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Veröffentlicht am 18.11.2023

Close to home...

Close to Home
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Drogen. Bis zum Zusammenbuch. Die Freunde nennen es Party machen.

Gewalt. Die Sean fast ins ins Gefängnis bringt. "Wie kann es sein, dass Anthony und Gerard sich schon ihr Leben lang prügeln und kein ...

Drogen. Bis zum Zusammenbuch. Die Freunde nennen es Party machen.

Gewalt. Die Sean fast ins ins Gefängnis bringt. "Wie kann es sein, dass Anthony und Gerard sich schon ihr Leben lang prügeln und kein Mucks von der Polizei kommt" (S. 97) fragt die Mutter.

Anthony und Gerard sind Seans ältere Brüder. Und die Freunde, die von früher. Von Zuhause. Dabei war vor wenigen Jahren noch alles anders. Sean, aufgewachsen in einer mittellosen Arbeiterfamilie in Belfast - seine Brüder von einem anderen Dad als er, doch keiner der Männer ist mehr bei der Mutter - ist als einziger der Familie in die Welt gezogen um ein Studium aufzunehmen. In Liverpool machte er seinen Abschluss in englischer Literatur. Doch dann kehrt er zurück. Nachhause. Zu einem Alltag zwischen Drogen- und Alkohol-Exzessen, Schlägereien, Arbeitslosigkeit, Diebstahl Aussichtslosigkeit.

Der erst 22-jährige Sean ist in ein Umfeld zurückgekehrt, in dem ein Uniabschluss nichts wert ist. Als es zum großen Knall kommt und er wegen Körperverletzung vor Gericht steht, beginnt sein Leben sich langsam zu verändern. Er wird verpflichtet 200 Sozialstunden abzuleisten. Er muss die schimmelige WG mit seinem Freund Ryan verlassen und zieht wieder bei seiner Mutter ein, die ihm etwas viel schöneres bieten kann als eine kleine Abstellkammer ohne Fenster: Liebe. Und er trifft seine Exfreundin Mairéad wieder. Auch sie ist in der Gegend aufgewachsen, beging Diebstähle. Ihre Mutter ist Alkoholikerin. Doch auch sie hat studiert, an der Queens University in Belfast. Und sie hat große Pläne. Sie will es schaffen; etwas aus ihrem Leben machen. Als er aufgrund der veränderten Lebensumstände weniger Kontakt zu seinen Freunden hat, keine Drogen mehr nimmt und noch dazu ihre Unifreunde kennen lernt, will er das auch. Mairéad wird Seans engste Vertraute und auch eine Art Mentorin.

Inhaltlich bietet das Buch keine Heldentaten oder wilde Action, keine großen plötzlichen Wendungen, sondern eine Entwicklung, denn es ist der triste, frustrierende Alltag eines Mannes, der in Close to home beschrieben wird - mit echten Ängsten und Sorgen, Wünschen und Freuden, wie jeder sie kennt. Regelmäßig trifft man auf Details oder popkulturelle Referenzen, so dass man sich noch mehr in den Alltag hineinfühlen kann.
Sean steht zwischen zwei Welten:
Seiner Herkunft mit all ihren Vertrautheiten und Problemen.
Und des neuen kulturellen Milieus, das ihm fremd erscheint, aber gleichzeitig so teilhabenswert.

Der Schreibstil ist ungewohnt direkt. Schonungslos. Auffallend detailliert beschreibend. Als würde man direkt an den Gedanken des Protagonisten teilhaben. Jeder Charakter wirkt ausnehmend echt mit seinen Problemen, Denkweisen und Träumen. Die Übersetzung ist sehr gut gelungen. Jedoch fällt auf, dass Sean kaum Situationen bewertet, sich einfach mitreißen lässt, wie ein Blatt im Wind. Er hat Träume, ist aber allein oft nicht fähig diesen eine konkrete Richtung zu geben. Dazu meinte der Autor Michael Magee, Sean sei sich seiner selbst nicht wirklich bewusst (1). Und er muss es wissen. Denn der Roman ist stark inspiriert durch seine eigene Kindheit und Jugend mit 2 Brüdern in West-Belfast oder seinen wechselnden unbefriedigenden Jobs in Bars und Cafes nach der Rückkehr aus dem Studium. Die Hauptfigur hieß in der ersten Fassung Mick, doch um mehr künstlerische Freiheit zu haben, nannte er sie Sean - wie seine Mutter ihn nennen wollte (2). Magee plant eine eine Trilogie aus Close to home zu machen: Weiter zurück in seine Kindheit und die Geschichte seiner Heimatstadt (1).

Der Roman zeichnet die Geschichte eines Erwachsenwerdens mit all seinen Hürden, Zweifeln und Aussichten. Der Schreibstil mag zunächst etwas gewöhnungsbedürftig sein, die Wortwahl zu harsch. Doch genau das ist es, wodurch sich das Buch und die darin beschriebenen Lebenswelt authentisch anfühlt.


Quellen:
(1) Lara Sielmann, DLF Kultur, Lesart, 01. November 2023
(2) Martin Doyle, The Irish Times, 1. April 2023

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