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Veröffentlicht am 13.11.2017

Vom Anthropozän zum Maschinenzeitalter?

Das Erwachen
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"Kenia. Ein unscheinbarer Computer wird von einem Virus befallen. Ein kleines Programm, das sich rasend schnell im Internet ausbreitet und unzählige Rechner auf der ganzen Welt miteinander vernetzt. Überall ...

"Kenia. Ein unscheinbarer Computer wird von einem Virus befallen. Ein kleines Programm, das sich rasend schnell im Internet ausbreitet und unzählige Rechner auf der ganzen Welt miteinander vernetzt. Überall kommt es zu Störfällen, die Stromversorgung bricht zusammen. Alles, was am Internet hängt, gerät außer Kontrolle. Die Regierungen beschuldigen sich gegenseitig, die Staaten geraten an den Rand eines globalen Krieges. Der Hacker Axel Krohn und seine Verbündete Giselle suchen nach einem Weg, das Virus aufzuhalten. Doch dabei entdecken sie etwas viel Größeres: Der Moment, vor dem die Wissenschaftler immer gewarnt haben, ist gekommen - die erste Maschinenintelligenz ist erwacht...."

Das digitale Zeitalter hat längst begonnen! Die globalisierte Welt funktioniert nicht mehr ohne Computer, Internet, elektronische Steuerung fast aller Tätigkeiten, die bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts noch manuell und oft unter großem Aufwand von Zeit und Kraft erledigt werden mussten.
Diese Zeiten sind vorbei, die Computer und ihre nahezu unbegrenzten Möglichkeiten erleichtern das Leben der Menschen ungemein und es ist erstaunlich, zu beobachten, mit welch rasender Geschwindigkeit sich die digitalisierte Welt weiterentwickelt und unser aller Leben zunehmend verändert.
Was vor zehn Jahren nur für Wissenschaftler und Menschen mit Weitblick denkbar war und ihnen Anlass zu Besorgnis gab, ist Wirklichkeit geworden - und man mag sich kaum vorstellen, was alles noch denkbar und im Bereich des Machbaren ist.

Könnte es wirklich in nicht allzu ferner Zukunft geschehen, dass die Spezies Mensch nicht mehr Wohl und Wehe unseres Planeten bestimmt? Könnte es sein, dass wir vom "Anthropozän", dem Menschenzeitalter, sehr bald schon übergehen in das Maschinenzeitalter, in dem intelligente Maschinen den Menschen alle Entscheidungen aus der Hand nehmen, sie lenken und leiten, oder ihnen gar den Garaus machen?

Mit einem solchen möglichen Szenario beschäftigt sich Andreas Brandhorst in seinem neuen Thriller "Das Erwachen", der im Jahre 2031, also in der nahen Zukunft spielt.
Der Autor entwickelt eine überaus spannende, furchterregende, nervenzerreißende Geschichte, die ihre Wurzeln in der Realität hat und in der eine Maschinenintelligenz durch den Fehler eines Hackers zum Leben erweckt wird.
Er stellt sich die Frage, was mit unserer Welt geschehen würde, wenn künstliche Intelligenz, an deren Entwicklung nicht nur eifrig gearbeitet wird, sondern die bereits vielfach existiert in allen Bereichen unseres Lebens, zu einer echten Maschinenintelligenz mutiert.

Nach der Lektüre des fesselnden, hervorragend geschriebenen Thrillers, der den Leser atemlos zurücklässt, kann man nur wünschen und hoffen, der Autor möge sich irren und die von ihm geschilderte Machtübernahme von intelligenten, allwissenden, omnipotenten, alles kontrollierenden, letztend aber vom Menschen in seiner Hybris, die Weitblick ausschließt, selbst gemachten, selbst verantworteten Maschinen und deren desaströse Folgen mögen reine Fiktion bleiben.
Denn es ist fürwahr erschreckend zu lesen, wie die Maschinenintelligenz, die weil die Menschen für alles einen Namen brauchen, wechselweise Smiley oder Goliath genannt wird, kurz nach ihrer "Geburt" bereits das tägliche Leben der Menschen auf dem gesamten Planeten empfindlich stört, denn nichts mehr geht, was bisher auf Knopfdruck funktionierte: der Straßenverkehr kommt zum Erliegen, Flugzeuge stürzen ab, Aufzüge bleiben stecken, automatische Türen öffnen sich nicht mehr, Geldautomaten und Ladenkassen funktionieren nicht mehr, es gibt kein Licht, kein Wasser...
Und unweigerlich sterben Menschen, die auf digital gesteuerte Maschinen angewiesen sind, um am Leben bleiben zu können.
Sehr bald auch bewahrheitet sich das Sprichwort, dass "der Mensch des Menschen Wolf" sei - denn wenn es ums Überleben geht, um die Rettung der eigenen Haut, kennen wir Menschen kein Erbarmen!

Doch da ist zum Glück das Häuflein sympathischer Aufrechter, eben jene weitblickenden Mahner und der unglückselige Hacker selbst, die alles daran setzen, um nicht nur einen Krieg zu verhindern sondern auch und vor allem mit der Maschinenintelligenz in Kontakt zu treten - und damit vielleicht die Menschheit zu retten. Ob ihnen das wohl gelingt? Ob es wohl eine Zukunft für die Menschheit unter ganz anderen Bedingungen geben mag? Und was könnte der Preis dafür sein?

Aber dem soll nicht vorgegriffen werden - wie überhaupt jeder Versuch, diesem beklemmend realistischen, so komplexen Thriller in einer möglichst informativen, aber nicht zuviel verratenden Besprechung gerecht zu werden, eben nur ein Versuch bleiben kann.
Man muss den Roman einfach selbst lesen und sich damit auf ein Abenteuer einlassen, das man so schnell nicht vergessen wird und das womöglich dem einen oder anderen Leser Denkanstoß sein wird und ihn sensibilisiert für die Gefahren, die aus zügel- und verantwortungslosem Vorantreiben einer nur bis zu einem gewissen Grad vom Menschen beherrschbarer Technik für uns alle erwachsen könnten!

Veröffentlicht am 31.10.2017

Zwei berühmte Geschwisterpaare und ein Mordfall

Grimms Morde
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Die beiden Schwestern Jenny und Annette von Droste-Hülshoff aus Münster reisen ins hessische Kassel, um den Brüdern Jacob und Wilhelm Grimm bei der Aufklärung eines Mordes beizustehen, dessen sie verdächtigt ...

Die beiden Schwestern Jenny und Annette von Droste-Hülshoff aus Münster reisen ins hessische Kassel, um den Brüdern Jacob und Wilhelm Grimm bei der Aufklärung eines Mordes beizustehen, dessen sie verdächtigt werden.
Die Dichterin, die zum Zeitpunkt der Handlung, um 1820, erst Mitte Zwanzig war und deren schriftstellerische Ambitionen noch kaum Anerkennung fanden, fühlt sich verantworlich dafür, dass die Brüder, vor allem der Ältere, Jacob, unter Mordverdacht gerieten, weil bei der Leiche, einer ehemaligen Mätresse des Kurfürsten, ein Zitat gefunden wurde, das aus einem der Märchen stammt, die sie und ihre Schwester der Märchensammlung der Brüder haben zukommen lassen und, heimlicherweise, sogar selbst verfasst haben.
Die Ermittlungen gestalten sich mühselig, allerlei Hindernisse werden den Geschwisterpaaren in den Weg gestellt - und bald wird der gescheiten Annette klar, dass dem bei den Kassler Autoritäten wenig beliebten Jacob die Rolle des Sündenbocks zugeschoben werden soll. Mit der ihr eigenen Klugheit, Rationalität und einer gehörigen Portion unkonventioneller Unbefangenheit macht sie sich daran, auf eigene Faust und gelegentlich auch inspiriert durch Jacob, der seinerseits auch ermittelt, den wahren Mörder zu finden.
Aber ob das gutgehen mag in einer Epoche, in der den Frauen Eigenständigkeit und Selbstbestimmung weitgehend versagt wurde, in der sie sich unterordnen mussten und den Männern alles andere als ebenbürdig angesehen wurden?

Im Rahmen der historischen Fakten hat sich Tanja Kinkel eine Geschichte ausgedacht, die sich durchaus so hätte zutragen können, denn die vier Protagonisten ihres historischen Romans, in dem ein fiktiver Kriminalfall im Mittelpunkt steht, kannten einander, wenn auch nicht auf die hier geschilderte Weise.
Wie hätte eine Zusammenarbeit der beiden Geschwisterpaare aussehen können und wäre eine solche überhaupt möglich gewesen angesichts der damals herrschenden strengen Rollenverteilung der Geschlechter?

Sich eng an die jeweiligen Biographien und vorhandenen Zeugnisse, Briefe, etc. haltend ersinnt die Autorin ein mögliches Szenario, in dem sie die Grimms und die Drostes miteinander agieren lässt, getreu ihrer Persönlichkeiten.
Annette erscheint uns als selbstbewusste und überraschend unkonventionelle junge Frau, die durch ihre Intelligenz, ihren Scharfsinn und ihre Schlagfertigkeit keinen leichten Stand in der Zeit hatte, in der sie lebte, während ihre Schwester und lebenslange engste Vertraute, Jenny, durchaus dem damaligen Frauenbild entsprach, ohne dass sie dabei allerdings ihre Persönlichkeit opferte.

Doch lernen wir zu Beginn der Romanhandlung eine Annette kennen, die aufgrund einer einschneidenden, sie peinigenden "Lektion" auf dem Gut ihres wenig sympathischen Onkels seltsam niedergedrückt, beinahe leblos erscheint, beladen von Schuldgefühlen.
In dem Maße, in dem dem Leser jene geheimnisvolle Bökendorfer Intrige, dem zweiten Hauptthema des Romans, ganz allmählich aufgedeckt wird, gewinnt Annette ihr Selbstbewusstsein im Zuge der Auflösung des Mordfalls, der sie gefangen nimmt, zurück und sie wird sich bewusst, dass es nicht an ihr ist, sich Vorwürfe wegen etwas zu machen, dessen unschuldiges Opfer sie geworden war.

Auch die Gebrüder Grimm müssen mit Schuldgefühlen und eigenen Fehlern kämpfen, auch sie werden am Ende des Romans klüger und um einige Erfahrungen reicher sein als zu Beginn. Und der jüngere von ihnen, Wilhelm, muss schmerzlich erkennen, dass er sein mögliches Lebensglück durch Unachtsamkeit und falsche, seinen Emotionen geschuldete Entscheidungen selbst verspielt hat.

Die Interaktionen zwischen den beiden historischen Geschwisterpaaren, ihre geistreichen, scharfen, hintersinnigen Dialoge, gar ihr verbaler Schlagabtausch, ihr Annähern, Akzeptieren und schließlich Verstehen geben der Geschichte ihren besonderen Reiz, sind unnachahmlich in Szene gesetzt und, bei allem Ernst, auch vergnüglich zu lesen.
Im Zusammenwirken mit den vielen Hintergrundinformationen zur Gesellschaft, der Politik und den damals herrschenden Sitten und Gepflogenheiten geben sie einen detaillierten Einblick in die Zeit nicht lange nach den Napoleonischen Kriegen, spannender als so manche Geschichtsbücher oder -lehrer es vermögen.

Dass dabei der Mord an sich, der die Grimms und Drostes ursprünglich zusammengeführt hat, ins Hintertreffen gerät, ist zu verschmerzen. Viel aufregender als er sind die Begegnungen zwischen den Drostes und den Grimms, ist das, was sich zwischen ihnen abspielt, ist jener geheimnisvolle Vorfall auf Bökendorf, der so etwas wie ein roter Faden in dem Roman ist. Denn lange dauert es, bevor der Leser erfährt, was sich denn tatsächlich so Schreckliches, so Unerhörtes dort abgespielt hat.
Auf jeden Fall ist Tanja Kinkel auch mit "Grimms Morden" wieder ein unterhaltsamer hervorragend recherchierter, unbedingt empfehlenswerter Roman ( mit kriminalistischen Elementen! ) gelungen, der seinesgleichen sucht!

Veröffentlicht am 22.10.2017

Claires Rache

Aux Champs-Élysées
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Philippe und Claire führen seit 25 Jahren eine zwar wenig aufregende aber doch anscheinend stabile Ehe. Zwar hat Philippe immer wieder Affären, weiß diese aber so diskret zu behandeln, dass, so glaubt ...

Philippe und Claire führen seit 25 Jahren eine zwar wenig aufregende aber doch anscheinend stabile Ehe. Zwar hat Philippe immer wieder Affären, weiß diese aber so diskret zu behandeln, dass, so glaubt er, seine ihm Angetraute davon nichts ahnt. Jedenfalls waren sie für ihn nie ein Grund, das für ihn so perfekt funktionierende häusliche Arrangement aufzukündigen und sich von Claire zu trennen.
Bis ihm eines Tages die Ärztin Isabelle begegnet! Claire, die längst nicht so naiv ist, wie ihr Mann glauben möchte, sinnt auf Rache - und als die Zeit gekommen ist, führt sie diese so planvoll, uhrwerkartig, perfide und grausam aus, dass der Leser aus dem Entsetzen gar nicht mehr herauskommt...

Was für ein böser, böser Krimi, den sich Mara Ferr da ausgedacht hat!
Im Mittelpunkt steht das Ehepaar Bonnet, wohlhabend, scheinbar sorglos, gutbürgerlich, unspektakulär und auf den ersten Blick zugegebenermaßen ziemlich langweilig. Ihr Leben ist wohlgeplant, durchorganisiert von der Ehefrau, die sich ganz ihren hausfraulichen Pflichten verschrieben hat, während der hart arbeitende Ehemann beruflich stark eingespannt ist und für den Wohlstand der Familie sorgt. Die Rollenverteilung ist in dieser Ehe klar!
Doch lässt die Autorin den Leser nach und nach hinter die Kulissen schauen, bis schließlich die Fassade zerbröckelt und das klischeehafte Ehepaar in seiner ganzen hässlichen Nacktheit vor ihm steht und die Lüge, die sowohl Philippe als auch Claire gelebt haben, aufgedeckt wird.
Darüberhinaus erhalten wir Einblick in die besessene, kranke Psyche der betrogenen Ehefrau, haben teil an der unaufhaltsamen Vollendung von Claires Rache, die einen skrupellosen, manipulativen Charakter offenbart, der einen immer wieder aufs Neue erschauern lässt.

Es gelingt der so gefällig schreibenden Mara Ferr mühelos, den Leser von Anfang an in Spannung zu halten, immer neugierig darauf, was die Hauptfigur, Claire, denn wirklich beabsichtigt und ob ihre Rechnung wohl aufgehen wird.
Bald kommt auch Sorge um die beiden Nebenfiguren hinzu, die von Claire benutzt werden, um ihr grausames Spiel zuerst in die Tat umzusetzen und dann zu vollenden.
Und diese Nebencharaktere sind auch die einzigen Sympathieträger des Romans während man den beiden Protagonisten, vor allem der psychopathischen Ehefrau, kaum gewogen sein kann.

Leider aber fällt im letzten Viertel des elegant und in angenehm kurzen, überschaubaren Kapiteln geschriebenen pechschwarzen Paris-Krimis der Spannungsbogen, der sich so kontinuierlich aufgebaut hatte, abrupt ab; der Leser steht verwundert davor und fragt sich, wo denn das Versatzstück sein mag, das die bisher so folgerichtige Handlung mit dem eigenartigen und für mich nicht nachvollziehbaren Ende verbindet, durch das der Roman ganz und gar ins Absurde abgleitet und von dem ich keineswegs sicher bin, es richtig verstanden zu haben.
Doch womöglich ist genau das die Absicht der Autorin, die sich gedacht haben mag, dass es für all die von ihr so packend geschilderten Bösartigkeiten keine Auflösung, keinen befriedigenden, ja, gar keinen Schluss geben kann...

Ein, wie bei Mara Ferr gewohnt, sehr ungewöhnlicher Krimi, in dem die so gar nicht heile Welt hinter den Mauern der Wohlstandsbürgerhäuser aufs Korn genommen und entlarvt wird und den ich trotz aller Kritik auch empfehlen kann!

Veröffentlicht am 20.10.2017

Von Kornkreisen, Stalkern, toten Grafen und fiesen Vorgesetzten

Buttgeflüster
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Kornkreise am Passader See, Hanna Hemlokks Heimat, sorgen dafür, dass Ruhe und Beschaulichkeit vorbei sind! In Scharen tummeln sich hier jetzt Esoteriker jedweder Couleur und Neugierige, um nach Außerirdischen ...

Kornkreise am Passader See, Hanna Hemlokks Heimat, sorgen dafür, dass Ruhe und Beschaulichkeit vorbei sind! In Scharen tummeln sich hier jetzt Esoteriker jedweder Couleur und Neugierige, um nach Außerirdischen oder übersinnlichen Kraftquellen zu suchen, obwohl sich Hanna fast sicher ist, dass sich jemand aus dem Dorf einen Spaß erlaubt hat oder dass der Tourismusverein das Geschäft beleben möchte. Vielleicht aber gibt es auch eine natürliche Erklärung, denn die Rehe sind gerade in der Brunft...
Und als wäre das nicht genug, um Hannas Frieden zu stören, wird sie mit zwei Fällen beauftragt, deren Nachforschungen sich reichlich skurril gestalten: zum einen bittet sie eine Frau Schmale, den vermeintlichen Unfalltod ihres Mannes beim Joggen zu untersuchen, zum anderen erscheinen Freund Johannes und zwei Kornkreisjünger, die Juliane, eine der Ihren und selbsternanntes Engelmedium vermissen. Hanna, die sich zu allem Überfluss noch einer Stalkerin erwehren muss, hat plötzlich alle Hände voll zu tun...

Hanna Hemlokk, hauptberuflich Schreiberin von Herz-Schmerz-Geschichten für Frauenzeitschriften und nebenberuflich Ermittlerin, dürfte einigen Lesern schon eine alte Bekannte sein.
"Buttgeflüster" ist nämlich bereits der siebte Roman, dessen Protagonistin sie ist.

Als Küsten-Krimi bezeichnet die Autorin ihre Geschichte - und ja, Hanna hat immer auch einige Kriminalfälle zu lösen, aber im Mittelpunkt stehen doch immer eher das private und soziale Leben der Hauptperson und die vielen Verflechtungen, die zwischen ihr und ihren Mitmenschen bestehen.
Das ist auch so in "Buttgeflüster", dessen Titel auf ein spezielles Fischgericht zurückgeht, das auch hier im Roman kredenzt wird.
Die beiden Fälle, die Hanna zu lösen hat, sind außerordentlich verwirrend und die Auflösung ist mehr als mühsam und letztendlich auch einigermaßen absurd.

Als Krimi empfinde ich den Roman nur als mittelspannend, entschieden zu langatmig und leider wenig interessant, was aber mit dem gewählten Thema zu tun haben mag.
Und wäre da nicht der ständig präsente Wortwitz, mit dem Ute Haese ihre Figuren ausstattet und der für das Fehlen einer zündenden Handlung ein wenig entschädigt, gäbe es nicht das mehr als ungewöhnliche und turbulente Privatleben der Ermittlerin und ihre Empfindungen, an denen uns die Autorin teilhaben lässt, dann müsste ich diesen Roman als langweilig und viel zu lang, zu ausführlich bezeichnen. Allzu oft verliert er sich stark in Nebensächlichkeiten und immerwährenden Spötteleien über die Schar der Esoteriker, der Engelmedien und gewisser unerträglicher Chauvinisten.

Unter den zahlreichen Handlungssträngen ragt für mich einzig derjenige heraus, der der Stalkerin gehört, derer sich Hanna erwehrt, vor der sie auf der Flucht ist und wegen der sie sich gezwungen sieht, auf Schleichwegen ihr Haus zu verlassen. Hier zeigt sie ganz gewiss paranoide Züge, zumal die Stalkerin sich letztend als völlig ungefährlich herausstellt.
Amüsant zu lesen war das gewiss. Und ein netter Einfall war es obendrein - und rettete für mich den Krimi ein wenig, mit dem ich ansonsten eher weniger anzufangen weiß. Dennoch wird er selbstverständlich seine Freunde finden...

Veröffentlicht am 18.10.2017

Eine Gewalttat und ihre generationsübergreifenden Auswirkungen

Die Mutter meiner Mutter
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Sabine Rennefanz erzählt die Geschichte ihrer Großmutter Anna, die nach dem Krieg als Heimatvertriebene in einem kleinen Ort in der sowjetischen Besatzungszone landet, den sie nie mehr verlassen sollte, ...

Sabine Rennefanz erzählt die Geschichte ihrer Großmutter Anna, die nach dem Krieg als Heimatvertriebene in einem kleinen Ort in der sowjetischen Besatzungszone landet, den sie nie mehr verlassen sollte, obwohl er ihr zu keinem Zeitpunkt ihres Lebens zur Heimat wurde.
Die Enkelin erinnert sich an die Großmutter als harte Frau, die nie Nähe zuließ, und von ihrer Mutter, Annas Tochter, weiß sie, dass sie auch als Mutter nicht dem landläufigen Ideal entsprach, denn sie schlief gerne lange, kochte nicht für ihre Kinder und ließ sie nicht selten schmutzig zur Schule gehen. Das Verhältnis zu ihr blieb distanziert!
Der Großvater jedoch, Annas Mann, treusorgend er, wurde nicht nur von seinen Töchtern verehrt sondern auch die Enkelin hat ihn in liebevoller Erinnerung. Bis eines Tages, bereits nachdem der Großvater gestorben war, der Mutter der Autorin Ungeheuerliches über den geliebten Vater zu Ohren kommt, das sie sehr zögerlich mit ihrer Tochter teilt und das diese die Vergangenheit der Großeltern in einem neuen, verstörenden Licht sehen lässt...

So steht also ein Familiengeheimnis im Mittelpunkt der Geschichte, dem die Autorin langsam auf den Grund kommt.
Auf ihrer Spurensuche lernt sie mehr über ihre Großeltern, vor allem über ihre Großmutter, die ihrer Familie so fern und doch auf seltsame Art eine verlässliche Konstante in ihrer aller Leben war, da sie einfach immer da war.
Sabine Rennefanz erfährt von Annas Jugendzeit im heutigen Polen, von der Vertreibung der deutschstämmigen Bevölkerung am Ende des Krieges, zu der auch Annas Familie gehörte, von den ersten Jahren in dem Dorf, in das es die Großmutter, ihre Stiefmutter und zwei kleine Brüder verschlagen hatte und in dem sie sich, erst vierzehnjährig, als schwerarbeitende Magd verdingen musste.
Und schließlich erfährt die Autorin auch den Grund für das merkwürdig distanzierte Verhältnis der Großeltern, für ihre von gegenseitiger Abneigung, ja sogar von Hass geprägten Ehe.

Doch gleichzeitig nähert sie sich der Großmutter an, die sie neu kennen- und immer besser verstehen lernt, je mehr Einzelheiten aus ihrem Leben und dem unaussprechlichen Vorfall zwischen den Großeltern ans Tageslicht kommen.
Es handelt sich dabei um eine Gewalttat, die beim Leser sicherlich eine Menge Fragen aufwirft und auch Unverständnis hervorrufen mag.
Wie konnte dieses Unrecht so lange vertuscht werden, wie konnte es ohne Folgen bleiben für den Schuldigen? Die Antwort ist so unspektakulär wie auf der Hand liegend und erklärt sich aus der Zeit vor 70 Jahren, als noch andere Moralvorstellungen herrschten als heute, als die Menschen, die während des Krieges und auch danach vielfach dem Tod entronnen waren, weit Schlimmeres erlebt hatten und in der das Überleben an sich wichtig war.
Zudem war Anna ein ungeliebter Flüchtling, ohnehin von den Dorfbewohnern misstrauisch beäugt. Wer hätte ihr geglaubt, wär hätte ihre Partei ergriffen?

Anna, das Opfer, hat nach der Vergewaltigung einfach alle Hoffnungen auf einen Neuanfang, auf ein besseres Leben begraben, hat sich zurückgezogen in ihre eigene Welt, schweigsam, unnahbar und ließ dadurch zu, dass ihr Erlebnis Schatten auch auf ihre Nachkommen warf, die von immer wiederkehrenden Ängsten geplagt werden, ja sogar die gleichen Albträumen haben.
Und erst gegen Ende ihres Lebens, nachdem die Wahrheit ans Tageslicht gekommen ist und die Großmutter ihre verlorene Heimat noch einmal wiedersieht, weicht der harte Panzer auf, wird die Großmutter zugänglich und so mitteilsam, wie sie es nie zuvor gewesen ist....

All dies erzählt Sabine Rennefanz in ruhiger, unaufdringlicher, undramatischer Sprache - ein Stück Gegenwartsgeschichte, deren Erinnerung es zu bewahren und auch in den folgenden Generationen aufzuarbeiten gilt.