Profilbild von StefanieFreigericht

StefanieFreigericht

Lesejury Star
offline

StefanieFreigericht ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit StefanieFreigericht über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 12.02.2018

Es sollte nach Kirschblüten duften

Kleine Stadt der großen Träume
1

Was wichtig ist an diesem Buch, ist zu lesen, wie Menschen Partei ergreifen, ohne nachzufragen. So ein Verhalten beeinflusst nicht nur die, gegen die es sich richtet, sondern auch die, die „nur“ den einfachen ...

Was wichtig ist an diesem Buch, ist zu lesen, wie Menschen Partei ergreifen, ohne nachzufragen. So ein Verhalten beeinflusst nicht nur die, gegen die es sich richtet, sondern auch die, die „nur“ den einfachen Weg gegangen sind. Ich habe in meinem Leben einige Male die Entscheidung getroffen, mich gegen den Strom zu stellen und habe mich einige Mal hinter dem Strom versteckt. Ich kann mich an jedes einzelne Mal erinnern.

Zu einem Mitschüler zu gehen und direkt zu fragen, warum er Lügen verbreitet? Diesen ertappten Gesichtsausdruck zu sehen, wenn alles abgestritten wird? Wunderbar. Es hörte tatsächlich auf.
Selbst zu erleben, wie man von einer Gruppe Vorwürfe bekommt, für mich aus dem Nichts, mit irgendwann der Frage, ob vielleicht einige Vorwürfe gerechtfertigt sind? So nie wieder mit mir.
In einer Firma mitzubekommen, wie ein Kollege einen anderen als Bimbo bezeichnet, die Chefs stehen daneben? Als ich dem Kollegen anbiete, als Zeuge zu fungieren, meint er, jemand wie der Pöbler könne jemanden wie ihn nie verletzen. Ich habe bis heute das Gefühl, zumindest die Geschäftsleitung zu einfach davongekommen lassen zu haben.

Das Beispiel im Buch ist nur eines. Backman vermittelt, wie es Menschen ergeht. Als Täter, als Opfer, beim Wegschauen, beim Nicht-hinsehen-Wollen, beim „die Gruppe ist wichtig“. Es gibt keinen Schutz. Aber man kann mit Ereignissen so umgehen, dass man sich noch im Spiegel anschauen mag.

Und, ja, diese Rezi klingt nicht wie eine. Soll sie auch nicht. Ich werde nie die Sport-Ehrgeizlinge verstehen, vor allem nicht diese spezielle Sorte Eltern. Aber ich verstehe diese Sorte Freunde, wie man sie nur mit 15 hat. Und wie die Handlung dieses Buches dreht, kann man eh nur verstehen, wenn man es liest.

Veröffentlicht am 19.10.2017

Schlimm

Kukolka
1

Samira wächst in einem ukrainischen Kinderheim auf, immer schon. Es gibt wenig, vor allem wenig Liebe, bis Marina in ihr Leben tritt. Doch die Freundin wird von Deutschen adoptiert und beide versprechen ...

Samira wächst in einem ukrainischen Kinderheim auf, immer schon. Es gibt wenig, vor allem wenig Liebe, bis Marina in ihr Leben tritt. Doch die Freundin wird von Deutschen adoptiert und beide versprechen einander, dass Samira nachkommen wird. Doch bald flüchtet Samira, lebt bei Rocky, dem „väterlichen Freund“: Betteln, Diebestouren, alles wird abgeliefert an Rocky, sonst setzt’s was. Bald will Rocky die zarten Hände Samiras auch an seinem Körper. Als Samir Dima kennenlernt und sich verliebt, wird alles besser. Endlich ist sie erwachsen, endlich. Und Dima hat für die jetzt 13jährige sogar Kleidung, einen String-Tanga. Jetzt geht es nach Deutschland.

Autorin Lana Lux schafft es, einen meist passenden Tonfall zu finden für das als Ich-Erzählerin auftretende Kind: „Rocky schob mit einem Fuß ein wenig von dem Zeug beiseite und bildete für mich einen Pfad in die Küche. Die Dielen waren mal rot gestrichen gewesen und vorher blau und davor gelb. Das konnte man sehen, wenn man sich die abgeblätterte Farbe genau ansah. Und ich sah mir so was immer genau an. …“ S. 44f Das Kind beobachtet, geht naiv an alles heran, wirkt aber teils auch recht altklug. Den eigentlichen Schrecken erkennt zunächst nur der erwachsene Leser, nicht das Kind, so, dass nur Lydia zu Rocky ins Zimmer „darf“. Und wieder ein Buch, in dem die Völker der ehemaligen Sowjetunion sich besonders durch ihr Verhältnis zu Minderheiten auszeichnen „Was hast du hier zu suchen, Samira? Was seid ihr Zigeuner nur für unerziehbare Viecher?“ S. 13 (mein voriges Buch „Außer sich von Sasha Marianna Salzmann berichtete vom Antisemitismus), sinnlose Vorurteile gibt es andernorts anscheinend nicht.

Vorab: ja, das ist das letzte, Zwangsprostitution, Frauenhandel, Kindesmissbrauch. Das Buch ist hart. Aber was soll das jetzt? Ein Sachbuch könnte mir Zahlen liefern, wie hart es wirklich ist und vielleicht Lösungen diskutieren. Ein autobiographischer Roman könnte einer Betroffenen vielleicht wenigstens einen finanziellen Ausgleich verschaffen, aufklären. Ein literarischer Roman hätte über die offensichtliche Botschaft hinaus noch irgendetwas anderes vermittelt, eine tolle Sprache, was auch immer. So ist das für mich einfach nur Kitsch, vor allem durch ein Ende, wie es leider die wenigsten in dieser Hölle erleben dürften. Betroffenheitsschreibe.

Veröffentlicht am 02.10.2017

Die Seite des Lichts und die Seite der Dunkelheit

Das blaue Medaillon
1

Die Seite des Lichts und die Seite der Dunkelheit bezieht sich auf S. 264

Der „Unterricht“ lief gut – die 21jährige Alessa hat es unbemerkt geschafft, hoch an venezianischen Hauswänden und über Dächer ...

Die Seite des Lichts und die Seite der Dunkelheit bezieht sich auf S. 264

Der „Unterricht“ lief gut – die 21jährige Alessa hat es unbemerkt geschafft, hoch an venezianischen Hauswänden und über Dächer zu klettern, ein geschlossenes Fenster und schließlich ein Schloss zu öffnen. Ihre Kletterkünste sind es, wofür der Großvater, Meisterdieb der alten Schule, sie wenig schmeichelhaft „Gecko“ nennt; sie setzt die Familientradition fort wie schon ihre früh verstorbenen Eltern. Die einzige, die aus der Familientradition ausbrach, war ihre Tante, eine Schauspielerin, die jetzt im Sterben liegt, nicht jedoch, ohne dafür zu sorgen, dass Alessa von dem Familiengeheimnis erfährt: die Eltern waren ermordet worden, weil sie bei der „Arbeit“ an kompromittierende Unterlagen gelangt waren. Der „Schlüssel“ für deren Versteck ist ein blaues Medaillon, das jetzt an die Nichte geht. Doch direkt nach der Heimkehr aus dem Trauerhaus findet die junge Frau daheim ihren Großvater vor, ermordet. Der Mörder ist noch im Haus…

In diesem Roman über das Jahr 1676 zwischen Venedig und Celle verwebt Autorin Martha Sophie Marcus geschickt fiktives Personal mit historischen Persönlichkeiten sowie dem Brauch, zur Unterhaltung bei Hofe Künstlertruppen auftreten zu lassen und sich selbst an dem Schauspiel zu beteiligen, ehrlich gesagt das erste Mal, dass ich die Figuren der Commedia dell’arte nachvollziehbar fand. Der Roman selbst ist ein angenehmer Zwitter aus historischem und Abenteuer-Roman mit einem Schuss Romantik, bleibt jedoch weitgehend frei von Kitsch und rührseliger Melodramatik (das erste, was für mich etwas „weniger“ hätte sein dürfen, war:„…nur einen Wimperschlang später küssten sie sich, als wäre es in ihrem Gespräch nie um etwas anderes gegangen, als den richtigen Zeitpunkt für einen Kuss zu finden.“ und kommt erst auf Seite 169, also, sei’s drum). Dafür gibt es als Ausgleich sehr viele ziemlich humorvolle Stellen, herrlich die Szene mit den Hosen (man lernt gelegentlich eine mildere Version von Kempf kennen, dem man eine solche Aktion wünschte).

Ja, die Romantik war mir (wie meistens bei Romantik) ein klein wenig vorhersehbar, viele der spannenden Wendungen so jedoch gar nicht, womit man mit diesem Buch schlicht eine breite Zielgruppe an breiter Front glücklich machen dürfte; insgesamt jedoch wohl eher ein „Frauenschmöker“, sorry Jungs, der mir Spaß gemacht hat: Allein aufgrund der weiblichen sympathischen Hauptperson, die aufgrund ihrer besonderen „Profession“ und ihrer Tarnidentität sicher über mehr Freiheiten verfügte als für Frauen der Zeit üblich. Wie häufig, ziehe ich selbst aus historischen Romanen, die in der früheren Neuzeit in Deutschland handeln, für mich persönlich meist etwas weniger das Gefühl heraus, wirklich extrem viel in das Zeitgefühl einzutauchen (das liegt aber wohl an mir, bei historischen Krimis gelingt es meist), eher sind es für mich die Details, die ich gerne aufnehme, wie hier – gut gemacht – die „echten“ Charaktere, die „mitspielen“, die aufwendigeren Reisen, die Kleidung, die Standesunterschiede, die venezianische Schauspieltradition, die aufgeführte „Wirtschaft“, die Ränkeschmiede am Hof, Wie bemerkt Alessa so schön: „Ich glaube nicht, dass jemals ein Herrscher für längere Zeit mächtig blieb, der nicht bereit war, seine Macht auch durch Erpressung und Mord zu verteidigen.“ S. 344

Um die Einschränkung für mich zu erklären: mir fällt das Eintauchen in historische Szenarien am leichtesten, je mehr Aufwand ich dafür betreiben muss, z.B. Osmanisches Reich = fremde Region, Kultur, Religion UND Zeit. Das ist aber „Nörgeln auf hohem Niveau“, innerhalb des Genres hat das Buch definitiv sehr gute 4 von 5 Sternen und ich würde auch mehr von Martha Sophie Marcus lesen, deren blaues Medaillon für mich so eine Art Überraschungs-Ei ergab: spannend, süß (wenn auch nicht so heftig wie das Schoko-Original), und viel Spiel… in einem überraschend angenehmen Mix. Übrigens schreibt sie ihre Romane abgeschlossen, nicht als Reihen, was fast schon ein Alleinstellungsmerkmal ist, wenn – wie mich – Reihen-Zwänge gelegentlich nerven (wobei ich mir vorstellen könnte, dass Alessas „Ausbildung“ auch in einem Folgeband mit einem ganz speziellen Partner und einem ganz speziellen Auftraggeber helfen könnte, so eine Art Spionage… – nun, das möchte jeder selbst nach der Lektüre beurteilen).

Besonders hervorheben möchte ich hier die Autorin, die die Leserunde wirklich fantastisch begleitete und dabei Fragen beantworte und Einblicke gab zu Recherche, ihrer Arbeitsweise und letztlich Entstehung des Romans, das war ein besonderes Vergnügen und ich danke für die lobenswerte Geduld beim immer freundlichen geduldigen Beantworten wirklich vieler Fragen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Figuren
  • Atmosphäre
  • Spannung
  • Thema
Veröffentlicht am 29.05.2017

Die Suche danach, was Frankreich, vielleicht unser aller globalisiertes Leben, ausmacht

Die Schuld der anderen
1

„Wir brauchen keine Gerechtigkeit. Ein Kompromiss ist uns lieber als der gerechte Krieg.“ S. 328 Eine ernüchternde Aussage ernüchterter Menschen, die nicht zu den Gewinnern gehören, aber einmal nicht zu ...

„Wir brauchen keine Gerechtigkeit. Ein Kompromiss ist uns lieber als der gerechte Krieg.“ S. 328 Eine ernüchternde Aussage ernüchterter Menschen, die nicht zu den Gewinnern gehören, aber einmal nicht zu den Verlieren zählen wollen. Und dann gibt es andere, Menschen wie Marc Rappaport und wie Emilie Thevenin, die nicht nachgeben wollen. Das wenig begüterte Provinz-Mädchen Emilie geht nach Paris zum Geschichts-Studium, lässt sich ein auf das schnelle Geld für die schnelle Nummer und wird ermordet, 1984. Nur eine weitere tote Prostituierte – doch DNA-Spuren führen jetzt, dreißig Jahre später, weiter. Marc wittert eine Geschichte dahinter und beginnt, zu graben, er ist „Einer, der noch nicht gelernt hatte, sich mit Kompromissen herumzuschlagen wie jedermann.“ S. 24

Er wird tief graben in diesem Buch, das die französische Geschichte der Gegenwart darstellt, ohne dass man sich dafür großartig anstrengen muss, in einem Frankreich, das gewaltige Umbrüche erfahren musste, den Niedergang der traditionellen Industrien, der ganze Regionen veränderte. Einige Gymnasien erlauben neben dem Erwerb des Abiturs parallel den Abschluss einer Berufsausbildung, strikt auf die Bedürfnisse der lokalen Konzerne ausgerichtet. „Die Erfahrung der Arbeitslosigkeit saß der Provinz zu tief in den Knochen, hatte zu sehr die Erbsubstanz verändert, als dass einem eingefallen wäre, diese Kinder etwas lernen zu lassen, das kein sicheres Einkommen gewährte.“ S. 191
Eine Umverteilung der Macht und der Freiheit hat längst stattgefunden – die Konzerne entscheiden. Warum musste Emilie sterben? Welche Rolle spielt ihr Geburtsort? Im Verlauf der Recherche wird Marc von Prinzipien abweichen, in die Schusslinie geraten, unerwartete Wendungen erleben, Erschütterung.

„Der ganze Trick…ist, die Welt mit den Augen deiner Personen zu sehen.“ S. 304 so erklärt Marc, wie er es schafft, bei der Recherche die winzigen Details nicht zu übersehen. Wie ein Süchtiger taucht er in seine Recherche ein – und der Leser mit, in die Abgründe von Reise- und Zwangsprostitution, gesellschaftlichem Wandel, von Konzernen ohne Gewissen, von der Angst um den Arbeitsplatz, von Lücken in der Gesetzgebung, der Bündelung von Macht, den sinnlosen Gewaltexzessen, der Islamisierung. „Die gesamte journalistische und politische Elite nahm schon lange nicht mehr am gesellschaftlichen Leben ihres Landes teil. Sie war so isoliert wie Strafgefangene, nur dass sie sich selber ausgeschlossen hatte.“ S. 302. Emilies Vater war einer der Verlierer dieser Entwicklung.

Lustiger vertraut darauf, den Leser die Welt mit den Augen Marcs sehen zu lassen, aber nicht durchgängig. Zwischendurch kommen erklärende Absätze, lässt sie Marc philosophische Erwägungen anstellen. Das hebt das Buch weit über das Krimigenre, wenngleich es spannend bleibt, kommt jedoch nicht ganz ohne den erhobenen Zeigefinger aus. Und auch jüdische Identität muss erörtert werden, fast schon „Attack“-ähnliche Schlüsse müssen gezogen werden „Der Produktionsfaktor Mensch ist schon lange ersetzbar.“ S. 381. Ich mag dafür nur einen halben Stern Abzug geben, weil sie es so grandios schreibt, auch wenn sie gar viele Themen bedient und häufig glauben macht, die Komma-Taste der Tastatur am liebsten bedienen zu wollen: „Und obwohl es als Lob gedacht war, als Anerkennung seiner Fähigkeiten, diese Frau ergattert zu haben, hätte er den Eindringling, der unbefugt an etwas teilgenommen hatte, was er, Marc, alleine hatte genießen wollen, am liebsten zusammengestaucht.“ S. 144

„Französische Verhältnisse“ überschreibt der Verlag den Text auf der Rückseite. Das heißt statt StayFriends „Copain d’avant“ oder RTT Réduction du temps de Travail, das System der französischen Bildung – aber das wenige, was Lustiger nicht sofort erklärt, lässt sich fix nachschlagen. Was mich ernüchtert zurückließ war, wie stark sich bestimmte Muster auch bei uns finden. Da bemühen sich Menschen, sich nicht die Missgunst anderer zuzuziehen, während die Nivellierung sozialer Unterschiede zweitrangig ist „Gleichheit war schon seit Jahrzehnten ein Synonym für Neid geworden.“ S. 70. Überhaupt, die Bilder, die Sätze, die Gila Lustiger erschafft. Unverzichtbar für jeden, der sich für das aktuelle Frankreich interessiert – ein Gewinn, falls man zu aktuellen Themen angeregt werden möchte.

Eine passende Lektüre (vor oder nach diesem Buch) ist Karine Tuil: Die Zeit der Ruhelosen https://www.lesejury.de/karine-tuil/buecher/die-zeit-der-ruhelosen/9783550081750?tab=reviews&s=1&o=5#reviews (Dîner du Siècle, Judentum, Banlieues, Aufstieg, französische Eliten, Islamismus, Macht), wobei die in Frankfurt geborene und seit 1978 in Paris lebende Lustiger dem deutschsprachigen Leser das Hintergrundwissen (dadurch zugänglicher) mitliefert und sich dieses Buch hier wohl besser als erstes von beiden Büchern für nicht sehr tief mit Frankreich vertraute Leser eignen dürfte.

Veröffentlicht am 08.05.2017

Beuteschema

Das Grauen in dir
1

„Da lag so viel in dem Blick dieses Jungen. Flehen, betteln, Todesangst. Und all das erregte ihn. Er wusste gar nicht, was am meisten. Dann griff er nach dem Ende des Gürtels.“ S. 74
Doch von vorne: Andrea ...

„Da lag so viel in dem Blick dieses Jungen. Flehen, betteln, Todesangst. Und all das erregte ihn. Er wusste gar nicht, was am meisten. Dann griff er nach dem Ende des Gürtels.“ S. 74
Doch von vorne: Andrea und Gregory Thornton und ihre neunjährige Tochter Julie sind auf dem Weg in den Urlaub, in ein Bed & Breakfast auf der Insel Skye. Kurz vor der Ankunft bekommen sie es noch mit der Polizei zu tun – ein harmloser Rempler mit dem Auto. Polizist Fergus Boyd erkennt Andrea – schließlich ist die gebürtige Deutsche als Profilerin schon mehrfach in der Presse gewesen.

Sei Jahren schon lassen dem schottischen Polizisten Boyd einige ungeklärte Fälle keine Ruhe: zwei Jungen wurden unabhängig voneinander entführt und brutal sexuell missbraucht – ein anderer wurde tot aufgefunden. Weitere Eltern wissen teils nach Jahren immer noch gar nichts vom Verbleib ihrer Teenager-Söhne. Und Andrea hasst Vergewaltiger einfach am meisten von allen Verbrechern. Doch warum sind die Taten so unterschiedlich? Mit Boyd beginnt sie zu ermitteln – sie benötigen dringend ein Profil für die Suche nach einem Täter, denn wie erklärt ihm Andrea so schön: „Wenn man seine Arbeit gut macht, liegt man ungefähr mit drei Vierteln der Annahmen richtig.“ S. 72

Andrea weiß, dass es da eine Ähnlichkeit bei den Taten gibt – nur, an welches Verbrechen wollen die Taten sie erinnern? Erschreckend auch die Situation der Eltern – einige sind zerbrochen an den Geschehnissen – oder haben sich gezwungen, damit abzuschließen. „Andrea war nicht fähig, sich vorzustellen, wie es sich anfühlen musste, sein Kind aufzugeben. Sie maßte sich jedoch kein Urteil darüber an. Um nicht zu zerbrechen, blieb einem irgendwann keine Wahl mehr.“ S. 82 Aber auch das Leben der Überlebenden ist zerstört – sexuelle Übergriffe auf männliche Opfer sind weiterhin ein Tabuthema, das macht Dania Dicken hier deutlich. Und noch wurde der Täter, der bisher stets zu dieser Jahreszeit zuschlug, nicht gefasst…

Besonders bewegt hat mich in diesem achten Band der Reihe der Umgang mit dem Thema Über-Leben mit den Folgen, Stigmatisierung der Opfer und die Konsequenzen – ich fürchtete schon ein Klischee, als es noch eine unerwartete Wendung gab, die mich zum Nachdenken brachte! Wie gewohnt, ist die Ermittlung spannend und vermittelt routiniert Hintergrundwissen zu echt krankem Verhalten. Nicht zu empfehlen für jene, die nicht gut mit Kindern als Opfer umgehen können oder mit sexueller Gewalt in Büchern. Vorbände werden zwar angesprochen – die Lektüre dürfte aber auch ohne möglich sein. Mein Manko – warum nur bekommen Andrea und ihr Umfeld IMMER direkten, also nicht nur beruflichen, Kontakt mit diesen völlig Gestörten? Sie und ihre kleine Familie wirken soooo sympathisch – aber als Nachbarin würde ich sie nach den bisherigen Erfahrungen aller Bücher ebenso wenig haben wollen wie als gute Freundin oder Verwandte, zu potentiell gefährlich und dazu auch reichlich offen mit Auskünften…Den Fall an sich fand ich top. Gute 4 Sterne.