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Veröffentlicht am 14.07.2020

Ein wirklich lesenswerter Gedichtband

Weisse Geheimnisse. Koreanische Lyrik.
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Die weißen Blumen, die das Cover zum Gedichtband »Weiße Geheimnisse« übersähen, sind ein kleiner Hingucker! Nimmt man die weißen Blumen beziehungsweise Geheimnisse dann in die Hand, entfächern sich fünfzig ...

Die weißen Blumen, die das Cover zum Gedichtband »Weiße Geheimnisse« übersähen, sind ein kleiner Hingucker! Nimmt man die weißen Blumen beziehungsweise Geheimnisse dann in die Hand, entfächern sich fünfzig Gedichte auf verschiedenfarbig getönten Seiten – und verweisen, schon optisch auf die jeweils unterschiedlichen inhaltlichen Hintergründe der Gedichte. Zwischen den Gedichten fallen stimmungsvolle, handgemalte ebenfalls farbige Bilder der Kunstmalerin KIM Minji auf: Ein atmender Baum, ein von knorrigen Kiefern umgebenes Festungstor, eine Mutter mit Kind auf ihrem Rücken, Flaschenkürbisse usw. Der Leser stellt unschwer fest, dass diese Bilder in enger Verbindung zu den Gedichten stehen. Sie laden durch ihre Ausstrahlung nicht nur zum Lesen der Gedichte ein, sondern können auch den deutschen Leserinnen und Lesern eine genaue Vorstellung von Dingen aus der koreanischen Welt vermitteln, die für sie fremd sind, etwa die Bergfeste Namhan in dem gleichnamigen Gedicht, in dem man erfährt, warum die Kiefern in Korea denn so abenteuerlich und unbeschreiblich schief und krumm wachsen. Und ganz nebenbei lüftet sich ein weiteres Geheimnis, nämlich wann zum ersten Mal in der gemeinsamen Geschichte von Korea und Deutschland die erste Begegnung zwischen einem Deutschen und einem Koreaner stattfand, eine für Korea weitreichende bedeutungsvolle Begegnung.

Die Gedichte stammen von der koreanischen Lyrikerin SEONG Myong Sun, die durch ihre vornehmlich naturbezogenen Themen ein internationales Lesepublikum anzusprechen vermag. Zu dem Eingangsgedicht »Das alte Teehaus« schreibt der bekannte koreanische Literaturkritiker KWEON Dae Geun: »Schöne Gedichte fordern den Literaturkritiker geradezu heraus. ›Das alte Teehaus‹ gehört zu diesen Gedichten.« Seiner Überzeugung kann man nur beipflichten, dass sich nämlich in diesem Gedicht »die kommunikative Sensibilität der Autorin zwischen Natur und Mensch, die Fähigkeit, die lautlosen Worte der Natur für uns Menschen hörbar zu machen«, offenbaren. Man fühlt sich an den deutschen Autor und Förster Peter Wohlleben oder die niederländische Autorin und Philosophin Eva Meijer erinnert, die durch ihre wissenschaftlichen Beobachtungen die ausgeklügelten Kommunikationssysteme der Pflanzen und Tiere beschreiben, die uns Menschen eigentlich vor Neid er¬blassen, zumindest bescheiden werden lassen müssten. So ist es in Übereinstimmung mit dem Gedicht ›Sinfonie der Honigbienen‹ durchaus nicht auszuschließen, dass sich die Bienen während ihres Schwänzeltanzes nicht nur die Richtung der Nahrungsquelle einander mitteilen, sondern konkret auch von welcher Blüte der Nektar stammt.
Der Übersetzer, Albrecht HUWE, ist mit Leib und Seele bei der Sache gewesen. Oft sind ihm Übersetzungen gelungen, die man durchaus als kongenial betrachten kann. Schließlich hat er sich, wie im Übersetzungskommentar zu erfahren ist, immer wieder direkt über die Richtigkeit seiner Sicht- und Übersetzungsweise bei der Autorin absichern können. In einem ausführlichen übersetzungswissenschaftlichen Kommentar hat er den Rahmen für die Übersetzung dieser Lyrik aus Korea abgesteckt, die ja als Königsdisziplin des Übersetzens gilt.
Spannend ist für deutsche Leserinnen und Leser bestimmt die Frage, was denn eigentlich ›weiße‹ Geheimnisse bedeuten? Dieses Geheimnis, das sich mit der Lektüre der Gedichte wahrscheinlich von allein lüften dürfte, sei an dieser Stelle doch schon ›verraten‹: Abgesehen von der Tatsache, dass Koreaner seit eh die Farbe Weiß lieben – was ihnen den Namen ›weiß gekleidetes Volk‹ einbrachte – sind für Koreaner weiße Geheimnisse, solche, die die natürliche Neugier des Menschen erwecken, die sein Leben interessant und abwechslungsreich gestalten, die ihn voranbringen, ohne die Leben wohl kaum vorstellbar ist.

Geleitworte zu diesem Gedichtband wurden verfasst von dem deutschen Dichter und Sinologen Prof. Wolfgang KUBIN und dem koreanischen Lyrikwissenschaftler Prof. KIM You-Joong.

Der Bacopa Verlag hat auf seiner Homepage die lesenswerten Kommentare und Geleitworte zugänglich gemacht, die diesen zweisprachigen Gedichtband begleiten. Eine Leseprobe des Gedichts ›Stimmen des Baumes‹ ist durch die freundliche Zustimmung des Betreibers auf folgender Seite des Internets zu lesen:

https://wunschbaum.de/baum-gedichte/stimmendesbaumes.html

Die ›Weißen Geheimnisse‹ sind ein bibliophiler Gedichtband, den man gut und gerne anderen und natürlich auch sich selbst zum Geschenk machen kann.



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