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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 29.06.2025

Der vierte Volltreffer!

Der Totengräber und die Pratermorde (Die Totengräber-Serie 4)
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Oliver Pötzsch' atmosphärische Totengräber-Saga geht mit den "Pratermorden" in die mittlerweile vierte Runde, und es ist schon erstaunlich, wie scheinbar mühelos es dem Autor gelingt, die Qualität der ...

Oliver Pötzsch' atmosphärische Totengräber-Saga geht mit den "Pratermorden" in die mittlerweile vierte Runde, und es ist schon erstaunlich, wie scheinbar mühelos es dem Autor gelingt, die Qualität der Reihe auf durchgehend hohem Niveau zu halten.

Dabei sind es gar nicht so sehr die jeweiligen Fälle, mit denen Inspektor Leopold von Herzfeldt und seine mittlerweile von ihm getrennte große Liebe, die Reporterin (und frühere Polizeifotografin) Julia Wolf, konfrontiert werden - selbige sind zwar angemessen bizarr und passen immer ins königlich-kaiserliche Lokalkolorit des wienerischen Lebens um die Jahrhundertwende, aber dienen oft genug nur als Katalysator, um die Geschichte der beiden Spürnasen und des exzentrischen Totengräbers Augustin Rothmayer und ihres Milieus weiterzuerzählen. Hier gelingt es Pötzsch vor allem immer wieder, den Leser in eine Vergangenheit eintauchen zu lassen, die von strengen Normen und verstaubter Moral durchsetzt ist, gleichzeitig aber mit unwiderstehlicher Liebe zum Detail ins pralle Leben jenseits gesitteter Bürgerlichkeit entführt. Ein farbenfrohes Panorama einer längst vergessenen Epoche, mal düster und geheimnisvoll, dann wieder federleicht verschmitzt oder schamlos folkloristisch - genau so muss ein guter historischer Krimi aussehen, um auch nach mehreren Fortsetzungen nicht zu langweilen.

Herzfeldt, Julia und Augustin sind einfach großartige Protagonisten mit stimmiger Chemie untereinander, die im Verlauf der Bücher von weiteren unvergesslichen Nebenfiguren ergänzt werden (die man entweder schnell ins Herz schließt oder abgrundtief hasst). Dazu kommt Pötzsch' unaufgeregt flüssiger Schreibstil, der immer genau zur richtigen Zeit Tempo in die Handlung bringt, um dann an anderen Stellen den Fuß vom Gas zu nehmen und den Details ihren Raum zum Atmen zu lassen - und schon hat man sich wieder in Rekordzeit auf weit über 500 Seiten ohne nennenswerte Längen bestens unterhalten und hofft sehnsüchtig auf die nächste Fortsetzung.

Ein Histokrimi-Phänomen! Bedingungslos empfehlenswert.

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Veröffentlicht am 13.03.2025

Berlin intensiv!

Achtzehnter Stock
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Wanda lebt mit ihrer Tochter Karlie in der Berliner Platte. Sie will da raus, will ein besseres Leben für sie beide, doch immer wenn es irgendwo bergauf zu gehen scheint, will die Platte sie ...

Wanda lebt mit ihrer Tochter Karlie in der Berliner Platte. Sie will da raus, will ein besseres Leben für sie beide, doch immer wenn es irgendwo bergauf zu gehen scheint, will die Platte sie wieder zurück ...

Sara Gmuers "Achtzehnter Stock" ist ein Großstadtroman, ein Berlin-Roman, denn die Stadt selbst, das Milieu und die Menschen, die hier leben, bilden die Essenz des gesamten Buches, nicht bloß ein schmückendes Detail im Setting. Gmuers kraftvoller Stil ist beeindruckend modern, schonungslos nüchtern und zwischenzeitlich von atemloser Dynamik. Authentisch fängt sie die Gerüche und Geräusche des Berliner Unterbauchs ein und verpackt sie in eine Geschichte, in der sich Hoffnung und Verzweiflung immer wieder die Waage halten. Hier ist nichts garantiert, auch nicht zwangsläufig ein Happy End.

Hier ist auch die Planlosigkeit Plan. Wanda stolpert durchs Leben, immer mit den Gedanken beim nächsten Einkauf oder der monatlichen Miete, und wird ständig mit der Frage konfrontiert, ob sie ihre Träume aufgeben soll oder ihnen unter Gefahr möglicher Verluste nachjagt. Dabei trifft sie auch opportunistische Entscheidungen, die dem einen oder anderen Leser nicht gefallen werden, aber genau deswegen ist "Achtzehnter Stock" eben auch keine plakative Rags-to-Riches-Story, in der am Ende jeder und jede alles bekommt. Klischees werden hier dennoch bedient, vor allem wenn es um die Unbarmherzigkeit der Filmbranche geht, in der Wanda Fuß fassen will, aber die Entscheidungen liegen immer bei ihr selbst, denn selbstbewusst genug und "anders als die anderen" ist sie durchaus. Ihr fehlt ein wenig der Radar, um mit ihren Mitmenschen immer genauso auszukommen, wie von ihr erwartet wird, aber letztendlich findet jeder Topf seinen Deckel, ob privat oder beruflich. Und so zahlt sich auch Konsequenz irgendwann aus - wenn auch nicht immer wie geplant.

Ein großartiges Stück Gegenwartsliteratur mit lebendigen Figuren, unverhofft kantiger Schnauze und beeindruckender Stilsicherheit. Ein Gewinner, ganz sicher.

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Veröffentlicht am 14.12.2024

Nicht nur für Fans

Low
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Ausgebrannt, erschöpft, gefressen vom eigenen Erfolg und dem seiner Kunstfigur Ziggy Stardust: Mitte der 70er Jahre braucht David Bowie dringend eine Auszeit, muss sich selbst neu erfinden und ...

Ausgebrannt, erschöpft, gefressen vom eigenen Erfolg und dem seiner Kunstfigur Ziggy Stardust: Mitte der 70er Jahre braucht David Bowie dringend eine Auszeit, muss sich selbst neu erfinden und die selbstzerstörerische Aura des glamourösen L.A. hinter sich lassen. Und wo könnte ihm das besser gelingen als in der grauen, eingezäunten und vom Kalten Krieg bedrohten Exklave West-Berlin, deren lebensfrohe Seite (denn auch die gibt es) hungrig zwischen Punk und Avantgarde, Elektro und Fashion, Irrsinn und Methode vibriert? Mit einem Umweg über Frankreich (wo er das Album vorbereitet) kommt Bowie zusammen mit Iggy Pop in die Stadt hinter der Mauer und findet dort die Kreativität, die er verloren glaubte, und den Zusammenhalt, den er brauchte. Und damit entsteht sein Jahrhundertwerk "Low", das auch heute noch zum Besten zählt, was der Thin White Duke je produziert hat ...

Musikgeschichte als Comic (oder Graphic Novel, um im Neudeutschen zu bleiben) - wahrscheinlich kann das keiner besser als der Biographiekünstler Reinhard Kleist, dessen Werk im wesentlichen Verneigungen vor all den Größen des Musikgeschäfts umfasst. Seine Johnny-Cash-Bio "I See a Darkness" wurde mit Preisen überschüttet, sein Elvis-Porträt ist ebenso gelungen wie die zwei Bände zu Underground-Genie Nick Cave. Da ist es wenig überraschend, dass auch "Low" überraschende und vielschichtige Einblicke in die Seele eines Superstars zu bieten hat - zumal Kleists Zusammenfassung von Bowies Berlin-Jahren schon der zweite Band seiner illustrierten Lebensgeschichte des Musikers ist: Vor drei Jahren erschien bereits "Starman", der Auftakt zu diesem Projekt, in dem es um die Zeit vor Berlin geht, den Wahnsinn des kometenhaften Aufstiegs von Bowie, die Ziggy-Stardust-Phase, den Exzess des Erfolgs, der letztlich zwingend Bowies Flucht nach Europa einleiten muss. Man muss den ersten Band nicht gelesen haben, aber es hilft, falls man ansonsten noch gar nichts über Bowie weiß. Darüber hinaus ist "Low" aber sehr gut alleinstehend genießbar.

Reinhard Kleists Zeichnungen bleiben sachlich, seine Panels sind übersichtlich und bedienen keine Kunst nur um der Kunst willen, aber vielleicht macht genau das auch die Faszination seiner Arbeit aus. In "Low" steht Berlin im Mittelpunkt, jenes rotzige, gleichzeitig politische und apolitische Anarcho-Ungetüm, dessen isolierte Lage Fluch und Segen zugleich war und gerade in der Hochphase dieser Isolation ein Auffangbecken für all diejenigen, die vor der Langeweile flüchteten, vor dem Überfluss, vor Kreativengpässen und Mutlosigkeit und sich dann dort trafen, in den Straßen, die irgendwann in Mauern endeten und in denen doch alles möglich war. Kleist fängt diese faszinierende Subkultur der Mauerstadt in vielen kleinen Details ein, verbindet sie mit Bowie, der Schritt für Schritt seine neue Welt entdeckt, und vergisst auch Freunde und Weggefährten wie natürlich seinen WG-Genossen Iggy Pop oder die schillernde Romy Haag dabei nicht und dokumentiert so ganz nebenbei auch den Entstehungsprozess des Albums in den legendenumrankten Räumen der Hansa-Studios.

"Low" ist Künstlerbiographie, spannende Lebensgeschichte und nostalgische Rückschau auf eine Zeit, als Musik noch Bedeutung hatte und die Welt eine andere war. Faszinierend realistisch und halluzinatorisch fantastisch zugleich, ein Stilmix, eine Hommage und ein Abgesang auf eine Epoche, in seiner dunklen Lebensfreude von sogartiger Wirkung: Reinhard Kleist macht - wieder mal - süchtig nach mehr ...

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Veröffentlicht am 19.10.2024

Slawisch inspirierte Fantasy

Tage einer Hexe
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Kosara ist eine eher mittelmäßige Hexe, die sich in der düsteren Stadt Chernograd durchs Leben schlägt - was besonders in den zwölf Tagen nach Neujahr gefährlich ist, wenn eine Armee an Monstern über den ...

Kosara ist eine eher mittelmäßige Hexe, die sich in der düsteren Stadt Chernograd durchs Leben schlägt - was besonders in den zwölf Tagen nach Neujahr gefährlich ist, wenn eine Armee an Monstern über den Ort herfällt und es besonderer Magie und Talismane bedarf, um die finsteren Nächte zu überleben. Eines dieser Monster (der Zmey) ist das gefährlichste von allen und hegt zudem noch einen persönlichen Groll gegen Kosara. Um dem Zmey zu entkommen, tauscht die Hexe ihren Schatten gegen eine Fluchtmöglichkeit in die Nachbarstadt Belograd - ein heller, lichtdurchfluteter und reicher Ort, in dem die Menschen in geradezu dekadentem Luxus schwelgen, getrennt von Chernograd durch eine fast unüberwindbare magische Mauer. In den Straßen von Belograd stolpert Kosara auf der Suche nach ihrem Schatten über ein grausames Verbrechen und muss mit der Unterstützung eines aufrechten Polizeikommandanten nach dem Dieb und Mörder jagen - bevor die Schattenkrankheit sie innerhalb weniger Tage tötet ...

Der bulgarischen Autorin Genoveva Dimova ist mit ihrem auf Englisch verfassten Romandebüt gleich ein verblüffend innovativer Geniestreich geglückt, dessen faszinierende Welt den Leser sofort in ihren Bann schlägt. Eine intelligente Mischung aus urbaner Fantasy, einem Hauch Steampunk und düsterem Mysterykrimi, die vor allem von ihren unverkennbar in der slawischen Folklore verankerten Wurzeln profitiert und auf fesselnde Weise ein Panoptikum aus mythischen Wesen und albtraumhaften Sagengestalten vom Balkan mit einer Zwei-Klassen-Gesellschaft verwebt, die mal mehr und mal weniger subtil auch auf gesellschaftliche und politische Missstände in unserer aktuellen Welt und Zeit hinweist. Dabei hebt Dimova nie belehrend den Zeigefinger, sondern stellt mit ihrer Protagonistin Kosara eine Figur in den Mittelpunkt, die weder moralisch perfekt noch magisch hochbegabt einen Durchschnitt verkörpert, der in einer Ära der Superhelden und Powerfrauen erfrischend normal wirkt.

Dass sich derartiges Lesefutter dann auch noch ausnehmend unterhaltsam an wenigen Abenden vorm Kamin verschlingen lässt, ist dann noch das Sahnehäubchen auf einem einzigartigen Fantasy-Debüt. Der zweite (und letzte) Teil der Reihe darf also gern kommen!

Zur deutschen Ausgabe aber dennoch ein Wort: Zwar hat Klett-Cotta mal wieder keinerlei Kosten und Mühen gescheut, um aus "Tage einer Hexe" eine wunderschöne Hardcover-Ausgabe (toll mit Goldfolie und farbigem Buchschnitt!) herauszuholen und hat auch anderweitig wieder bewiesen, dass ihre Verlagsauswahl exquisit wie immer ins Ziel trifft - aber den einen Stern Abzug holt sich hier leider die etwas lieblose Übersetzung, die gleich im zweiten Absatz mit falsch gesetzten Kommata einen im Deutschen ohnehin schon etwas gestelzten Satz unnötig sinnentstellt ("Die Gäste saßen dicht gedrängt, Schulter an Schulter, hoben sie die Gläser.") Danach fängt sich der Stil zwar ein wenig, wirkt aber an vielen Stellen immer noch seltsam hakelig, manchmal flapsig und oft emotional völlig unberührt, so dass sich der Lesesog der englischen Fassung hier nur schwer einstellt. Das ist schade, und ich hoffe, dass man sich beim zweiten Band wieder ein bisschen mehr auf Qualitätskontrolle verlässt, um die einzigartige Stimmung der von Dimova so perfekt kreierten Welt auch angemessen herüberzubringen.

Wer sich von diesem Schönheitsfehler nicht abschrecken lässt und vollumfänglich in diese Leseerfahrung eintaucht, wird jedoch mit einem der erstaunlichsten und fantasievollsten Romandebüt seit Jahren belohnt. Also traut euch!

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Veröffentlicht am 11.10.2024

Große historische Fantasy

Verborgene Fabelwesen der Meere
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Eines vorweg: Die Aufmachung von "Verborgene Fabelwesen der Meere" ist schlichtweg atemberaubend (und dabei wenig überraschend, wenn man bedenkt, dass dies natürlich ein wichtiger Teil der Verlagsphilosophie ...

Eines vorweg: Die Aufmachung von "Verborgene Fabelwesen der Meere" ist schlichtweg atemberaubend (und dabei wenig überraschend, wenn man bedenkt, dass dies natürlich ein wichtiger Teil der Verlagsphilosophie von arsEdition ist). Ein wunderschönes zweifarbiges Hardcover, mit geprägtem Silberaufdruck auf edlem Blau, dazu ein Sonderformat, dass man sonst nur von hochwertigen Kunstbildbänden kennt, machen das Buch schon von außen zum idealen Coffee-Table-Dekostück.

Die Gestaltung setzt sich innen qualitativ nahtlos fort - Florian Schäfers fantasievolle Fortsetzung von "Fast verschwundene Fabelwesen" begleitet erneut den Mythozoologen Konstantin O. Boldt im 19. Jahrhundert auf einer unglaublichen Reise in eine Welt voller legendenhafter Kreaturen, diesmal unter der Meeresoberfläche. Seine Abenteuer werden in Schrift und Bild festgehalten, in Tagebucheinträgen formuliert, aber auch mittels alter Karten, detaillierter Zeichnungen und authentisch zurechtgemachter Berichte dokumentiert, die in ihrer Gesamtheit eine fantastische Alternativwelt-Geschichte in einer Vergangenheit erzählen, die unserer zwar historisch weitgehend ähnlich ist, aber durchsetzt ist von den Wesen und Kreaturen aus Mythen und Legenden, mit denen die Menschheit inzwischen gelernt hat, zu koexistieren. Ein Fake-Geschichtsatlas, wenn man so will, aber was für einer: Irgendwo zwischen Jules Verne und modernem Steampunk fabuliert Schäfer, immer in enger Kooperation mit seiner Ausnahmegrafikerin Elif Siebenpfeiffer, von aufregenden Abenteuern auf einer Reise in die letzten unerforschten Winkel der Erde.

Das wirkt aufgrund der gesamten Gestaltung der Erzählung so unfassbar lebendig und bis ins kleinste Detail authentisch, dass man sich als Leser immer wieder dabei erwischt, einfach nur im Buch zu blättern und fasziniert alte Zeitungsausschnitte oder Briefe zu studieren, um immer tiefer in die Geschichte abzutauchen. Eine ganzheitliche Erfahrung, die aus einer schon brillanten Grundidee einen immersiven Trip macht, den man sich wieder und wieder wünscht - bitte mehr davon!

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