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Veröffentlicht am 14.09.2022

Berührende Zeitgeschichte

Isidor
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"Isidor" der Autorin Shelly Kupferberg wird als Roman betitelt, meines Erachtens ist es eher eine Mischung aus Sachbuch und Biographie. Den Inhalt hatte ich mir anders vorgestellt, finde es so aber tatsächlich ...

"Isidor" der Autorin Shelly Kupferberg wird als Roman betitelt, meines Erachtens ist es eher eine Mischung aus Sachbuch und Biographie. Den Inhalt hatte ich mir anders vorgestellt, finde es so aber tatsächlich besser, da realistischer, beklemmender, schockierend.

Die Autorin stellt uns das Leben ihres Urgroßonkels vor, der es geschafft hat, sich aus der Armut in seinem Schtetl in Ostgalizien zu befreien und es zum Selfmade-Millionär in Wien schaffte. Er lebte in den 1920-er und 1930-er in Wien. Er verkannte die Gefahr, die ihm vom Nationalsozialismus drohte, und musste dies letztendlich sehr teuer, mit seinem Leben, bezahlen.

Die Autorin schreibt sehr sachlich, ich hatte ein bisschen den Eindruck, sie hat erst über „Fremde“ recherchiert und "fand" in den Zeitzeugnissen ihre Familie. Absolut nachvollziehbar, wenn die Familie aufgrund der Nazis weit verstreut lebt.

Frau Kupferberg hat eine sehr sorgfältige, beeindruckende Recherchearbeit geleistet.
Sie prüfte offizielle Archive, suchte nach dem geraubten Eigentum von Isidor, las Familienbriefe, viele Dokumente und betrachtete alte Fotos. Der Leser erfährt dadurch sehr interessante, und recht unbekannte Informationen über "die Verwaltung" und Ausbeutung der Juden durch die Nazis (z. B. die zu zahlenden Gebühren, wenn jemand auswandern wollte).
Hier ist das Werk deutlich aufschlussreicher als andere Bücher, in denen zwar erwähnt wird, dass und was die Nazis ihren Opfern genommen haben, aber offen bleibt, was genau mit all diesen Sachen passiert ist.

Ich hatte erwartet, dass das Buch überwiegend von Isidor handeln würde. Stattdessen wird er als ein zentraler und schillernder Fixpunkt dargestellt, und um ihn herum seine Familie durchaus detailliert geschildert.

Zusammen mit dem Stammbaum am Ende des Buches erhält man ein recht detailreiches Geflecht aus Verwandten und Bekannten. Das macht dieses Werk vielschichtiger, und auch bedrückender als es ein reiner Roman gekonnt hätte.

Als Leser wird einem so deutlich, wie die Geschehnisse auch Familien entfremdeten, jeder verarbeitet die Eindrücke anders und gelangte zu unterschiedlichen Einschätzungen der sich nähernden Gefahr.

Das Cover mit dem Reh in einem reich verzierten, alten Saal hat anfangs keinen Bezug zum Inhalt. Am Ende des Buches gibt es ein Interview mit der Autorin, und dieses lüftet den Sinn des Covers. Mit dieser Kenntnis ein wunderschönes, berührendes Cover, welches mich erschauern ließ.
Absolute Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 07.02.2021

Regt zum Nachdenken an

Die Erfindung des Dosenöffners
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Was für ein wunderbares Buch.

Timur möchte nach dem Abitur Star-Journalist werden, hat es aber bis dato "nur" zum Lokaljournalismus bei der Zeitung in seiner Kleinstadt geschafft, der immer noch bei ...

Was für ein wunderbares Buch.

Timur möchte nach dem Abitur Star-Journalist werden, hat es aber bis dato "nur" zum Lokaljournalismus bei der Zeitung in seiner Kleinstadt geschafft, der immer noch bei seinem Vater wohnt.

Auf Instagram verfolgt er sehnsüchtig und neidisch das ereignisreiche und aufregende Leben seiner ehemaligen Schulfreunde.

Bei einer Recherche über einen Rentner-Kegelclub lernt er die 70-jährige Annette kennen, die den Dosenöffner erfunden haben soll.

Was mit einem langweiligen Auftrag beginnt, entwickelt sich zu einer wunderbaren Geschichte, in der Timur begreift, dass Erfolg und Glücklichsein zwei unterschiedliche Dinge sind, und auch bei seinen Schulkameraden nichts so läuft, wie es gern auf Instagram dargestellt wird.

Der Text ist gut lesbar, in die Protagonisten kann ich mich gut hineinfühlen. Es werden einige Missstände in unserer Gesellschaft angerissen, wie die extrem verzerrte, "optimierte" Selbstdarstellung auf social media, das beständige Streben nach höher, weiter, mehr und besser, die Suche nach dem eigenen Charakter und der Bedeutung von Familie.

Ich kann mich anderen Kritiken, wonach der Roman zu oberflächlich sei, nicht anschliessen. Eben dadurch, das nicht alles bin in das tiefste Detail seziert und analysiert wird, wurde ich zum Nachdenken angeregt. Das Buch wirkt lange nach.

Klare Leseempfehlung.

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