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Maimouna19

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Veröffentlicht am 08.11.2024

Hervorragende haitianische Literatur

Eine Violine für Adrien
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Der 14jährige Adrien lebt in den 1970er Jahren in Port-au-Prince, Haiti. Es ist die Zeit der Militärdiktatur von François Duvalier („Papa Doc“) und des Machtübergangs an seinen Sohn, Jean-Claude, genannt ...

Der 14jährige Adrien lebt in den 1970er Jahren in Port-au-Prince, Haiti. Es ist die Zeit der Militärdiktatur von François Duvalier („Papa Doc“) und des Machtübergangs an seinen Sohn, Jean-Claude, genannt „Baby Doc“.
Adrien wächst in ärmlichen, aber behüteten Verhältnissen bei seiner Mutter auf. Sie ist eine von mehreren Liebschaften seines Vaters, der daher nur hin und wieder bei ihnen vorbeikommt. Adrien ist ein guter Schüler und um ihm auch die schönen Künste näherzubringen, nimmt ihn seine kulturbegeisterte Mutter hin und wieder mit zu Theater-und Konzertbesuchen, auch wenn das Geld knapp ist. Von einem Violinkonzert ist er derart begeistert, dass er unbedingt Violine spielen lernen möchte. Es gelingt, ihn im Violinunterricht von Monsieur Benjamin, einem bekannten Violinspieler unterzubringen. Im ersten Unterrichtsjahr werden die Violinen von Monsieur Benjamin bereitgestellt, doch für das zweite Jahr müssen die Schüler eine eigene Violine mitbringen. Adriens Traum, ein großer Violinvirtuose zu werden, scheint zu platzen. Seine Eltern haben nicht die finanziellen Mittel, Violinen sind auf Haiti nicht zu bekommen, sondern müssen importiert werden. Adrien beschließt, das nötige Geld für den Kauf einer Violine selbst zu verdienen. Er findet neben der Schule einen Job, der allerdings so schlecht bezahlt ist, dass es kaum zu schaffen ist, eine Violine zusammenzusparen. Doch dann macht ein Offizier der Geheimpolizei ihm ein verlockendes Angebot. Adrien ahnt nicht, worauf er sich damit einlässt….
Gary Victor ist einer der meistgelesenen Autoren Haitis und vor allem bekannt durch seine Kriminalromane, schreibt aber auch Romane, Erzählungen und Dramen sowie Beiträge für Radio und Fernsehen.
Der Autor hat einen unverwechselbaren Erzählstil, kann virtuos mit Sprache umgehen. Gekonnt werden irrationale, von Voodoo geprägte Sequenzen in die Geschichte eingeflochten.
Auch wenn die Militärdiktatur nicht das Thema des Buches ist, so hat sie natürlich einen großen Einfluss auf die Geschichte. Sie ist allgegenwärtig im Leben aller Haitianer, man kann niemandem trauen, muss sich jedes Wort gut überlegen, Geheimpolizei und Denunzianten finden sich überall.

„Eine Violine für Adrien“ ist eine berührende, spannende Geschichte, gleichzeitig dramatisch und ironisch, kritisch aber auch phantastisch - und ganz nebenbei erfährt man noch so einiges über die haitianische Gesellschaft zur Duvalier-Zeit. Absolut lesenswert!

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Veröffentlicht am 06.11.2024

Rasante und skurrile Unterhaltung

Meine Schwester, die Serienmörderin
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In „Meine Schwester, die Serienmörderin“ erzählt Oyinkan Braithwaite die Geschichte zweier sehr unterschiedlicher Schwestern aus Nigeria. Korede, die Erzählerin, ist ernsthaft und besonnen, von Beruf Krankenschwester. ...

In „Meine Schwester, die Serienmörderin“ erzählt Oyinkan Braithwaite die Geschichte zweier sehr unterschiedlicher Schwestern aus Nigeria. Korede, die Erzählerin, ist ernsthaft und besonnen, von Beruf Krankenschwester. Sie ist die ältere Schwester von Ayoola, einer lebenslustigen, attraktiven, jungen Frau, die mit Leichtigkeit durchs Leben geht. Allerdings hat sie eine schlechte Angewohnheit: sie bringt ihre Liebhaber um, sobald sie ihr lästig werden. Und dann muss Korede ihr helfen – sie darf aufräumen, Tatorte reinigen, Spuren beseitigen, Leichen entsorgen.
Da afrikanische Autor*innen in Deutschland eher unterrepräsentiert sind und Cover und Titel des Buches mir geradezu ins Auge gesprungen sind, musste ich das Buch einfach lesen. Ich wurde nicht enttäuscht, es war ein echtes Vergnügen!
Oyinkan Braithwaite schreibt so rasant und kurzweilig, dass ich das Buch in einem Rutsch gelesen habe (nicht schwierig, es sind nur 226 Seiten).
Eine skurrile, spannende Geschichte und ganz nebenbei erfährt man noch so einiges über die moderne nigerianische Gesellschaft, aber auch über Traditionen, Geschlechterrollen, Familienzwänge, Loyalität, etc.

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Veröffentlicht am 06.11.2024

Spannend, aber beklemmend

Reichskanzlerplatz
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„Reichskanzlerplatz“ spielt in der Zeit von 1919 – 1945 und Nora Bossong verknüpft biographische Daten von Magda Goebbels mit der fiktiven Figur des Hans Kesselbach, dem Erzähler der Geschichte. Hans lernt ...

„Reichskanzlerplatz“ spielt in der Zeit von 1919 – 1945 und Nora Bossong verknüpft biographische Daten von Magda Goebbels mit der fiktiven Figur des Hans Kesselbach, dem Erzähler der Geschichte. Hans lernt Magda Quandt durch seinen Schulkameraden Hellmut Quandt, dem Stiefsohn der nur wenige Jahre älteren Magda kennen. Hans ist verliebt in Hellmuth, doch kann ihm diese Liebe nicht gestehen, da ein Bekenntnis zur Homosexualität in dieser Zeit einem gesellschaftlichen Selbstmord gleichkommt bzw. geradezu lebensgefährlich ist. Nach dem frühen Tod von Hellmuth beginnen die in Scheidung lebende Magda und Hans eine kurze Affäre, sie wohl eher aus Langeweile, er um seine Homosexualität zu kaschieren. Auch nach Ende ihrer Liaison haben Magda und Hans immer wieder sporadisch Kontakt; Magda heiratet Joseph Goebbels und steigt zur glühenden Verfechterin und blonden Vorzeige-Ikone des Nationalsozialismus auf, während Hans weiterhin seine homosexuellen Neigungen versteckt, um sich bzw. seine Karriere als Ministerialbeamter nicht zu gefährden.
Auch wenn „Reichskanzlerplatz“ als „das intensive Porträt der Frau, die Magda Goebbels wurde, und ihres Liebhabers Hans“ beworben wird, ist es für mich doch eher die Geschichte von Hans Kesselbach, eines opportunistischen Mitläufers, der von den Nationalsozialisten verfolgten Freunden in Not nicht hilft, sondern wegschaut und verdrängt. Magda bleibt eher blass, ist eine, wenn auch wichtige, Nebenfigur, die ihre Entscheidungen immer bewusst trifft. Ihr Ziel ist es, eine prominente Stellung in der Gesellschaft zu erreichen, jemand zu sein. Auch wenn sie dafür einiges in Kauf nehmen muss, ist sie für mich eine eiskalte, emotionslose Figur, der selbst die Schicksale ihres jüdischen Stiefvaters sowie ihres jüdischen Jugendfreundes völlig gleichgültig sind. Da kommt bei mir auch kein Mitleid auf, dass sie unter den Affären ihres Mannes, Joseph Goebbels, zu leiden hat.
Nora Bosseng hat ein beeindruckendes Porträt der NS-Zeit geschrieben, spannend, aber auch beklemmend. Ein lesenswertes Buch, das zum Nachdenken anregt. Mir graust es, wenn ich Parallelen zwischen der damaligen Zeit und der aktuellen politischen Lage ziehe….

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Veröffentlicht am 05.11.2024

Spannend und abenteuerlich

Der Teepalast
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In „Der Teepalast“ erzählt Elisabeth Herrmann die Geschichte von Nele (Helene) Vosskamp, die in ärmlichen Verhältnissen als Fischerstochter in Ostfriesland lebt. Im Jahr 1834 ist sie nachts mit ihrem Vater ...

In „Der Teepalast“ erzählt Elisabeth Herrmann die Geschichte von Nele (Helene) Vosskamp, die in ärmlichen Verhältnissen als Fischerstochter in Ostfriesland lebt. Im Jahr 1834 ist sie nachts mit ihrem Vater auf rauer See unterwegs. Ein Schiff ist dort auf Grund gelaufen und die beiden hoffen, etwas von der Schiffsladung ergattern zu können. Als Lenes Vater auffällt, dass das Schiff absichtlich in die Falle gelockt wurde, drehen die beiden sofort ab, um nicht erwischt zu werden und am Galgen zu enden. Auf stürmischer See verletzt sich Neles Vater und geht über Bord. Nele sucht vergeblich nach ihm, fischt stattdessen einen jungen Mann, vermutlich ein Besatzungsmitglied des gesunkenen Schiffes, aus dem Wasser. Zum Dank schenkt er ihr eine seltsame Münze, erst später findet sie heraus, dass diese Münze den Besitzer zum Teehandel in China berechtigt.
Am nächsten Tag wird Lene beschuldigt, den Strandvogt ermordet zu haben. Sie landet im Kerker und ihr droht der Galgen. Da sich ein Unbekannter für sie einsetzt, wird sie überraschend wieder freigelassen. Sie beschließt zu fliehen, um erneuten falschen Anschuldigungen der örtlichen Obrigkeiten zu entgehen. Im Besitz der seltsamen Münze ist sie fest entschlossen, ihren Traum Wirklichkeit werden zu lassen, in den Teehandel einzusteigen und in Friesland einen Teepalast zu eröffnen.
Allen Widerständen trotzend, führt ihre abenteuerliche Reise sie von Emden über England bis nach China.
Elisabeth Herrmann, die vor allem als Krimiautorin bekannt ist, hat mit „Der Teepalast“ einen spannenden, abenteuerlichen historischen Roman geliefert. Gebannt und atemlos folgt man Nele auf ihrer Reise um die Welt. Die Charaktere, die Zeit und die Örtlichkeiten sind so lebendig und authentisch geschildert, dass ich das Buch kaum aus der Hand legen konnte.
Da Frauen im 19. Jahrhundert nichts galten und kaum Möglichkeiten hatten, geschweige denn, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und auf solch eine Reise zu gehen, fiebert man als Leser umso mehr mit Nele und hofft, dass es ihr gelingt, allen Herausforderungen auf ihrem Weg zu trotzen.
Insgesamt ein sehr fesselnder, spannender Roman, der mir einige unterhaltsame Lesestunden bereitet hat. Für Freunde von historischen Romanen absolut zu empfehlen.

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Veröffentlicht am 04.10.2024

Einfach nur zäh

Identitti
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Saraswati, renommierte Professorin für Post Colonial Studies an der Düsseldorfer Universität, anerkannte Expertin auf ihrem Gebiet und gern gesehener Gast in Talk Shows und Debatten, die sich als Person ...

Saraswati, renommierte Professorin für Post Colonial Studies an der Düsseldorfer Universität, anerkannte Expertin auf ihrem Gebiet und gern gesehener Gast in Talk Shows und Debatten, die sich als Person of Colour ausgibt, wird als weiße Deutsche enttarnt. Das löst natürlich einen Shitstorm erster Güte aus.
Auch Nivedita, Tochter einer deutsch-polnischen Mutter und eines bengalischen Vaters und Studentin für Post Colonial Studies fühlt sich zutiefst enttäuscht und verraten. Sie steckt seit ihrer Kindheit in einer Identitätskrise, fühlt sich nicht wirklich als weiße Deutsche, aber auch nicht als Inderin. Selbst von ihrer indischen Verwandtschaft wird sie als „Coconut“ (außen braun, innen weiß) verspottet. Die von ihr bewunderte Saraswati ist ihr großes Vorbild und ihre Mentorin, Nivedita will Antworten und holt sich diese direkt bei ihrer ehemaligen Professorin.
„Identitti“ wurde extrem gehypt und hochgelobt, was für mich im Allgemeinen kein Grund ist, ein Buch zu lesen. Hier waren es mehr die Themen (Rassismus, Identität, Zugehörigkeit, Kultur, Gender, Race, etc.), die mich angesprochen haben. Um es kurz zu machen, mich hat das Buch nicht begeistert, ich war sogar versucht, es abzubrechen und habe nur mit großer Mühe bis zum Schluss durchgehalten.
Normalerweise unterstützt der Wechsel von verschiedenen Stilen (Erzählung, Dialog, Chats) den Spannungsbogen und schafft eine gewisse Lebendigkeit. Hier war das leider überhaupt nicht der Fall. Ich war genervt von Blogs, Tweeds, Selbstgesprächen zwischen Nivedita und der fiktiven Göttin Kali, zu vielen Hashtags, Abkürzungen, Hin- und Hergespringe zwischen Deutsch und Englisch, etc. (Learn English before you read this book!) und empfand die Lektüre als überaus zäh und mühselig. Den allseits hochgelobten Humor und Witz konnte ich leider auch nirgends entdecken (ist vielleicht eine Generationenfrage?).
Auch die Protagonisten bleiben ziemlich blass und konturlos, wirken, wenn überhaupt, unsympathisch. Saraswati ist einfach nur selbstherrlich und arrogant, der weinerlichen Nabelschau Niveditas konnte ich auch nichts abgewinnen. Auch die Nebenfiguren, Niveditas Cousine, ihr Freund, ihre WG-Mitbewohnerinnen, etc. haben keinen positiven Eindruck hinterlassen, alle nur nervig.
Das Buch ist mit Sicherheit kein unverzichtbarer Beitrag zur Debatte über Rassismus, Identität, Gender, etc., aber regt immerhin zum Nachdenken, auch über die eigene Position, an. Somit hat es sich dann doch irgendwie gelohnt, „Identitti“ zu lesen. Sehr eingeschränkte Leseempfehlung.

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