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Veröffentlicht am 03.05.2022

Mensch und Natur in den Pyrenäen

Singe ich, tanzen die Berge
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Ein Gewitter in den Bergen kann tödlich enden, das musste Bauer Domènec am eigenen Leib erfahren – doch für die Hinterbliebenen geht das Leben weiter, mal beschwerlich, mal besinnlich und oft auch gelöst ...

Ein Gewitter in den Bergen kann tödlich enden, das musste Bauer Domènec am eigenen Leib erfahren – doch für die Hinterbliebenen geht das Leben weiter, mal beschwerlich, mal besinnlich und oft auch gelöst und heiter. Die Natur fordert von jedem ihren Tribut, darüber können die Berge, die Wolken, der Wind und die Tiere ein Lied singen – und die Verstorbenen und die Geister des Waldes erzählen dazu ihre magischen Geschichten.

Ein verwirrendes Kaleidoskop mystischer Begebenheiten und rätselhafter Rückblicke macht den Leser in vielen kurzen Kapiteln mit der Familie und den Freunden des toten Domènec bekannt. Sie alle leben in einem kleinen Dorf in den Pyrenäen, nahe der französischen Grenze, wo das Leben beschwerlich ist und die Natur noch die Vorherrschaft hat. Oft schweifen die Gedanken ab, berichten von Hexenverbrennung im 17. Jhdt., vom spanischen Bürgerkrieg oder gar in einer Bildergeschichte von der Entstehung der Pyrenäen.

„Singe ich, tanzen die Berge“ ist der zweite Roman der jungen katalanischen Autorin Irene Solà, der 2020 mit dem Europäischen Literaturpreis ausgezeichnet wurde.

Fazit: Ein sehr poetisches Buch in einer experimentellen Sprache, in vielen kurzen Episoden, deren Sinn und Zusammenhang sich nur ganz allmählich erschließt.

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Veröffentlicht am 30.04.2022

Aufstieg und Absturz …

Die Schuld
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Der junge Anwalt Clay Carter war bisher in Washington D.C. nur als Pflichtverteidiger tätig, als er vom Vater seiner Freundin Rebecca das Angebot eines besser bezahlten Jobs erhielt. Er lehnte ab, da er ...

Der junge Anwalt Clay Carter war bisher in Washington D.C. nur als Pflichtverteidiger tätig, als er vom Vater seiner Freundin Rebecca das Angebot eines besser bezahlten Jobs erhielt. Er lehnte ab, da er nicht vom Wohlwollen ihrer begüterten Eltern abhängig sein wollte. Es kam zur Trennung. Einige Tage später bekam er von einem Unbekannten namens Max Pace das lukrative Angebot, für einen großen Pharmakonzern, dessen Medikament vermutlich bisher unbescholtene Bürger zu Mördern machte, einen raschen Vergleich mit den Angehörigen der Opfer zu schließen. Es gelang ihm und Clay Carter wurde über Nacht zum Millionär. Als er daraufhin von einem ähnlichen Fall erfuhr, begann er sich auf Sammelklagen zu spezialisieren. Ein Vergleich mit dem Hersteller des Medikaments verhalf ihm zu etwa 100 Millionen Dollar. Mit dem plötzlichen Wohlstand änderte sich auch sein Leben …

Der US-amerikanische Schriftsteller John Grisham, geb. 1955, ist Rechtsanwalt und Politiker der Demokratischen Partei. Er schreibt hauptsächlich Kriminalromane und Thriller mit juristischem Hintergrund, die meist auf den Bestsellerlisten erscheinen. „Die Schuld“ aus dem Jahre 2003 war wochenlang auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste zu finden.
„Wenn deiner der mit Mühe kaum, gekrochen ist auf einen Baum, schon meint dass er ein Vogel wär, so irrt sich der“ (Wilhelm Busch) - treffender kann man den Plot kaum beschreiben, als mit diesem Zitat von Wilhelm Busch. Ein junger Anwalt, bisher nur Pflichtverteidiger, erhält eine einmalige Chance. Er kommt zu Geld, viel Geld, und hat großen Erfolg. Dieser steigt ihm zu Kopf, er entwickelt sich zum Krösus und gibt das Geld mit vollen Händen aus. Das geht eine gewisse Zeit gut, dann rächt sich das Schicksal …

Das Spannende an diesem Roman ist nicht nur der Aufstieg und Fall des Protagonisten, sondern der Einblick in die Machenschaften der Rechtsanwälte, die der Autor hier charakterisiert. Die in den USA gängige Praxis der Sammelklagen ist für die Betroffenen meist nur Augenwischerei, das große Geld wird von den Anwälten verdient. Ich fand es sehr interessant darüber zu lesen und mutig von Grisham in dieses Wespennest zu stechen. Trotz einiger Längen und vieler Fachbegriffe eine unterhaltsame Lektüre.

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Veröffentlicht am 28.04.2022

Ein Sommer mit Folgen …

Eine Laune Gottes
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Neben ihrer Arbeit als Lehrerin kümmert sich Rachel Cameron auch um ihre kränkelnde Mutter, die sie immer noch als Kind behandelt, seit sie nach dem Tod des Vaters alleine mit ihr zusammen lebt. Rachel ...

Neben ihrer Arbeit als Lehrerin kümmert sich Rachel Cameron auch um ihre kränkelnde Mutter, die sie immer noch als Kind behandelt, seit sie nach dem Tod des Vaters alleine mit ihr zusammen lebt. Rachel ist vierunddreißig und noch unverheiratet, und daran wird sich für die unsichere, scheue Frau auch nichts ändern, solange sie weiterhin im kanadischen Provinzstädtchen Manawaka bleibt. Als jetzt die großen Ferien beginnen, steht ihr ein öder, ereignisloser Sommer bevor. Doch dann begegnet sie ihrem ehemaligen Schulkameraden Nick wieder, der einst den Ort verlassen hat und nun den Sommer bei seinen Eltern verbringen möchte. Rachel verliebt sich in ihn, beginnt eine Affäre mit ihm, erfährt zum ersten Mal in ihrem Leben die körperliche Liebe – und macht sich erste zaghafte Gedanken über ihre Zukunft …

Die kanadische Schriftstellerin Margaret Laurence wurde 1926 geboren und starb 1987 durch Selbstmord, nachdem bei ihr Lungenkrebs diagnostiziert worden war. Sie zählt neben Margaret Atwood und Alice Munro zu den bedeutendsten Autorinnen Kanadas. Der vorliegende Roman erschien bereits 1966 unter dem Titel „A Jest of God“, wurde 1968 verfilmt als „Die Liebe eines Sommers“ und wurde erst jetzt, 2022, in deutscher Übersetzung von Monika Baark unter dem Titel „Eine Laune Gottes“ vom Eisele-Verlag München veröffentlicht.

Selten wurde ich von einem Buch so in seinen Bann gezogen, wie von diesem. Schonungslos, dennoch äußerst feinfühlig, lässt uns die Autorin am Innenleben einer zutiefst unsicheren, ängstlichen und zerrissenen Frau teilhaben. Sie lässt Rachel selbst erzählen und schafft dadurch eine emotionale Atmosphäre der Sympathie und des Verständnisses. Wir sind ganz bei Rachel, verinnerlichen ihre geheimsten Gedanken und werden gewissermaßen sie selbst. Hin- und hergerissen zwischen Vernunft und Gefühl leben und leiden wir mit ihr, fügen uns ihren selbstauferlegten Zwängen und ihrem geheimen Wunsch, die eigenen Bedürfnisse auszuleben - und atmen befreit auf als Rachel nach und nach merkt, dass sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen und eine Änderung herbeiführen muss.

Obwohl die Autorin den Roman schon in den 1960ern geschrieben hatte, ist sein Inhalt auch heute noch erstaunlich aktuell. Ein Nachwort von Margaret Atwood erläutert perfekt die Bedeutung des Romans für die kanadische Literatur und rundet das Buch gekonnt ab.

Fazit: Keine Geschichte zum Wohlfühlen, aber eine eindrucksvolle Lektüre, die ich gerne weiter empfehle.

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Veröffentlicht am 24.04.2022

Gefühlswirrwarr und Konfliktchaos

Liebesheirat
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Yasmin Ghorami, 26, Assistenzärztin in der Geriatrie, und ihr Verlobter, der 30jährige Arzt Joe Sangster, haben beschlossen zu heiraten - zuvor jedoch steht noch das Kennenlernen der beiden Familien an. ...

Yasmin Ghorami, 26, Assistenzärztin in der Geriatrie, und ihr Verlobter, der 30jährige Arzt Joe Sangster, haben beschlossen zu heiraten - zuvor jedoch steht noch das Kennenlernen der beiden Familien an. So treffen sich Yasmin mit ihren konservativen und prüden bengalischen Eltern zum Abendessen mit Joe und dessen moderner, alleinerziehender Mutter Harriet in deren Londoner Haus, um die Modalitäten der Hochzeit zu besprechen. Entgegen der Befürchtungen des Paares verstehen sich die beiden so unterschiedlichen Mütter auf Anhieb, was für alle Beteiligten noch ungeahnte Folgen haben wird …

Die britische Schriftstellerin Monica Ali wurde 1967 in Bangladesch geboren. Sie ist die Tochter eines bengalischen Vaters und einer englischen Mutter. Später zog ihre Familie nach England, wo sie in Oxford Philosophie, Politik- und Wirtschaftswissenschaften studierte. Heute lebt Monica Ali mit ihrem Mann und zwei Kindern in London. „Liebesheirat“ ist der fünfte Roman der Autorin, der in deutscher Übersetzung erschienen ist.

Titel und Cover lassen einen humorvollen Liebesroman erwarten, doch dem ist nicht so. Zerlegt man den Titel in Liebe + Heirat, lassen sich bereits Gegensätze erkennen. Die Autorin verarbeitet hier das Aufeinandertreffen gänzlich verschiedener Kulturen, die doch so verschieden gar nicht sind. Alle Beteiligten haben ihr Traumata, machen Fehler, alle haben ihre Geheimnisse und alle schweigen lieber, anstatt sich auszusprechen. Sie versuchen sich zu verstehen, reden aber meist aneinander vorbei. So müssen sich auch Yasmin und Joe Gedanken über ihre Beziehung machen und ihr Verhältnis zu den Eltern neu ordnen.

Monica Ali hat einen Schreibstil, der sich leicht und ohne Mühe lesen lässt. Trotz einiger in meinen Augen unnötiger Längen, zu vielen medizinischen Fachbegriffen und unzähligen religiösen Floskeln bleibt eine gewisse Spannung durchgehend erhalten. Es geht in der Geschichte um sehr vielschichtige Probleme. Nicht nur das Aufeinandertreffen der verschiedenen Kulturen wird thematisiert, auch ganz alltägliche Themen wie Missstände in der Gesundheitspolitik, Personalmangel im Krankenhaus, Unterbezahlung, Rassismus und der Entscheid zum Brexit werden behandelt. Sehr interessant fand ich auch Joes Besuche bei einem Sexualtherapeuten, wobei gleich weitere Themen wie Fremdgehen und der Umgang mit Sexualität aufgegriffen werden.

Sehr vielschichtig sind auch die Charaktere der einzelnen Protagonisten, von denen nicht alle Sympathieträger sind. Besonders Yasmin konnte bei mir nicht punkten. Ich fand ihr Benehmen oft kindisch und einer 26Jährigen nicht angemessen. Sie neigte dazu, für alle ihre unbedachten Handlungen anderen die Schuld zuzusprechen und für ihre fortwährende Wut auf Freunde, Kollegen und Familienmitglieder nie die Fehler bei sich selbst zu suchen und einzugestehen. Alle Personen neigen zu überraschenden Sinneswandel, so dass insgesamt keine Langeweile aufkommt. Der Schluss war für mich, nach den gehäuft aufgetretenen Krisen und Problemen, doch etwas zu versöhnlich und auf heile Welt programmiert.

Fazit: Ein durchaus lesenswerter Roman mit vielen aktuellen Themen und überraschenden Wendungen.

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Veröffentlicht am 17.04.2022

Illusionen verloren, Glück gefunden

Das Fundbüro der verlorenen Träume
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Vor zwölf Jahren studierte Dorothy (Dot) Watson noch in Paris und hatte große Träume – heute lebt sie wieder in ihrer Heimatstadt London, wohin sie sich nach einem schweren Schicksalsschlag zurückgezogen ...

Vor zwölf Jahren studierte Dorothy (Dot) Watson noch in Paris und hatte große Träume – heute lebt sie wieder in ihrer Heimatstadt London, wohin sie sich nach einem schweren Schicksalsschlag zurückgezogen hat. Sie wird von Schuldgefühlen geplagt, hat keine Freunde und auch mit Mutter und Schwester kaum Kontakt. Zuflucht und Sicherheit findet sie nur in ihrer Arbeit im Fundbüro der Londoner Verkehrsbetriebe. Als eines Tages Mr. Appleby den Verlust einer Tasche samt einem Andenken an seine verstorbene Frau meldet, versucht Dot alles, um dem sympathischen alten Mann zu helfen. Doch dann muss ihre demente Mutter ins Pflegeheim, ihr Appartement soll verkauft werden und im Fundbüro regiert ein neuer Chef - zu viel auf einmal für die labile Frau, ihr bisher geordnetes Leben gerät aus der Bahn …

Helen Frances Paris, die Autorin des Buches „Das Fundbüro der verlorenen Träume“ ist künstlerische Leiterin des Londoner Theaters Curious. Ihre Theaterinszenierungen sind international ausgezeichnet und werden weltweit gezeigt. Fast zehn Jahre war sie Professorin für Theaterwissenschaften an der Stanford University in Kalifornien und lebt jetzt wieder in Großbritannien. Für ihre Lyrik erhielt sie den renommierten englischen Bridport Prize.

Neben dem schönen, zum Inhalt passenden Cover fällt schon gleich zu Anfang der angenehm feinfühlige und einprägsame Schreibstil auf. Der Autorin ist es gelungen, den verschiedenen Charakteren Leben einzuhauchen und ihr Umfeld äußerst plastisch zu wiederzugeben. Man ist sofort vertraut mit dem Ablauf im Fundbüro, wird von der Fülle der Fundstücke förmlich erschlagen, lernt dort die zentrale Person Dorothy kennen und wird hineingezogen in ihren Verlust, ihre Trauer und ihre Zerrissenheit. Nicht alle ihre Handlungsweisen sind nachvollziehbar, manches ist verworren und nebulös, dennoch empfand ich das Geschehen meist sehr realistisch. Es gelingt ihr, nicht nur den Menschen ihre verlorenen Gegenstände zurück zu geben, sondern auch ihren eigenen, verlorenen Lebensmut nach und nach wieder zu finden.

Fazit: Ein gefühlvoller Roman über Verlust, Trauer und Seelenpein – aber auch vom Wiederfinden und Sich-Selbst-Finden – mit einem überraschenden, versöhnlich stimmenden Schluss.

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