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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 13.04.2022

Im Dienste Deutschlands

Die Diplomatin
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Friederike Andermann, kurz Fred, gilt als eine erfahrene Konsulin. Doch in Uruguay wird der deutschen Botschafterin eine vermisste Bloggerin zum Verhängnis. Deshalb wird sie ins politisch aufgeheizte Istanbul ...

Friederike Andermann, kurz Fred, gilt als eine erfahrene Konsulin. Doch in Uruguay wird der deutschen Botschafterin eine vermisste Bloggerin zum Verhängnis. Deshalb wird sie ins politisch aufgeheizte Istanbul versetzt, ihrer bisher größte Herausforderung…

„Die Diplomatin“ ist ein Roman von Lucy Fricke.

Meine Meinung:
Die Handlung spielt in Montevideo, Istanbul und Hamburg. Entsprechend besteht der Roman aus drei Teilen unterschiedlicher Länge, die wiederum etliche Kapitel umfassen. Die Geschichte erstreckt sich über mehrere Jahre. Der Aufbau ist plausibel und funktioniert gut.

In sprachlicher Hinsicht hat mich der Roman absolut überzeugt. Der dialoglastige Schreibstil wirkt zunächst schnörkellos. Er konnte mich aber schnell mit seiner dichten Atmosphäre, gelungenen Sprachbildern und den teils lakonischen Zwischentönen begeistern. Erzählt wird in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Fred.

Die Protagonistin ist schon alleine aufgrund ihres Berufs ein interessanter Charakter. Mir gefällt gut, dass sie als authentische, eher reifere Person mit psychologischer Tiefe dargestellt wird. Auch die übrigen Figuren kommen glaubwürdig rüber.

Besonders gereizt hat mich das kreative Thema, die Geschichte einer Botschafterin zu erzählen. Die Umsetzung zeugt von einer fundierten Recherche. Ich habe nicht nur gerne mehr über den Arbeitsalltag einer Diplomatin erfahren, sondern mochte auch die feministischen Aspekte, die in der Geschichte gut herausgearbeitet werden. Auch die vielen aktuellen Anknüpfungspunkte bezüglich der Politik sprechen für den Roman.

Auf rund 250 Seiten kommt keinerlei Langeweile auf. Die Handlung wartet mit Verwicklungen und Hindernissen auf, ohne in punkto Dramatik über das Ziel hinauszuschießen.

Das moderne, kunstvoll gestaltete Cover trifft genau meinen Geschmack, obwohl der inhaltliche Bezug nicht direkt gegeben ist. Der prägnante Titel passt hervorragend.

Mein Fazit:
Mit „Die Diplomatin“ hat Lucy Fricke einen empfehlenswerten Roman geschrieben, der sowohl auf der inhaltlichen als auch auf der sprachlichen Ebene keine Schwächen aufweist. Ein Buch, das Lust darauf macht, weitere Werke der Autorin zu entdecken.

Veröffentlicht am 13.04.2022

Kindheit vor aller Augen

Die Kinder sind Könige
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Schon als junges Mädchen hat Mélanie Diore davon geträumt, bekannt zu sein. Nun ist sie die Mutter zweier Kinder und in den sozialen Medien erfolgreich. Tausende verfolgen ihr Leben und das ihres Nachwuchses. ...

Schon als junges Mädchen hat Mélanie Diore davon geträumt, bekannt zu sein. Nun ist sie die Mutter zweier Kinder und in den sozialen Medien erfolgreich. Tausende verfolgen ihr Leben und das ihres Nachwuchses. Auch ihre Tochter zeigt sie in den Videos und Fotos. Eines Tages verschwindet Kimmy jedoch nach einem Versteckspiel spurlos. Polizistin Clara Roussel nimmt die Ermittlungen auf…

„Die Kinder sind Könige“ ist ein Roman von Delphine de Vigan.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus zwei Teilen, die sich wiederum in etliche umnummerierte Kapitel gliedern. Der erste Teil spielt vorwiegend im Jahr 2019, deckt aber auch die Zeit ab 2001 ab. Der zweite Teil spielt in der Zukunft, konkret im Jahr 2031.

Der Schreibstil macht zunächst einen nüchternen, recht berichtenden Eindruck. Zugleich ist er aber intensiv und einfühlsam.

Die Charaktere werden mit psychologischer Tiefe dargestellt. Sie wirken daher realitätsnah und glaubhaft.

Das Thema des Romans ist brandaktuell und zugleich sehr bedeutsam. Wieder einmal greift die Autorin ein aufwühlendes, kontroverses Sujet auf, das zum Nachdenken und Diskutieren anregt: die ausbeuterische Vermarktung von Kindern in den sozialen Medien und das Verletzen der Rechte und Gefühle von Kindern. All die skurrilen bis gefährlichen Auswüchse und Trends in der Sphäre der Influencer kommen aufs Tableau. Zugegebenermaßen sind die Schilderungen der Folgen im Roman ein eher extremes Beispiel. Ich finde es allerdings toll, dass die Autorin auf diesem Weg für die Problematik sensibilisiert. Darüber hinaus gelingt es ihr, die Vielschichtigkeit und Komplexität des Phänomens abzubilden, ohne die Zwischentöne zu vergessen.

Auf rund 300 Seiten behält der Roman seine soghafte Wirkung bei. Das liegt einerseits an den rätselhaften Umständen des Verschwinden Kimmys und deren unbekannten Gründen. Andererseits versteht es die Autorin, auch in den weniger dramatischen Passagen zu fesseln.

Der deutsche Titel ist erfreulich wortgetreu aus dem französischen Original („Les Enfants Sont Rois“) übersetzt. Das Cover ist hübsch, aber erschließt sich mir nur in Teilen.

Mein Fazit:
Auch mit „Die Kinder sind Könige“ hat mich Delphine de Vigan begeistert. Wieder einmal hat es die Autorin geschafft, eine wichtige Thematik auf gelungene Weise in einen aufrüttelnden Roman zu packen. Uneingeschränkt empfehlenswert!

Veröffentlicht am 05.04.2022

Vom Fallerhof in die weite Welt

Die Uhrmacher der Königin
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Johannes und Ernst Faller sind in St. Märgen im Schwarzwald aufgewachsen. Mit dem Herstellen von Uhren kennen sie sich aus. Doch zu Hause haben sie nicht viel zu erwarten. Deshalb machen sich die Brüder ...

Johannes und Ernst Faller sind in St. Märgen im Schwarzwald aufgewachsen. Mit dem Herstellen von Uhren kennen sie sich aus. Doch zu Hause haben sie nicht viel zu erwarten. Deshalb machen sich die Brüder auf den Weg ins ferne England…

„Die Uhrmacher der Königin“ ist ein historischer Roman von Ralf H. Dorweiler.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus sechs Teilen, die nach den Bestandteilen einer Uhr benannt sind - eine schöne Idee. Zusätzlich gibt es 49 kurze Kapitel, die auf vorbildhafte Weise mit einheitlichen Orts- und Zeitangaben versehen sind. Der Roman endet mit einem Epilog. Die Handlung spielt zwischen 1824 und 1842 an unterschiedlichen Orten. Der Aufbau funktioniert gut.

Erzählt wird aus wechselnden Perspektiven. Der Schreibstil ist anschaulich, bildhaft und einfühlsam. Sprachlich geht der Roman auf die damalige Ausdrucksweise ein, bleibt aber gut lesbar.

Die Protagonisten sind reizvolle und realitätsnahe Charaktere. Zu Beginn habe ich das Personal als zu umfangreich empfunden. Allerdings schafft das Personenverzeichnis Abhilfe, wenn es darum geht, die Figuren zuzuordnen und auseinanderzuhalten.

Auf immerhin rund 500 Seiten bleibt die Geschichte kurzweilig und fesselnd. Sie bietet unterhaltsame und spannende Elemente, ohne jedoch ins Unglaubwürdige oder Übertriebene zu kippen.

Trotz der pandemischen Einschränkungen hat der Autor auch bei diesem Roman sorgsam recherchiert, was dem Buch immer wieder anzumerken ist. Sehr gerne habe ich mehr über das Uhrmacherhandwerk und die Geschehnisse um Königin Victoria gelernt. Interessant ist auch das Nachwort, das den Roman einordnet und erläutert, welche Aspekte auf Fakten beruhen und welche reine Fiktion sind.

Als etwas ärgerlich empfinde ich das Marketing des Verlags. Der Klappentext gibt viel zu viel preis. Der Titel weckt zudem falsche Erwartungen. Das Cover wirkt allerdings hochwertig.

Mein Fazit:
Wieder einmal hat mich Ralf H. Dorweiler mit einem historischen Roman nicht enttäuscht. Mit „Die Uhrmacher der Königin“ hat er erneut eine unterhaltsame und lehrreiche Geschichte geschrieben, die absolut lesenswert ist.

Veröffentlicht am 31.03.2022

Keine einfache Beziehung

Unser wirkliches Leben
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In London studiert Anna (24) Operngesang und hat Probleme, ihr Leben zu finanzieren. Tagsüber muss sie sich gegenüber ihren Kommilitonen behaupten, am Abend verdient sie ihren Unterhalt als Jazzsängerin ...

In London studiert Anna (24) Operngesang und hat Probleme, ihr Leben zu finanzieren. Tagsüber muss sie sich gegenüber ihren Kommilitonen behaupten, am Abend verdient sie ihren Unterhalt als Jazzsängerin in einer Bar. Dort trifft sie auf Max, einen 14 Jahre älteren Banker…

„Unser wirkliches Leben“ ist der Debütroman von Imogen Crimp.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus vier Teilen sehr unterschiedlicher Länge. Sie umfassen insgesamt 23 Kapitel. Der Aufbau ist unkompliziert und funktioniert gut.

In sprachlicher Hinsicht hat mich der Roman komplett überzeugt. Erzählt wird weitgehend chronologisch in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Anna. Der Schreibstil ist recht dialoglastig. Die Sprache wirkt zunächst ziemlich nüchtern, ist zugleich aber atmosphärisch, bildhaft und eindringlich.

Protagonistin Anna ist kein ganz einfacher Charakter. Ihr offener Umgang mit ihren Schwächen und ihre Selbsterkenntnis machen sie jedoch menschlich verständlich und sogar durchaus sympathisch. Ich mochte auch ihre teils bissigen oder zumindest frechen Bemerkungen. Mit der Figur von Max habe ich mich dagegen schwergetan.

Im Kern des Romans geht es um eine moderne Liebesgeschichte zwischen zwei ungleichen Personen. Die Darstellung dieser Beziehung verzichtet erfreulicherweise auf Kitsch und übermäßige Dramatik. Ich empfinde sie in Teilen jedoch als problematisch. Zudem wurde mir nicht so richtig klar, was Anna bei Max hält. Auch die weitere Entwicklung, also der Schluss des Romans, hat mich eher enttäuscht.

Die weiteren Themen und Facetten der Geschichte konnten mich hingegen erreichen. So spielen beispielsweise feministische Punkte eine wichtige Rolle. Darüber hinaus verfügt die Geschichte über psychologischen Tiefgang. Zudem ist dem Roman anzumerken, dass sich die Autorin mit Inhalten wie dem Operngesang bestens auskennt.

Auf den immerhin rund 460 Seiten ist der Roman kurzweilig und unterhaltsam. Tatsächlich entwickelt die Geschichte sogar einen Sog, dem ich mich kaum entziehen konnte.

Der deutsche Titel weicht stark vom englischen Original („A Very Nice Girl“) ab, den ich weitaus passender finde. Das moderne Cover, dessen Motiv sich in der Innengestaltung des Buches fortsetzt, ist allerdings sehr gut gelungen.

Mein Fazit:
Obwohl mich Imogen Crimp auf der inhaltlichen Ebene nicht vollends überzeugen konnte, ist „Unser wirkliches Leben“ ein durchaus lesenswerter Roman.

Veröffentlicht am 28.03.2022

Eine Entführung der etwas anderen Art

Henry
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Als die zwölfjährige Henriette Angermeier auf der Rückbank des Autos erwacht, erblickt sie am Steuer nicht mehr ihre Mutter Marion, sondern einen fremden Kerl. Der 26-jährige Sven wollte sich den teuren ...

Als die zwölfjährige Henriette Angermeier auf der Rückbank des Autos erwacht, erblickt sie am Steuer nicht mehr ihre Mutter Marion, sondern einen fremden Kerl. Der 26-jährige Sven wollte sich den teuren Mercedes in Berlin-Wilmersdorf nur für eine Spritztour schnappen. Mit einem Kind auf der Rückbank hatte er nicht gerechnet. Was nun? Henry möchte sich von ihm nicht aussetzen lassen. So muss Sven das Mädchen mit zu seiner Ex-Freundin Nadja nehmen, bei der er noch immer wohnt…

„Henry“ ist der Debütroman von Florian Gottschick.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus 56 eher kurzen Kapiteln. Das eigentliche Geschehen, das nur wenige Tage umfasst, wird grundsätzlich chronologisch erzählt. Nicht so gerne mochte ich die eingestreuten Vorausdeutungen zu der erwachsenen Henry. Der Roman endet mit einem Epilog, der ebenfalls in einer nicht näher bestimmten Zukunft angesiedelt ist. Der Aufbau funktioniert gut.

Erzählt wird im Präsens aus wechselnder Perspektive. Was die Sprache angeht, bin ich bei diesem Roman hin- und hergerissen. Einerseits mag ich die spritzigen Dialoge und die teils ungewöhnlichen Bilder. Auch die Einschübe zur Statistik finde ich erfrischend. Andererseits sind einige Vergleiche und Metaphern ein wenig schräg und zu sehr drüber. Zudem tritt die Sprache oft in den Hintergrund zugunsten filmreifer Beschreibungen. Die häufigen Fehler, die vom Korrektorat übersehen wurden, stören den Lesefluss.

Henry ist eine sehr sympathische und trotz ihres jungen Alters schon ziemlich altkluge Protagonistin, ein sehr interessanter Charakter mit viel Potenzial. Auch Henrys Familie ist mit psychologischen Details ausgestattet. Das Entführerpaar dagegen kommt recht eindimensional und oft skizzenhaft rüber.

Inhaltlich hat mich die Geschichte leider nicht nur erfreut, sondern auch enttäuscht. Sie hält weder das Versprechen eines Roadtrips noch das einer komplett spannenden Entführung, wobei die Grundidee durchaus reizvoll ist und die ersten Kapitel vielversprechend sind. Thematisch bietet das Buch jedoch ein abwechslungsreiches Spektrum. Gut gelungen sind insbesondere auch die Passagen, in denen es um die Polizeiarbeit und die Psychotherapie geht. Hier hat der Autor seine Hausaufgaben in Bezug auf die Recherche hervorragend erledigt. Dadurch konnte ich sogar Neues lernen. Stark sind außerdem die Bezüge zu Murakami und andere Anklänge. Das angehängte Spaghetti-Rezept ist ebenfalls ein schönes Extra.

An anderen Stellen hat mich der Roman hingegen nicht überzeugt. Der Zufall spielt eine große Rolle, sodass die Realitätsnahe stark strapaziert wird. Zudem hat mich gestört, dass etliche Klischees wie das der engstirnigen und langweiligen Dorfbewohner breitgetreten werden. Geärgert hat mich darüber hinaus, dass das Thema Sex allgegenwärtig ist, auch in Anwesenheit von Henry. Alles in allem ist die Geschichte auf etwas mehr als 300 Seiten zwar unterhaltsam, gleitet aber zu oft aus tiefgründigeren Gewässern wieder ins Seichte ab.

Das Cover hebt sich positiv von der Masse ab und ist sehr ansprechend. Der prägnante Titel ist ebenso eine gute Wahl.

Mein Fazit:
Mit „Henry“ konnte mich Florian Gottschick - trotz vieler guter Ansätze - nur bedingt abholen. Wer sich auf eine kurzweilige und ereignisreiche Geschichte einlassen kann, ohne viel Wert auf Realitätsnähe und Tiefgang zu legen, dürfte mit diesem Roman jedoch glücklich werden.