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Veröffentlicht am 08.12.2024

Flüssiger Schreibstil, aber die guten Ansätze gehen in Logiklöchern und Überzeichnung unter

Nachtwald
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"Nachtwald" ist vom Einband her ein echter Hingucker - kräftige Farben, ein passendes, stimmungsvolles Motiv. Die zahlreichen Regentropfen auf dem Einband sind nicht nur bildlich dargestellt, sondern auch ...

"Nachtwald" ist vom Einband her ein echter Hingucker - kräftige Farben, ein passendes, stimmungsvolles Motiv. Die zahlreichen Regentropfen auf dem Einband sind nicht nur bildlich dargestellt, sondern auch leicht erhoben, man spürt also jeden einzelnen Regentropfen auf dem Einband. Tolle Kombination von visuellem und haptischen Erleben. Das Einbandmotiv ist gelungen genretypisch und dennoch innovativ - eine erholsame Abwechslung von den ganzen einfallslosen "Frau-rennt-weg"-Einbänden, auf welche in diesem Genre sonst viel zu oft zurückgegriffen wird. Rundum gelungen!

Auch der Klappentext macht neugierig und verspricht eine spannende Geschichte. Der Einstieg ins Buch ist erfreulich - wenn ich auch auf das abgenutzte Stilmittel des Prologs verzichten könnte, der sich liest wie unzählige andere Prologe solcher Bücher. Die Autorin schreibt einen leichten, angenehm lesbaren Stil und kann das alte Herrenhaus inmitten des Walds herrlich beschreiben. Die Beschreibungen sind durchweg farbig und rufen die Szenerie lebhaft vor Augen. Das hat mir ausgezeichnet gefallen. Auch die Charaktere machen zunächst neugierig. Wir erfahren die Geschehnisse durch die Augen Lizzies, die gerade einen sechsmonatigen Alkoholentzug beendet hat und die Beziehung zu ihrer Mutter und ihrem Bruder vorsichtig wieder aufbauen muß. Aus dieser Konstellation ergeben sich die besten Szenen des Buches; Walsh hat die innere Verfassung Lizzies, das Misstrauen, das ihr Mutter und Bruder aufgrund früherer Ereignisse entgegenbringen, und das vorsichtige neue Herantasten untereinander ganz ausgezeichnet dargestellt - glaubhaft, einfühlsam und gekonnt.

Leider erstreckt sich diese sorgfältige Charakterzeichnung nicht auf alle Charaktere. Wie im Klappentext erwähnt gibt es einen unerwarteten Gast, der am nächsten Tag verschwunden ist. Ab diesem Moment wird das Verhalten fast aller Charaktere unglaubwürdig, geradezu absurd. Ab da dachte ich beim Lesen ständig: "Kein Mensch würde sich so verhalten", und das ist eine schlechte Prämisse für ein Buch. Es wird leider im Laufe des Buches eher schlimmer als besser, teilweise fühlte ich mich wie in einer skurrilen schwarzen Komödie. Die Geschehnisse werden immer absurder und unglaubwürdiger, bis hin zum absolut überzeichneten Ende. Auch die mangelnde Logik zeigt sich früh und nimmt stetig zu, so daß dieses Handlungsgeflecht wie ein fehlerhaft gewebter Stoff zu viele Löcher aufweist. Wenn die Plausibilität aufgegeben wird, um die Geschichte voranzubringen, ist das faules Schreiben und ich als Leser fühle mich nicht ernst genommen.
Enervierend waren auch die zunehmenden überraschenden Wendungen. Das ist etwas, das leider in weniger guten Thrillern als Element angewandt wird, um die Spannung künstlich hochzuhalten - oft mit kontraproduktiver Wirkung. Hand in Hand einher geht damit die ebenfalls überbenutzte Technik kurzer Kapitel mit unzähligen Cliffhängern und falschen Alarmmomenten ("Oh, es raschelt!" - "Oh, eine Stimme erklingt" - "Oh, es ist jemand im Raum!"). Das ist wie ein fades Stück Fleisch, das man mit lauter künstlichen Geschmackverstärkern zugeballert hat, um Geschmack vorzugaukeln und zu überspielen, dass man billiges Fleisch verwendet hat. Spannung kann man wesentlich raffinierter erzeugen - so führten die ganzen künstlichen Schockmomente bei mir zu einer Übersättigung und senkten für mich die allgemeine Spannung.

Während ich das erste Drittel des Buches noch herrlich farbig und spannend fand, mich auf die weiteren Entwicklungen freute, mußte ich im zweiten Drittel häufig die Augen verdrehen und ärgerte mich über die ganzen Logiklöcher. Im letzten Drittel hat mir das Übertreiben mit ständig neuen Wendungen, überzeichneten Ereignissen und dem hanebüchenen Schluss das Buch leider verleidet. Bedauerlicherweise greift die Autorin hier auch auf ein Stilmittel zurück, das auf meiner Anti-Liste sehr weit oben steht: den "Täter leiert mit Waffe in der Hand in aller Ruhe sämtliche Pläne und Taten herunter"-Monolog. Absolut unrealistisch und schon seit Jahrzehnten unerträglich überbenutzt.

Während die Autorin also oft die ausgetretenen Pfade der - leider - kommerziell erfolgreichen Versatzstücke geht, ist sie andererseits durchaus originell und kann durch vieles Lesefreude wecken. Kleine Momente, die später von großer Bedeutung sind, werden gelungen früh und plausibel eingeflochten. Auch weiß sie, falsche Fährten zu legen und kann mehrfach überraschen. Nur aus Lizzies Perspektive zu erzählen ist zudem ein guter Kniff, der es erlaubt, auch glaubhafte Spannung und Unsicherheit zu erzeugen. Eine Prise historisches Lokalkolorit und ein gutes Gefühl für die menschliche Psyche sind erfreuliche Zugaben. Sie läßt sich auch durchaus viel einfallen, hat manche gut gemachte Auflösung und Wendung eingefügt. Der Schreibstil ist durchweg flüssig. Ich dachte beim Lesen oft, daß das Buch ganz hervorragend gewesen wäre, wenn es sich an das "weniger ist mehr"-Prinzip gehalten und sich auf diese Stärken konzentriert hätte, anstatt mit aller Macht viel zu viel aufzufahren. So ist es aber für mich leider ein Buch, das ungemein vielversprechend beginnt, dann aber zu viel will und genau daran scheitert.

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Veröffentlicht am 02.12.2024

Fängt toll an, wird dann immer zäher

Diese goldenen Jahre
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Vom Anfang des Buches war ich begeistert. Der Schreibstil ist angenehm lesbar und ansprechend, die Beschreibungen Weimars hatten sehr viel Schönes; ich sah die Stadt und den Ilmpark direkt vor mir. Auch ...

Vom Anfang des Buches war ich begeistert. Der Schreibstil ist angenehm lesbar und ansprechend, die Beschreibungen Weimars hatten sehr viel Schönes; ich sah die Stadt und den Ilmpark direkt vor mir. Auch die Bauhaus-Informationen waren interessant und künden von ausführlicher Recherche. Es wird viel über die Arbeit des Bauhaus, die Situation der dortigen Studenten und auch dem Misstrauen, mit dem die Stadtbewohner auf das Bauhaus sahen, berichtet. Das fand ich alles ausgezeichnet umgesetzt. Es werden auch historische Personen wie Itten, Franz Ehrlich oder Kandinsky eingebunden, sowie Gropius, der allerdings seltsamerweise nur als namenloser "Direktor" und indirekt vorkommt. Diese historischen Personen bleiben etwas blass, was ich aber nicht schlimm fand, denn der Fokus sollten ja auch den sechs Freunden liegen, um die sich die Geschichte dreht.

Leider sind von denen auch einige sehr blass. Andere werden gut geschildert, gerade bei dem aus preußischem Adel kommenden Walter finden sich viele herrlich treffende Bemerkungen. Insgesamt fand ich die Charakterentwicklung und die der Beziehungen untereinander aber nur teilweise gelungen. Geschildert wird aus Sicht von Paul als Ich-Erzähler. Das hat Vorteile, weil wir nur seine Sicht erfahren und sich manches erst später aufklärt. Auch handelt es sich um einen Rückblick Pauls, so daß wir einige spätere Schicksale schon am Anfang erfahren, so wissen wir also bereits, daß Pauls Liebe Charlotte in Buchenwald ums Leben kam und Walter sich dem Nazi-Regime auf irgendeine Weise angedient hat. Das macht natürlich neugierig und ist gut umgesetzt.

Das erste Drittel ist spannend, dann geschieht ein einschneidendes Ereignis, das aber leider so wiederholend geschildert wird, daß es irgendwann wie eine zähe Dauerschleife wirkte. Auch allgemein fiel für mich der Spannungsbogen danach rapide ab. Es werden viele Alltäglichkeiten geschildert, viel wird wiederholt, zahlreiche Dialoge bringen die Handlung kaum vorwärts. Die Erzählweise ist seltsam distanziert, viele in der zweiten Hälfte des Buches neu auftretende Charaktere blieben sehr blass, manche Entwicklungen waren etwas weit hergeholt. Ich langweilte mich beim Lesen zusehends, es war häufig zu farblos und langatmig. Letztlich interessierten mich die Entwicklungen immer weniger. Das Buch hat mich durch seine leblose Langatmigkeit dann leider verloren. Schade, das Sujet hatte Potential, der Umgang mit Sprache war erfreulich, aber hier hätte reichlich gestrafft werden und wesentlich mehr Leben hineingebracht werden müssen.

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Veröffentlicht am 02.12.2024

Idee gut, Umsetzung enttäuschend

Tief unter der Alb
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Der Klappentext las sich äußerst spannend und ich fühlte mich gleich an einen anderen Roman erinnert, der ebenfalls das Motiv der in einer Höhle verirrten Protagonistin nutzt und ganz hervorragend ist. ...

Der Klappentext las sich äußerst spannend und ich fühlte mich gleich an einen anderen Roman erinnert, der ebenfalls das Motiv der in einer Höhle verirrten Protagonistin nutzt und ganz hervorragend ist. Das kann ich von "Tief unter der Alb" leider nicht sagen, hier ist die Idee wesentlich besser als die Umsetzung.

Die Geschichte beginnt schon ziemlich konstruiert und hat einige Plausibilitätslücken. Das setzt sich leider auch fort. Der überflüssige Nebenstrang mit einer weiteren Person, die sich in dem Höhlenlabyrinth befindet, war von Anfang an unglaubwürdig und ließ ebenfalls ziemlich viele Fragen offen. Ganz zu schweigen davon, daß diesem Nebenstrang ein sehr weit hergeholter Zufall zugrunde liegt. Immer wieder läßt die Autorin die Charaktere betonen, wie unglaublich riesig dieses Höhlensystem unter der Schwäbischen Alb ist, daß es fast unmöglich sei, dort zufällig jemanden zu finden, daß unzählige Menschen dort spurlos verschwinden. Und in diesem unglaublich riesigen Höhlensystem kommt es dann zu so einer Zufallsbegegnung - da fühlte ich mich verulkt.

Auch die Entscheidungen der Charaktere waren leider nicht immer nachvollziehbar, gerade zum Ende hin wird es schon fast absurd.

Während die Autorin es sich mehrfach auf Kosten der Plausibilität einfach gemacht hat, hat sie sie andererseits aber auch enorm viel Mühe gegeben. Die Leser tauchen tief in die Gedankenwelt Lauras ab, die mit jedem Tag, den sie orientierungslos im Dunkeln der Höhlenwelt verbringt, psychisch mehr abbaut und gleichzeitig versucht, dagegen anzukämpfen. Das war mir persönlich wesentlich zu detailliert und langatmig, aber man merkt, daß hier viel Überlegung und Sorgfalt in die Erzählweise floss und die mentalen Auswirkungen einer solchen Situation wohl ausgiebig recherchiert wurden. Auch sonst floß offensichtlich viel Recherche in das Buch ein, sogar ein kleines Literaturverzeichnis gibt es am Ende. Ebenfalls sehr lobenswert, aber ...

... die Überschwemmung der Geschichte mit Fakten tat dieser ganz und gar nicht gut. An mehreren Stellen werden Fakten ausführlich um ihrer selbst willen eingefügt. Zwei sehr deutliche Beispiele waren hier ein Moment, in dem ein Charakter in Tübingen aufs Wasser blickt und uns dann gedanklich nicht nur daran teilhaben lässt, wie die dortigen Flachboote heißen (was als Lokalkolorit ja noch verständlich wäre), sondern auch gleich noch einen Faktenexkurs zu entsprechenden Booten in Cambridge macht - ohne jegliche Relevanz für die Handlung. In einer anderen Szene werden zwei Charaktere mit einem Hubschrauber irgendwo abgesetzt. Dann folgte der Satz: "Dann drosselte er die Geschwindigkeit seiner 205 PS starken Robinson R44 Raven II i, deren Reichweite von 640 Kilometern Roger nahezu ausgenutzt hatte." Relevanz dieser ganzen technischen Informationen? Nicht vorhanden.

Der Pilot dieser Maschine ist wie die meisten Charaktere im Buch ein wandelndes Lexikon. Immer wieder gibt es Infodumping, alle können aus dem Gedächtnis eine Unmenge von Zahlen und Fakten zu allen möglichen Themen abrufen (unfreiwillig komischstes Beispiel: "Sie lag etwa 38.061 Jahre im Verborgenen." Ein anderer weiß nach über vierzig Jahren noch, daß sein damaliges Telefon 33 cm lang war.) und halten auch bei jeder Gelegenheit Vorträge. Das wurde unglaublich enervierend und auch zunehmend langweilig. Die Botschaft kommt auch an, ohne dass jede recherchierte Höhlenunglücksgeschichte im Buch heruntergeleiert wird. Auch sonst verlor die Autorin sich gerne ausführlich in Nebensächlichkeiten. Das alles machte das Buch zunehmend zäh zu lesen und ich habe mich immer mehr gelangweilt.

Der Schreibstil war in Ordnung, mir aber oft zu flapsig. Es wird reichlich mit unnötigem Denglisch gearbeitet (da steht die Soße in einem "old school Behälter", die Pension wird als Bed and Breakfast bezeichnet und der Vater arbeitet als Speaker und geht zu Lunches), und natürlich wird die Uhrzeit oder das Handy "gecheckt", was wirklich unangenehm zu lesen war.

Die Idee war gut, die Recherche sorgfältig, aber die Umsetzung leider gar nicht gelungen. Nötige Fakten und Plausibilität fehlten zu häufig, unnötige Fakten bekamen zu viel Raum, das ständige plumpe Infodumping und der Schreibstil nervten immer wieder. Leider eine Enttäuschung.


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Veröffentlicht am 26.10.2024

Farbig und detailreich geschilderter Blick auf die frühen Jahre Chanels

Coco und die Revolution der Mode
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In „Coco“ folgen wir dem Zeitraum zwischen 1895 und etwa der Mitte des Ersten Weltkriegs und begleiten Gabrielle Chanel so durch ihre Jugend und auf dem Weg bis zu ihrem Durchbruch. Während ich viele Bände ...

In „Coco“ folgen wir dem Zeitraum zwischen 1895 und etwa der Mitte des Ersten Weltkriegs und begleiten Gabrielle Chanel so durch ihre Jugend und auf dem Weg bis zu ihrem Durchbruch. Während ich viele Bände dieser kitschig betitelten Reihe „Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe“ schon nach der Leseprobe beiseitelegte, weil sie mir von Schreibstil und Ausrichtung zu flach waren, sprach mich hier der gelungene Schreibstil gleich an. An diesem Stil behielt ich dann auch das ganze Buch über Freude. Er ist leicht lesbar, ohne seicht zu sein, schildert farbig und mit vielen Facetten. Die Autorin hat offensichtlich sorgfältig recherchiert und es gelingt ihr, Hintergrundinformationen gut in die Geschichte einzuweben, ohne Info-Dumping oder belehrende Abschnitte.
Sie schafft es, uns Chanel in ihren jüngeren Jahren gut näherzubringen, wir erfahren, wie einige Inspirationen und Motivationen zustande kamen, wie sie von ihrem Umfeld geprägt wurde. Auch wenn einige der Nebencharaktere, wie z.B. die jüngere Schwester Antoinette, zu blass und eindimensional blieben, ist dieses Umfeld überwiegend ausgezeichnet geschildert. Man sieht die Szenen vor sich und kann sich die Charaktere gut vorstellen.
Gelegentlich wurde es mir etwas zu detailfreudig – gerade das mittlere Drittel enthält vieles, was für die Geschichte nicht nötig ist, und zieht sich sehr. Hier verliert sich das Buch ein wenig in sich selbst und mein Interesse sank hier stark, was durch eine weniger langatmige Erzählweise hätte vermieden werden können.
Ich hätte auch gerne mehr über die spätere Gabrielle Chanel erfahren, aber der hier berichtete Ausschnitt ist für den Fokus auf die Anfänge gut ausgewählt. Die Geschichte endet in einem prägenden Moment; man merkt, ein Abschnitt im Leben Chanels ist beendet, ein ganz neuer beginnt, insofern ist das Ende des Buches stimmig.
Insgesamt ein Buch, in dem ich mir Bekanntes farbig und gelungen umgesetzt fand, und einiges Neue erfuhr, zudem eine unterhaltsame, gut recherchierte Reise durch die Welt Chanels im frühen 20. Jahrhundert machen konnte, das in erfreulichem Schreibstil.

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Veröffentlicht am 19.10.2024

Zuerst etwas ziellos, dann sehr berührend

Die Abende in der Buchhandlung Morisaki
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Dieses Buch bezaubert schon durch den wundervoll gestalteten Einband, dessen Motiv Wärme und Gemütlichkeit ausstrahlt. Auch haptisch überzeugt der feste, wertige Einband. Der Ort der Handlung, die Buchhandlung ...

Dieses Buch bezaubert schon durch den wundervoll gestalteten Einband, dessen Motiv Wärme und Gemütlichkeit ausstrahlt. Auch haptisch überzeugt der feste, wertige Einband. Der Ort der Handlung, die Buchhandlung Morisaki, ist ein uraltes Antiquariat im Stadtteil Jinbocho der Stadt Tokio. Ich hatte vorher noch nie von diesem Stadtteil gehört und fand es ganz faszinierend, diesen nun kennenzulernen. Schon allein dafür hat sich die Lektüre gelohnt. Die Atmosphäre von Laden und Viertel wird gut eingefangen – wahrscheinlich kennt jeder buchaffine Mensch diese besondere Stimmung, die von alten Antiquariaten ausgeht.

Ich habe den Vorgängerband nicht gelesen, dies schadete aber zum Glück nicht, denn dort, wo auf vorherige Geschehnisse Bezug genommen wird, gibt es entsprechende Erklärungen, so daß man auch als Neueinsteiger die relevanten Zusammenhänge versteht. Das ist gut gemacht. Allerdings sind einem die Charaktere nicht so vertraut und sie werden verständlicherweise nicht so ausführlich eingeführt, wie es wahrscheinlich im ersten Band der Fall ist. So brauchte ich eine Weile, bis ich wirklich in der Geschichte angekommen war – dies ist aber kein Manko des Buches. Die Handlung wirkt allerdings anfangs noch etwas unschlüssig und konnte mich länger nicht fesseln. Es wird viel Belangloses geschildert. Eine Episode, in der die Protagonistin zwei Freunden Schützenhilfe beim Zueinanderfinden leistet, fand ich wenig überzeugend und auch die Beziehung der Protagonistin selbst bleibt blass und uninteressant, ihr Freund ist durchweg farblos. Ich habe mich in der ersten Hälfte oft gefragt, was der Autor eigentlich erreichen, sagen möchte. Auch die Liebe zu Büchern und zum Lesen kam nicht so durch, wie ich anhand des Klappentexts und Themas erwartet hatte.

Auch der Schreibstil überzeugte mich nicht richtig. Er ist schlicht und die Dialoge wirken oft unnatürlich. Wenn man beim Lesen dauernd denkt: „Kein Mensch würde so reden!“, dann spricht das nicht für ein Buch. Allerdings gibt es auch einige wirklich sehr schöne Sätze, und zum Ende hin werden die Dialoge natürlicher. Erfreulich ist, daß das Buch leicht lesbar ist, es eignet sich gut als entspannende Schmökerlektüre.

Im letzten Drittel wurde das Buch dann wesentlich besser und zog mich in seinen Bann. Nun gab es eine wirkliche Handlung, gewannen die Charaktere der Protagonistin, ihrer Tante und ihres Onkels richtig Kontur. Wie erwähnt wurden die Dialoge natürlicher und auch die Emotionen wirkten nachvollziehbarer und authentischer. Es schien fast, als ob der Autor sich da erst wirklich in Form geschrieben hätte. Das erste Drittel hatte einen gewissen Reiz des Neuen, das zweite Drittel ließ mich oft mit einem „Was soll das?“-Schulterzucken zurück und das letzte Drittel ließ mich wünschen, das ganze Buch wäre so gewesen. Hier wird die Geschichte berührend, die Beziehungen zueinander sind nicht wie vorher mit dem Holzhammer geschildert, sondern ganz fein, nuanciert und enorm wirkungsvoll. Die ganze Klaviatur der Emotionen wird meisterhaft gespielt und ja, hier spürte man es dann: die Macht der Worte, der Literatur, der Emotionen und des Zusammenhaltens.

Es ist also in mehrerlei Hinsicht ein ungewöhnliches Buch, das sich zu entdecken lohnt und das seine ganze Schönheit und Kraft zum Ende hin entfaltet.

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