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Veröffentlicht am 16.10.2022

"Schöne" neue Welt?

Freiheitsgeld
3


Was hätte man aus diesem Thema für einen spannenden Roman machen können, noch dazu, wenn der Autor Andreas Eschbach heißt und dafür bekannt ist, Science Fiction mit dem Politischen zu verbinden!
Doch ...


Was hätte man aus diesem Thema für einen spannenden Roman machen können, noch dazu, wenn der Autor Andreas Eschbach heißt und dafür bekannt ist, Science Fiction mit dem Politischen zu verbinden!
Doch leider ist es ihm diesmal nicht gelungen, die großen Fragestellungen rund um das Thema „bedingungsloses Grundeinkommen“, das hier „Freiheitsgeld“ genannt wird, zu einem klugen, atmosphärischen Roman zu verdichten. So wird aus einem ebenso spannenden wie aktuellen Gedankenspiel mit den möglichen Folgen eines solchen „Freiheitsgeldes“ leider nur ein Brei aus vielen wie Abziehbilder daherkommenden Charakteren und unwichtigen Nebensträngen der Geschichte, die im Sande verlaufen, anstatt zu einem furiosen Finale zu führen.

Deutschland im Jahr 2064. Die Menschen leben in städtischen Zonen aus aufeinandergetürmten Mietwohnungen, um dem drohendenden Klimakollaps durch eine flächendeckende Baumbepflanzung zu entgehen. Nur wenige ausgewählte Menschen dürfen in die „Oase“ ziehen, eine Gated Community, in der alles schön, sauber und geräumig ist.
Valentin, ein Fitnesstrainer, ist einer der Glücklichen, der es geschafft hat, mit seiner Frau Lina in die „Oase“ aufgenommen zu werden. Er soll sich unter anderem um die körperliche Gesundheit von Robert Havelock kümmern, dem Altpräsidenten, der vor 30 Jahren das „Freiheitsgeld“ eingeführt hat, mit dessen Hilfe alle Menschen auch ohne Arbeit einigermaßen gut über die Runden kommen. Denn die meiste Arbeit wird längst von Robotern erledigt. Allerdings ist der Preis, den Valentin dafür zu zahlen hat, hoch, und Lina weiß nichts von seinem dunklen Geheimnis.
Dann werden kurz nacheinander Robert Havelock und sein ehemals größter Widersacher, der Journalist Günther Leventheim, tot aufgefunden.
Der junge Polizist Ahmad Müller beginnt zu ermitteln und stößt bald auf ein Geflecht aus Lügen, Bedrohungen und Vertuschungen, die alle irgendwie mit dem „Freiheitsgeld“ zu tun haben: Wie wird es eigentlich finanziert? Und wem hat die Einführung des „Freiheitsgeldes“ wirklich genutzt?

Was sich als Plot noch ganz spannend liest, entpuppt sich beim Lesen leider als eine zähe Angelegenheit. Erst werden unendlich viele Figuren eingeführt, die für den Verlauf der Geschichte kaum Bedeutung haben und zudem durch eine sehr klischeehafte und altbackene Charakterisierung auch kein Identifikationspotential bieten. Dann verstört Eschbach durch die Wahl einer bewusst „saloppen“ Sprache, die sich hauptsächlich dadurch auszeichnet, dass ständig das Subjekt weggelassen wird, nur um dann mit Ausdrücken wie „ihr enormes Dekolleté war schon fast waffenscheinpflichtig“ vollends ins Altherrenhafte abzurutschen, und so wird viel gewollt und nichts erreicht.
Ich habe lange überlegt, ob Eschbachs Darstellung der Frauen als durchweg biedere Hausfrauen oder hormongesteuerte Wesen mit Kinderwunsch bewusst so von ihm gewählt wurde, um eine Dystopie zu entwerfen, die eigentlich ein Rückfallen in uralte Rollenmuster bedeutet. Aber ich fürchte, es liegt diesmal doch eher an einer gewissen Lieblosigkeit gegenüber seinen Charakteren.
Immerhin nimmt die Geschichte dann irgendwann an Fahrt auf, als Eschbach sich mehr den Ermittlungen Ahmads widmet. Dann fließen auch endlich profundere Überlegungen rund ums Freiheitsgeld ein. Dafür ist das Ende des Buches angesichts all der vorher um Spannung bemühten Nebenstränge merkwürdig banal. Aber wenigstens konsequent.

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