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Veröffentlicht am 16.12.2019

Recherche vor Ort

Hotel Amerika
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Warum diese Autorin so gut wie vergessen wurde, ist mir unerklärlich. Zum Leben dieser bemerkenswerten Frau, das tragisch 1941 in Südfrankreich endete, hier nur soviel im Hinblick auf den vorliegenden ...

Warum diese Autorin so gut wie vergessen wurde, ist mir unerklärlich. Zum Leben dieser bemerkenswerten Frau, das tragisch 1941 in Südfrankreich endete, hier nur soviel im Hinblick auf den vorliegenden sozialkritischen Roman:
1925 wurde Maria Leitner vom Ullstein-Verlag in die Staaten geschickt, wo sie drei Jahre lang in diversen Jobs das Leben im "Land der Freien und Gleichen" studierte, nicht aus der Perspektive der Journalistin sondern der mittellosen Einwanderin. Sie arbeitete im Automatenrestaurant, als Fließbandarbeiterin, Dienstmädchen bei einem reichen Alkoholschmuggler, Putzfrau im Luxushotel, Verkäuferin im Warenhaus etc.
Maria Leitner hat sich nie damit zufrieden gegeben, Zustände zu beschreiben und anzuklagen, sie hat sie vor Ort studiert. So z.B. auch als sie 1932 untersuchte, warum ein kleines Dorf fast geschlossen für Hitler gestimmt hat ("Im Krug eines Hitler Dorfes"). Noch nachdem sie 1934 endgültig ins Exil gegangen war, reiste sie mehrmals illegal nach Deutschland, um dort für ihre Reportagen zu recherchieren.

Faszinierend an dem Roman "Hotel Amerika" fand ich, dass eine Geschichte vorwiegend aus der Perspektive einzelner Beschäftigten in dem Riesenbetrieb des Luxushotels erzählt wird, in dem die niederen Dienste vor allem von mittellosen Einwanderern und Frauen schwarzer Hautfarbe verrichtet werden. Die geschilderten Arbeitsbedingungen sind so erschütternd wie die Gegenmaßnahmen der Direktion, um aufkommenden Unmut im Keim zu ersticken, vertraut sind.
Auch Maria Leitner gehört zu den verbrannten Autoren, d.h. den Autoren deren Bücher 1933 öffentlich verbrannt wurden.

Veröffentlicht am 16.12.2019

Fronturlaub

Zeit zu leben und Zeit zu sterben
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Dieser Roman hat mich so gefesselt wie schon lange vorher keiner mehr. Ich habe ihn sogar unterwegs immer dabei gehabt, wo ich doch sonst leichte Krimis für die S-Bahn bevorzuge.
"Ich bin so traurig, daß ...

Dieser Roman hat mich so gefesselt wie schon lange vorher keiner mehr. Ich habe ihn sogar unterwegs immer dabei gehabt, wo ich doch sonst leichte Krimis für die S-Bahn bevorzuge.
"Ich bin so traurig, daß ich glaube, ich werde morgen sterben, wenn ich dich verlasse. Aber wenn ich dann denke, was geschehen müßte, damit ich nicht so traurig wäre, dann gibt es nur das eine, daß ich dich nie getroffen hätte. Dann würde ich nicht traurig sein, sondern leer und gleichgültig wieder abfahren. Und wenn ich das denke, dann ist die Trauer keine Trauer mehr. Sie ist ein schwarzes Glück. Die andere Seite des Glücks." (S. 214)
Zum guten Schluss bin ich noch über die Verfilmung im Internet gestolpert, die einerseits sehr amerikanisch war, aber andererseits in den Dialogen näher an der Urfassung des Romans, die dem deutschen Publikum bis vor kurzem verwehrt worden war.
Leider basiert diese Ausgabe auch auf der von 1954.

Veröffentlicht am 16.12.2019

Kindheit in Dresden

Als ich ein kleiner Junge war
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So nun hab ich es endlich auch gelesen, ein Buch, das so schön handlich für die Fahrten mit der S-Bahn ist. Und wieder ging es mir mit Kästner so, dass ich mich köstlich unterhalten gefühlt habe, auch ...

So nun hab ich es endlich auch gelesen, ein Buch, das so schön handlich für die Fahrten mit der S-Bahn ist. Und wieder ging es mir mit Kästner so, dass ich mich köstlich unterhalten gefühlt habe, auch sehr die Wärme seiner Schilderungen genossen habe, und zudem weiß ich endlich, warum mir bisher bei seinem Frauenbild immer so unbehaglich zumute war. Ja, er setzt hier tatsächlich seiner Mutter ein Denkmal, er war ja auch geschlagen mit so einer patenten, wie er sagt "vollkommenen" Mutter. Ich werde beim Lesen weiterer Bücher von Kästner etwas mehr Nachsicht üben.

Veröffentlicht am 16.12.2019

Ein außergewöhnlicher Thriller aus Schweden

SCHWEIGEPFLICHT
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Der Fund einer grässlich zugerichteten Leiche in einem abgelegene Haus und die Verhaftung eines tatverdächtigen bewusstlosen jungen Mannes lösen eine Reihe von Ereignissen aus, die das Leben der Beteiligten ...

Der Fund einer grässlich zugerichteten Leiche in einem abgelegene Haus und die Verhaftung eines tatverdächtigen bewusstlosen jungen Mannes lösen eine Reihe von Ereignissen aus, die das Leben der Beteiligten auf den Kopf stellt. Da ist Emilie, die sich am Anfang einer Karriere als Wirtschaftsanwältin in einer renommierten Anwaltsfirma befindet, Teddy, der nach einem achtjährigen Gefängnisstrafe Recherchejobs für die Anwaltskanzlei übernimmt und dadurch in eingeregeltes Leben zurückfinden will, und dann ist da auch noch Nikola, Teddys Neffe, der gerade dabei ist, endgültig ins kriminelle Millieu abzurutschen.
Auf gut 600 Seiten schildert der Autor eine Geschichte, die sich in den unterschiedlichsten Milieus abspielt, und es gelingt ihm, die handelnden Personen so zu gestalten, dass sie in all ihren Facetten lebendig werden. Die Spannung hält an bis zum Ende, und auch die Erkenntnis, wie unterschiedlich Wahrheit, Gerechtigkeit und Moral sein können, je nachdem, in welcher Welt man sich befindet.
Ein großartiges Leseerlebnis!

Veröffentlicht am 15.12.2019

Warum ausgerechnet Lissabon?

Nachtzug nach Lissabon
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"Mitten im Unterricht verlässt ein Lehrer seine Schule und macht sich auf den Weg nach Lissabon, um den Spuren eines geheimnisvollen Autors zu folgen..."
Zugegeben, dieses Buch wollte ich nicht mehr aus ...

"Mitten im Unterricht verlässt ein Lehrer seine Schule und macht sich auf den Weg nach Lissabon, um den Spuren eines geheimnisvollen Autors zu folgen..."
Zugegeben, dieses Buch wollte ich nicht mehr aus der Hand legen, nachdem ich mit dem Lesen begonnen hatte. Ich habe mir sogar eine extralange Zugfahrt gegönnt, um in Ruhe weiterlesen zu können. Der Roman ist fesselnd und hat mich nicht losgelassen. Während der Lektüre kam mir immer öfter der Gedanke "Hast du das nicht schon mal irgendwo genauso gelesen?" oder aber "In welcher Situation hast du genau diesen Gedanken gehabt?" , das hat einerseits den Lesefluss beflügelt, mich aber andererseits schon beim Lesen befremdet.
Nachdem ich eine Nacht darüber geschlafen habe, bin ich mir noch weniger klar in meiner Bewertung dieses Romans.
Eines jedoch steht für mich fest: ich wünschte mir, der Autor habe seinen Protagonisten eine Iranerin treffen lassen und anschließend nach Isfahan geschickt.
Und ich werde mich endlich entweder an Pessoas Buch der Unruhe heranwagen oder aber eines der anderen noch ungelesenen Bücher (realer) portugiesischer Schriftsteller aus dem Regal nehmen, und in denen darf der Schauplatz der Handlung dann ruhig Lissabon sein.

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