Eine unterhaltsame, aber auch nachdenkliche Lektüre ohne fokussierter Liebesgeschichte
Zwei vernünftige Erwachsene, die sich mal nackt gesehen habenAnika Deckers Roman Zwei vernünftige Erwachsene, die sich mal nackt gesehen haben ist sehr komplex und beleuchtet verschiedene Lebensmodelle.
Da wäre zum einen Nina. Sie ist die Hauptfigur, geschieden, ...
Anika Deckers Roman Zwei vernünftige Erwachsene, die sich mal nackt gesehen haben ist sehr komplex und beleuchtet verschiedene Lebensmodelle.
Da wäre zum einen Nina. Sie ist die Hauptfigur, geschieden, fast 50, Mutter von zwei erwachsenen Kindern und kämpft mit den gesellschaftlichen Erwartungen an Frauen in ihrem Alter. Ihre Fähigkeit, sich selbst treu zu bleiben, macht sie zu einer sympathischen Protagonistin, mit der ich sofort warm werde. Vor allem Ninas witzige Beschreibungen von alltäglichen Fettnäpfchen heben meine Laune und bereiten mir viel Freude.
Als Gegenmodell fungiert ihre Schwester Lena. Für sie ist Anerkennung sehr wichtig und sie möchte unbedingt Fuß in der Berliner High Society fassen. Auf gar keinen Fall will Lena so enden wie ihre Schwester. Doch mit ihrem immerwährenden Geltungsdrang und ihrer zickigen Art Nina gegenüber, ist mir Lena zu anstrengend. Ich mag sie nicht sonderlich, obwohl ich teilweise ihre Wünsche durchaus nachvollziehen kann.
Die Nebenfiguren haben interessante Charaktereigenschaften. Damit tragen sie zur Handlung bei und machen sie realistisch. Insbesondere Zeynep, Ninas Arbeitskollegin und beste Freundin, mag ich besonders. Ihr klarer Blick auf die Ereignisse ist sehr erfrischend.
Die Beziehung zwischen Nina und dem zwanzig Jahre jüngeren David ist ein zentrales Element der Geschichte, doch leider kommt mir diese Entwicklung zu kurz. Obwohl die Verliebtheit zwischen den beiden spürbar ist, fehlt mir der Kampf um eine feste Beziehung. Ja, sie haben mit Widerständen von außerhalb zu kämpfen und sie müssen sich auch mit den eigenen Bedenken auseinandersetzen. Aber das geht in der Menge an angesprochenen Themen leider unter. So vermisse ich die herzerwärmenden Auf- und Abs, die eine solche Liebesgeschichte bereithalten könnte. Ein paar wenige gibt es und so bleiben mir die Szenen im Krankenhaus und eine am Ende in bleibender Erinnerung, die mir ein Lächeln ins Gesicht zaubern.
Die Themen wie Age Gap, Feminismus und gesellschaftliche Erwartungen sind gut integriert und verständlich dargestellt. Der umfangreiche Handlungsaufbau und die verschiedenen Erzählstränge sind interessant. Es kommt an manchen Stellen so richtig Spannung auf und so bietet Zwei vernünftige Erwachsene, die sich mal nackt gesehen haben sogar ein wenig Action.
Sehr interessant finde ich Ninas Arbeitsstelle in einer Produktionsfirma für Fernsehserien. Der Blick hinter die Kulissen ist nicht nur faszinierend, sondern bisweilen auch erschreckend.
Der bildliche Schreibstil der Autorin lässt mich die Szenen fast wie in einem Film erleben. Dennoch erfüllen sich meine Erwartungen beim Lesen nur teilweise, da Anika Decker zu viele wichtige Themen in die Geschichte einbringt und dabei für meinen Geschmack den Fokus auf Nina und David zu oft verliert. Hier hätte wenig mehr sein können.
Das Ende von Zwei vernünftige Erwachsene, die sich mal nackt gesehen haben ist passend für einen Liebesroman. Von einigen Handlungsfäden hätte ich mir mehr Auflösung gewünscht, aber insgesamt ist der Schluss rund.
Fazit:
Zwei vernünftige Erwachsene, die sich mal nackt gesehen haben ist ein feministischer Unterhaltungsroman, welcher nicht zu sehr auf die Liebesgeschichte fokussiert ist. Die Geschichte hat ihre Glanzmomente, besticht durch Humor und die ernsten Themen, die es behandelt. Ich bin mir sicher, dass es als Film richtig gut funktionieren würde. Im Buch ist es mir insgesamt zu viel.