Originelle Idee, aber leider abstrus und zäh umgesetzt
Die Engel von Alperton„Die Engel von Alperton“ erzählt eine Geschichte, die zunächst erfreulich ungewöhnlich anmutet und sich dann komplett in sich selbst verzettelt. Das Buch erfreut auf den ersten Blick durch den gelungen ...
„Die Engel von Alperton“ erzählt eine Geschichte, die zunächst erfreulich ungewöhnlich anmutet und sich dann komplett in sich selbst verzettelt. Das Buch erfreut auf den ersten Blick durch den gelungen gestalteten festen Einband und die originelle Erzählweise. Die Leser erfahren die Geschichte nicht in Form eines klassischen Romans, sondern als Sammlung von Recherchematerialien, aus welchen sich die Geschehnisse nach und nach hinausschälen. Diese Erzählweise ist nicht neu, aber eher selten und wird von Hallett mit modernsten Kommunikationsmedien umgesetzt. Hauptsächlich lesen wir hier WhatsApp-Nachrichten, aber auch ein paar Emails, Romanauszüge, Kapitelentwürfe, ein Drehbuch sowie reichlich transkribierte Interviews. Das liest sich anfänglich sehr leicht – kurze Sätze, kurze Austausche. Die ersten 90 Seiten habe ich in einem Rutsch durchgelesen, und man darf sich von der hohen Seitenzahl nicht irreführen lassen, denn die Seiten mit den WA-Konversationen enthalten nur sehr wenig Text.
Mir gefiel diese originelle Herangehensweise, auch wenn mich in der – ansonsten sehr guten – Übersetzung die grausigen Genderdoppelpunkte irritierten, die von allen Beteiligten ganz brav selbst während schneller WA-Austausche und privater Transkriptionen eingesetzt werden und sowohl grammatik- wie auch leseunfreundlich sind. An einer Stelle wird dann leider sogar die Plausibilität der Sprachbevormundung geopfert, als bei einer Interviewtranskription steht „unbekannte:r Sprecher:in“, obwohl aus der transkribierten Tonaufnahme zweifellos hervorgehen müsste, welches Geschlecht der Sprecher hatte, was dann eben als „unbekannter Sprecher“ oder „unbekannte Sprecherin“ hätte vermerkt werden müssen (oder als neutrale Lösung: „unbekannte Stimme“).
Allerdings sind hinsichtlich der Lesefreundlichkeit die Genderpunkte noch das kleinste Problem. Das erste Drittel des Buches fand ich erfrischend und spannend, ich freute mich an den verschiedenen Textformen und war gespannt, wie sich die Geschichte entwickeln würde. Schon bald stellen sich nämlich erste kleine Unstimmigkeiten ein und das wird gut eingeführt. So lesen wir mal einen Artikel, in dem von drei gefundenen Leichen die Rede ist, während in einem Interview etwas von vier Leichen steht. Man liest, stutzt und ist gespannt, wie sich dies aufklärt. Diese Widersprüche mehren sich nach und nach, während zusätzliche Fakten aufgedeckt werden. Das ist anfänglich an sich gut gestaltet, allerdings machen sich dann die Schwächen der Erzählweise bemerkbar: es wird unglaublich viel wiederholt. Immer wieder und wieder und wieder lesen wir über die Geschehnisse – berichtet von verschiedenen Leuten, mit vereinzelt unterschiedlichen Details, aber insgesamt eben leider doch immer wieder dieselbe Geschichte. Und das zieht sich durch die gesamten 500 Seiten. Eine Endlosschleife des Immergleichen, die zunehmend ermüdend wird.
Auch die anfangs originell wirkende Erzählweise ist für eine dauerhafte Lektüre nicht geeignet. Die WA-Nachrichten und Interviews sind letztlich reine Dialoge und das ist anstrengend zu lesen. Ein Charakter namens Ellie, welche diese Interviews transkribiert, streut reichlich eigene Kommentare ein – das ist manchmal hilfreich, weil es Zusammenhänge erklärt, aber zu 90% sind Ellies Kommentare überflüssig und nervig. Ihre Versuche, witzig zu sein (etwa wenn die Initialen eines Beteiligten eine im Englischen anzügliche Bedeutung wie BJ oder DIK haben) sind platt. Auch die Drehbuchszenen werden zunehmend mühsam zu lesen – Drehbücher sind wie reine Dialogwiedergaben einfach nicht zur ausgiebigen Lektüre geeignet, weil sie keinen Lesefluss schaffen. Die Romanauszüge bieten zwar den manchmal von mir herbeigesehnten Erzählfluss, sind aber leider so abgedreht, daß ich sie irgendwann höchstens noch überflogen habe.
Das ist ein weiteres Problem des Buches: es wird zunehmend abgedreht und abstrus. Ziemlich abrupt kommen übersinnliche & esoterische Elemente hinein und dies mit einer Ausführlichkeit, die mich enervierte. Seitenweise philosophisch-esoterische Abhandlungen sind wohl nur für eine kleine Zielgruppe interessant. Hinzu kommen geheime Treffen tief in der Nacht in einsamen Gassen, mysteriös zugesteckte Telefonnummern und allerlei Hinweise auf sinistre, tiefgehende Verwicklungen (bis hin in die Königsfamilie, was ich nicht nur lächerlich, sondern auch respektlos ggü. realen Personen fand). Zwischendurch fragte ich mich, ob die Autorin vielleicht nicht sicher war, was für ein Buch sie eigentlich schreiben wollte, so sehr vermischt sich allerlei, so viele Nebenstränge tauchen auf, so wirr wird alles, bis es einfach nur ein zäher Brei ist. Momentan scheint es beliebt zu sein, in Krimis und Thrillern eine überraschende Wendung nach der anderen in die Geschichte zu werfen, anstatt durch eine schlüssige, spannende Handlung zu überzeugen. Ab der Hälfte des Buches war mir ziemlich egal, wie es ausgeht, weil die Lektüre einfach zu wirr, wiederholend und verästelt geworden war.
Die Auflösung macht dies dann auch leider nicht wett. Das letzte Drittel des Buches wird derart abstrus, daß ich beim Lesen nur noch den Kopf schütteln konnte. „Weniger ist oft mehr“ heißt es, und dieses Buch ist das beste Beispiel dafür. Es ist schlichtweg von allem zu viel: zu viele Wiederholungen, zu viele Wendungen, zu viele falsche Fährten, zu viele Charaktere, zu viele absurde Richtungen. Dagegen mangelt es an Lesefreundlichkeit und Plausibilität. Die Idee war interessant, die Ansätze haben mir gefallen, aber leider wurde daraus dann etwas gemacht, das ich nahezu unlesbar fand.