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Veröffentlicht am 29.03.2019

Sympathie vs. Beschreibungstiefe

Witchmark. World Fantasy Award für den besten Fantasy-Roman des Jahres 2019
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„Witchmark“ ist das Erstlingswerk von C. L. Polk, die bisher eher Kurzgeschichten geschrieben hat. Es geht um Magier und Hexen, merkwürdige Mordfälle, Kriegsveteranen, Sturmsänger, adlige Familien und ...

„Witchmark“ ist das Erstlingswerk von C. L. Polk, die bisher eher Kurzgeschichten geschrieben hat. Es geht um Magier und Hexen, merkwürdige Mordfälle, Kriegsveteranen, Sturmsänger, adlige Familien und Sekundäre, ein scheinbar zum Scheitern verurteilte Liebesgeschichte zwischen zwei Männern, Seelen, die nicht an ihrem Zielort ankommen und vieles mehr.

Doktor Miles Singer ist Psychologe und kümmert sich um die zurückgekehrten Veteranen aus dem Krieg, der zwischen den Ländern herrscht. Was er geheim hält: durch seine magische Gabe kann er durch Berührung in das innerste der Menschen blicken und den Heilungsprozess gezielt zum Positiven manipulieren. Dabei entdeckt er bei einigen Soldaten merkwürdige dunkle Wolken im Geist. Und diese scheinen die Heimgekehrten zu grausamen Untaten anzustiften…

Eines Tages bringt ein geheimnisvoller Fremder einen vergifteten Mann ins Krankenhaus, der in Miles Armen stirbt und ihm dabei seine Seele übereignet. Bevor Miles versteht, was passiert ist, ist er bereits tief im Geschehen drin und eins führt zum anderen. Der geheimnisvolle Fremde entpuppt sich als eine Art attraktiver Geheimagent mit mächtigen magischen Fähigkeiten aus einem anderen Teil des Landes, der Miles Unterstützung sucht, da dieser durch das Binden von Seelen an die eigene Seele und Aura zum Gesternten wurde…

Der Fremde, eine Amaranthine namens Tristan, möchte grausame Mordfälle aufklären, die von ehemaligen Soldaten vollzogen wurden. Da auch Miles herausfinden möchte, warum die Veteranen dunkle und größer werdende Wolken im Geist mit sich tragen, schließt er sich ihm an. Gemeinsam begeben sich Tristan und Miles auf die Spur der Toten.

„Witchmark“ beinhaltet neben den sympathischen Hauptfiguren viele liebenswerte Charaktere, wie die Krankenschwester Robin, Miles magisch hochbegabte Schwester Grace oder die freundliche Haushälterin von Tristan. Es wird eine zauberhafte neue Welt präsentiert, die nicht im Detail beschrieben wird, aber zu der es immer mal wieder neue Hinweise und Erläuterungen gibt. Das Ganze scheint in einer Art vorindustriellen England zu spielen. Es gibt bereits Autos, dennoch herrschen Pferdekutschen vor und ein Gentleman wird an seiner Kleidung erkannt. Die Rolle der Frau scheint eine ähnliche Gleichberechtigte zu sein, wie in der heutigen Zeit, dennoch gibt es auch hier „edle Damen“ mit optischen Anmutungen wie aus dem frühen 19. Jahrhundert. Adlige Familien und sogenannte „Sturmsänger“ lenken die Geschicke und das Schicksal des Landes „Aeland“. Zu einer dieser Familien gehören auch Miles und seine Schwester Grace. Da Miles jedoch nicht als „Sekundär“ (also als Magie-Batterie für einen höhergestellte(n) oder begabtere(n) Magier/Hexe) dienen möchte, lief er vor vielen Jahren von zuhause davon um als Arzt mit seinen heilenden Fähigkeiten etwas Gutes in der Welt zu bewirken.

Ich weis gar nicht, wo ich anfangen soll…
Und ich glaube, dass ist auch schon die Herausforderung. In diesem Buch gibt es so viele Charaktere, neue Gegebenheiten und Eigenheiten, dass ich anfangs Schwierigkeiten hatte alles zu verstehen. Der Abhandlung der Geschichte konnte ich leicht folgen, dennoch wird der Leser ohne große Erklärungen ins Geschehen geworfen und muss sich dann zurechtfinden. Das mag auf der einen Seite spannend sein. Nach und nach können neue Dinge erfahren werden und die ganze magische Welt des Buches offenbart sich. Andererseits hätte ich mir an der einen oder anderen Stelle ein wenig mehr Ausschmückungen gewünscht, sodass das ganze mehr Tiefe, mehr Persönlichkeit bekommt. Oft fragte ich mich, wieso bin ich jetzt an dieser Stelle? Wieso gehen sie jetzt da hin? Warum bleiben sie nicht zusammen, wenn es so wichtig und dringend ist? Warum gehen nach diesem im Buch passierten Tag alle einfach nach Hause, obwohl ein schwerer Mord geschehen ist und der eigensinnige Vater von Miles und Grace offensichtlich andere Absichten hat…

Der geschilderte „Ernst“ der Lage ist meiner Meinung nach nicht in den Gefühlsregungen und Reaktionen der Protagonisten zu erkennen. Den sympathisch dargestellten Charakteren fehlt es aus meiner Sicht an Tiefe durch zu bewältigende Vergangenheitsepisoden oder ähnlichem.
Die Liebesgeschichte von Miles und Tristan fühlt sich sehr niedlich an, gerne hätte ich mehr romantische Szenen und Kennenlern-Momente beschrieben bekommen. Am Ende des Buches ist die Beziehung jedoch scheinbar soweit fortgeschritten, dass sie nicht mehr ohne einander sein möchten. Für mich fühlte sich das nicht authentisch an. Mein Eindruck ist, dass die Geschichte in einem sehr kurzen Zeitraum von ein bis drei Wochen erzählt wird.

Nichtsdestotrotz gefällt mir die in das Buch gesteckte Fantasie der Autorin. Wenn ich auch die Ereignissprünge an manchen Stellen verwirrend fand, so mag ich dennoch den versuchten Genre-Mix von „Witchmark“, der aus Romantik-, Fantasie-, Krimi- und Historie-Elementen besteht.

Ich mag das Buch, wie es aussieht, dass es von der Hobbit Presse und Klett-Cotta verlegt wurde und weiß jetzt schon, dass ich den zweiten Band gerne lesen möchte. Schließlich möchte ich erfahren, wie es mit Miles und Tristan weitergeht, was genau eine Amaranthine ausmacht, warum es die „Sturmsänger“ gibt, was es noch für Städte und Orte in der magischen Welt von C. L. Polk gibt, was mit den verstorbenen Seelen passiert und so weiter.

Aus großen Sympathiegründen bekommt das Buch von mir vier Sterne, dennoch war ich mir anfangs nicht sicher, ob ich nicht nur drei Sterne geben würde… Ich bin auf die weitere Entwicklung der Autorin gespannt.

Veröffentlicht am 29.03.2019

Vom Erkennen der Zusammenhänge

Der Wal und das Ende der Welt
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»Dieser Roman gibt einem den Glauben an die Menschheit zurück.« Elle

Ein Zitat, welches mich sofort davon überzeugte, das Buch lesen zu müssen. Und ich muss sagen, Herr John Ironmonger, sie haben mich ...

»Dieser Roman gibt einem den Glauben an die Menschheit zurück.« Elle

Ein Zitat, welches mich sofort davon überzeugte, das Buch lesen zu müssen. Und ich muss sagen, Herr John Ironmonger, sie haben mich mit ihrem Werk ebenfalls überzeugt.
Joe Haak war Analyst einer Bank in London. Er studierte Mathematik an der Universität und seine alltäglichen Aufgaben bestanden unter anderem aus Prognosen (und negativen Zukunftsvisionen). Als er eines Tages mithilfe eines selbstgeschriebenen Computer-Programmes eine besonders düstere Voraussage erkannte, brannten seine Nerven mit ihm durch. Kurzerhand saß er in seinem teuren Sportwagen und fuhr immer der Nase nach Richtung Südwesten, um bisher Dagewesenes hinter sich zu lassen.

Der Roman zäumt das Pferd von hinten auf. Viele Hintergrundinformationen und Beweggründe von Joe erfährt der Lesende erst im Laufe des Geschehens. Zu Beginn des Buches ist nur klar, dass ein nackter Mann an den Strand von St. Piran, einem 300-Seelen-Dorf im äußersten Zipfel von Cornwall, gespült wird. Dieser Mann ist Joe. Die Dorfbewohner kümmern sich um den merkwürdigen jungen Mann, der wirre Sachen erzählt, aber dennoch sympathisch zu sein scheint. Als Joe wenig Zeit später einen gestrandeten Wal am Strand entdeckt und daraufhin viele Menschen des Dorfes zu seiner Rettung animiert, wird er über Nacht zum Helden.

Aber das ist nur der Beginn dieser Geschichte, denn Joe erkennt Zusammenhänge, welche ihm nicht zuletzt durch seinen Beruf bis tief ins Unterbewusstsein eingebrannt sind. Diese Zusammenhänge sind es auch, die ihn ins Auto steigen ließen und wegen denen er bis an die Küste Cornwalls fuhr, um dort ins kalte Nass zu steigen. Um eine Grenze zu überschreiten. Um herauszufinden, ob da noch mehr in ihm ist, als diese triste Idee von einer düsteren Zukunft mit Katastrophen und Dingen, die aufgrund des menschlichen Egoismus zum Scheitern verurteilt sind.

Darum beschließt er, sein Vermögen für Grundnahrungsmittel auszugeben, sie in einem Lager aufzubewahren und die bevorstehende Epidemie zu überleben. St. Piran ist der richtige Ort dafür. Die Anzahl der Menschen im Dorf scheint ihm ideal. Außerdem kommt eine unerwartete Komponente dazu: Diese warmen Gefühle der Hoffnung und der Geborgenheit, welche die Menschen von St. Piran in ihm auslösen. Mitgefühl, Hilfsbereitschaft, Toleranz und Gemeinschaft, sowie ein entschleunigter Lebensstil fahren Joe tief durch Mark und Bein, setzten sich fest und legen in ihm Gedanken frei, die er lange Zeit unbeachtet gelassen hatte.

Über den weiteren Verlauf des Romans „Der Wal und das Ende der Welt“ ließe sich noch eine ganze Menge sagen. Viele der Dorfbewohner werden namentlich genannt, mit einem Beruf, einer bestimmten Rolle oder einer bestimmten Eigenschaft vorgestellt und treten mal mehr und mal weniger als Gesprächspartner mit Joe in den Fokus der Aufmerksamkeit. So entstehen verschiedene Rollenbilder der ansässigen Menschen, die sich in sympathische Klischees kleiden lassen und die auf liebenswürdige Weise einen Kontrast zu dem sanften Joe bilden, welcher von einem schnellen und leistungsorientierten Lebensstil desillusioniert ist.

In Rückblenden wird Joes verworrene Lage deutlicher. Ob Erinnerungen an seiner Mutter, die früh starb, an seine Schwester und seinen Vater, die in anderen Teilen Europas verstreut leben oder an das Leben als Mitarbeiter einer großen Bank in der Londoner Innenstadt – Joe hat mit vielen inneren Dämonen zu kämpfen. Dazu kommt ein gefürchteter Zusammenbruch der Gesellschaft, wie Joe sie kennt.
John Ironmongers Roman ist vielschichtig. Im Zentrum steht Joe Haak mit seinen Ängsten. Viele beschriebene Abläufe der Wirtschaft und des Zusammenlebens gilt es zu hinterfragen. Wie verhält sich eine Gesellschaft im Ausnahmezustand? Ist sich jeder nur der nächste und Egoismus an der Tagesordnung? Kann die Zukunft vorhergesehen werden? Oder gibt es Dinge, mit denen wirklich niemand rechnen kann? Was ist den alten Hochkulturen unserer Geschichte passiert, die es nun nicht mehr gibt. Ein auch im Buch erwähntes Beispiel ist die damalige Gesellschaft auf den im Pazifik befindlichen Osterinseln. Es kam zu einem völligen Verfall der tradierten, auf der Ahnenverehrung fußenden Kultur.

Der Roman gab mir neues Gedankenfutter und erzählte mir nebenbei eine herzerwärmende Geschichte über den Zusammenhalt von Menschen. Danke, John Ironmonger.