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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 04.08.2023

Frau Shibata ist sehr einfallsreich!

Frau Shibatas geniale Idee
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Nachdem sie der ständigen Bevormundungen ihrer männlichen Kollegen und deren Unfähigkeit Kaffee zu kochen oder hinter sich aufzuräumen überdrüssig ist, entgegnet Frau Shibata nach einer weiteren Aufforderung ...

Nachdem sie der ständigen Bevormundungen ihrer männlichen Kollegen und deren Unfähigkeit Kaffee zu kochen oder hinter sich aufzuräumen überdrüssig ist, entgegnet Frau Shibata nach einer weiteren Aufforderung das benutzte Geschirr nach einer Besprechung wegzuräumen: ”Ich kann nicht, ich bin schwanger.” Es ist eine bizarre Form des Widerstandes, aber wirkungsvoll, denn ab sofort muss sie nicht mehr die lästigen Aufgaben übernehmen, für die sich ihre männlichen Bürokollegen zu überqualifiziert sehen (obgleich Frau Shibata ebenfalls einen Studienabschluss hat und nicht so schusselig wie ihr Kollege Herr Higashinakano). Geschirr wegräumen, Kaffee kochen, Müll entsorgen, Überstunden machen, all das gehört nun der Vergangenheit an. Die viele freie Zeit nutzt Frau Shibata mit Fitnesskursen und dem Zubereiten gesunder Mahlzeiten, wo früher Fertiggerichte für einen späten Feierabend herhalten mussten.

Die Kapitel gliedern sich nach dem Fortschritt der Schwangerschaftswochen, in denen Frau Shibata sich (angeblich) befindet. Im fortschreitenden Stadium wird sie immer einfallsreicher, wobei es natürlich schwieriger wird die Not(wendige)lüge aufrecht zu erhalten – doch Frau Shibata schafft es, auch die sie beobachtenden Leser:innen zu täuschen, und unweigerlich hinterfragt man, ob sie nicht wirklich schwanger sein könnte. Auf den ersten Blick wirkt dieses Buch wie eine ungemein unterhaltsame Geschichte über eine Idee wie sie wohl in dem Ausmaß nur im patriarchalen asiatischen Arbeitsalltag vorkommen kann. Sexismus, erwartete Frauenbilder und Diskriminierung scheinen in Japan wohl aber ein großes Thema zu sein, und so hat dieses humorvolle Experiment von Frau Shibata ganz zwangsweise einen gewissen Tiefgang. Emi Yagi findet eine individuelle Lösung zu einem festgefahrenen Problem für ihre Protagonistin. Für mich war es ein cleveres und humorvolles Lesevergnügen!

Veröffentlicht am 04.08.2023

Eine Liebe in der U-Bahn und reichlich LGBQT

One Last Stop
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August hat sich frisch in New York eingelebt, um ihr Studium hier fortzusetzen. Dringend braucht sie Abstand zu ihrer Mutter und deren lebenslange Obsession ihren verlorenen Bruder mit detekivischen Mitteln ...

August hat sich frisch in New York eingelebt, um ihr Studium hier fortzusetzen. Dringend braucht sie Abstand zu ihrer Mutter und deren lebenslange Obsession ihren verlorenen Bruder mit detekivischen Mitteln wiederzufinden. Auf dem Weg zur Uni sieht August ein verdammt gutaussehendes Mädchen, in das sie sich sofort verguckt. Auch in den folgenden Tagen sitzt die schöne Unbekannte in der Q-Line. August möchte Jane unbedingt kennenlernen und schafft dies auf die peinlichste Weise, indem sie sich mit Kaffee bekleckert. Die Unbekannte stellt sich als Jane vor und schenkt August ihren Schal, um den riesengroßen Kaffeefleck zu überdecken. Daraufhin treffen die beiden sich immer wieder in der Bahn und lernen einander kennen. Jane offenbart August ein riesengroßes Problem, und endlich einmal macht sich Janes detektivischer Spürsinn, den ihre Mutter ihr antrainiert hat, dabei bezahlt Jane zu helfen.

Mehr darf man über diesen Roman eigentlich nicht verraten, ich sage nur noch so viel: Wer beim Lesen des Klappentexts vermutet, dass Jane obdachlos ist und in der U-Bahn wohnt, der irrt gewaltig – es steckt so, so, so viel mehr dahinter! Teilweise hatte das Buch einige Längen, die ich vielleicht nicht so langatmig gefunden hätte, wenn ich zehn oder zwanzig Jahre jünger gewesen wäre. Insgesamt war es aber eine Story, in der einiges mehr steckte als ich zunächst vermutet habe. Mir hat die lockere Sprache des Buches zugesagt, und Augusts herrlich verrückte Mitbewohnerinnen und Nachbarn steuern einiges zum Lesevergnügen bei. Ich bin sonst weniger eine Leserin queerer Bücher und fand es rückblickend erfrischend und entspannend von einer gleichgeschlechtlichen Liebe zu lesen. War irgendwie voll angenehm! (Aber ich frage mich gerade, ob es seltsam ist, dass ich den letzten Punkt so herausstelle?)

Veröffentlicht am 04.08.2023

Some very Cosy Crime

Ein irischer Dorfpolizist
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Irgendwie ein Krimi – aber irgendwie auch nicht. Dieses Buch zeichnet sich nicht durch die gewiefte Kombinationsgabe des titelgebenden irischen Dorfpolizisten PJ Collins aus. Collins ist nicht besonders ...

Irgendwie ein Krimi – aber irgendwie auch nicht. Dieses Buch zeichnet sich nicht durch die gewiefte Kombinationsgabe des titelgebenden irischen Dorfpolizisten PJ Collins aus. Collins ist nicht besonders herausragend und für einen Polizisten ziemlich dick. Letzteres ist in seinem überschaubaren kleinen Dorf Duneen aber auch kein wirkliches Hindernis, hier passiert nämlich sowieso nie etwas, für das er besonders fit sein müsste.

Eines Tages wird allerdings die Leiche eines Mannes gefunden, und sofort ist das ganze Dorf davon überzeugt, dass es sich um Tommy Burke handeln muss, der vor 20 Jahren urplötzlich verschwunden ist, nachdem sich jene beiden Frauen mitten auf dem Dorfplatz geprügelt haben, die romantisches Interesse an ihm hatten. Noch bevor PJ sich an die Befragung der beiden Frauen machen kann, erscheint der aus Cork angeforderte Kriminalkommissar Linus Dunne und macht sich mit seiner Überheblichkeit nicht gerade beliebt. Linus hält PJ für einen übergewichtigen Versager und PJ ihn für ein arrogantes Arschloch.

Graham Norton, der Name kam mir doch gleich bekannt vor! Der Autor ist kein geringerer als der Talk-Show-Host der gleichnamigen britischen Sendung. Mein Fazit zum Buch: Nicht das mögliche Verbrechen an sich steht im Vordergrund dieser Geschichte sondern in die Charaktere der beteiligten Akteure zu blicken und sie zu verstehen. Für mich ist das Buch Cozy Crime der ganz seichten Sorte, durchaus lesenswert und auch unterhaltsam! Erst durch PJs ermittlerische Tätigkeiten werden die Verbindungen der Dorfbewohner in Relation zueinander gesetzt und als Leser:in erfährt man von den inneren Wunden, die durch den Leichenfund wieder aufgerissen werden.

Veröffentlicht am 04.08.2023

Eines meiner Lesehighlights 2021!

Barbara stirbt nicht
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Walter Schmidt ist ein Mann, den man nicht zum Partner haben will. Vielleicht will man ihn auch ganz und gar nicht kennen. Bereits auf den ersten Seiten zeigt sich nämlich schon Walters mürrisches Gemüt, ...

Walter Schmidt ist ein Mann, den man nicht zum Partner haben will. Vielleicht will man ihn auch ganz und gar nicht kennen. Bereits auf den ersten Seiten zeigt sich nämlich schon Walters mürrisches Gemüt, als er aufstehen muss, um selbst Kaffee zu kochen. Das ist nämlich noch nie vorgekommen, dass die Barbara nicht vor ihm wach war, um den Kaffee zu kochen und schon mal das Frühstück zu bereiten. Barbara ist irgendwie krank, ständig müde, hat nicht mehr viel Kraft. Von einem auf den anderen Tag muss Walter Aufgaben übernehmen, die eigentlich Weiberkram sind. Im weiteren Verlauf der Geschichte zeigt sich Walter nicht nur immer säuerlicher, sondern bisweilen politisch sehr unkorrekt, wenn er nicht völlig ignorant ist. Nirgendwo wird das deutlicher als im Umgang mit seinen Kindern, die natürlich sehr besorgt sind um den Zustand ihrer Mutter. Das Verhältnis zwischen Walter und seinem Sohn ist distanziert und kühl. Und obwohl Walter gerade alle Hilfe gebrauchen könnte in der Bewältigung seines und Barbaras verändertem täglichen Lebens, wehrt er sich dagegen, dass ihm zu sehr in sein Leben gepfuscht wird. Er sieht es als seine Aufgabe Barbara wieder aufzupäppeln, dafür stellt er sich auch in die Küche. Da, wo es nicht klappt wie es soll, findet er auf unkonventionelle Weise Rat, damit die Barbara auch mal etwas Genießbares auf den Tisch bekommt. Denn wer gesund werden will, der muss genügend essen.

"Barbara stirbt nicht" ist eine Geschichte, die ambivalente Emotionen ausgelöst hat. Protagonist Walter ist ein ganz furchtbares Ekel und gleichzeitig ein liebender Ehemann - wobei mein Lachmuskel durchgehend immer mal wieder gekitzelt wurde. Walters Fürsorge drückt sich nicht in Worten aus, sondern in der Geste seine gewohnte Komfortzone zu verlassen. Man liest sich gleichermaßen durch die aktuelle Situation von Walter und Barbara Schmidt als auch durch frühere Episoden des Ehelebens. Gehört zu meinen persönlichen Lesehighlights 2021!

Veröffentlicht am 04.08.2023

Die Süße. Die Sanfte. Die Zarte.

Süß
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Ann-Kristin Tlusty erfindet das Rad in dieser feministischen Kritik gewiss nicht neu. Tlusty hinterfragt den Potenzfeminismus und warum es nicht einfach ausreicht sich zu „empowern“, denn eine gläserne ...

Ann-Kristin Tlusty erfindet das Rad in dieser feministischen Kritik gewiss nicht neu. Tlusty hinterfragt den Potenzfeminismus und warum es nicht einfach ausreicht sich zu „empowern“, denn eine gläserne Decke (und manchmal sogar Wände) verhindert, dass Frauen in höhere Sphären von gesellschaftlicher, ökonomischer und politischer Macht aufsteigen können. Ok, kennt man schon.

Neu und interessant war aber die eingeteilte Betrachtung von süßen, sanften und zarten Frauen. Die süße Frau passt sich auf Kosten ihrer eigenen Bedürfnisse denen ihrer Umwelt an aus Angst zu enttäuschen und lässt sich dabei zu Dingen verleiten und überreden, die nicht in ihrem persönlichen Sinne sind. Die sanfte Frau schultert die Sorgen und das Leid der übrigen Welt auf ihre Schultern und übernimmt den Großteil unbezahlter (teils ungewürdigter) Care-Arbeit zusätzlich zu einer bezahlten Tätigkeit. Die zarte Frau ist jene mit ambivalenten Seiten: Sie ist in feministischer Hinsicht durchaus gebildet und weist dennoch Rudimente einer veralteten Epoche auf, nach denen sie unschuldig, lieblich und damit harmlos und abhängig scheint.

Tlusty hat für jede dieser Seiten Beispiele, anhand derer sie differenziert aufzeigt, dass auch die größten Feministinnen immer wieder in erlernte Skripte davon zurückfallen, was gesellschaftlich als Frau-sein angesehen wird. Freitag.de artikelte dazu passend, „Warum also emanzipierte Frauen plötzlich flirty und süß auftreten, obwohl sie dies unangenehm finden“.

Tlusty argumentiert aber nicht mit der Abschaffung des Süßen, des Zarten und des Sanften, sondern plädiert für eine offenere Gesellschaft, in welcher diese Komponenten auch für Männer, Non-Binäre und alles dazwischen optional sind und sich niemand mehr in erwarteten Rollenbildern bewegen sollte.


Trotz des zuckrigen Titels schreibt Ann-Katrin Tlusty sehr sachlich; allzu viel Sarkasmus, wie in manchen anderen Büchern, die ich bisher gelesen habe, bin ich hier nicht begegnet. Es ist tatsächlich mehr eine Kritik und weniger eine Streitschrift, regt zum Reflektieren an und ist somit durchaus lesenswert.