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Veröffentlicht am 15.09.2016

Das Geheimnis der Lady Audley

Das Geheimnis der Lady Audley
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1862 schockierte Mary Elizabeth Braddon die englische Nation zwar mit ihrem Roman "Das Geheimnis der Lady Audley" wegen der "zufälligen" Bigamie und einem ungestümen weiblichen Ehrgeiz, hatte damit aber ...

1862 schockierte Mary Elizabeth Braddon die englische Nation zwar mit ihrem Roman "Das Geheimnis der Lady Audley" wegen der "zufälligen" Bigamie und einem ungestümen weiblichen Ehrgeiz, hatte damit aber gleichzeitig erfolgreich einen der beliebtesten sensationellen Romane der damaligen Zeit geschrieben. Sie bot mit dem kühnen Ehrgeiz ihrer im Mittelpunkt stehenden weiblichen Hauptfigur ein anderes Frauenbild, das so gar nicht dem herkömmlichen Vorstellungen des viktorianischen Englands von einer vermeintlichen Dame der höheren Gesellschaft entsprach.

Bei diesem Roman kann man gleich von Beginn an seine Fantasie spielen lassen. Schon die ausführliche Beschreibung des Herrensitzes lässt das zu. So nähert man sich gern Audley Court mi seinen spitzen Giebeln, wuchernden Efeuranken, bunten Glasscheiben und einer dicken Eichentür inmitten eines Tals voller prächtiger Bäume, üppiger Weiden und von hohen Hecken gesäumter Wiesen.

Als der ältere Witwer und Herr von Audley Court, Sir Michael Audley die wesentlich jüngere Lucy Graham im Hause des örtlichen Arztes, wo sie als Gouvernante der beiden Töchter arbeitet, sieht, verliebt er sich sofort in sie und heiratet die junge Frau, zum Leidwesen seiner 18-jährigen Tochter Alicia, ohne auch nur mehr von ihrer Vergangenheit zu kennen als die Behauptung, sie sei eine Waise. Nach der Heirat in einer Position, die ihr den Luxus ermöglicht, den sie erträumt hat, behagt es ihr scheinbar nicht, dass sich der Neffe ihres Mannes, Robert Audley, bei einem überraschenden Besuch von dem gerade aus Australien heimgekehrten George Talboys begleiten lässt. Dieser hat bei seiner Rückkehr vom Tod seiner geliebten Frau Helen Kenntnis erhalten und nimmt keinerlei Notiz von Dingen, die um ihn herum geschehen bis zu dem Moment, als er ein Bildnis von Lady Audley zu Gesicht bekommt. Wenig später ist er verschwunden.

Robert Audley, der bislang eher sorglos und mit phlegmatische Gemüt als Advokat durchs Leben schreitet, ist vom Verschwinden seines Freundes ohne ein Wort dermaßen überrascht, dass er sich auf die Suche begibt und Nachforschungen anstellt. Dabei dringt er immer weiter in "Das Geheimnis der Lady Audley" vor, obwohl diese nichts unversucht lässt, ihn auf falsche Fährten zu locken und dabei auch vor unlauteren Mitteln und sogar einem Mordversuch nicht zurückschreckt.

Dabei kann man im Grunde Lucy Graham zunächst nichts vorwerfen. Für eine Frau ihrer Zeit gibt es nicht viele Möglichkeiten. Die eine ist eine gute situierte Ehe, eine andere die Arbeit als Gouvernante. Dass Sir Michael Audley des Weges kommt, ganz vernarrt in sie ist und sie heiratet, verschafft ihr eine gesicherte Position. Dabei möchte man ihr die Ehrlichkeit zugute halten, die sie mit dem Geständnis beim Heiratsantrag ihres zukünftigen Mann an den Tag legt, dass sie ihn nicht liebe und seit ihrer Kindheit auf ihren Vorteil bedacht gewesen sei. Zudem mag man nicht glauben, dass sie überhaupt in der Lage ist, Menschen zu schaden, ihnen Böses anzutun. Und doch verbirgt sich hinter dem schönen Gesicht ein dunkles Geheimnis. Das Geheimnis, das sich dem Leser früh zu offenbaren scheint, in Gänze zu entwirren, bereitet großes (Lese)Vergnügen. Und mit den unermüdlichen Ermittlung von Robert Audley auf der Suche nach seinem Freund beginnt die sorglose Fassade der charmanten jungen Frau zu bröckeln, und der Leser bekommt einen Blick auf ihre wahre Persönlichkeit bis zur endgültigen Entdeckung der Wahrheit. Gleichzeitig erfährt auch der sonst eher langweilige Advokat, der bisher gleichmütig in den Tag hineinlebte und der nicht einmal die Avancen seiner Cousine Alicia bemerkt, eine Entwicklung zum Mann, der über längeren Zeitraum hartnäckiges Interesse an einer Sache beweist und auf Grund seines neu erworbenen Durchsetzungsvermögens der Lady Geheimnis ergründet.

Trotz der Vorhersehbarkeit der Geschichte ist diese in sich atmosphärisch stimmig, die Protagonisten weisen eine genaue und tiefgründige Charakterisierung auf, einige überraschende Momente vermögen gleichwohl, einen leichten Spannungsbogen zu halten, der bei einer Kriminalgeschichte erwartet wird. Zur angenehmen und unterhaltsamen Lektüre trägt ebenfalls die bearbeitete, den heutigen Lesegewohnheiten angepasste Übersetzung von Anja Marschall bei. Die "Entstaubung" der Sprache der damaligen Zeit, die sie bei der neuen Übertragung des Textes ins Deutsche vorgenommen hat, deren Grundton allerdings durchaus beibehalten wurde, empfinde ich als gelungen.

Zu guter Letzt lädt auch das zeitgemäß, viktorianisch-nostalgische Cover ein, dieses Kleinod der Literatur wieder zu entdecken. Einmal mehr beweist der Dryas Verlag, dass ein historischer Roman mit einem ansprechenden Umschlag versehen werden kann.

Veröffentlicht am 15.09.2016

"Schaut... auf die Stadt! Dort liegt Berlin."

Das Mädchen aus Bernau
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"Pass ma uff Keule. Berliner sin nett untananda und ooch zu ihre Jäste"_, hätte es vielleicht im 14. Jahrhundert gut heißen können, wenn es denn die Berliner Kodderschnauze schon gegeben hätte, die manch ...

"Pass ma uff Keule. Berliner sin nett untananda und ooch zu ihre Jäste"_, hätte es vielleicht im 14. Jahrhundert gut heißen können, wenn es denn die Berliner Kodderschnauze schon gegeben hätte, die manch empfindliche Ohren und Wesen heute als etwas derb und plautzig wahrnehmen und sich daher eingeschüchtert fühlen. Doch im Gegensatz zum Ruf des Berliners, unfreundlich, rücksichtslos, ruppig und rechthaberisch zu sein, meint der Berliner es meist aber nicht so, wie es vorne rauskommt. Denn im Grunde haben die Berliner immer ein großes Herz, das sie auf der Zunge tragen. Und das trotz ihrer schnoddrigen Art und entwaffnenden Direktheit. Denn die "große Klappe" ist eigentlich nur der Ausdruck ihrer (angeborenen) Ehrlichkeit und Wahrheitsliebe. Statt langatmig und arglistig um den Brei herumzureden, wird einfach gesagt, wie es ist, quasi Tacheles geredet.

Mit diesem Bild eines Berliners vor Augen, der kein Blatt vor den Mund nimmt und diesen noch unverhältnismäßig weit aufreißen kann, begeben wir uns 1325 mit der Bernauer Familie Harzer mitten hinein in die lebendige Doppelstadt Cölln-Berlin, die aus zwei jungen aufstrebenden Metropolen besteht, die sich zu beiden Seiten der Spree, im heutigen Stadtbezirk Mitte, aus zwei Kaufmannssiedlungen entwickelten. Da die Lage am Spreeübergang und Schnittpunkt bedeutender mittelalterlicher Handelsstraßen günstig war, nahmen beide Städte innerhalb kurzer Zeit einen schnellen Aufschwung und bildeten 1307 eine Union.

Über 400 Jahre existierten beide Städte in enger Abstimmung und Zusammenarbeit parallel nebeneinander, bevor sie sich 1709/1710 auf Befehl des preußischen Königs Friedrich I. unter Einschluss der weiteren Städte Friedrichswerder, Dorotheenstadt und Friedrichstadt zur Residenzstadt Berlin vereinigten.

In der Doppelstadt brodelt es. Ludwig der Bayer und Papst Johannes XXII. streiten darum, wem die Kaiserkrone zusteht. Davon bekommen Magda, "Das Mädchen aus Bernau", und ihre drei Brüder Lenz, Utz und Diether sowie der Großvater zunächst nicht viel mit. Sie haben eigene Sorgen. Als Bierbrauer waren sie in Bernau angesehen, nun versuchen sie nach einigen Schicksalschlägen einen Neustart als Händler am Alten Markt. Doch Utz, den es mit aller Macht zu den Kaufleuten zieht, hat sich übers Ohr hauen lassen, und sie bekommen kein Standrecht. Bis auf Magda versinken die sonst so arbeitsamen Männer sämtlichst in Resignation. Erst als sie sich auf ihr Können, das Brauen von Bier besinnen, geht es aufwärts. Und mit Thomas scheint es auch die Liebe in Magdas Leben wieder zu geben. Währenddessen wird die Stimmung immer gereizter und zusätzlich durch Nikolaus, den Probst von Bernau, mittels seiner bedrohlichen menschenfeindlichen Predigten angeheizt. So kommt es zum Eklat, die Wut der Bevölkerung entlädt sich, und Nikolaus findet vor den Toren der Marienkirche den Tod.

Gekonnt verwebt Charlotte Lyne historische Ereignisse mit den handelnden Personen und lässt die Zeit des Geschehens so bildhaft vor dem Auge erstehen, dass man meint, dabei zu sein. Dazu ist zum einen auch die Karte aus dem 14. Jahrhundert, die den Umschlag innen ziert, hilfreich. Viele Straßen, Plätze und Bauwerke gibt es immer noch, so dass man sich mit ein wenig Kenntnis des heutigen Berlins in der Doppelstadt des 14. Jahrhunderts gut zurechtfindet. Zum anderen verschafft einem die Autorin mit ihrer feinfühligen und ausdrucksvollen, fernab von Klischees gewählten Sprache eine vorstellungsintensive Teilnahme nicht nur am Leben der Menschen unter zum Teil widrigen Umständen, sondern ebenso an ihrem Handeln, Denken und Fühlen, so dass man sich zugehörig fühlt und bereits beim Lesen bedauert, sich irgendwann von den lieb gewonnenen Personen verabschieden zu müssen.

Mir werden sie deshalb alle fehlen: Opa Harzer, dessen Versuch, seine Enkel zu lebenstüchtigen Menschen zu erziehen, nicht in Gänze gelungen, der jedoch immer noch zu Einsichten fähig ist. Diether, den ich trotz seiner Eskapaden schnell ins Herz geschlossen habe. Denn einer, der an sich zweifelt und der Meinung ist, zu nichts zu taugen, weil es es mit Schlägen und Schelte fast täglich belegt bekommt, kann schon dumm und unüberlegt handeln. Doch wenn in so einem Menschen ein guter Kern steckt, der nur freigepellt werden muss, ist er nicht verloren. Nicht vergessen werde ich den "Drachentöter" Hans, der für Freunde auch in die Bresche springt, wenn sie ihm ein X für ein U vormachen wollen, der vorlaute Petter, der wie ein echter Berliner gern mit dem Mund vorneweg ist, aber trotzdem zu seinem Wort steht, und all die anderen, die wie Pech und Schwefel zusammenhalten, füreinander einstehen und Berlin zu etwas Besonderen machen (werden). Sie haben das Zeug dazu, den Mut und die Hingabe, etwas Neues schaffen zu wollen...

Natürlich werde ich auch Thomas vermissen, dieses kraftstrotzende Mannsbild, das ein Erdrutsch in Mönchskutte ist, das sich schon mal in die Hand beißen lässt und dann trotzdem die Schönheit des Mädchens rühmt und sie küsst. Dessen Augen manchmal wie eine Laute schlagen, und in dessen Wimpern sich ein Funkeln verkriecht.

Vor allem aber werde ich Sehnsucht nach Magda haben, diesem würzschönsten, krautstämmigen, auf guter Brandenburger Erde gewachsenen Mädchen mit ihrem eindrucksvollem Mut und ihrer beachtlichen unversiegbaren Hoffnung, deren bescheidener Wunsch es ist, dass ihre Familie zusammen ist, dass sie es alle warm beieinander haben und dass über dem Feuer stets ein Topf hängt, in dem dicke Erbsen für den Abend köcheln, und die zupackt und nicht viel Gedöns darum macht, die von Innen strahlt und einfach das Herz auf dem rechten Fleck hat. Eine Berlinerin eben...

Veröffentlicht am 15.09.2016

Das Kostbarste, was es gibt

Unser wildes Blut
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"In einem Märchen ist immer alles einfach und klar. Man weiß, was das Gute und was das Böse ist. Wer richtig und wer falsch handelt."

Ist nicht eine Liebesgeschichte wie ein schönes Märchen? Wenn zwei ...

"In einem Märchen ist immer alles einfach und klar. Man weiß, was das Gute und was das Böse ist. Wer richtig und wer falsch handelt."

Ist nicht eine Liebesgeschichte wie ein schönes Märchen? Wenn zwei sich finden und lieben und zusammen leben, glücklich und zufrieden, bis an ihre Ende...

Die Zwei, die sich gefunden haben, sind Alexander und Aysel. Jung sind sie, verliebt sind sie. Klingt großartig. Auf den ersten Blick. Allerdings wäre unsere Geschichte ja schon zu Ende, wenn es so einfach wäre. Ist es jedoch nicht. Denn Alexander ist Deutscher und Christ. Und Aysel trägt Kopftuch, sie ist Türkin und Muslima. Das muss an sich auch nicht problematisch sein. Aber Aysel lebt in einer traditionellen Familie, und dort wählen die Eltern die zukünftigen Partner für ihre Kinder aus. Spätestens jetzt dürfte jedem klar sein, dass ein Ehemann Partner auf keinen Fall Alexander heißen wird.

Verkompliziert wird die Sache von Aysels Bruder. Ilhan. Er steht ihr besonders nahe, die beiden sind Zwillinge, geben sich gegenseitig Halt. Er kann ihr nicht wehtun, sie verurteilen oder verdammen. Weil es seine Aufgabe ist, für die Einhaltung der unbefleckten Ehre seiner Schwester und damit der Familie zu sorgen, ist der Konflikt unausweichlich.

Nicht nur, dass es die eigenen Vorstellungen Alexander und Aysel nicht einfach machen, zueinander zu finden und beieinander zu bleiben. Der Weg ist zudem mit Stolpersteinen übersät, die von Aysels Familie gesetzt sind. Und Aysel, die sich sicher ist, dass ihre Eltern mit ihrer Lebenserfahrung das Beste wollen und im Sinne ihrer Kinder entscheiden, beugt sich de Willen der Familie und entsagt der Liebe. Denn würde sie sich anders entscheiden, würde eine Tür für immer und ewig zufallen. Und dann könnte sie diese Welt, in der ihre Familie lebt, nicht mehr betreten.

Damit wären wir also weit entfernt von einem Märchen...

Es ist keine neue Geschichte, die uns Nur Öneren und Wolfgang Schnellbächer in "Unser wildes Blut" erzählen. Aber sie tun es auf erfrischend ehrliche Art und Weise. Einfühlsam, offen und mit Sympathie für beide Seiten.

Die Autoren lassen ihre Protagonisten mit viel Leidenschaft und Feuer für ihre Einstellungen eintreten und emotional agieren. Dabei decken sie Vorurteile und Missstände auf, legen Für und Wider dar, finden die richtigen Worte, ohne Partei zu ergreifen. Sie verdeutlichen den Zwiespalt zwischen Tradition und Moderne und zeigen auf, wie schwer es ist, sich von Prägungen zu lösen, ohne anerzogene Werte zu verleugnen und in einer Welt größter Versuchungen zu bestehen, in der es keine Regeln gibt, die Kummer und Verzweiflung zwischen den Menschen verhindern, wo jeder jeden betrügen und in den verzweifelten Wahnsinn treiben kann, ohne, dass irgendwer nur aufschaut. Ein schmaler Grad, einer, der nicht ohne Verletzungen von Gefühlen möglich ist.

Auf diesem schmalen Grad wandelt Aysel nicht allein, auch Ilhan ist hin und hergerissen. Da ist einerseits die Tatsache, dass er Emilie, ein deutsches Mädchen für seine Zwecke "benutzt", zu der er sich gleichzeitig hingezogen fühlt, Sehnsucht verspürt. Anderseits ist er bereit, den Wünschen seiner Familie zu folgen und später eine muslimische Frau zu heiraten, eingedenk der Tatsache, dass er den leisen Schmerz bei den Gedanken an Emilie in eine kleine Nische seines Herzens verbannen muss.

Obwohl die Autoren das Geschehen aus dem Blickwinkel von Ilhan und Alexander schildern, kommen die Ansichten von Aysel gut zum Ausdruck, wenngleich die Entwicklung ihrer Zuneigung zu Alexander etwas zu kurz geraten ist. In E-Mails und Briefen vermag sie es, Alexander und damit uns als Leser ihren Standpunkt näher zu bringen. So können wir nachvollziehbar, warum sie zweifelt und ihre Entscheidungen trifft.

Zu guter Letzt ist hervorzuheben, dass es den Autoren mittels poetischer Sprache und anrührender Worten gelingt, die Geschichte von Alexander und Aysel zu einem Märchen zu machen, bei dem wir immer hoffen, dass es gut ausgeht.

"Am Ende, dessen sind wir uns sicher, ist die Liebe das Kostbarste, was es gibt."

Veröffentlicht am 15.09.2016

Inselfeuer

Inselfeuer
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September 2007. Ruhe und Frieden sind wieder eingekehrt auf Öland. Der Sommer ist vorbei, die Touristen haben die kleine schwedische Insel verlassen. Die Öländer sind unter sich auf ihrem Eiland, dessen ...

September 2007. Ruhe und Frieden sind wieder eingekehrt auf Öland. Der Sommer ist vorbei, die Touristen haben die kleine schwedische Insel verlassen. Die Öländer sind unter sich auf ihrem Eiland, dessen spröde, stille Schönheit sich einem Fremden kaum erschließt.

Nun lodern jenseits der Idylle des schwedischen Urlaubsparadieses die Flammen auf. Ein Feuerteufel ist am Werk. Und die Bewohner des kleinen Örtchens Ormöga glauben, den Verursacher auch sofort ausmachen zu können.

Schon vor zehn Jahren hatte nämlich Jorma Brolin unter Verdacht gestanden, einen der ihren getötet und anschließend dessen Haus in Brand gesetzt zu haben. Und da Jorma schon auf Grund seiner voluminösen Statur nicht wie ein Unschuldslamm wirkt, sind sich die Öländer sicher, dass der unbeholfene 47-Jährige der Übeltäter ist. Jorma - nach dem Verlust seiner weißblonden dünnen Haare kahl geworden - ist zudem eine blasse, farblose Erscheinung und für viele nicht vertrauenserweckend. Die Menschen fürchten sich vor ihm. Die, die ihm das erste Mal begegnen, aber auch die, die ihn schon immer kennen. Leider trägt Jormas Verhalten nicht dazu bei, diesen Eindruck zu entkräften. Im Grunde ist er selbst zutiefst unsicher, schwach und geprägt von der Angst, dass seine Frau Yvonne ihn verlässt. Ohne sie kann er nicht leben. Dieser Furcht opfert er vieles und fügt sich immer wieder ihren Wünschen.

Doch ist er der Täter?

Sylvia B. Lindström kennt sich aus auf Öland. Seit vielen Jahren lebt sie dort. Mit Ormöga hingegen hat sie einen fiktiven Ort geschaffen. Übersetzt ins Deutsche heißt Ormöga Vergissmeinnicht. Ein Schelm, der Böses bei diesem Namen denkt.

Denn es geht nicht nur um eine Gemeinschaft, die nicht vergisst. Menschen, die den Eigensinn und Störrigkeit ihrer Insel in sich tragen, einander gewogen sind, helfen oder auch nicht, die einen festen Bund bilden, in den allerdings nicht jeder Aufnahme findet. Als Öländer wird man geboren. Öländer ist man oder man ist es nicht. Und wer es einmal mit den Öländern verscherzt, hat es schwer, nochmals Gnade vor ihren Augen zu finden. Nicht unbedingt vorteilhaft.

Es ist offensichtlich, dass in der Geschichte von Sylvia Lindström weniger die Kriminalhandlung, sondern vielmehr die Figuren im Mittelpunkt stehen: Jorma Brolin, die Anwältin Alasca Rosengren, ihre Großmutter Borghild, Stellan Qvist...

Die Brände als solches - und ebenso die Tötungsdelikte - geschehen eher am Rande und bilden den "Aufhänger" für einige Protagonisten, sich mit ihrer (vergessenen?) Vergangenheit zu beschäftigen und ihr Verhalten und ihre Gefühle in der Gegenwart auf den Prüfstand zu stellen.

Besonderes Augenmerk erhalten hierbei die unterschiedlichen Mutter-Sohn-Beziehungen, unter anderem die von Jorma und seiner Mutter. Borghild und Karl, Alasca und Kristian, Themen wie Vernachlässigung und Missbrauch.

Insgesamt gesehen sind die Figuren zum Teil recht unbequem und eigensinnig, verschlossen und ablehnend, verbittert und kühl. Sie müssen sich Sympathiepunkte beim Leser im Verlauf des Geschehens erarbeiten.

Es ist beispielsweise lobenswert, dass die Autorin mit Alasca keine Frau geschaffen hat, die unfehlbar und über jeden Zweifel erhaben ist. Der Umgang mit ihrem Sohn Kristian wird nicht als heile Welt suggeriert. Vielmehr vernachlässigt Alasca ihren Sohn, nicht willentlich, eher aus Unvermögen und Zerstreuung heraus. Schließlich ist sie in ihrem Beruf als Opferanwältin sehr eingespannt, so dass sie die kostbaren gemeinsamen Stunden mit ihrem Sohn allzu oft vergeudet.

Dabei ist Kristian ein kluges fantasievolles Kind und besitzt die Gabe, sich in andere Menschen einzufühlen. Er ist der geborene Optimist, der stets die Möglichkeiten, nicht die Schwierigkeiten sieht. Doch er verändert sich, und obwohl Alasca dies bemerkt, scheint sie nicht in der Lage zu sein, eine Änderung herbeizuführen. Sind daran die Erlebnisse in ihrer eigenen Kindheit schuld?

Hingegen zeigt sich Kristians Beziehung zu seiner Urgroßmutter Borghild, die er Mormor - Großmutter - nennt, inniger, zumal sie nur seinetwegen noch am Leben festhält.

Und welche Rolle spielt Stellan Qvist, der aus sogenannten einfachen Verhältnissen stammt und inzwischen zu den renommierten und wohlhabenden Öländern gehört? Hinter einer Fassade geschmeidiger Verbindlichkeit verbirgt er ein eher schüchternes Wesen, gilt als gutherzig, wenngleich er selten völlig selbstlos agiert und gute Taten mit für ihm Nützlichen verbindet. Als Anwalt wird er für schlau und durchtrieben gehalten, ist ein Meister der leisen Töne, nähert sich spitzfindig, eloquent und beharrlich seinem Ziel.

Außerdem zeigt sich, dass die Beziehungsstörungen selbst vor den Tieren nicht Halt machen. Mit Sir Noir fügt die Autorin einen tierischen Protagonisten in das Geschehen ein, der sein eigenes Päckchen zu tragen hat, das dem der Menschen durchaus ähnelt, so dass Parallelen gezogen werden können. Da das Pferd nicht in einer Herde aufgewachsen ist, versteht es die dort herrschenden Regeln nicht, so dass er von seinen Artgenossen gemobbt und unterdrückt wird. Zwar ist er das schwächste Tier in der Herde und ein Störenfried, gegenüber den Menschen aber spielt er sich auf und lehrt sie das Fürchten.

Diesbezüglich beweist die Autorin ihr Verständnis für Pferde, ihre Beobachtungsgabe und ihr Können im Umgang mit den Tieren und die daraus folgende Deutung des Verhaltens.

Das Geschichte ist vom Erzähltempo her sehr entschleunigt und liest sich manchmal etwas zäh. Zudem sind die vielen Szenenwechsel recht sprunghaft und irritierend. Es erschwert den Aufbau einer Verbindung zum Geschehen, das zwar düster, wiederum auch spannungsarm ist. Hier wäre in der Fortsetzung ein paar packende Momente wünschenswert.

Sylvia Lindström legt einen Roman vor, der hinsichtlich der Charakterstudie von Mensch und Tier mit wenigen Abstrichen überzeugen kann, hinsichtlich der Handlungsabläufe jedoch ausbaufähig ist.