietskrankenkasse“ in Graz, die ihn als sachlich, ...

Man schreibt das Jahr 1994. Der vierundzwanzigjährige Hanno Salzmann arbeitet zur Zufriedenheit seiner Vorgesetzten als Kanzleikraft in der „Steiermärkischen Gebietskrankenkasse“ in Graz, die ihn als sachlich, höflich und korrekt beurteilen. Doch dann geschieht etwas, womit niemand gerechnet hat. Hanno erzählt einem Freund und Kollegen ganz beiläufig, dass seine Oma in einem KZ umgekommen sei. Ab sofort wurde er als Jude betrachtet, von Kollegen und Vorgesetzten gemobbt, musste niedere Arbeiten verrichten und wurde zwei Jahre später fristlos entlassen.

Diese Großmutter, Juliana Sternad, wurde 1909 in Stainz (Steiermark in Österreich) geboren und ging 1926 auf Arbeitssuche nach Deutschland. In Bad Kreuznach lernte sie den sechs Jahre älteren Metalldreher Hugo Salzmann kennen, der aktiv in der KPD tätig war. Das Paar heiratete, 1932 wurde ihr Sohn Hugo jun. geboren. Bereits 1933 flüchteten sie vor den Nazis nach Paris. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Frankreich wurden sie verhaftet, Hugo kommt in ein Lager und überlebt, Juliana kommt ins KZ wo sie später stirbt, der kleine Hugo wächst bei einer Tante in der Steiermark auf.

Nach dem Krieg lebt Hugo jun. zunächst einige Zeit bei seinem Vater, geht dann später freiwillig in die DDR, wo er auch seine Frau kennen lernt. Nach zwölf Jahren flüchtet das Paar mit ihrem ersten Sohn, der an spastischen Lähmungen leidet, und kommt über Wien in die Steiermark. Dort wird auch Sohn Hanno geboren, der dann 1994 an seinem Arbeitsplatz in Graz die verhängnisvolle Bemerkung über seine Großmutter machte …

Der 1954 in Steyr/Österreich geborene Autor Erich Hackl studierte Germanistik und Hispanistik, arbeitete einige Jahre als Lehrer und Lektor und ist seit längerer Zeit als freier Schriftsteller tätig. Der vorliegenden Biographie „Familie Salzmann“ liegt ein authentischer Fall zugrunde. Das Buch ist 2010 im Diogenes-Verlag Zürich erschienen.

Die pedantisch und mit viel Enthusiasmus recherchierte Geschichte der Familie Salzmann wird von Hackl nahezu chronologisch erzählt. Eine Geschichte die bewegt und erschüttert, über Diskriminierung und Erniedrigung, über Bosheit und Niedertracht, die Anfang des 20. Jahrhunderts beginnt und sich bis ins heutige, sozialdemokratisch regierte, Österreich fortsetzt. Der sachlich-knappe Schreibstil ist passend zum Geschehen. Nichts wird beschönigt. Hackl lässt Fakten sprechen, er deckt auf, nennt Namen, klagt an und demaskiert. Man ist als Leser erschüttert über die Grausamkeiten, denen die früheren Generationen ausgesetzt waren, und ist empört, dass sich bis heute nichts geändert hat.

Fazit: Ein bewegendes Stück Zeitgeschichte – nicht einfach zu lesen.

Veröffentlicht am 27.04.2017

Autobiographie einer chaotischen Familie

Das Siegel der Tage
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„… ich spürte, wie ich mit diesem Mann verschmolz, mit dem ich einen langen und steilen Weg gegangen war, mit dem ich gestolpert und gefallen und wieder aufgestanden war, mich gestritten und mich versöhnt ...

„… ich spürte, wie ich mit diesem Mann verschmolz, mit dem ich einen langen und steilen Weg gegangen war, mit dem ich gestolpert und gefallen und wieder aufgestanden war, mich gestritten und mich versöhnt hatte, ohne dass wir einander je verraten hätten. Das Siegel der Tage, Leid und Freuden geteilt zu haben, war längst unser Schicksal.“

Mit diesen bewegenden Worten schließt Isabel Allende ihr Buch „Das Siegel der Tage“ ab, das an ihren zuvor erschienenen Roman „Paula“ anknüpft. Sie wendet sich darin an ihre verstorbene Tochter Paula und erzählt ihr, wie ihr Leben und das der Familie in den vergangenen vierzehn Jahren seit ihrem Tod weiter gegangen ist. Sie beginnt damit, wie die ganze Familie an einen idyllischen Platz im Kalifornischen Nationalpark fuhr, um dort ihre Asche zu verstreuen. Allende erzählt - und das kann sie sehr gut. Es fallen ihr immer wieder neue Anekdoten und Geschichten ein. Geschichten über sich selbst, ironisch und nicht immer schmeichelhaft, und Ereignisse in der Familie, über die die betroffenen Familienmitglieder wohl nicht immer erfreut waren. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund und erzählt in aller Offenheit über Trennungen, neue Liebschaften und Kuppeleiversuche innerhalb ihrer großen Familie und ihres Freundeskreises, den sie zur erweiterten Familie hinzu zählt. Allende benimmt sich wie eine Glucke, die alle ihre Lieben um sich scharen möchte. Sie sucht und kauft Häuser in ihrer Nähe, um Familienmitglieder dort unter zu bringen. Gerne mischt sie sich auch in deren Privatleben ein und gibt ungebeten Ratschläge in Liebesdingen. Ja, sie schreckt auch nicht davor zurück, für den Buchhalter ihres Mannes im Internet eine passende, heiratswillige Chinesin zu suchen.

Da dies kein Roman mit fortlaufender Handlung ist möchte ich empfehlen, die einzelnen, teils in kurzen Kapiteln eingeteilten Episoden, häppchenweise zu genießen. Die ganze Fülle an Ereignissen und Begebenheiten auf einmal zu lesen, könnte den Leser leicht überfordern. Dann kann man eintauchen in ein Buch voller Herzenswärme und ironischem Humor, in ein Leben mit Höhen und Tiefen und Phasen der Freude und der Trauer, geschrieben von einer starken Frau, die ihre Erfüllung im Kreise ihrer außergewöhnlichen Familie findet.

Fazit: Ein interessantes Buch das, obwohl kein Roman, doch bemerkenswert gut unterhält.