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Veröffentlicht am 26.02.2020

Voll im Soll

Jürgen
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Der titelgebende Jürgen ist seit längerer Zeit auf der Suche nach einer Partnerin. Ein "Final Close" ist ihm leider (noch) nicht vergönnt gewesen, und das, obwohl er stets an "Inner Game" und "Outer Game" ...

Der titelgebende Jürgen ist seit längerer Zeit auf der Suche nach einer Partnerin. Ein "Final Close" ist ihm leider (noch) nicht vergönnt gewesen, und das, obwohl er stets an "Inner Game" und "Outer Game" arbeitet, "Rapport" einsetzt und "richtiges Flirten" akribisch studiert. Doch es klappt einfach nicht, und so fahren Jürgen und Kumpel Bernd die ganz harten Geschütze auf - nach Speeddating und Co. soll ein Liebestrip nach Polen Amor in Gang bringen. Was soll da schon schief gehen?

Entschuldigt das term dropping im ersten Absatz, aber ich habe mich tatsächlich mal eine zeitlang mit den Themenkomplexen "PUA" (Pick Up Artist) und der "Seduction Community" beschäftigt, der Heinz Strunk hier ansatzweise auf die Finger haut. Das hätte er nach meinem Geschmack ruhig noch etwas mehr tun dürfen. Aber auch so sind die Seitenhiebe ansprechend gesetzt. So gesehen erst einmal ein pauschales Dankeschön an den Heinzer, dass er dahin geht, wo es weh tut. Muss manchmal einfach sein.

Ansonsten bietet "Jürgen" viel Bekanntes für Kenner des Autors. Klassisches Strunk'sches Grundsetting: Der "arme Willi" Jürgen, der mit seiner (pflegebedürftigen) Mutter zusammenlebt und im Alltag wenig Spontanes erlebt. Jürgen wünscht sich die Abnabelung von der Mutter, den Schritt in die Selbstständigkeit. Der Weg dorthin führt in seinem Fall über die Partnerinnensuche, bei der neben Jürgen und Bernd zahlreiche weitere groteske Figuren mitmischen. Und genau diese Kleinigkeiten, die mit nur wenigen Worten scharf umrissenenen Charaktere des Alltags, sind es, die Strunk immer so gut machen. Ob beim Speeddating oder im Wartezimmer eines Arztes: Die Personen werden sofort greifbar, auch wenn sie nur einen Kurzauftritt haben.

Wie immer als Hörbuch, wie immer passgenau vom Autor selbst vorgelesen. Einzig Ludmilla, die polnische Helferin des amourösen Reiseführers, ist Strunk misslungen - anstatt osteuropäisch klang ihr Dialekt eher niederländisch. Aber Schwamm drüber. Es war kurzweilig und amüsant - also voll im Soll.

Veröffentlicht am 26.02.2020

Enttäuschend

Die Brandstifter
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Der Auszug klang spannend, der Anfang war recht vielversprechend, aber dann hat mich das Buch ziemlich schnell verloren. Hauptgründe: Es hat nicht gehalten, was ich mir versprochen hatte, die Sprache war ...

Der Auszug klang spannend, der Anfang war recht vielversprechend, aber dann hat mich das Buch ziemlich schnell verloren. Hauptgründe: Es hat nicht gehalten, was ich mir versprochen hatte, die Sprache war viel zu blumig und irgendwann wurde alles nur noch belanglos und... langweilig.

Drei Charaktere stehen im Mittelpunkt des Geschehens: Will, ein Student der sich in seinem neuen Leben als Nichtgläubiger erst noch zurechtfinden muss; Phoebe, die Frau in die er sich verliebt; und John Leal, ein charismatischer und enigmatischer Kultanführer.

Will und Phoebe haben beide etwas verloren, das sie selbst ausgemacht hat (Will: seinen Glauben, Phoebe: ihr Klavierspiel) und tun sich schwer damit, diese Lücke zu füllen. Beide leiden an Familiendrama, beide haben sich von ihrem Vater entfremdet. John Leal ist vielleicht ein Opfer, vielleicht ein Übeltäter, vielleicht beides. Wir können es nicht genau sagen, denn er hat keine eigene Stimme.

Denn: Auch wenn die Kapitel scheinbar im Wechsel erzählt werden, ist dem in Wirklichkeit gar nicht so. Alles wird aus der Sicht von Will erzählt - was er glaubt, was Phoebe und John Leal vielleicht erzählt hätten, hätte man sie nach ihrer Sicht der Dinge gefragt. Gut, Will hat Notizen und Erinnerungen, an denen er sich für seinen "Report" orientiert, aber wie verlässlich sind diese Quellen?

Wir haben es hier also mit einem sehr unzuverlässigen Erzähler zu tun, dem das durchaus bewusst ist, aber aus den falschen Gründen: Er sagt, dass er sich vielleicht nicht an jedes Detail richtig erinnern kann und vielleicht Dinge durcheinander bringt, aber als Lesende wissen wir es besser: Wenn du eine Geschichte aus "verschiedenen Blickwinkel" selbst erzählen könntest, würdest du der Versuchung widerstehen, deine eigene Rolle etwas mehr auszuschmücken? Deine Fehler etwas runterzuspielen? Dich liebenswerter und weniger schuldig dastehen zu lassen? Und die anklagen, die du nicht magst? Wer weiß das schon, was wäre, wenn...

Das alles klingt nach einem spannenden Ansatz, den ich zunächst auch sehr interessant fand. Aber es wurde schnell zum Hindernis und ich verlor mich mehr und mehr in Wills Gedanken.

Was mir auch nicht für mich funktioniert hat: Zunäst hatte ich völlig andere Erwartungen an das Buch. Der Klappentext stellt den Inhalt anders da - okay, für falsches Marketing kann das Buch nix. Aber, wie bereits erwähnt, ist das Buch mehr oder weniger eine Darstellung der Dinge aus Wills Sicht/Vorstellung, inklusive seiner Obsession mit Phoebe, die zum traurigen Twist der Erzählung führt. Abgesehen davon habe ich nur wenig Plot gefunden - die Story war einfach langweilig.

Die Langeweile setzt nach rund einem Drittel ein, weil nicht passiert, das die Erzählung irgendwie vorwärts gebracht hätte. Das war doch sehr enttäuschen. Und hey, ich mag Geschichten, in denen die Charaktere die Richtung vorgeben. Aber hier gab es nur einen Charakter, der irgendwas in die von ihm bevorzugte Richtung steuerte, und das war nicht die Route, die ich gewählt hätte. Ich hätte z.B. gerne mehr von Phoebe erfahren, ihre echte Stimme, ihre echten Gefühle und Gedanken. Stattdessen war ich in Wills Version von ihr gefangen.

Zu guter Letzt: die Sprache. Geschmacksfrage, klar. Für mich war es zu blumig, zu poetisch, zu umständlich. Jeder Objekt hatte aktiv Dinge zu tun, jedes Gefühl war eine Metapher. Zig Beschreibungen, Details, Vergleiche, die für mich wenig bis keinen Sinn ergaben. Archaische Verzierungen, die mich zusätzlich abgelenkt haben. Es wurde sehr schnell zu viel und irgendwann musste ich mich richtig durchbeißen, um zum Ende zu kommen.

Veröffentlicht am 26.02.2020

Der Jan erklärt Deutschland

Alles, alles über Deutschland
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Der Jan erklärt Deutschland - und ich habe mich dabei gut amüsiert. Gewohnt spitzfindig und satirisch vermittelt der blassedünneJunge hier ein Grundlagenwissen, das irgendwo zwischen Genie und Wahnsinn ...

Der Jan erklärt Deutschland - und ich habe mich dabei gut amüsiert. Gewohnt spitzfindig und satirisch vermittelt der blassedünneJunge hier ein Grundlagenwissen, das irgendwo zwischen Genie und Wahnsinn mäandert. Für Fans und Freunde der Böhmermannschen Weltsicht ein amüsanter Happen für zwischendurch, wenn auch natürlich viel zu kurz um die Wartezeit bis zu seiner TV-Rückkehr im September zu überbrücken :((

Leider sind einige Passagen - auch in der aktualisierten Ergänzung von 2015 - mittlerweils etwas überholt bzw. einige Themenkomplexe der jüngsten Vergangenheit fehlen gänzlich. Aber dennoch bietet das Buch, gerade bei den zeitlosen Themen, viel zum Kichern und Grinsen. Als Hörbuch besonders nice, da nett vorgetragen vom Autor, der hier den sympathisch-verständnisvollen Conferencier gibt. Noch nie hat mich ein Hörbuch so schön und nachhaltig gelobt!

Veröffentlicht am 26.02.2020

Dramatisch, tragisch, exotisch

Goldkind
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Dies ist die dramatische und tragische Geschichte einer Familie, geprägt von Herkunft, sozialer Schicht und äußerer Umstände. Clyde und Joy, die sich mehr schlecht als recht durchs Leben schlagen, um ihren ...

Dies ist die dramatische und tragische Geschichte einer Familie, geprägt von Herkunft, sozialer Schicht und äußerer Umstände. Clyde und Joy, die sich mehr schlecht als recht durchs Leben schlagen, um ihren Söhnen etwas zu ermöglichen, eine Zukunft, Bildung, Hoffnung. Doch Peter und Paul, die eineiigen Zwillinge, ähneln sich zwar äußerlich, sind aber ansonsten grundverschieden, und die Frage, die im Raum steht: Welche dieser Unterschiede sind tatsächlich real, welche anerzogen? Da ist Peter, der Erstgeborene, das titelgebende Goldkind. Er ist unfassbar klug und hat beste Chancen, die ärmliche Herkunft seiner Familie auf dem Bildungsweg hinter sich zu lassen. Paul hingegen hat von Geburt an mit Schwierigkeiten zu kämpfen: Noch im Mutterleib von der Nabelschnur umwickelt, stockte die Sauerstoffzufuhr zu seinem Gehirn, seitdem wird er als "zurückgeblieben" abgestempelt - und auch durchgängig so behandelt. Zu Recht?

Die Geschichte beginnt, als die Zwillinge 13 Jahre alt sind und sich die Familie gerade von einem Überfall mit anschließendem Streit erholt. Kurz darauf verschwindet Paul. Clyde macht sich auf die Suche nach seinem Sohn, durchstreift die Nachbarschaft und den Busch, doch Paul bleibt verschwunden. Dieser erste Teil dient als gute Einführung in den Alltag der Familie, man bekommt einen ersten Eindruck der Verhältnisse der einzelnen ProtagonistInnen zueinander.

Dann macht die Autorin einen cleveren Cut: Teil zwei springt weit in die Vergangenheit und erzählt von Peter und Pauls Kindheit und den unterschiedlichen Erwartungen, mit/unter denen sie aufwuchsen. Die Erzählstimme wechselt hier in jedem Kapitel, neben den unmittelbaren Familienmitgliedern kommen auch Außenstehende zu Wort und werfen so noch mal ein ganz anderes Licht auf bestimmte Situationen. Neben der vierköpfigen "Kernfamilie" gibt es noch zahlreiche weitere Verwandte, die das Schicksal der anderen wechselseitig bestimmen. Zum Beispiel Onkel Vishnu, der Bruder von Mutter Joy, der als studierter Mediziner und relativ wohlhabender Mann der große Vorbildcharakter ist. Er erkennt Peters Talent und fördert den Jungen, was wiederum zu Neid und Missgunst bei anderen Verwandten führt.

Der dritte Teil setzt schließlich wieder in der Gegenwart ein, wir erhalten tiefere Einsicht in Pauls Gefühlswelt und seinen Entschluss zur Flucht, die schließlich der Auslöser für den tragischen Höhepunkt des Familiendramas wird. Das Ende bzw. der letzte Teil hat mich sehr mitgenommen - die Situation, die sich ergibt, die Gründe dafür und die letztlichen Konsequenzen waren wirklich absolut tragisch und ich lobe Claire Adam für ihren Mut, das so krass durchzuziehen. Das wird mich noch eine Weile beschäftigen.

Neben der Erzählung an sich und den tiefen Emotionen, die das alles bei mir ausgelöst hat, ist noch ein dritter Aspekt wichtig und erwähnenswert: Die Location des Romans, die hier ganz klar ein weiterer "Protagonist" ist. Die Geschichte spielt auf Trinidad, und der Inselstaat ist allgegenwärtig: Es kribbelt und krabbelt überall, der Busch ist dunkel und geheimnisvoll, das Wetter heiß und feucht. Doch nicht nur die Natur, auch die Menschen und Gewohnheiten sprühen nur so vor Lokalkolorit. Korruption und Banden bestimmen das gesellschaftliche Bild und durchdringen auch scheinbar "sichere" Beziehungen. Die Angst vor Gewalt ist ebenso allgegenwärtig: Hunde sind nicht die "besten Freunde", sondern werden scharf gemacht und verdingen sich als Alarmanlage. Claire Adam bringt den Staat, in dem sie aufwuchs, hier gut zum Leben.

Ein faszinierender Debütroman, der Lust auf mehr von der Autorin macht.

Veröffentlicht am 26.02.2020

Ein Buch wie ein Rausch

Das Casting
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Ein Witwer denkt, es wäre eine coole Idee, ein gefaktes Filmcasting abzuhalten um dabei eine neue Frau zu finden. Was könnte, in dieser bizarren Mischung aus "Der Bachelor" und "DSDS" schon schiefgehen? ...

Ein Witwer denkt, es wäre eine coole Idee, ein gefaktes Filmcasting abzuhalten um dabei eine neue Frau zu finden. Was könnte, in dieser bizarren Mischung aus "Der Bachelor" und "DSDS" schon schiefgehen?

Nun, zunächst nicht viel. Aoyama, unser einsamer Witwer, verliebt sich schnell in eine Kandidatin, eine junge Frau namens Yamasaki Asami. Ihr müsst euch das so vorstellen: Ein ziemlich bodenständiger, mittelalter Mann, respektiert und verantwortungsvoller Vater eines Teenagers, erleidet einen Anfall von "insta!love". Die ihm nahe stehenden Personen finden das merkwürdig und raten ihm zur Coolheit, zum Abwarten, aber Aoyama will davon nichts wissen. Er ist verliebt! Er ist süchtig.

So eine Storyline bietet einige Klischees, aber Murakami umschifft diese mühelos. Er bescheibt Aoyamas schnellen Abstieg in der Welt der Überromantisierung (wenn nicht Fetischismus) der Frau, die er liebt, für die er lebt, nach der er sich verzehrt auf eine Art, die irgendwie Sinn ergibt - es fühlt sich wirklich wie der Abstieg in eine bedrohliche Sucht an.

Tief in seinem Inneren weiß Aoyama, dass er überdreht, aber er kann nicht anders. Er ist wie die Fliege im Marmeladenglas, die nicht flattert, um sich zu befreien, sondern um mehr von der tödlichen Süße zu kosten.

Und die Frau? Zu perfekt um wahr zu sein? Oder ist sie das gar nicht?

Ein brutales, explizites Buch, das eine äußerst ungewöhnliche "Liebes"geschichte zum Thema hat. Ein Buch wie ein Rausch - ein dunkler, fieser Rausch.