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Veröffentlicht am 30.03.2019

Sperrig aber lesenswert

Ein Mensch allein
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"Ein Mensch allen" von Jean Giono ist ein sperriges Buch. Sperrig vor allem deshalb, weil seine Hauptfigur, Langlois, ein sperriger Protagonist ist. 

Man lernt ihn zunächst als etwas eigenwilligen Gendarm ...

"Ein Mensch allen" von Jean Giono ist ein sperriges Buch. Sperrig vor allem deshalb, weil seine Hauptfigur, Langlois, ein sperriger Protagonist ist. 

Man lernt ihn zunächst als etwas eigenwilligen Gendarm kennen, der das Verschwinden von Personen in einem kleinen Dorf untersucht. Er versucht sich dabei, in den Täter hineinzuversetzen - doch hat nicht er den Verdienst, den Fall aufzuklären. Dennoch fällt er selbst das Urteil über den Täter. Später dann kehrt Langlois in das Dorf zurück, dieses Mal als Major des Wolfsjagdkorps. Und wieder arbeitet er wie zuvor als Gendarm. Er will den Wolf in die Enge treiben, will ihn selbst zur Strecke bringen.  

Seinem Charakter kann man beim Lesen kaum habhaft werden. Ist er doch einerseits hochmütig und abweisend, so wirkt er - zumindest aus der Ferne - freundlich und humorvoll, wenn er etwa um der neugierigen Dorfbewohner willen extra einen falschen Weg einschlägt, um sie auszutricksen und ihnen dann mit dem Taschentuch zuwinkt. So bleibt Langlois, egal wie viel man über ihn lebt, ein Sonderling, sperrig und verquer. 

 Jean Gionos Buch aus dem Jahr 1946 ist enorm spannend, wenn der Fall der verschwundenen Personen aufgeklärt wird. Allerdings merkt man bald, dass es gar nicht die Absicht von Giono ist, Spannung aufzubauen. Die Aufklärung ist enorm einfach erzählt, fast schon banal und ist nicht einmal der Schlusspunkt des Buches. 

Nein, Giono will etwas ganz anderes mit seinem Buch erreichen: Immer mehr rückt die Person des Langlois in den Vordergrund, die Umgebung, die Menschen: all das spielt ihm zu, bildet den Horizont, auf dem Langlois abgebildet wird. Ein Bestimmer, ein Anführer, zugleich aber der höfliche Nachbar, zurückhaltend und einsam. Ein Mensch allein, Langlois, vereint all diese Eigenschaften in sich. 

In seinen Beschreibungen entpuppt sich Jean Giono als großer Erzähler. Egal ob er eine Wolfsjagd, eine Buche oder eine Person beschreibt, die Sprache zieht einen nach und nach in ihren Bann. Der Erzähler nimmt den Leser an die Hand, stellt ihm Personen vor, entschuldigt dies und jenes ("Man muss Bergues entschuldigen, der Junggeselle und ein wenig ungehobelt ist"), anderes dafür nicht ("Meine Mutter war Stiefelstepperin und mein Vater ein Zugvogel"). 

Immer ein wenig neckisch führt der Erzähler durch das Geschehen. Manchmal ist es mühsam, ihm zu folgen - vor allem dann, wenn Nebenschauplätze betreten werden und Personen, von deren Wichtigkeit man noch nichts weiß, ausführlichst präsentiert werden. Insgesamt aber macht es eine große Freude, dem Erzähler in angemessener Entfernung zu folgen.  

Veröffentlicht am 19.03.2019

Starker Anfang, schwaches Ende

Die Mauer
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Starker Anfang – schwacher Mittelteil – laues Ende: so lässt sich meine Leseerfahrung von John Lanchesters neuem Roman „Die Mauer“ zusammenfassen.

„Die Mauer“ spielt in einem zukünftigen Großbritannien. ...

Starker Anfang – schwacher Mittelteil – laues Ende: so lässt sich meine Leseerfahrung von John Lanchesters neuem Roman „Die Mauer“ zusammenfassen.

„Die Mauer“ spielt in einem zukünftigen Großbritannien. Die Insel ist ringsum von einer Mauer umgeben – zum Schutz vor dem Wasser, aber auch vor Flüchtlingen. Vieles bleibt in dieser Dystopie im Unklaren, viele Entwicklungen werden nur angedeutet. Wie weit der Roman in der Zukunft spielt, wird nicht gesagt, ebenso wenig wie die Entwicklungen aussahen. Andeutungen zeigen, dass Rohstoffe wie Öl knapp sind, dass Wut auf die Eltern wegen der Folgen des Klimawandels das gesellschaftliche Klima beherrscht, dass ein neues Sklavensystem mit sogenannten „Dienstlingen“ etabliert wurde, dass die meisten Menschen sich nicht mehr fortpflanzen wollen.

Warum es aber dazu kam, wird im Roman nicht aufgelöst. Die Zukunft ist wie sie ist, basta. Das stört am Anfang beim Lesen nicht, denn umso wuchtiger wirkt die Mauer. Ein kalter, unheimlicher Koloss, auf dem die Hauptfigur ihren Dienst tut. Der Grenzschutz ist kein beliebter Dienst und es ist kein einfacher Dienst. Die Flüchtlinge, die es abzuwehren gilt, werden „die Anderen“ genannt – eine andere Bezeichnung haben sie nicht. Dass nicht alle Bewohner mit der Existenz der Mauer einverstanden sind und sich einen anderen Umgang mit den „Anderen“ wünschen, erfährt man im Buch – aber auch das bleibt sehr im Vagen.

Was am Anfang noch funktioniert, weil so die gesamte Aufmerksamkeit auf der Mauer liegt, scheitert im Mittelteil des Buches allerdings kläglich. Immer mehr wünscht man sich weitere, tiefer gehende Informationen. Doch wo anfangs sprachgewaltige Bilder einen fesseln, langweilen einen nun langwierige und langweilige Dialoge. Das Kraftvolle des ersten Teils ist völlig verflogen. Wäre dieser mittlere Teil wenigstens dazu genutzt worden, darzustellen, wie die Entwicklungen vonstatten gingen, hätte mich dies mit dem Buch etwas versöhnt – aber diese Chance wurde vertan.

Und auch der Schlussteil macht es nicht besser. Die Handlung gewinnt zwar nochmals an Fahrt, aber der Hauptfigur wächst kein politisches Bewusstsein. Wo Reibungen, Auseinandersetzungen über die gesellschaftlichen Verhältnisse möglich gewesen wären, wo Menschen unterschiedlicher Ansichten aufeinanderprallen, werden Diskussionen tunlichst vermieden. Die Hauptperson ist und bleibt ein Unpolitischer.

Es ist nachvollziehbar, dass der Verlag das Buch aufgrund seiner scheinbaren Aktualität durch den Brexit auf dem deutschen Markt stark gepusht hat. Berechtigt ist dies freilich nicht. „Die Mauer“ ist alles andere als ein großer Wurf.

Ein Textauszug vom ersten (besseren) Teil des Romans findet sich hie

Veröffentlicht am 17.03.2019

Lebensrückblick eines Killers

Billy
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„Billy“ ist eine Geschichte, die sich langsam, sehr langsam entwickelt. So richtig ist das, was der Schriftsteller mit dem Pseudonym „einzlkind“ hier präsentiert, auch keine Geschichte. Es ist vielmehr ...

„Billy“ ist eine Geschichte, die sich langsam, sehr langsam entwickelt. So richtig ist das, was der Schriftsteller mit dem Pseudonym „einzlkind“ hier präsentiert, auch keine Geschichte. Es ist vielmehr der Lebensrückblick eines Killers, der für Gerechtigkeit mordet. Billy ist nämlich in den USA unterwegs, auf dem Weg nach Las Vegas. Und auf dem Weg lässt er immer wieder sein Leben Revue passieren.

Nach dem frühen Tod seiner Eltern wächst Billy bei seinem Onkel in Schottland auf. Der bringt ihm nicht nur die Philosophie näher, sondern auch das Ausführen von Auftragsmorden. Allerdings – eine Marktlücke! – wird nur ermordet, wer es nach Meinung des Familienunternehmens auch verdient hat. Wohl deshalb entsteht ein festes Ritual, das Billy immer anwendet: das Opfer darf noch seine Lebensgeschichte erzählen und hat einen Liedwunsch frei.

So unterhaltsam die USA-Reise zum Teil auch erzählt ist, deutlich interessanter ist der Lebensbericht von Billy, der nach und nach präsentiert wird. Auch die Diskussionen um Schuld, Reue und Rache nehmen einen großen Platz in dem Buch ein. Selbst wenn sie hier und da zu sehr ins Komische abgleiten, greifen sie doch spannende Fragestellungen auf: Fühlt sich jemand schuldig, der für Gerechtigkeit sorgt? Was wird aus Selbstjustiz, wenn jemand anderes sie ausführt? Allerdings hat man beim Hören den Eindruck, dass sich inhaltlich hier doch vieles wiederholt.

Es ist tatsächlich kein Zug in der Geschichte, die Handlung plätschert vor sich hin, die Diskussionen wiederholen sich. Gut geschrieben ist das Buch aber allemal. Man lernt Billy kennen, kommt ins Grübeln über eine Gerechtigkeit jenseits des Rechts. „Billy“ ist sicherlich kein Hörbuch, das man gehört haben muss. Bereichernd ist es aber allemal.

Veröffentlicht am 06.03.2019

Abenteuerliche Reise auf dem Amazonas

Die Jangada
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Eine Fahrt auf dem Amazonas. verbunden mit einer spannenden Geschichte um spätes Recht: darum geht es in Jules Vernes Abenteuer-Roman "Die Jangada".

Die Jangada ist das, was man auf dem Cover sieht: ein ...

Eine Fahrt auf dem Amazonas. verbunden mit einer spannenden Geschichte um spätes Recht: darum geht es in Jules Vernes Abenteuer-Roman "Die Jangada".

Die Jangada ist das, was man auf dem Cover sieht: ein dicht bebautes Schiff, ein kleines Dorf auf einem riesen Floß, das auf dem Amazonas unterwegs ist. Auf diesem Boot befindet sich Joam Garral, der Brautvater, mit seiner Familie und Angestellten. Denn die Hochzeit soll bei den Schwiegereltern in Belem gefeiert werden - was eine Reise von 800 Meilen auf dem Amazonas bedeutet.

Doch Joam Garral will vor der Hochzeit noch altes Unrecht aufheben lassen - was außer ihm aber niemand weiß. Zumindest so lange, bis ein mysteriöser Mann namens Torres, ein Waldläufer, auf die Reisegesellschaft trifft, der im Besitze eines Kryptogramms ist, das die Unschuld Garrals beweisen könnte.

Wer spannungsarme Reisebeschreibungen nicht mag, wird am ersten Teil des Buches keine große Freude finden. Hier herrschen Beschreibungen der Natur vor, es regieren die kleinen Abenteuer einer Flussfloßfahrt die Handlung. Nur manchmal blitzt der feine Humor von Jules Verne beim Beschreiben der Personen oder bei der Darstellung der Umgebung hervor.

Mit dem zweiten Teil des Buches beginnt dann der spannungsgeladenere Teil. Als Torres auf dem Floß mitfährt, kommt Bewegung in die illustre Reisegruppe. Nicht nur, dass aus der Hochzeit eine Doppelhochzeit wird, auch Joam Garral muss unter Beweis stellen, dass er ein Ehrenmann ist.

Die Art, wie Jules Verne hier erzählt, empfand ich als sehr angenehm. Man wird als Leser an die Hand genommen, ohne dass man das Gefühl hat, belehrt zu werden. Dabei hat mir sowohl die Beschreibung des Amazonas gut gefallen wie auch die sich entwickelnde Handlung. Dank Vernes detailreichen Beschreibungen hätte ich auf die abgedruckten Bilder gut verzichten können. Auch wenn der Erzählfluss etwas langsam ist (was auf jeden Fall der langsamen Fließgeschwindigkeit des Amazonas entspricht!) und etwa das Dechiffrieren des Kryptogramms sehr langatmig erzählt wird, habe ich an "Die Jangada" doch großen Gefallen gefunden. Jules Verne gelingt es, dass einem die Personen bald schon vertraut wirken und man sich mit ihnen freut, wenn sie die große Stadt schließlich erreichen.

Veröffentlicht am 24.02.2019

Heimat und Abschied

Fünf Tage im Mai
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Die Tage im Mai sind es, die Illys Leben maßgeblich beeinflussen. Fünf Tage im Mai greift Autorin Elisabeth R. Hager heraus, um durchzubuchstabieren, was Heimat ist und wie Abschied gelingen kann.

Fünf ...

Die Tage im Mai sind es, die Illys Leben maßgeblich beeinflussen. Fünf Tage im Mai greift Autorin Elisabeth R. Hager heraus, um durchzubuchstabieren, was Heimat ist und wie Abschied gelingen kann.

Fünf Tage im Mai: Nicht fünf aufeinanderfolgende Tage, sondern fünf Maitage in ganz unterschiedlichen Jahren bilden den zeitlichen Rahmen des Romans von Elisabeth R. Hager. Die Handlung spannt sich zwischen den Jahren 1986 und 2004, also über einen Zeitraum von 18 Jahren.

Elisabeth R. Hager erzählt Ausschnitte aus dem Leben von Illy, die Episoden dazwischen lässt sie aus. Wo sie wichtig sind, kommen sie rückblickend zum Vorschein. Auch wenn man zwischendurch den Eindruck hat, dass einem Informationen fehlen: Am Schluss des Buches hat man als Leser den Eindruck, dass die Geschichte rund ist. Dafür sorgt auch, dass in jeder der fünf Geschichten ihr Urgroßvater Korbinian vorkommt, den sie seit ihrer Kindheit liebevoll Tat’ka nennt.

Der Roman beginnt mit der herrlich komischen Geschichte von der Erstkommunion Illys. Dass ihr schlecht wird, sie aus der Kirche rennt, das ist schnell erzählt. Aber mit welcher Raffinesse und mit welchem Ausbund an feinsinnigem Humor das erzählt wird!

Darauf folgt die erste – unglücklich endende – Liebe, darauf wiederum die Heimfahrt von ihrem Studienort Marseille zur Geburtstagsfeier des Urgroßvaters. Die Rückfahrt nach Tirol fällt ihr dabei alles andere als leicht: „Etwas in mir war zum Stillstand gekommen und roch ranzig wie die Haut unter einer zu selten abgelegten Uhr, während die Zeit einfach weiterlief und der Schaffner einen Halt nach dem nächsten ankündigte.“

Die große Kunst, die Elisabeth R. Hager so meisterlich versteht, ist nicht nur das Finden wunderbarer Bilder (vor allem, wenn die großen Festivitäten beschrieben werden), sondern auch das geschickte Verpacken von großen Themen in kleinen Geschichten. Wie überhastet Illy aufgebrochen sein muss, wie schwer ihr die Rückkehr (sei es auch nur auf der Durchreise) fallen musste, all das wird erst nach und nach deutlich. Heimat und Abschiednehmen entpuppen sich erst nach und nach als die beiden zentralen Themen des Romans.

So hält man mit „Fünf Tage im Mai“ zwar eine leichtfüßige, unterhaltsame Geschichte in Händen, zugleich aber auch ein Buch, das die ernsten, prägenden Themen des Lebens zum Tragen bringt.