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Veröffentlicht am 25.04.2024

Chauvinismus im Amt - Die Kriminalistinnen ermitteln wieder

Die Kriminalistinnen. Acht Schüsse im Schnee
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Du weißt, du bist alt, wenn historische Romane zu deinen Lebzeiten spielen! Lucia Specht und ihre Kolleginnen ermitteln wieder. Mittlerweile haben die 70er Jahre begonnen, und der Flair der Zeit ist auf ...

Du weißt, du bist alt, wenn historische Romane zu deinen Lebzeiten spielen! Lucia Specht und ihre Kolleginnen ermitteln wieder. Mittlerweile haben die 70er Jahre begonnen, und der Flair der Zeit ist auf jeder Seite spürbar - im Positiven wie im Negativen. Wie schon Band 1 ist auch hier alles stimmig und super recherchiert. Man fühlt sich zurückversetzt in eine Zeit, in der Chauvinismus und Homophobie noch salonfähig waren, alte Nazis mit ihren Seilschaften fest im Sattel saßen und zugleich ein neuer Wind Einzug hält. Lucia Specht absolviert einen Ausbildungsabschnitt bei der Sittenpolizei. Das allein böte schon genug Stoff für eine ganze Romanreihe, denn 1970 waren noch Dinge strafbar, die heute völlig alltäglich sind. Wie gut, dass sich die Zeiten geändert haben. Während viele "moralische" Grenzen sehr eng gesteckt waren, entwickelte ich andererseits eine neue Freizügigkeit. In diesem Spannungsfeld ist auch der Kriminalfall angesiedelt, in dem Lucia ermittelt.

Auch das Innenleben der Polizei wird ausführlich beleuchtet. Für jüngere Leserinnen und Leser wird dadurch vielleicht deutlich, dass Frauenrechte - und nicht nur diese - nicht vom Himmel gefallen sind, sondern hart erkämpft werden mussten. Auch die Ausbildung von Lucia, Petra, Renate, Mieze, Lillie und Ruth läuft weiterhin unter der Bezeichnung "Experiment".

Das gesamte Setting wäre schon ohne Lucias private Ermittlungen zum Todesfall ihrer Mutter unglaublich spannend, aber auch dieser Strang wird großartig weiterverfolgt. Ebenso wie ein Teil der Lebensgeschichten der anderen Frauen.

Den besonderen Charme des Buches macht aber die Beschreibung der gesellschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten aus. Mode, Kultur und Musik im hippen Düsseldorf im Gegensatz zum Kohlenpott, der damals seinen Namen noch zu recht trug. Das Aufbegehren der Jugend, gerne mit einem revolutionärem Hauch, gegen das Establishment. Das alles bringt Mathias Berg auf "nur" 317 Seiten unter, die ich gerne mit einer aufrichtigen Leseempfehlung versehe. Ich wurde großartig unterhalten und freue mich auf die Fortsetzung der Serie um die Kriminalistinnen.

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Veröffentlicht am 14.04.2024

Die dunkle Seite der Goldenen Zwanziger

Doch das Messer sieht man nicht
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Berlin 1927, eine Stadt, die sich noch nicht von den Schrecken des Ersten Weltkriegs erholt hat, während schon die Faschisten erstarken und sich mit Kommunisten und andersdenkenden Straßenschlachten liefern. ...

Berlin 1927, eine Stadt, die sich noch nicht von den Schrecken des Ersten Weltkriegs erholt hat, während schon die Faschisten erstarken und sich mit Kommunisten und andersdenkenden Straßenschlachten liefern. Eine Stadt, in der das Nachtleben tobt, eine nie dagewesene Freizügigkeit herrscht, aber zugleich bittere Armut dazu führt, dass sich Frauen und Männer prostituieren, Familien ihre spärlichen Räume noch an Schlafgänger vermieten und Diebstahl als legitimes Mittel des Broterwerbs gilt. Eine Stadt, in der die “Besseren” rauschende Feste feiern und alles exotische attraktiv wirkt. Das Bürgertum geht in den Tiergarten zur Völkerschau oder in die Revue der zu der Zeit in Berlin gastierenden Josephine Baker. Erotik, Drogen und Spiritismus, Armut und Reichtum, bürgerliche Biederkeit und organisierte Kriminalität - in diesem historischen Setting platziert I.L.Callis ihren Kriminalroman “Doch das Messer sieht man nicht”. Nicht nur der Titel ist eine Hommage an Bertolt Brecht. Mehr als ein Krimi ist dieser Roman eine wunderbar geschriebene Sozial- und Milieustudie über die Weimarer Republik, mit jeder Zeile spannend, auch wenn der Kriminalfall dabei nicht die Hauptrolle spielt.

Ein Mörder geht um, er tötet Prostituierte mit dem Messer und erhält schnell den Beinamen “Ripper von Berlin”. Vergeben hat diesen die Hauptperson des Romans, die junge Journalistin Anaïs Maar, aus “gutem” Hause stammend und doch nicht zur Gänze akzeptiert, denn sie ist nicht nur eine Frau, sondern auch noch schwarz. 1927 keine Konstellation, die einer erfolgreichen Karriere förderlich war.

“Anaïs biss die Zähne zusammen. Sie war Berlinerin. Hier war sie geboren. Dies war ihre Stadt. Aber - war es denn noch ihre Heimat? War sie es jemals gewesen?” (S. 322)

“Doch das Messer sieht man nicht” ist ein politisches Buch, das viele Themen aufgreift und Handlungsstränge verfolgt. Diese Komplexität ist eine Herausforderung an die Leserschaft, die sich unbedingt lohnt. Ungeschminkt beschreibt Callis die oft brutale Realität der Armut und die rohe gesellschaftliche Gewalt, die abstoßende Gedankenwelt chauvinistischer Dreckskerle und die Laszivität und Prunksucht der feinen Gesellschaft. Besonders authentisch ist die Verwendung der direkten Rede. Callis lässt jeden Protagonisten gemäß seiner Herkunft sprechen, so dass Schichtzugehörigkeit, Bildungsgrad und Provenienz deutlich werden.

Callis hat diesen Roman Hejo Emons gewidmet; völlig zurecht, denn “Doch das Messer sieht man nicht” entspricht der klaren gesellschaftspolitischen Haltung des kürzlich verstorbenen Verlegers. Nicht nur deshalb eine klare Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 10.04.2024

Drei Frauenleben

Das Geheimnis von Dikholmen
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Michaela Abresch entführt uns in ihrem Frauenroman “Das Geheimnis von Dikholmen” auf eine kleine schwedische Schäreninsel. Die Erzählung beginnt im Jahre 1960 mit einer geheimnisvollen Frau, die ihren ...

Michaela Abresch entführt uns in ihrem Frauenroman “Das Geheimnis von Dikholmen” auf eine kleine schwedische Schäreninsel. Die Erzählung beginnt im Jahre 1960 mit einer geheimnisvollen Frau, die ihren Mann und ihre Kinder verlässt, um diese zu schützen. Offenbar leidet sie an einer psychischen Krankheit: sie hört schon seit ihrer Kindheit Stimmen.

"Niemals wirst du uns entkommen. Wir bleiben bei dir, in dir, wohin auch immer du fliehst” (S. 35)

Dann ist da Inga, die 1968 ziemlich blauäugig die Flucht nach Dikholmen angetreten ist. Aus einer wohlhabenden Familie im städtischen Umfeld stammend hat sie keine Vorstellung vom Leben auf einer Schären-Insel, ist aber mutig genug, dieses Leben anzutreten, um dort ihr Kind zur Welt zu bringen.

Und zuletzt Lillemor, die an der Lahn wohnt, aber aus Schweden stammt. Sie hat einen schweren Verlust erlitten, über den sie trotz langjähriger Therapie noch nicht hinweg gekommen ist. Ihre Geschichte wird auf zwei Zeitebenen erzählt, was ich sehr stimmig finde. So erfahren wir nach und nach ihre Lebensgeschichte und erleben gleichzeitig, wie sie sich im Jahre 2019 zu einer mehrtägigen Wanderung aufmacht.

Michaela Abresch gelingt es, diese drei Frauenschicksale mit jeweils eigenen komplexen Handlungssträngen nach und nach zu verbinden. Sie hat einen angenehmen Erzählstil, schafft auch durch ihre Landschaftsbeschreibungen eine schöne Atmosphäre und führt uns durch die Lebensgeschichten ihrer drei Protagonistinnen.

Hier setzt aber mein leichtes Unbehagen mit dem Buch ein. Die Frauen in diesem Buch nehmen die Männer in ihrem Leben so hin, wie sie sind und arrangieren sich mit ihrer jeweiligen Situation. Den Schmerz des Lebens und die Last des Alltags alleine tragen sie alleine. So müssen sich die Männer nicht aus ihrer Komfortzone herausbewegen. Sätze wie dieser formuliert die Autorin nur als Gedanken:

“Hinausfahren zu können, weg von Stegesund, von Dikholmen, raus aufs Meer. Frei zu sein, selbst Entscheidungen zu treffen, von niemandem abhängig zu sein, nie wieder.” (S. 404)

Ein Diskurs erwächst daraus nicht. So bleibt die Geschichte beständig auf einer individualisierenden Ebene.

Gut hat mir gefallen, dass das Altern und Kranksein hier nicht keinem Tabu unterliegen, sondern realistisch dargestellt werden.

Am Ende werden alle Stränge aufgelöst, ohne dass offene Enden bleiben. Allerdings wirkt manches dabei etwas konstruiert und vorhersehbar, es gibt für meinen Geschmack zu viele Zufälle und etwas zu viel Melodramatik.

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Veröffentlicht am 25.03.2024

Die Macht der Worte - Eine Geschichte über das Erwachsenwerden in Zeiten des Faschismus

Malnata
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Malnata - die "schlecht Geborene" - so bezeichnen die Einwohner von Monza anno 1935 die junge Maddalena, die mit einem Angiom zur Welt kam, im herrschenden Aberglauben als "Mal der Teufelslippen" stigmatisiert. ...

Malnata - die "schlecht Geborene" - so bezeichnen die Einwohner von Monza anno 1935 die junge Maddalena, die mit einem Angiom zur Welt kam, im herrschenden Aberglauben als "Mal der Teufelslippen" stigmatisiert. Man sagt ihr nach, dass sie Unglück bringe, und selbst erwachsene Männer spucken als Abwehrzauber vor ihr aus.

Die junge gutbürgerliche Francesca ist fasziniert von der wilden und sich "ungehörig" benehmenden Malnata und freundet sich heimlich mit ihr an. Sie ist zwölf Jahre alt, schüchtern und unterwürfig - also das genaue Gegenteil der verarmten, schmutzigen und mit Jungens spielenden Maddalena. Die Freundschaft der beiden ist zunächst noch instabil: Von außen bedroht, da Francescas Familie und Umfeld diese Freundschaft nicht toleriert und ihr diesen Umgang verbieten möchte; Aber auch von innen, da sich Francesca hin- und hergerissen fühlt zwischen den Wertvorstellung und Erwartungen der Gesellschaft an ein junges Mädchen, und der Freiheit, die sich Maddalena nimmt, oft ohne Rücksicht auf Verluste.

Beatrice Salvioni zeichnet das düstere Bild der faschistischen Gesellschaft unter der Herrschaft Mussolinis: Gewalt, Chauvinismus und Diskriminierung prägen das Zusammenleben. Hinzu kommt der archaische Aberglaube. Es ist der komplette Gegenentwurf zum Dolce Vita. Hier werden schon Kinder, Jungen dazu erzogen, sich mit dem Recht des Stärkeren alles zu nehmen, wonach ihnen der Sinn steht:

"Wenn ich groß bin, will ich mitkämpfen", sagte Filippo, "dann lerne ich, mit der Muskete zu schießen, und nehme mir die Frauen des Feindes." (S.182)

"Wenn du ein Mann sein willst, muss du in der Lage sein zu töten. Mit oder ohne Krieg." (S. 183)

Gewalt ist ein probates Mittel der Erziehung, in der Familie und in der Schule. Niemand schreitet dagegen ein. Wer nicht für den Duce ist, der lernt seine Meinung zu verbergen. Lügen, Eitelkeit und Eigennutz bestimmen die Welt der Erwachsenen. In dieser Atmosphäre erlebt Francesca die Pubertät und lernt, was es bedeutet, sich als Frau gegen dies Regeln des Patriarchats aufzulehnen. Bildgewaltig und intensiv, aber auch schonungslos - und immer aus der Sicht der Ich-Erzählerin Francesca - konfrontiert Salvoni die Lesenden mit diesen Form der Gewalt, vor allem der sexualisierten Gewalt. Dabei herausgekommen ist ein faszinierender Roman über die Macht der Worte, über Freundschaft und Solidarität. Ich möchte deshalb eine unbedingte Leseempfehlung aussprechen.

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Veröffentlicht am 16.12.2023

Ermittlungen im Dreiländereck

Asche im Venn
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"Merkwürdig. Schon wieder Eifel. Komme mir langsam vor wie in einem Eifelkrimi", sagte Kollegin Jochum.

Es sind solche Passagen, die mich immer wieder zum Lachen gebracht haben, obwohl die Themen, um ...

"Merkwürdig. Schon wieder Eifel. Komme mir langsam vor wie in einem Eifelkrimi", sagte Kollegin Jochum.

Es sind solche Passagen, die mich immer wieder zum Lachen gebracht haben, obwohl die Themen, um die es geht alles andere als zum Lachen sind.

Kommissar Fett ermittelt in seinem neuesten Fall zu zwei Morden, die offenbar miteinander in Verbindung stehen. Ein Rechtsanwalt im Ruhestand wird erschlagen, ein bekannter Zeitungsfotograf wird in der Eifel ermordet. Spuren führen in die feine Öcher Gesellschaft, in die Euregio und zur 'Ndrangheta. Das ganze ist perfekt eingearbeitet in das Jahr 2021, politische und lokalpolitische Ereignisse setzen einen zeitlichen Rahmen. Dadurch wirkt der Roman lebendig und reell. Der Schreibstil ist sehr unterhaltsam. Ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen, so sehr hat mich dieser gesellschaftskritische (eu)Regionlkrimi in seinen Bann gezogen. Einer der besten Krimis, die ich 2023 gelesen habe.

Es war mein erster Krimi aus dieser Reihe. Er kann problemlos ohne Kenntnis der anderen Bände gelesen werden.

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