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Veröffentlicht am 27.04.2024

Realistische Dystopie

Der Traum von einem Baum
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Mit „Der Traum von einem Baum“ endet das sogenannte Klimaquartett von Maja Lunde. In Spitzbergen gibt es eine Pflanzensamenbank, in der fast alle ursprünglichen Pflanzensamen aufbewahrt werden. Hierauf ...

Mit „Der Traum von einem Baum“ endet das sogenannte Klimaquartett von Maja Lunde. In Spitzbergen gibt es eine Pflanzensamenbank, in der fast alle ursprünglichen Pflanzensamen aufbewahrt werden. Hierauf ruht eine letzte Hoffnung in einer dystopischen Endzeitwelt.

Am Ende von „Die Letzten ihrer Art“ hatte ich schon gehofft, dass Maja Lunde die noch offenen Enden der ersten drei Bände des Klimaquartetts zusammenführt. Dies macht sie in „Der Traum von einem Baum“.

Es beginnt ganz hoffnungsfroh damit, dass ein Baum mit grünen Blättern angespült wird auf Spitzbergen. Doch 13 Jahre später, im Jahr 2110, wird alles anders sein. Maja Lunde erzählt diesen Teil der Geschichte in einer Art Rückblick und erst am Ende wird das ganze persönliche Ausmaß für Tommy, der von seiner Großmutter zum künftigen Wächter der Pflanzensamenkammer ausgewählt wurde, sichtbar.

Maja Lunde bringt zu Ende, was sie begonnen hat und hat mit der Auswahl der Charaktere, die sie hier einbringt, eine gute Wahl getroffen. Tao ist wieder mit von der Partie und auch eine weitere alte Bekannte wird auftauchen, deren Geschichte zu Ende erzählt werden musste. Es gelingt der Autorin gleich zu Beginn einen großen Spannungsbogen aufzubauen, denn mit dem Trick, die Geschichte vom Ende herzuleiten, möchte man natürlich wissen, wie es dazu kommen konnte.

Die Einzelschicksale der Hauptfiguren machen betroffen, sie schaffen eine Verbindung in die Zukunft, das gelingt Maja Lunde sehr, sehr gut.

Die Welt im Jahre 2110 ist keine glückliche oder schöne Welt. Die Menschheit hat es nicht geschafft, die Notbremse zu ziehen und die Erderwärmung so zu begrenzen, dass auch die Folgen noch einigermaßen in den Griff zu bekommen waren. Viele Tier- und Pflanzenarten sind ausgestorben und die Naturgewalten sind unberechenbarer geworden, unglaubliche Trockenheit im Süden und zu viel Wasser im Norden. Infrastrukturen sind zusammengebrochen und es gibt die früheren Länder nicht mehr. Auch ist die Menschheit stark geschrumpft und entwickelt sich zivilisatorisch aufgrund von Ressourcenmangel zurück.

Es wirkt so, als ob der Großteil der Menschheit schon aufgegeben hätte, die kleine Gemeinschaft in Spitzbergen hatte eine Zeit der Glückseligkeit, auch wenn dies nicht der richtige Ausdruck dafür ist. Ein wenig hatte es auch von der Abgeschiedenheit einer Sekte vom Rest der Welt. Tao und der Rest ihre Expeditionsmannschaft erhofft sich einen letzten goldenen Treffer durch das Auffinden der Saatgutbank, um doch noch die Kurve zu bekommen bzw. mit dem Saatgut noch einmal neu anfangen zu können.

„Der Traum von einem Baum“ führt einmal mehr vor Augen, in welche Richtung wir uns als Menschheit bewegen, wenn wir nicht ernsthaft beginnen, etwas zu tun und zwar sofort und nicht erst, wenn Technologie XY erfunden wurde. Maja Lunde hat sich im Klimaquartett nicht etwas einfallen lassen, das erst noch passieren muss, vieles ist schon da. Das Bienensterben, immer länger andauernde Dürren, Überschwemmungen und – Fun Fact – sogar der so absurd klingende Export von Gletschereis zur arabischen Halbinsel ist mittlerweile Wirklichkeit geworden, ein grönländisches Start-up ist dabei, diese total bescheuerte Geschäftsidee umzusetzen.

Eine Botschaft Maja Lundes ist, dass wir mehr auf die Natur hören sollten und uns nicht noch weiter von ihr entfernen dürfen, zumindest nehme ich das so für mich mit aus den vier Bänden des Klimaquartetts.

Mich hat das Buch traurig, melancholisch und ein wenig frustriert zurückgelassen, es gibt wenig Hoffnung, auch wenn noch nicht alles verloren ist am Ende. Maja Lunde hat mit „Der Traum von einem Baum“ einen spannenden, ungeschönten Klimaroman geschrieben, der das Klimaquartett gut abschließt. Auch rechnet sie ab mit denjenigen, die es soweit haben kommen lassen, dass kaum noch Zukunft für die Menschen, die es im Jahr 2110 noch gibt. Taos Wut richtet sich gegen uns und die, die vor uns waren und nichts getan haben.

Das Buch bekommt ein klare Leseempfehlung von mir, vielleicht kann es ja dazu bewegen, dass ein paar mehr von uns etwas gegen die Klimakrise tun werden, denn es ist leider als sehr realistische Dystopie geschrieben.

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Veröffentlicht am 14.04.2024

Bestimmen die Vorfahren unser Leben?

Als wir Vögel waren
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„Als wir Vögel waren“ ist ein Roman, der in der Welt der Lebenden und der Toten auf Trinidad spielt. Es geht um Liebe und darum, wie sehr die Vorfahren unser Leben bestimmen können.

Vom ersten Satz an ...

„Als wir Vögel waren“ ist ein Roman, der in der Welt der Lebenden und der Toten auf Trinidad spielt. Es geht um Liebe und darum, wie sehr die Vorfahren unser Leben bestimmen können.

Vom ersten Satz an hat mich die Geschichte in ihren Bann gezogen. Ich fühlte die Spannung mit Yejide auf dem Schoß ihrer Großmutter und die innere Zerrissenheit Emmanuels, der sich von allem abwenden musste, als er sich dafür entschied, den einzig verfügbaren Job anzunehmen.

„Als wir Vögel waren“ beginnt wie ein Märchen und baut immer wieder Elemente ein, die die tiefe Verbindung zwischen der Welt der Geister und der Lebenden deutlich machen. Die beiden Hauptcharaktere sind Gefangene in ihren Traditionen und sowohl Yejide als auch Emmanuel haben einen inneren Befreiungskampf auszufechten ohne sich selbst dabei verlieren zu wollen.

Ayanna Lloyd Banwo nutzt die Landschaft und das Wetter, um die Geschehnisse und die Gefühle zu verstärken. Es zieht ein Sturm auf, als Yejides Mutter stirbt. Ein Sturm ist auch das, was in Yejide tobt, sie muss sich entscheiden. Dadurch wird die Geschichte noch dichter und die Gefühle noch greifbarer.

Gleichzeitig kommt durch die illegalen Geschäfte auf dem Friedhof eine ganz reale Spannung in das Buch. Beim Lesen spürt man die Spannung, die in der Luft liegt, man möchte den Atem anhalten und hofft, dass es gut ausgeht. Ein Buch auf mehreren Ebenen gut erzählt, das ist es. Auch habe ich mehr über die Rastafari gelernt, über die ich vorher einfach kaum etwas wusste.

„Als wir Vögel waren“ erzählt eine magische Geschichte, es hat etwas von Magie und gleichzeitig erzählt es die Geschichte von zwei jungen Menschen, die ihren eigenen Platz im Leben suchen, die unabhängig sein möchten, ohne dabei ihrer Familie zu entsagen.

Ich habe das Buch unglaublich gerne gelesen, erinnerte es mich ein wenig an die Geschichten und die Art wie Gabriel García Márquez seine Geschichten ausbreitete. Es ist im Hier und Jetzt und gleichzeitig auch woanders. Ein ganz wunderbares Buch!

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Veröffentlicht am 07.04.2024

Ändere nicht die Vergangenheit

Das andere Tal
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„Das andere Tal“ beschreibt eine Welt, in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ganz nah beieinanderliegen. Im jeweiligen Nachbartal gibt es ein Tal, das dem anderen nur jeweils zwanzig Jahre voraus ...

„Das andere Tal“ beschreibt eine Welt, in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ganz nah beieinanderliegen. Im jeweiligen Nachbartal gibt es ein Tal, das dem anderen nur jeweils zwanzig Jahre voraus ist oder zwanzig Jahre in der Zeit zurückliegt. Besuche sind nur in seltenen Ausnahmefällen erlaubt, wenn der Tod eines Angehörigen kurz bevorsteht, um diesen Menschen noch einmal zu sehen.

Diese Besuche werden genauestens von den Mitarbeitenden des Conseils geprüft und nur selten gewährt, zu groß ist die Gefahr, dass bei einem Besuch etwas aus dem Ruder läuft und versucht wird in die Vergangenheit einzugreifen. Ein solches Eingreifen kann schwerwiegende Konsequenzen für alle Täler haben und die Zeitlinie verändern.

Das Unheil liegt von Anfang an über der Geschichte. Odile, ein ruhiges Mädchen das eher zu den Außenseitern gehört, sieht Edmes Eltern und weiß, dass sie gekommen sind, weil ihm etwas passieren wird, ansonsten wäre ihnen kein Besuch im Tal gewährt worden.

Scott Alexander Howard hat die Geschichte um „Das andere Tal“ in einem eher puristischen Setting konstruiert. Es spielt in einer Zeit vor unserer Zeit, aber nicht zu weit davor, denn es gibt zum Beispiel schon Autos. Allerdings fehlen Informationen dazu, wie die Außenwelt rund um die Täler ist, wie können die Bewohner Kontakt halten, es scheint nur Ausbildungsberufe zu geben, von einer Universität ist nicht die Rede, obwohl es einen Arzt gibt.

Die Menschen scheinen ein einfacheres Leben als heute zu führen, es gibt weniger Ablenkungen, die Jugendlichen gehen am Wochenende ins Strandbad am See oder treffen sich heimlich im Wald. Es gibt das Teeboot, wohin man zu besonderen Gelegenheiten wie Geburtstagen geht. Odile lebt sehr zurückgezogen mit ihrer Mutter, die sie allein erzieht und die sich wünscht, dass ihre Tochter ihren Traum von einer Ausbildung im Conseil lebt.

Die Menschen leben vor sich hin, vorherbestimmt, es wirkt sehr eindimensional und es war für mich an manchen Stellen etwas langatmig. Die Geschichte geht weiter und da ich nicht allzu viel verraten möchte, erzähle ich jetzt nicht darüber weiter. Plötzlich beginnt ein zweiter Teil, der zwanzig Jahre weiter in der Zukunft spielt. Odile hat einen Beruf gelernt und lebt ein ganz anderes Leben als man hätte erwarten können im ersten Teil.

Scott Alexander Howard bleibt auch hier bei der spartanischen Ausschmückung, doch kleidet er das Innenleben der jetzt erwachsenen Odile mehr aus und mir als Leserin blieb nichts anderes übrig als mit ihr und ihrer Seelenpein mitzuleiden, auch wenn es manchmal ein wenig zu viel erscheint. „Das andere Tal“ packte mich im zweiten Teil und kann mit einem überraschenden Ende und ein paar interessanten Wendungen aufwarten.

Das Gedankenspiel der Zeitreise macht das Buch interessant und der rote Faden der vertanen Chancen. Die Mutter, die will, dass ihre Tochter ihre Träume verwirklicht, die Eltern, die ihren Sohn an seinen Träumen hindern wollen, das Nichteingreifen-Dürfen in die Zeit, auch wenn die Möglichkeit besteht, jederzeit in das andere Tal nebenan zu gehen. Die Menschen sind eingesperrt und sind dazu verdammt, in diesem Tal zu verharren und sich der vorgegebenen Zeitlinie zu fügen. Das erklärt auch, warum vieles nicht ausgeschmückt ist, die Personen nur wenige Charakterzüge haben und nicht komplett wirken.

Das fasziniert und irgendwie hofft man beim Lesen, dass es da noch mehr gibt. Das Buch wird wohl als Serie verfilmt werden und es klingt nach einer guten Vorlage für eine Mini-Serie, allein weil es sehr spartanisch erzählt ist. „Das andere Tal“ hat mich im zweiten Teil eingezogen in die Geschichte oder mehr in Odiles Kopf. Wenn du Freude an Was-wäre-wenn-Gedankenexperimenten hast, ist das Buch etwas für dich.

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Veröffentlicht am 26.02.2024

Gesünder durch die richtige Ernährung

Nahrung fürs Leben
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Was ist der Stand der Dinge in Bezug auf gesunde Ernährung? Tim Spector schaut in „Nahrung fürs Leben“ genau hin und liefert die aktuellsten wissenschaftlichen Erkenntnisse. Wie finden wir einen gesunden ...

Was ist der Stand der Dinge in Bezug auf gesunde Ernährung? Tim Spector schaut in „Nahrung fürs Leben“ genau hin und liefert die aktuellsten wissenschaftlichen Erkenntnisse. Wie finden wir einen gesunden Weg durch den Dschungel der Heilsversprechen zur Ernährung? Braucht es wirklich das Zaubernahrungsergänzungsmittel vom Internetguru oder darf es vielleicht einfach das Gemüse von nebenan sein? Was hilft und worum sollten wir lieber einen sehr großen Bogen machen?

„Nahrung fürs Leben“ ist in zwei Teile unterteilt. Im ersten Abschnitt nimmt sich der Autor den wichtigsten Fragen rund um den aktuellen Stand der Ernährungslehre an.

Am Ende der jeweiligen Kapitel gibt es Tipps bzw. Zusammenfassung wie zum Beispiel „Die fünf besten Tipps zu Lagerung und Zubereitung“.

Im zweiten Teil von „Nahrung fürs Leben“ geht es ans Eingemachte. Jede Lebensmittelkategorie von Obst über Gemüse, Getreide und Saaten, Fleisch, Fisch, Milch und Milch-Alternativen, Süßigkeiten bis zu Getränken, Ölen und Gewürzen bekommt in eigenen Kapiteln Raum und Tim Spector gibt den aktuellen Forschungsstand an die Leserinnen und Leser weiter.

Das Buch schafft es, die neuesten Erkenntnisse der Ernährungswissenschaft in einem gut verständlichen, lockeren Ton zu vermitteln. Auch gibt es viele Beispiele, Verweise zu Studien und wie auch schon in „Die Wahrheit über unser Essen“ eigene Erfahrungsberichte.

Die Lebensmittelindustrie bekommt ihr Fett weg und wir Erwachsenen werden einmal mehr an unsere Vorbildfunktion gegenüber Kindern erinnert. Er zeigt auf, wie sehr sich soziale Ungleichheit bei der Ernährung zeigt und wie wichtig es ist, hier gegenzusteuern, denn es hat nicht nur Auswirkungen auf das einzelne Individuum, sondern auf die Gesellschaft an sich. Auf die Politik zu zählen, ist in Großbritannien wie auch anderswo, noch in weiter Ferne, so dass wir uns schon selbst darum kümmern müssen.

Er rät dazu, immer mal wieder zu experimentieren, offen für Neues zu sein und sich durchs Gemüsebeet zu essen und geht auch auf eine individualisierte Ernährung ein. Dass nicht jede und jeder beim Thema Ernährung mit ein und denselben Ratschlägen gut fährt, ist mittlerweile wohl Konsens. Tim Spector geht hier noch einmal auf Versuchsreihen, die das Unternehmen, an dem er beteiligt ist, durchgeführt hat. Und hier ist ein kleiner Werbepart in seinem Buch, der der Vollständigkeit halber erwähnt werden sollte. Es nervt nicht, er kleidet damit aus, wie er seine eigenen Ernährungsgewohnheiten umgekrempelt hat und immer wieder etwas ausprobiert.

Gut gefällt mir, dass der zweite Teil des Buchs wie ein Nachschlagewerk genutzt werden kann. An den Überschriften der Unterkapitel kann man erkennen, wie viel Mühe er sich gemacht hat. Auch geht er auf Milch-Alternativen ein und auf die ethischen Aspekte der Nahrungsmittelproduktion, wie zum Beispiel Kinderarbeit beim Kakaoanbau oder Massentierhaltung.

Besonders interessant finde ich das Kapitel, in dem er auf Lagerung und Zubereitung und die Auswirkungen auf Nahrungsmittel eingeht. Je nach Zubereitungsart können Nahrungsmittel auch anders aufgenommen werden bzw. verhalten sich anders und haben Auswirkungen auf uns Menschen.

Auch gibt er einer Ernährung, die das Klima schützt, Platz und liefert Quellen zu seinen Aussagen. Er nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es um menschen- und tierunwürdige Produktionsabläufe geht, z. B. war mir nach dem Kapitel über Fischzucht ganz anders und er weiß ganz genau, wie privilegiert er ist. Alles in allem ist „Nahrung fürs Leben“ eine Leseempfehlung für alle, die sich intensiver mit den einzelnen Nahrungsquellen und der individuellen Ernährung auseinandersetzen möchten. Es ist ein Buch, das immer wieder zur Hand genommen werden kann, um darin zu lesen und dank der Listen am Ende der einzelnen Kapitel auch Handlungsanweisungen liefert.

Und – Tim Spector vermittelt in dem Buch nicht nur trockene Fakten und Ernährungsregeln, sondern auch Freude am Essen und seiner Zubereitung. Gesunde Ernährung kann und soll Freude bereiten – eine ganz wichtige Botschaft.

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Veröffentlicht am 14.10.2023

Wenn Protest nicht ernst genommen wird

WUT
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Und wieder ist die Gruppe von Klimaaktivistinnen um Vallie, Sara, Lisa, Robert und Wassim auf den Straßen Berlins unterwegs und demonstriert – alles schön geordnet, nett, freundlich, gesprächsbereit. Es ...

Und wieder ist die Gruppe von Klimaaktivistinnen um Vallie, Sara, Lisa, Robert und Wassim auf den Straßen Berlins unterwegs und demonstriert – alles schön geordnet, nett, freundlich, gesprächsbereit. Es ist ein heißer, schwüler Tag, eines der mittlerweile typischen Unwetter, die meist Leben kosten, ist vorhergesagt.

Plötzlich war da dieser Gedanke, es heute einmal anders verlaufen zu lassen, es eskalieren zu lassen. Die DE, ein Energiekonzern, der per Urteil dazu verpflichtet worden war, die Emissionen innerhalb von Jahren zu halbieren, hatte bekanntgegeben, ins Ausland abzuwandern. Der Tropfen, der dem Fass noch zum Überlaufen gefehlt hatte.

Diese Demo verlief anders als all die anderen Demos zuvor. Ein Teil der Demonstrierenden stürmt die DE-Zentrale, der andere Teil läuft weiter. Wie wird es ausgehen?

Wer jetzt denkt, „Wut“ ist nur ein Buch über Klimaaktivist
innen, die eskalieren, irrt. Es geht viel weiter und erzählt verschiedene Geschichten auf unterschiedlichen Ebenen. Natürlich ist es eine Geschichte, die vermutlich recht nah an der Realität der Klimabewegung ist. Menschen, die einfach immer unter Strom stehen, weil sie sich komplett dafür einsetzen, dass wenigstens das 1,5-Grad-Ziel eingehalten wird und fassungslos sind, weil so wenig getan wird.

Es ist Verzweiflung spürbar und an diesem Tag geht diese Verzweiflung in Wut über und die Situation eskaliert. Die Aufgaben sind klar verteilt: Vallie ist der denkende Kopf, Sara die Emotionale, Wassim ein weiterer Denker, Lisa die Organisierende, die die PR-Frau und Robert eskaliert noch einmal ganz anders.

Sie stehen stellvertretend für die vielen Aktivist*innen, die in unserer Leistungsgesellschaft großgeworden sind, die aufgrund ihrer Herkunft diskriminiert werden und es trotzdem im System schaffen wollten und sogar viel erreicht haben, studiert haben, im Sport erfolgreich waren und irgendwann merkten, dass mit dem System etwas nicht stimmt. Ein System, in dem nur Leistung zählt. Gleichzeitig durften sie ihrer Wut keinen freien Lauf lassen, sondern immer nett bleiben, angepasst.

Raphael Thelen beschreibt die Kämpfe, die seine Hauptfiguren in sich selbst auszufechten haben und wie sie so wurden, wie sie sind. Er beleuchtet ihre Ängste, warum sie sich in der Klimabewegung engagieren und zeigt auch ihre innere Zerrissenheit, zum Beispiel wie es um die Beziehung von Vallie und Sara steht. Es geht weit zurück in die Kindheit und wie sie geprägt wurden.

Und so wird auch klar, wie sich diese Generation irgendwann politisch engagierte und warum sie das tat. Sie erlebten ein unglaubliches Gemeinschaftsgefühl und dann diese unglaubliche Enttäuschung, dass es nur Worthülsen waren und es keinen Klimaschutz gibt, sobald die Freiheit der Wirtschaft gefährdet war.

So weit hat der Roman ganz viel mit der Realität zu tun und könnte vermutlich auch ein Bericht sein, warum viele in der Klimabewegung so verzweifelt, müde und wütend sind. Dann gelingt Raphael Thelen der Twist zu einem filmreifen Finale. Wie es am Ende mit der Demo ausgeht, kann ich allerdings jetzt nicht verraten, aber Hollywood hätte diese Szene nicht besser drehen können.

Zum Schluss gibt es noch eine Utopie, die so vermutlich niemals eintreten wird, aber allein der Gedanke, dass die Welt nicht in einem Mad-Max-Szenario enden wird, tut gut. Es ist ein Roman, es reicht schon, dass die Verzweiflung, die Diskriminierung so echt rüberkommen!

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