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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 15.09.2016

Habe mir mehr erhofft

Nichts ist okay!
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Rashad wird beim Einkaufen von einem Polizisten des Diebstahls verdächtigt und brutal zusammengeschlagen. Erst im Krankenhaus kommt er wieder zu sich. Während er versucht, das Geschehen zu verstehen und ...

Rashad wird beim Einkaufen von einem Polizisten des Diebstahls verdächtigt und brutal zusammengeschlagen. Erst im Krankenhaus kommt er wieder zu sich. Während er versucht, das Geschehen zu verstehen und einen Weg aus der Opfersituation zu finden, erlebt sein Mitschüler Quinn ähnliches. Er hat den Übergriff gesehen. Ausgerechnet der Bruder seines besten Freundes war der Polizist und nun muss Quinn sich fragen, was eigentlich richtig im Leben ist.
Ich war sehr gespannt auf das Buch, gerade durch den Untertitel Zwei Seiten einer Geschichte. Die Ernüchterung erfolgte dann bereits im ersten Teil des Romans sehr schnell. Rashads Sicht erklärt ihn eindeutig zum Nichts-Schuldigen und auch Quinn ist schockiert angesichts der Gewalt seines Bekannten. Der große Konflikt bleibt aus. In leichten Schritten erkennt Quinn, dass Gerechtigkeit wichtiger ist, als Freunde zu beschützen und Rashad entwickelt sich zum stilisierten Helden.
Ich hatte mir da einfach mehr erhofft. Beide haben ihre kleineren Momente. Etwa, wenn Rashads Vater, ehemaliger Polizist, erklärt, dass er auch einmal nur wegen des Aussehens den Falschen angeschossen hat. Oder wenn Quinn mit seiner Freundin darüber redet, dass Rassismus auch alltäglich sein kann und keine weißen Kapuzen braucht. Wenn die Lehrerin weint, weil sie ein Buch zum Thema Rassismus nicht lesen darf oder der Basketballtrainer alle Konflikte vom Spielfeld verbannt. Die Ansätze sind da, sind gut, könnten viel. Aber meist bleiben sie eben oberflächlich, nur Ansätze.
Auch der Stil konnte mich nicht packen. Fast schon gezwungen wirkte die Jugendsprache der beiden Ich-Erzähler. Aufgesetzte Lässigkeit, die sich dann doch schnell zurückzieht, weil das Thema zu ernst ist. Vielleicht kommen Jugendliche und Wenigleser da besser rein – mir hat das einfach nicht Er bleibt aber flüssig und gut zu lesen. Die Jugendsprache sticht sich nicht mit dem Rest.
Der Roman wertet die Geschehnisse des Übergriffs gleich zu Beginn. Es ist zu keinem Moment eine Frage, ob nun der Polizist oder Rashad im Recht waren. Das ist in jedem Fall eine klare und aus meiner Sicht richtige Botschaft, vereinfacht aber das Problem zu sehr. Außerdem nimmt es viel Spannung aus dem Buch. Rashad wird als Opfer und Held gefeiert. Wichtig finde ich dabei, dass im Buch selbst klar wird, welchen Einfluss die Medien darauf haben. Die erste Berichtserstattung ist es, die bereits klar stellt, dass die Gewalt nicht angemessen war, noch bevor in Frage gestellt wird, ob Rashad unschuldig ist.
Ich halte das Thema und damit auch das Buch durchaus für wichtig. Gerade darum habe ich mir aber mehr Tiefe und Konflikt gewünscht. Die moralische Sicht der Dinge wird an keiner Stelle angezweifelt und so fehlt gerade das, was der Roman eigentlich verspricht: die zweite Seite der Geschichte.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Witzug, intelligent, genial

Miles & Niles - Hirnzellen im Hinterhalt
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Miles ist sauer. Er ist umgezogen und muss sich jetzt an seiner neuen Schule im Kuhkaff Yawnee Valley neu behaupten, als Trickser, denn das ist er. Blöd, dass es in Yawnde Valley bereits einen Trickser ...

Miles ist sauer. Er ist umgezogen und muss sich jetzt an seiner neuen Schule im Kuhkaff Yawnee Valley neu behaupten, als Trickser, denn das ist er. Blöd, dass es in Yawnde Valley bereits einen Trickser gibt und einen verdammt guten noch dazu. Mit Schulleiter Barkin im Nacken, der in Miles bereits eine Gefahr wittert, dessen Sohn, der Schulschläger ist und Lehrerliebling Niles, der für einige Überraschungen gut ist, hat Miles einiges zu tun. Und irgendwo muht bestimmt gerade eine Kuh.
Die muhende Kuh ist der wiederkehrende Witz. Nach nur wenigen Seiten meinte Mutter, da bekäme man ja eine Kuhphobie. Lest das Buch zu ende, rate ich euch. Ich habe es zusammen mit meinem Sohn gelesen und wir fanden es beide toll. Am Ende sagte er „Mama, das Buch will ich noch ganz oft lesen“.
Der Plot ist spannend und gut durchdacht. Miles erlebt an der neuen Schule eine völlig neue Situation, da er weder der beste Trickser ist, noch so weiter machen kann wie bisher. Der Trickser der Schule entlarvt ihn, aber nur für ihn selbst. Miles erkennt also eigene, alte Fehler, er muss über sich selbst reflektieren und sich weiter entwickeln. Teilweise wird er dann auch mal eher negativ gezeigt, so dass er kein absolut perfekter Held ist. Das fand ich ganz angenehm. Miles muss kämpfen, für sich selbst und auch um ein besseres Selbst zu erreichen.
Dabei kassiert er Niederlagen ein und entscheidet sich für Kompromisse. Mal davon abgesehen, dass wohl kein Elternteil will, dass sein Kind sich als Schultrickser verdient macht, lernt Miles seinen Kopf zu benutzen, zielstrebig zu sein und kreativ. Und das sind durchaus positive Eigenschaften, die hier amüsant und kindgerecht weitergegeben werden.
Toll fand ich die Sprache, die eben nicht ganz so einfach ist. Sie besticht eher durch Wiederholungen und Wortspielereien (schon der Name der zwei Figuren Miles und Niles ist hier ein gutes Beispiel), hat es manchmal aber ganz schön in sich. Die komplizierteren Wörter finde ich als Erwachsene natürlich angenehmer zu lesen, aber auch mein Sohn hat dabei wertvolle Lesekompetenzen erfahren und einiges gelernt. Das Buch ist also durchaus was fürs Köpfchen, in mehrerer Hinsicht.
Die Charaktere sind dabei, bis auf Miles und Niles, relativ eindimensional, wie für Kinder-/Jugendbücher üblich. Dass gerade die Hauptfigur(en) herausstechen unterstützt natürlich die Geschichte, führt aber auch zu einer anschaulichen Verkörperung zwischen Sein/Schein und der bereits erwähnten Figurenentwicklung. Das gibt es nicht so oft in Büchern für diese Altersgruppe (meiner Meinung nach vor allem so für 9-13), führt aber toll an mehr Literatur und vor allem komplexere Bücher heran.
Mein Sohn und Ich fanden es ganz toll und er freut sich schon darauf, es morgen seiner Schulkasse vorzustellen.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Genial

Tintenwelt 1. Tintenherz
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Meggie lebt mit ihrem Vater Mo zwischen Büchern. Er ist Buchbinder und oft reisen die beiden zu den merkwürdigsten Menschen und ihren Büchern. Und wie Mo lieb auch Meggie Bücher über alles. Eines Nachts ...

Meggie lebt mit ihrem Vater Mo zwischen Büchern. Er ist Buchbinder und oft reisen die beiden zu den merkwürdigsten Menschen und ihren Büchern. Und wie Mo lieb auch Meggie Bücher über alles. Eines Nachts sieht sie vor ihrem Fenster eine merkwürdige Gestalt. Es ist Staubfinger, ein Bekannter ihres Vaters, der diesen warnt. Schon am nächsten Tag fliehen Meggie, Mo und Staubfinger vor Capricorn, einem Mann, der unbedingt ein Buch von Mo haben will. Tintenherz. Doch auch bei ihrer Tante Elinor sind sie nicht vor Capricorn sicher. Und dann erfährt Meggie unglaubliches über ihren Vater und die Nacht, als ihre Mutter verschwand.Dieses Buch ist absolut lesenswert. Es ist in sich eine Liebeserklärung an Bücher, an Geschichten und die Macht des Vorlesens. Es gibt immer wieder Anspielungen auf andere Bücher und das Buch als solches wird als Wertobjekt gezeigt. Lesen ist hier kein Zeitvertreib, Lesen ist geradezu Notwendigkeit.
Die Handlung ist absolut spannend und packend aufgebaut. Der Leser wird hauptsächlich mit einem personalen Erzähler auf Meggie konzentriert. Ab und zu kommt eine Nebenfigur in den Fokus, aber eher selten. So bleibt Meggie als Protagonistin am klarsten, aber auch die Nebenfiguren erfahren genug Raum. Das Geheimnis um Mo wird dann auch nur nach und nach gelüftet. Sehr gelungen finde ich die Mischung aus Angst und Hoffen, die Meggie fühlt, wenn es darum geht, dass sie die Kräfte ihres Vaters geerbt haben könnte.
Schön ist auch, wie die Figuren zusammenspielen, sich entwickeln und miteinander wachsen. So werden anfänglich eher flache Charaktere wie Tante Elinor im Verlauf zu vielschichtigen Persönlichkeiten, die Schwächen und Stärken zeigen. Natürlich entwickelt sich auch Meggie und verändert sich nicht nur in sich selbst, sondern auch in Bezug auf ihren Vater und ihre Umwelt. Die anfängliche Allmacht Mos muss seinen vergangenen Fehlern weichen, die Meggie endlich erkennt, die wechselnden Ansichten in Bezug auf Staubfinger zeigen klar die verschiedenen Perspektiven auf. Auch die unterschiedlichen Antriebe der Figuren werden so deutlich.
Ausgerechnet Capricorn als Bösewicht bleibt aber ein Stereotyp, eine groteske Figur, dessen Antrieb unerklärlich bleibt. Das passt auch nur insofern, als dass er im Buch ja bereit eine fiktive Gestalt darstellt.
Der Stil ist ausgefeilt. Kindische und unzureichende Beschreibungen haben hier keinen Platz. Stattdessen zieht Cornelia Funke den Leser hier genauso in die Geschichte, wie Mo es in Tintenherz schafft, die Figuren aus den Büchern heraus zu lesen. Der Grundgedanke des Miterlebens einer Geschichte – auf die eine oder andere Art – ist hier so genial aufgegriffen, dass Tintenherz in keinem Bücherregal eines echten Bücherfreundes fehlen sollte.