Flüssiger Schreibstil, aber die guten Ansätze gehen in Logiklöchern und Überzeichnung unter
Nachtwald"Nachtwald" ist vom Einband her ein echter Hingucker - kräftige Farben, ein passendes, stimmungsvolles Motiv. Die zahlreichen Regentropfen auf dem Einband sind nicht nur bildlich dargestellt, sondern auch ...
"Nachtwald" ist vom Einband her ein echter Hingucker - kräftige Farben, ein passendes, stimmungsvolles Motiv. Die zahlreichen Regentropfen auf dem Einband sind nicht nur bildlich dargestellt, sondern auch leicht erhoben, man spürt also jeden einzelnen Regentropfen auf dem Einband. Tolle Kombination von visuellem und haptischen Erleben. Das Einbandmotiv ist gelungen genretypisch und dennoch innovativ - eine erholsame Abwechslung von den ganzen einfallslosen "Frau-rennt-weg"-Einbänden, auf welche in diesem Genre sonst viel zu oft zurückgegriffen wird. Rundum gelungen!
Auch der Klappentext macht neugierig und verspricht eine spannende Geschichte. Der Einstieg ins Buch ist erfreulich - wenn ich auch auf das abgenutzte Stilmittel des Prologs verzichten könnte, der sich liest wie unzählige andere Prologe solcher Bücher. Die Autorin schreibt einen leichten, angenehm lesbaren Stil und kann das alte Herrenhaus inmitten des Walds herrlich beschreiben. Die Beschreibungen sind durchweg farbig und rufen die Szenerie lebhaft vor Augen. Das hat mir ausgezeichnet gefallen. Auch die Charaktere machen zunächst neugierig. Wir erfahren die Geschehnisse durch die Augen Lizzies, die gerade einen sechsmonatigen Alkoholentzug beendet hat und die Beziehung zu ihrer Mutter und ihrem Bruder vorsichtig wieder aufbauen muß. Aus dieser Konstellation ergeben sich die besten Szenen des Buches; Walsh hat die innere Verfassung Lizzies, das Misstrauen, das ihr Mutter und Bruder aufgrund früherer Ereignisse entgegenbringen, und das vorsichtige neue Herantasten untereinander ganz ausgezeichnet dargestellt - glaubhaft, einfühlsam und gekonnt.
Leider erstreckt sich diese sorgfältige Charakterzeichnung nicht auf alle Charaktere. Wie im Klappentext erwähnt gibt es einen unerwarteten Gast, der am nächsten Tag verschwunden ist. Ab diesem Moment wird das Verhalten fast aller Charaktere unglaubwürdig, geradezu absurd. Ab da dachte ich beim Lesen ständig: "Kein Mensch würde sich so verhalten", und das ist eine schlechte Prämisse für ein Buch. Es wird leider im Laufe des Buches eher schlimmer als besser, teilweise fühlte ich mich wie in einer skurrilen schwarzen Komödie. Die Geschehnisse werden immer absurder und unglaubwürdiger, bis hin zum absolut überzeichneten Ende. Auch die mangelnde Logik zeigt sich früh und nimmt stetig zu, so daß dieses Handlungsgeflecht wie ein fehlerhaft gewebter Stoff zu viele Löcher aufweist. Wenn die Plausibilität aufgegeben wird, um die Geschichte voranzubringen, ist das faules Schreiben und ich als Leser fühle mich nicht ernst genommen.
Enervierend waren auch die zunehmenden überraschenden Wendungen. Das ist etwas, das leider in weniger guten Thrillern als Element angewandt wird, um die Spannung künstlich hochzuhalten - oft mit kontraproduktiver Wirkung. Hand in Hand einher geht damit die ebenfalls überbenutzte Technik kurzer Kapitel mit unzähligen Cliffhängern und falschen Alarmmomenten ("Oh, es raschelt!" - "Oh, eine Stimme erklingt" - "Oh, es ist jemand im Raum!"). Das ist wie ein fades Stück Fleisch, das man mit lauter künstlichen Geschmackverstärkern zugeballert hat, um Geschmack vorzugaukeln und zu überspielen, dass man billiges Fleisch verwendet hat. Spannung kann man wesentlich raffinierter erzeugen - so führten die ganzen künstlichen Schockmomente bei mir zu einer Übersättigung und senkten für mich die allgemeine Spannung.
Während ich das erste Drittel des Buches noch herrlich farbig und spannend fand, mich auf die weiteren Entwicklungen freute, mußte ich im zweiten Drittel häufig die Augen verdrehen und ärgerte mich über die ganzen Logiklöcher. Im letzten Drittel hat mir das Übertreiben mit ständig neuen Wendungen, überzeichneten Ereignissen und dem hanebüchenen Schluss das Buch leider verleidet. Bedauerlicherweise greift die Autorin hier auch auf ein Stilmittel zurück, das auf meiner Anti-Liste sehr weit oben steht: den "Täter leiert mit Waffe in der Hand in aller Ruhe sämtliche Pläne und Taten herunter"-Monolog. Absolut unrealistisch und schon seit Jahrzehnten unerträglich überbenutzt.
Während die Autorin also oft die ausgetretenen Pfade der - leider - kommerziell erfolgreichen Versatzstücke geht, ist sie andererseits durchaus originell und kann durch vieles Lesefreude wecken. Kleine Momente, die später von großer Bedeutung sind, werden gelungen früh und plausibel eingeflochten. Auch weiß sie, falsche Fährten zu legen und kann mehrfach überraschen. Nur aus Lizzies Perspektive zu erzählen ist zudem ein guter Kniff, der es erlaubt, auch glaubhafte Spannung und Unsicherheit zu erzeugen. Eine Prise historisches Lokalkolorit und ein gutes Gefühl für die menschliche Psyche sind erfreuliche Zugaben. Sie läßt sich auch durchaus viel einfallen, hat manche gut gemachte Auflösung und Wendung eingefügt. Der Schreibstil ist durchweg flüssig. Ich dachte beim Lesen oft, daß das Buch ganz hervorragend gewesen wäre, wenn es sich an das "weniger ist mehr"-Prinzip gehalten und sich auf diese Stärken konzentriert hätte, anstatt mit aller Macht viel zu viel aufzufahren. So ist es aber für mich leider ein Buch, das ungemein vielversprechend beginnt, dann aber zu viel will und genau daran scheitert.