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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 26.02.2017

Langweiliger Krampf

Feuchtgebiete
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Eine achtzehnjährige Göre verletzt sich bei der Intimrasur und muss ins Krankenhaus. Weil ihr dort in ihrem Zimmer so langweilig ist, erzählt sie auf 220 Seiten alles Ekelhafte und Widerwärtige, was ihr ...

Eine achtzehnjährige Göre verletzt sich bei der Intimrasur und muss ins Krankenhaus. Weil ihr dort in ihrem Zimmer so langweilig ist, erzählt sie auf 220 Seiten alles Ekelhafte und Widerwärtige, was ihr rund um ihren Körper einfällt.

Das Buch ist als Schocker und Tabubrecher keineswegs brauchbar, da es sich bei "Feuchtgebiete" lediglich um eine Aneinanderreihung aller möglichen Superlative im Hinblick auf Körperlichkeit handelt. Mein überwiegendes Gefühl beim Lesen: Grenzenlose Langeweile. Die Geschichte von Helen, locker zusammengehalten von ihrem Wunsch, ihre getrennt lebenden Eltern wieder zusammenzubringen, erweist sich als nicht zugfähig. Die Protagonisten sind stereotyp und berechenbar, der Schreibstil müde und nur getrieben von dem Wunsch, nur noch ein paar Seiten mehr mit vermeintlich schockierendem und skandalösem Inhalt zu füllen.

Früher sind Menschen berühmt bzw. bekannt geworden, wenn sie etwas Gutes vorweisen konnten - wenn sie nach Perfektion und Vollendung strebten. Dass Leute wie Charlotte Roche mit einem derartigen Müll auch noch Erfolg haben, ist traurig. Der Gipfel des Ganzen ist es aber, wenn es auch noch Leute gibt, die so etwas tatsächlich für Gut halten. Ich zitiere mal den Rückseitentext:

"Ich erinnere mich nicht, ein Debüt-Manuskript in der Hand gehabt zu haben, so sicher, so mutig und so voller Gegenwart wie dieses" (Roger Willemsen).

Gute Nacht, deutsche Literatur.

Veröffentlicht am 26.02.2017

Journalistisches Sachbuch über Napoleons Russlandfeldzug

1812
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Im Jahre 1812 begann "La grande armée de France", zusammen mit ihren Preußischen, Österreichischen, Italienischen und Polnischen Verbündeten die größte Operation in der relativ kurzen Zeit ihres Bestehens: ...

Im Jahre 1812 begann "La grande armée de France", zusammen mit ihren Preußischen, Österreichischen, Italienischen und Polnischen Verbündeten die größte Operation in der relativ kurzen Zeit ihres Bestehens: Etwas mehr als eine halbe Million Mann überschritten damals die Grenze zum russischen Reich, mit dem Ziel, den abtrünnigen Verbündeten, Zar Alexander, wieder auf Linie zu bringen und ihn dazu zu zwingen, die Bedingungen des Friedens von Tilsit (Bündnistreue mit Frankreich) einzuhalten.

Die Armee, befehligt einerseits vom größten französischen Feldherrn aller Zeiten persönlich, Napoleon Bonaparte, und kommandiert andererseits von hervorragenden französischen Generalen wie Davout, Ney oder Berthier, erzielte anfangs noch einige Erfolge, wie etwa die Einnahme von Wilna, Witebsk und Smolensk - doch als klar wurde, dass die russsichen Verteidiger die Taktik der Verbrannten Erde praktizierten, liefen die Kaiserlichen Truppen in die Falle. Gezwungen, im Winter zurückzumarschieren, verlor die "Grande armée" viel mehr Leute durch Kälte, Hunger und Krankheiten als durch unmittelbare Feindeinwirkung; schließßlich setzte sich Napoleon in Wilna von seinen Truppen ab und reiste allein weiter nach Frankreich. Die Trümmer der Großen Armee, unablässig durch Kosakenangriffe dezimiert, lösten sich schließlich fast von selbst auf; nur die wenigsten entkamen nach Hause.

Was das Werk so angenehm macht, ist der wunderbare Schreibstil. Ohne Mühe liest man die Seiten herunter - und stehen Geschichtsbücher doch in dem Ruf, hin und wieder etwas trockener zu sein, so wird doch im Falle von "1812" eindrucksvoll das Gegenteil bewiesen. Eine Unmenge von Zitaten von soldatischer oder ziviler Seite - von Leuten also, die an dem Feldzug auf der einen oder anderen Seite teilnahmen - bewirkt, dass das Geschehen direkt, regelrecht hautnah erzählt wird. Ich persönlich empfand ein unglaubliches Lesevergnügen, während ich das Buch innerhalb einer Woche verschlang.

Der schnörkellose, unkomplizierte Stil des Buches ist aber, meiner Meinung nach, auch seine Schwäche. An manchen Stellen wirkt das Werk allzu journalistisch, allzu teißerisch - und in der Tat wird sehr viel Wert auf "Thrilling effects" gelegt: Beispielsweise häufen sich die Beschreibungen ekliger Vorkommnisse während des Feldzuges (wie zum Beispiel aufgestapelte, weil amputierte Körperteile, Schilderungen von Erfrierungen oder der Behandlungn von Gefangenen etc.). Irgendwann, nach der gefühlten zweihundertsten Schilderung solcher menschlicher Tragödien, reicht es dann auch wieder - jedenfalls hatte ich das Gefühl. Das Buch, das sich anfangs wie ein spannend geschriebenes Geschichtswerk las, erweckt im Mittelteil den Eindruck, den Leser einfach nur noch schocken zu wollen.

Der Schluss reißt das Ganze dann doch wieder raus. In klaren Worten analysiert Zamoyski die politischen Folgen des Napoleonischen Russland-Feldzuges; trotz allem lässt er sich dann zu diesem Schlusssatz hinreißen: "... wie Hybris am Ende von ihrer Nemesis eingeholt wird".

Na ja, das ist nicht besonders logisch: "Hybris" ist schlicht das altgriechische Wort für "Frevel gegenüber den Göttern" und "Nemesis" ist die Götting der Rache. "Hybris" kann folglich nicht von ihrer "Nemesis" eingeholt werden. Trotz dieses Fehlers und des allzu journalistischen Schreibstils kann man dem Werk aber noch getrost vier Sterne verleihen. Insbesondere für Einsteiger in die Thematik gut geeignet.

Veröffentlicht am 26.02.2017

Ein erschütterndes Buch

Heinrich Pommerenke, Frauenmörder
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Thomas Alexander Staisch portraitierte in diesem verstörenden Buch das Leben eines Mannes namens Heinrich Max Paul Pommerenke, der als „Bestie vom Schwarzwald“ traurige Berühmtheit erlangte.

Pommerenke, ...

Thomas Alexander Staisch portraitierte in diesem verstörenden Buch das Leben eines Mannes namens Heinrich Max Paul Pommerenke, der als „Bestie vom Schwarzwald“ traurige Berühmtheit erlangte.

Pommerenke, geboren 1937 als Sohn einer notorisch lieblosen Mutter und eines selten anwesenden, wenn dann prügelnderweise präsenten Vaters, startete zu Ende der Fünfziger Jahre des zwanzigsten Jahrhundert eine beispiellos gewalttätige Tour durch Süddeutschland. Als er nach monatelangem Herumtreiben schließlich gefasst wurde, zählte die Polizei vier Morde, 25 versuchte und mehrere erfolgreiche Vergewaltigungen sowie eine horrende Anzahl an Einbrüchen, Raubüberfällen und anderen Delikten. Pommerenkes Urteil: 156 Jahre Haft.

Der Möder sollte die Freiheit nie mehr wieder erleben. Exakt 49 Jahre verbrachte er in diversen Gefängnissen (v. a. in Bruchsal), ehe er im jahr 2007 schließlich starb – eine zerstörte, psychisch wie physisch ausgebrannte Ruine.

Thomas Alexander Staisch legte mit diesem Buch ein meiner Ansicht nach ausgesprochen umstrittenes Werk vor. Es handelt sich nicht um eine nüchtern-sachliche Aufarbeitung von Pommerenkes Taten und seiner Strafe, sondern eher um eine romanhafte Schilderung eines ekelerregenden Lebens: Pommerenkes Untaten und seine Zeit im Gefängnis, die letzten Endes als eine Todesstrafe auf Raten angesehen werden können.

Das Buch ist sehr flüssig geschrieben, es liest sich gut und schnell, auch wenn man bei der Lektüre immer tiefer in dunkle und dunkelste psychische Abgründe sinkt. Staischs Ziel war offensichtlich, die Abgewracktheit Pommerenkes während seiner Taten und in der Zeit seiner Haft darzustellen – und es ist ihm gelungen. Der Leser bekommt Einblick in schrecklichste Abgründe. Die Verstörung, die Staisch beim Leser hervorruft, vertieft sich noch durch Gedichte, die er ab und an einstreut und die interessante, wenngleich auch irritierende Schlaglichter auf Pommerenkes Geisteszustand werfen.

Wenn ich nun ein Fazit ziehen sollte, würde ich das Folgende sagen: Es handelt sich um ein bemerkenswertes Buch, für das der Leser jedoch ein hohes Maß an intellektuellem Zugang und an emotionaler Einfühlung benötigt. Es ist keineswegs ein Buch zum schnellen Durchlesen, u. a. deswegen nicht, da Staischs Schreibstil sehr modern-literarisch und bisweilen ausgesprochen gewöhnungsbedürftig ist. Sensible Gemüter sollten dieses Buch auf jeden Fall mit Vorsicht genießen.

Veröffentlicht am 26.02.2017

Charmantes Barock-Epos

Die Tochter des Fechtmeisters
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„Die Tochter des Fechtmeisters“ war mein erstes Buch von Sabine Weiß, die ja bereits mehrere historische Romane geschrieben hat (etwa „Hansetochter“ oder „Das Geheimnis von Stralsund“).

Ich selbst bin ...

„Die Tochter des Fechtmeisters“ war mein erstes Buch von Sabine Weiß, die ja bereits mehrere historische Romane geschrieben hat (etwa „Hansetochter“ oder „Das Geheimnis von Stralsund“).

Ich selbst bin ebenfalls ein leidenschaftlicher Degenfechter und wurde auf Sabine Weiß’ Buch in meinem Fechtsport-Magazin aufmerksam. Das Buch hat einen ordentlichen Umfang (etwa 700 Seiten), liest sich aber unglaublich gut.

Im Mittelpunkt der Handlung steht, wie im Titel angeklungen, Clarissa, Tochter eines Fechtlehrers und Schmiedes aus Rostock. Zusammen mit ihren Kumpanen Marius und Alexander bestehen sie viele Abenteuer, etwa im Kampf gegen den unverschämten Baron Reipenstein.

Das Buch hat mir nicht nur deswegen gefallen, da es spannend und abwechslungsreich geschrieben ist, sondern vor allem auch, da Sabine Weiß es schafft, eine authentische Atmosphäre zu erschaffen. Besonders beeindruckt hat mich die Schilderung der Universität Rostock und des in ihr gepflegten Umgangs. Mittelalterliche Universitäten und Ritterakademien müssen faszinierende Orte gewesen sein – die Universität Altdorf, an der Wallenstein ein Semester lang eingeschrieben war (ehe er wegen ständiger Raufereien zwangsweise exmatrikuliert wurde) erinnert ja bis heute mit einem eigenen Museum an die damalige Zeit.

Insgesamt: Ein sehr schöner historischer Roman :) Absolut lesenswert ;)