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Veröffentlicht am 08.06.2024

Ein Leben

Im Tal
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Als Toni Rosser tot von einem Wanderer in seiner Hütte gefunden wird, weint ihm niemand eine Träne nach. Wunderlich war der Alte, der da einsam, verwahrlost und allein droben im Tal gehaust hat, gewalttätig ...

Als Toni Rosser tot von einem Wanderer in seiner Hütte gefunden wird, weint ihm niemand eine Träne nach. Wunderlich war der Alte, der da einsam, verwahrlost und allein droben im Tal gehaust hat, gewalttätig wie der Vater einst. So manches Gerücht macht die Runde über den schweigsamen Eigenbrödler, dessen traurige Lebensgeschichte das Buch erzählt.

Tommie Goerz hat hier einen unglaublich atmosphärischen Roman vorgelegt, der eine komplette Lebensgeschichte ablichtet. Der Leser begleitet den kleinen Toni durch seine eintönige Kindheit, geprägt durch die grundlosen Gewaltausbrüche des Vaters. Die Schulzeit, die für den schüchternen, in sich gekehrten, gehemmte Jungen Hähme und Prügel bedeuten, seine Jugend und schließlich seine Flucht weg vom Vater, fort aus dem Tal, hinein in den Krieg. Den ersten Weltkrieg, dessen Schrecken der Leser durch Tonis Augen miterlebt, die anschließende Heimkehr eines veränderten Tonis, der so viel vom Leben erwartet, sich aber dabei selbst am meisten im Weg steht. Denn letztlich kann er nicht aus seiner Haut, kann dem Einfluss des wütenden Vaters nicht entkommen, ist gefangen in sich Selbst.

Der Autor erzählt all dies unaufgeregt, aber um so eindringlicher aus Tonis Sicht, allerdings nicht in der Ich-Form. Fast hat es den Anschein als wäre Toni nur ein Beobachter seiner Selbst, ein Gast in seinem eigenen Kopf. Er ist dem Leser nicht unbedingt sympatisch, aber man fühlt mit dem ängstlichen Knaben, dem gehemmten jungen Mann, dem vom Leben enttäuschten Einsiedler. Gleichzeitig wird man auch wütend auf die Welt, auf den prügelnden Vater, die eifersüchtigen Klassenkameraden, die ignoranten Dorfbewohner, die nur all zu gern tratschen und so das Bild von Toni erschaffen, dem sich dieser dann immer mehr angleicht.

Eingebettet ist diese dramatische Lebensgeschichte in eindrucksvolle Landschaftsbeschreibungen und ein sehr authentisches Bild der damaligen Zeit. Der Autor beschreibt das beschwehrliche bäuerliche Leben im ländlichen Franken, den industriellen Fortschritt und ebenso die Schrecken des ersten und zweiten Weltkrieges und dazwischen immer Toni, der suchende, der getriebene, der missverstandene, vom Leben enttäuschte Toni.

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Veröffentlicht am 08.06.2024

Machtspiele

Die Schwester
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Ich bin ja in Zeiten des Kalten Krieges groß geworden. Wenn wir von der Angst vor einem Atomkrieg gesprochen haben, war da eigentlich immer die Rede von den USA und Russland, damals noch die UdSSR. Heute ...

Ich bin ja in Zeiten des Kalten Krieges groß geworden. Wenn wir von der Angst vor einem Atomkrieg gesprochen haben, war da eigentlich immer die Rede von den USA und Russland, damals noch die UdSSR. Heute wissen wir natürlich, wie naiv es war sich einzig auf diese beiden Atommächte zu beschränken, gibt es doch heute immer mehr Länder auf der Welt, die ebenfalls über Nuklearwaffen verfügen und nicht müde werden der Welt damit zu drohen. Ein Land fällt uns in diesem Zusammenhang sicher direkt ein, Nordkorea. Ein Land, über das wir in der westlichen Welt nicht wirklich viel wissen, ein Land, das uns in vielerlei Hinsicht fremd ist.

Wenn ich Nordkorea höre habe ich natürlich direkt das Bild des politischen Führers des Landes vor Augen, Kim Jong Un, eine Person, die man auf Grund ihres Aussehens vielleicht erstmal belächeln würde. Das an ihm allerdings so gar nichts zu belächeln ist wurde der Welt recht schnell klar. Das vorliegende Buch bietet einen intensiven und beängstigenden Blick auf die Person Kim Jong Un, auf seine Politik, auf seine Herkunft, auf seine Familie und damit auf die wohl wichtigste Person in seinem Leben (neben seinem Vater und seinem Großvater), auf seine Schwester.

Lange war der Welt nicht einmal klar, das die Frau, die den Machthaber begleitet tatsächlich seine Schwester ist, denn keine andere Herrscherfamilie macht so ein Geheimnis um sich selbst, wie die Nordkoreas. Selten hat die Mystifizierung, der Kult um eine Person, um eine Familie solche Ausmaße angenommen, wie in diesem Fall. Es ist unglaublich interessant den Ausführungen des Autors zu folgen, von denen viele lediglich durch die akribische Analyse und anschließende Deutung von Bildmaterial und Aussagen der Beteiligten zustande kommen. Nur eine Kenner der Kultur des kleinen asiatischen Landes kann hier die entsprechenden Schlüsse ziehen.

Obwohl das Buch "Die Schwester" heißt, tritt Kim Yo Jong nur anfangs kurz in Erscheinung, als ihr Auftritt bei den olympischen Spielen in Südkorea beschrieben wird. Der Autor legt großen Wert darauf dem Leser die komplette Familiengeschichte darzulegen und macht so deutlich, worauf sich der Machtanspruch des Diktators stützt. Es ist erschreckend zu lesen mit welchen Mitteln gegen das eigene Volk, sogar gegen die eigene Familie vorgegangen wird, um die Führungsrolle zu stärken. Bei Beschreibungen zu Ausschweifungen und Exzessen angesichts einer hungernden Bevölkerung kommt Wut und Unverständnis auf, richtig beängstigend wird es aber, wenn man liest wie hörig die Menschen ihrer Herrscherfamilie folgen.

Der Autor beschreibt einen manipulativen Machthaber, der mit den Andeutungen zum roten Atomknopf auf seinem Schreibtisch die Welt erpresst, der von Wiedervereinigung und Denuklearisierung spricht, sogar Friedensverträge unterzeichnet, bei denen ihm seine Schwester den Stift reicht und am nächsten Tag eine neue Langstreckenrakete testet. Einen Machthaber, der rauschende Feste feiert und nicht davor zurückschreckt dafür hübsche Frauen auf der ganzen Welt entführen zu lassen. Ein Machthaber, den man leicht als verrückt abtun könnte, dessen ganzes Auftreten aber wohl inszeniert ist und das eben auch mit Hilfe seiner Schwester.

Manchmal ist es während der Lektüre nicht leicht den Überblick zu behalten, den der Autor springt zeitlich sehr durch die verschiedenen Ereignisse. Auch die Ähnlichkeit der Namen macht es nicht leichter, ob jetzt vom aktuellen Herrscher, seinem Vater, oder gar seinem Großvater, dem Gründer der Republik, die Rede ist, war mir manchmal nicht direkt klar. Ich habe mich manchmal gefragt, warum sich der Autor so intensiv auch mit der Vergangenheit beschäftigt, es ist aber letztlich nötig, um die Rolle der Schwester innerhalb dieses Machtgefüges zu verstehen.

Kim Yo Jong, eine Frau, die fast unscheinbar und schüchtern wirkt, die aber hinter einem der mächtigsten und gefährlichsten Männer unserer Zeit die Fäden in der Hand und vielleicht sogar den Finger am Atomknopf hat. Eine Frau vor der man durchaus Angst haben sollte.

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Veröffentlicht am 24.05.2024

Das Ende ist nah

Weltuntergänge. Vom Sinn der Endzeit-Erzählungen
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Der Weltuntergang kommt, das ist bekannt, schließlich wir in fünf bis sieben Milliarden Jahren unsere Sonne verglühen und die Erde unbewohnbar machen. Das werden wir nicht mehr erleben und unsere Nachkommen ...

Der Weltuntergang kommt, das ist bekannt, schließlich wir in fünf bis sieben Milliarden Jahren unsere Sonne verglühen und die Erde unbewohnbar machen. Das werden wir nicht mehr erleben und unsere Nachkommen haben bis dahin hoffentlich eine andere Heimat gefunden, oder sie haben es erfolgreich geschafft sich selbst in die Luft zu sprengen, irgendwelche Killerviren zu züchten, uns fällt ein Asteroid auf den Kopf, oder Gott hat letztlich die Nase voll von seiner Schöpfung und schickt eine neue Flut.

Szenarien der Apokalypse, des Weltuntergangs sind so alt wie die Menschheit. Waren sie in früheren Zeiten eher von Gott geschickt, wie eben die Sinnflut, die sicher ein reales Ereignis zum Vorbild hat, sind es heute menschengemachte Bedrohungen, die uns ängstigen. In Büchern und Filmen (nicht nur der Bibel) wird diese Thematik schon lange behandelt, wobei es dabei nicht nur darum geht Ängste zu schüren, sondern eher darum, damit umgehen zu können.

Ingo Reuter behandelt in seinem, Buch die verschiedensten Endzeitszenarien und ihre Wahrscheinlichkeit. Bei manchen kann er uns beruhigen, so ist ein Atomkrieg heute eher unwahrscheinlich und auch Aliens werden in absehbarer Zukunft wohl nicht auf Beutezug hier vorbei kommen. Anderes wieder, wie globale Klimakatastrophen sind da schon eher wahrscheinlich.

Der Autor erläutert anschaulich und mit einer guten Prise Humor, warum uns solche Szenarien faszinieren und wie sie oft ein Spiegel der Gesellschaft sind, wie Autoren und Filmemacher hier den Finger auf die Wunde legen. Er stellt verschiedene Erzählweisen einander gegenüber und analysiert Hintergründe und Wirkung. Viele seiner Beispiele sind dem Leser wahrscheinlich bekannt, man bekommt aber durch seine Deutung nochmal einen ganz anderen Blick darauf.

Das Buch beleuchtet verschiedenste Aspekte von Endzeiterzählungen und erklärt die Faszination, die von ihnen ausgeht und wer danach noch nicht genug hat findet am Ende noch eine Liste mit Literatur - und Filmtipps.

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Veröffentlicht am 30.04.2024

Liebe

Der Friedhofswärter (eBook)
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In den 1950iger Jahren im konservativen Städtchen Blowing Rock. Das Leben scheint vorgezeichnet für den jungen Jacob. Sein Vater führt erfolgreich die Sägemühle des Ortes, seine Mutter betreibt den Lebensmittelladen, ...

In den 1950iger Jahren im konservativen Städtchen Blowing Rock. Das Leben scheint vorgezeichnet für den jungen Jacob. Sein Vater führt erfolgreich die Sägemühle des Ortes, seine Mutter betreibt den Lebensmittelladen, all dies soll Jacob nach seinem Schulabschluss übernehmen, sogar eine Heirat mir der Tochter eines befreundeten Unternehmerpaares ist quasi beschlossene Sache. Als Jacob mit der 16jährigen Naomi durchbrennt sind seine Eltern nicht erfreut und als er kurz darauf zum Korea Krieg eingezogen wird, ist die schwangere Naomi auf sich allein gestellt, einzig Jacobs Jugendfreund Blackburn Grant kümmert sich rührend um die junge Frau.

Ich hatte bisher noch keins der Bücher des Autors gelesen, war aber von seinem Schreibstil direkt angetan. Rash erzählt seine Geschichte sehr ruhig und unaufgeregt, fast melancholisch, aber mit so viel Tiefe und Einfühlungsvermögen, dass man direkt gefesselt ist und das Buch kaum aus der Hand legen kann. Der Autor beschreibt die Bigotterie, die verknöcherten Hierarchien in der amerikanischen Kleinstadt sehr treffend, ebenso wird der Schrecken des Korea Krieges eindrücklich dargestellt, die Ängste der Soldaten vor Ort (inklusive erlittener Kriegstraumata, die ja zur damaligen Zeit eher totgeschwiegen wurden), ebenso wie die der Familien zu Hause. Sehr deutlich wird dies zb bei der Beschreibung des Telegrammboten, den die Menschen auf der Straße meiden, weil er derjenige ist, der die schlimmen Nachrichten von der Front an die Familien überbringt (hier in der Geschichte kommt ihm dann aber noch eine ganz besondere Rolle zu), aber auch in der Art und Weise, wie Jacobs Eltern ihren Status in der Gemeinde Ausnutzen um ihre Ziele zu verfolgen, ein eingeforderter Gefallen hier, die Erinnerung an eine geleistete Hilfe dort, da ein geziehlt gestreutes Gerücht, dort eine unterschwellige Drohung.

Das Buch ist aber in erster Linie eines über das Leben. Über die Liebe, die Eltern für ihre Kinder empfinden und was sie bereit sind zu tun um diese, ihre Kinder zu beschützen. Die Liebe zwischen zwei jungen Menschen, allen Widerständen zum Trotz, die tiefe Verbundenheit zwischen zwei Freunden, ein Buch über Vertrauen, darüber, das Richtige zu tun. Das Buch liefert damit eine recht einfache Botschaft, man könnte sie sogar als banal bezeichnen - der einfache Weg ist nicht unbedingt der Richtige und es ist wichtig dir selbst treu zu bleiben.

Das Buch ist von seiner ganzen Art her keines, das man an einem strahlenden Sommertag auf der Terasse liest, es ist eher eines, mit dem man sich an einem trüben Tag auf dem Sofa einkuschelt und sich dann von der besonderen Stimmung mitnehmen lässt. Egal wo und wie, lesen sollte man es aber auf jeden Fall.

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Veröffentlicht am 21.04.2024

Tiefgang mit Humor

Drei ostdeutsche Frauen betrinken sich und gründen den idealen Staat
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Drei Frauen, drei Künstlerinnen, drei Freigeister, drei Freundinnen geboren und aufgewachsen in der ehemaligen DDR, setzten sich zusammen und diskutieren. Ihre Gespräche zeichnen sie auf und wandeln sie ...

Drei Frauen, drei Künstlerinnen, drei Freigeister, drei Freundinnen geboren und aufgewachsen in der ehemaligen DDR, setzten sich zusammen und diskutieren. Ihre Gespräche zeichnen sie auf und wandeln sie später in dieses Buch um, ein Buch voller tiefgründiger Gedanken, zum Nachdenken, zum mitdiskutieren, aber vor allem zum Schmunzeln.

An sieben Abenden treffen sich die drei Freundinnen, um über vorher festgelegte Themen zu fachsimpeln. Mal bei der einen in der Wohnung, mal bei einer anderen in der Datsche, mal auf dem Gelände eines ehemaligen Ferienheims, immer mit reichlich Alkohol im Gepäck. Die Themenwahl ist ziemlich breit gefächert, da wird natürlich über Ost und West im Allgemeinen diskutiert, aber eben auch über die "Ostfrau" im Besonderen. Themen wie Demokratie, das Abtreibungsgesetz, oder Rechtspopulismus kommen da neben Erinnerungen an den Fahnenapell, oder die Pädagogik in der DDR zur Sprache.

Da ich alterstechnisch ziemlich gut da rein passe, hab ich mich natürlich im Buch wie zu Hause gefühlt. Es war herrlich so in Erinnerungen zu schwelgen und immer wieder zu denken - ja, genauso war es, aber eben auch - das hab ich anders erlebt. Auch die Art und Weise der Umsetzung hat mir gut gefallen. Da protokolliert nicht einfach jemand ein Gespräch, sondern man sitzt als Leser quasi mit am Küchentisch, auf dem Balkon, am Ufer des Sees, man folgt den Gesprächen der Frauen, die dann eben auch mal durcheinanderquatschen, zwischendurch hüsteln, kauen, oder nach einer Mücke schlagen. Das ganze Drumherum fließt so selbstverständlich in das Buch ein, das man eben mittendrin, statt nur dabei ist. Obwohl die Aussagen im Buch ganz persönliche Einzelmeinungen darstellen, merkt man, das die Autorinnen sich Gedanken gemacht haben und auch über entsprechendes Hintergrundwissen verfügen. Da wird nicht einfach so was dahergeplappert. So wird in Nacht drei ein Flugblatt von 1989 nochmal gegengelesen, an dem Autorin Anett mitgearbeitet hat und die Frauen geben hier auch ehrlich zu, dass sie einige Aussagen so heute nicht mehr unterstützen würden.

Die Gespräche im Buch wirken echt auf mich, selbstkritisch, selbstreflektiert, es geht nicht unbedingt um political correctness, so würde ich auch mit meinen Mädels zusammensitzen und das macht mir die Autorinnen unglaublich sympathisch. Ich bin eigentlich kein Freund von Höhrbüchern, aber dieses hier ist natürlich prädestiniert dafür, auch ein Podcast wäre eine tolle Form sich die Gespräche anzuhören, einfach, weil dann der Humor der Frauen noch besser zum Ausdruck käme. Für mich dürfen die Drei gern weiter fachsimpeln und dabei den Recorder laufen lassen.

Unbedingt bitte auch den Anhang mitlesen, die Erklärungen zu den Fußnoten, die hier zusammengefasst sind, sind nochmal ein zusätzliches Schmankerl.

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