Wie hätte ich gehandelt?
SturmmädchenNach Trümmermädchen und Findelmädchen habe ich mich sehr auf Sturmmädchen gefreut. Schon die ersten beiden Bücher sind so emotional geschrieben, und hier nimmt uns Lilly Bernstein nun noch ein paar Jahre ...
Nach Trümmermädchen und Findelmädchen habe ich mich sehr auf Sturmmädchen gefreut. Schon die ersten beiden Bücher sind so emotional geschrieben, und hier nimmt uns Lilly Bernstein nun noch ein paar Jahre weiter zurück, aus Köln raus in die Eifel.
Elli und Käthe wachsen 1933 in einem Dorf in der Nähe von Monschau auf. Margot lebt mit ihren Eltern in Aachen und kommt regelmäßig in das Ferienhaus in der Eifel. Die Drei werden unzertrennlich und teilen alles miteinander.
Die Armut in dem Eifeldorf ist kaum vorstellbar und steht in krassem Gegensatz zu dem Reichtum der Aachener Familie. Allerdings ändert sich die Situation zunehmend mit der Stärkung der Nationalsozialisten, die genau zu der Zeit an die Macht kamen und schon ziemlich bald mit der Umsetzung ihres kruden Gedankenguts begannen.
Während Käthe ihre Familie unterstützt, die der Nazi-Ideologie folgt, versuchen Elli und ihre Mutter die Menschlichkeit zu erhalten. Elli selbst hat ein zu kurzes Bein (ich bin nicht ganz sicher, aber sie hatte wohl Kinderlähmung) und wird von ihrer Mutter so gut es geht beschützt und geschont. Dabei möchte sie eigentlich viel mehr tun... Von Margot kommen anfangs noch lange Briefe, aber so richtig viel bekommen die Menschen in dem abgelegenen Dorf nicht mit von dem Unheil, das den Juden auch schon in dieser frühen Nazi-Zeit widerfährt.
Margot kommt 1938 noch einmal in die Eifel, um dort ihre Hochzeit zu feiern, aber schon da ist die Kluft zwischen ihr und Käthe so groß, dass die einstige Freundschaft in Feindschaft umschlägt. Elli kann Käthe nicht verstehen, und beide Mädchen gehen nach und nach ihre eigenen Wege. Wie schlimm es tatsächlich um Margot und ihre Familie steht, erfährt sie erst bei einem Besuch in Aachen. Die Familie wurde enteignet und vegetiert in einem sogenannten Judenhaus, von wo aus sie täglich zur Zwangsarbeit abgeholt wird. Für Elli ist klar, dass sie die Freundin da raus holen muss. Ob sie das schafft und ob sie am Ende auch die große Liebe findet, verrate ich natürlich nicht.
Man taucht direkt auf der ersten Seite in die Geschichte ein. Wie gewohnt hält Lilly Bernstein sich nicht lange damit auf, die Personen vorzustellen, sondern lässt sie einfach ihr normales Leben leben, so dass man sich ganz schnell mit ihnen anfreundet. Elli ist zwar ein wenig naiv, aber man mag sie einfach, denn sie hat das Herz am rechten Fleck. So fiebert man in jeder Sekunde mit ihr mit, egal ob es um den Job geht, um ihre große Liebe Hans, um ihre Mutter oder eben die Befreiung ihrer Freundin.
Ein Buch, das mitten im zweiten Weltkrieg endet, kann eigentlich kein Happy End haben, aber auch das hat die Autorin gut gelöst. Es bleibt einiges offen, aber die Handlung ist trotzdem erst einmal abgeschlossen. Der Rest bleibt der eigenen Fantasie überlassen, und das mag ich sehr.
Es gibt noch einige Themen mehr, die im Roman angesprochen werden; zu viele für eine Rezension... eigentlich hat man alles schon einmal gehört oder gelesen und weiß schon vieles über diese Zeit. Der Roman hat mich trotzdem noch einmal mehr mitgenommen und berührt, da er einfach so empathisch und lebendig geschrieben ist. Ich habe eine neue Perspektive kennengelernt und frage mich wieder einmal, ob ich damals den Mut gehabt hätte, anders zu handeln als die Mitläufer. Hätte man die wenigen Informationen richtig deuten können und sich auf sein Gefühl verlassen? Hätte ich mich der Gefahr ausgesetzt oder vielleicht doch die Vorteile genutzt, indem ich die Augen geschlossen hätte?
Nach dem Klappentext hatte ich eigentlich gehofft, noch mehr über Käthes Beweggründe zu erfahren, sich den Nazis anzuschließen. Es ist ja schon ein Unterschied, ob man des eigenen Vorteils wegen in die Partei eintritt oder aktiv Steine auf Juden wirft... So groß kann der Druck der Gesellschaft eigentlich gar nicht sein. Darauf geht Lilly Bernstein aber nicht genauer ein, so dass man sich selbst die Gründe zusammenreimen muss. Käthe ist eher eine Nebenfigur.
Der Roman hat mich sehr berührt. Eine klare Leseempfehlung!