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Veröffentlicht am 11.10.2018

Selbstgebackenes Brot macht glücklich, zumindest ein bisschen

Ca. 750 g Glück – Das kleine Buch über die große Lust sein eigenes Sauerteigbrot zu backen
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Wie backe ich mein erstes eigenes Sauerteigbrot und warum sollte ich überhaupt Brot backen? Das erklären uns Judith Stoletzky und Lutz Geißler in Form dieses kleinen Buchs.
Es ist unterteilt in verschiedene ...

Wie backe ich mein erstes eigenes Sauerteigbrot und warum sollte ich überhaupt Brot backen? Das erklären uns Judith Stoletzky und Lutz Geißler in Form dieses kleinen Buchs.
Es ist unterteilt in verschiedene Kapitel, die übers Brotbacken philosophieren und ganz viel Lust darauf machen, Teig anzurühren, dem eigenen Sauerteig einen Namen zu geben (zum Beispiel Susi) und dann den Teig in den Ofen zu schieben und darauf zu warten einen duftenden, warmen Laib Brot aus der Röhre zu ziehen.

So wunderbar dieses kleine Buch geschrieben ist und so wertvoll auch manche Erkenntnisse sind, so unpassend finde ich die Aufmachung des Buchs.
Die Seiten sind strahlend weiß und glatt, die Haptik, die beim Brotbacken als so wichtig beschrieben wird, passt hier gar nicht zum Inhalt des Buchs. Auch wenn das Papier aufgrund der Fotos gewählt wurde, hätte ich mir für den Text, der doch überwiegt, eine leicht raue, matt weiße Papierart gewünscht.
Der Einband, überzeugt mich ebenfalls nicht, er fühlt sich beschichtet an, mir hätte ein Einband aus Stoff besser gefallen. Das Format hingegen ist schön, klein und handlich.
Auch die Schrift will so gar nicht in dieses Plädoyer für Achtsamkeit und Langsamkeit passen, die serifenlose, moderne Schrift steht im Gegensatz zu dem auf Tradition und Nostalgie (Stichwort Fotografie/Photographie) beruhenden Gesamtkonzept.
Die Fotos von Hubertus Schüler sind toll, gerade weil sie analog und mit Lochkamera hergestellt wurden. Sie zeigen auch wie mit einem Rezept und mehreren Bäckern die verschiedensten Brote entstehen können. Und wie hat schon Bob Ross gesagt: Es gibt keine Fehler, nur glückliche kleine Zufälle.

Der Tonfall, in dem Judith Stoletzky das Brotbacken beschreibt ist geglückt und liest sich angenehm locker und gut. Mir hat besonders die ausführliche Beschreibung des Rezepts gefallen. Die häufigsten Fehler können von Anfang an vermieden werden, wenn man den Text genau liest und lassen obengenannte Zufälle fast verschwinden.

Deswegen jetzt gleich anfangen, Sauerteig anrühren und schon bald ein selbstgebackenes Brot aus dem Ofen ziehen, das laut Lutz Geißler nur 9 Minuten und 20 Sekunden Arbeitszeit kostet. Und wenn das kein Argument ist, dann hilft wohl nur in dem Büchlein blättern und Motivation sammeln!

Veröffentlicht am 11.10.2018

Jeder der wegschaut wird zum Täter

Deutsches Haus
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Eva ist Übersetzerin für Polnisch und wird beauftragt die Aussage eines ehemaligen KZ-Häftlings zu übersetzen. Sie ist Mitte 20, lebt mit ihren Eltern, die das Gasthaus „Deutsches Haus“ betreiben, ihrer ...

Eva ist Übersetzerin für Polnisch und wird beauftragt die Aussage eines ehemaligen KZ-Häftlings zu übersetzen. Sie ist Mitte 20, lebt mit ihren Eltern, die das Gasthaus „Deutsches Haus“ betreiben, ihrer älteren Schwester und ihrem jüngeren Bruder zusammen und hat vorher noch nie von Auschwitz gehört oder dem Ausmaß der Verbrechen die dort und in anderen Lagern geschehen sind. Der Roman spielt in Frankfurt, Anfang der sechziger Jahre, zwanzig Jahre nach Ende des 2.Weltkriegs.

Als Eva gegen den Willen ihres Verlobten beginnt im Prozess als Übersetzerin zu arbeiten, schlägt ihr aus ihrem Umfeld nur Widerwillen und Abweisung entgegen. Alle versuchen den Krieg und seine Auswirkungen zu verdrängen, sich ihrer Schuld zu entziehen und nicht darüber nachzudenken, was in den Lagern geschehen ist.
Evas Bruder spielt Krieg, ihre Schwester macht absichtlich Neugeborene krank, nur um sie gesund pflegen zu können und ihre Eltern haben den Krieg und ihre eigene Täterrolle verdrängt.

Der Einstieg in die Geschichte ist mir erst schwer gefallen, der Schreibstil erinnert am Anfang an ein Drehbuch, eher kalt, sachlich und nüchtern werden die Personen und ihre Handlungen, die Szenerie beschrieben. Das ändert sich jedoch im Verlauf des Romans. Wir folgen Eva im Prozess und in ihrer schwierigen Situation mit ihrem Verlobten Jürgen, den sie liebt, aber der selbst eine Vergangenheit nicht verarbeitet hat und seine Launen an Eva auslässt.

Das Buch wird zunehmend beklemmender, je mehr Eva und die Leserin über die Verbrechen der NS-Zeit erfährt und erreicht seinen Höhepunkt, als Evas eigene Vergangenheit unmittelbar im Prozess zu Tage tritt.

Evas Konflikte mit ihrer Familie und ihrem Verlobten und die Auseinandersetzung mit der größtenteils verdrängten Vergangenheit sind sehr gelungen. Das Ausmaß der Verdrängung ist erschreckend und heute kaum noch vorstellbar. Wenn davon geredet wird, dass die Vernichtung von so vielen Menschen logistisch gar nicht möglich sei oder dass die Zeugen lügen würden, weil der, der das meiste Unglück erfahren hat, „gewinnt“, bleibt einem schon mal die Spucke weg.

Annette Hess ist mit ihrem Roman die Darstellung eines bedeutsamen Stücks deutscher Zeitgeschichte gelungen. Sie zeigt wie wichtig es ist, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen und sich bewusst zu werden, was während des zweiten Weltkriegs in Deutschland geschehen ist und wie jeder der weggeschaut zum Täter wird. Sie zeigt auch die Folgen der Verdrängung und wie fehlende Aufarbeitung zur Verfestigung von Angst und Vorurteilen und damit zu Gewalt und Ausgrenzung alles Fremden führt.

Veröffentlicht am 11.10.2018

Konfliktreiche Geschichte um zwei Frauen die ein Kind bekommen

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Frauen können endlich auch ohne Männer Kinder bekommen! Dank einer neuen Methode kann jetzt aus zwei Eizellen ein Embryo werden. Dass bei dieser Methode ausschließlich Mädchen mit zwei X-Chromosomen gezeugt ...

Frauen können endlich auch ohne Männer Kinder bekommen! Dank einer neuen Methode kann jetzt aus zwei Eizellen ein Embryo werden. Dass bei dieser Methode ausschließlich Mädchen mit zwei X-Chromosomen gezeugt werden können und weder für die Schwangerschaft noch die Geburt wirklich Männer gebraucht werden, passt einigen fanatischen bibeltreuen Anhängern der sogenannten „Traditionellen Familie“ so gar nicht und sie versuchen alles um (in diesem Fall lesbischen) Frauen diese Möglichkeit zu verwehren.

Jules und Rosie nehmen an der neuen Studie teil, sie wollen die Möglichkeit nutzen, um ein genetisch eigenes Kind zu bekommen. Jules lässt sich von der Euphorie mitreißen, dass es überhaupt möglich ist, ein genetisch eigenes Kind mit ihrer Frau zu haben. Sie entschließt sich trotz Zweifeln, den entscheidenden Schritt zu gehen.

Der Roman wird aus Jules Sicht erzählt. Sie ist die Ich-Erzählerin und schildert im Präsens ihre Sichtweise der Ereignisse. Vor allem ihr innerer Konflikt wird sehr glaubwürdig und nachvollziehbar dargestellt, auch wenn diese Schilderung teilweise von Wiederholungen geprägt ist.
Der Stil wirkt anfangs ein wenig unbeholfen,die Dialoge manchmal gestelzt, aber das legt sich im Lauf der Geschichte. Die Erzählweise bleibt aber im Gegensatz zu diesem unkonventionellen Thema sehr traditionell.

Die Geschichte wird getragen von den Konflikten die Jules mit den Gegnern der Studie auszufechten hat, mit Rosie, ihrem Vater, ihrem Chef und auch mit sich selbst. Das wird zuweilen sehr anstrengend für die Leser*in, weil die große Unterstützung für die beiden, die ich eigentlich erwarten würde, ausbleibt und Jules fast allein gegen alle Widerstände (auch ihre eigenen) kämpfen muss. Gegendemonstrationen, Solidarisierungen und Unterstützung via Social Media etc. fehlen fast vollständig, was eigentlich wenig Sinn macht, weil der Gesetzentwurf ja erstmal erstritten werden musste und dafür brauchte es Menschen die dafür kämpfen.

Andrea Chadwick ist mit ihrem ersten Roman ein Einblick in ein ungewöhnliches und in der Literatur nur sehr selten vorkommendes Thema gelungen. Sie hat diese hochinteressante (möglicherweise) Zukunftsvision zwar nur auf konventionelle Art umgesetzt, aber die Figuren und der Blick auf die Argumente beider Seiten sind durchweg gelungen!

Veröffentlicht am 23.09.2018

Mehr Fragen als Antworten

Hier ist es schön
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Irma und Sam sind die Auserwählten, die die Erde verlassen und auf einem neuen Planeten eine neue Heimat aufbauen sollen. Davor mussten sie eine Auswahl in einer Arena durchlaufen, die weltweit in Form ...

Irma und Sam sind die Auserwählten, die die Erde verlassen und auf einem neuen Planeten eine neue Heimat aufbauen sollen. Davor mussten sie eine Auswahl in einer Arena durchlaufen, die weltweit in Form von Fernsehsendungen übertragen wurde. Sie bereiten sich 10 Jahre lang fern von Familie und Freunden auf ihre Mission vor und eines Tages öffnet Sam eine Tür auf der Ausgang steht. Irma begleitet ihn nach draußen und zusammen machen sie sich auf eine Reise an deren Ende nichts so ist wie zuvor.

Der Roman beginnt mit den Briefen die Irmas Familie und Freunde ihr in die Arena schicken. Wir lernen Irma aus Sicht ihres Umfeldes kennen und versuchen ihre Beweggründe sich für die Mission zu bewerben zu verstehen. Außerdem lernen wir die Welt kennen in der sie lebt, es herrscht Endzeitstimmung, Lebensmittel sind knapp, Benzin noch knapper, und die Elektronik scheint auf 90er Jahre Stand zu sein: Computer existieren, aber mit Maus.

Die Stimmung ist düster, der Himmel ist ständig von schwefelgelben Wolken bedeckt, die Sonne hat seit Jahren keiner mehr gesehen und der Regen schmeckt sauer.

Wir erfahren kaum etwas über das Warum. Warum die Welt kurz vor dem Untergang steht, warum ausgerechnet Irma ausgewählt wurde, warum sie 10 Jahre warten mussten, um auf ihre Mission zu gehen.
Der Roman wirft mehr Fragen auf, als er jemals Antworten geben könnte. Das ist auch die größte Schwäche des Buchs: Über weite Strecken wird nichts erklärt, zu den Hintergründen oder zu Sams rätselhafter Vergangenheit oder zu Irmas wahrer Motivation. Es klärt sich auch äußerst wenig am Ende, der Leserin wird vieles zur eigenen Interpretation überlassen.

Die wenigen Hinweise und dass die Auflösung ausschließlich ans Ende gesetzt wurde, reichen nicht um die Leserin bei der Stange zu halten. Spannung kommt kaum auf und die Leserin hat so viel Zeit sich ihre eigenen Gedanken über die Erklärungen zu machen, dass die echte Auflösung enttäuscht.

Hinzu kommt, dass das Buch Computerspielcharakter aufweist, Lösungen kommen scheinbar aus dem Nichts oder scheinen von einer höheren Macht platziert:


„Dann die letzte Tür. Das Schloss lässt sich nur öffnen, wenn man die rostige Brechstange findet, die in der Ecke an der Wand lehnt. Sie hätten sich die Verriegelung auch sparen können, aber so sieht es vermutlich besser aus.“

Das erinnert zweifelsohne an die Tribute von Panem oder Die Truman Show, nur fehlt diesem Buch die emotionale Reichweite, da Irmas Handlungen für die Leserin wenig bis gar nicht nachvollziehbar sind.

Eine Abwechslung dazu soll wohl Sam bilden, der kindlich naiv und unzureichend auf seine Aufgabe vorbereitet ist, die aber sein einziger Existenzgrund zu sein scheint. Die Rolle die in vielen Science Fiction Filmen für gewöhnlich einer Frau zukommt, wird dieses mal von einem jungen Mann übernommen. Er weckt den Beschützerinstinkt in seinen Mitmenschen, ist was Zwischenmenschliches angeht eher unbedarft, hat aber ein enormes theoretisches Wissen über Maschinen und andere nützliche Dinge, die man zum Überleben braucht. Er ist außerdem schwul, soll aber mit Irma eine neue Menschheit auf dem neuen Planeten gründen.

Seine Erziehung oder besser gesagt Aufzucht ist meiner Meinung nach extrem unlogisch gestaltet. Es würde vielleicht zu einer Dystopie die vor 20-30 Jahren geschrieben wurde passen, aber die Wissenschaft ist doch heute eigentlich schon viel weiter und weiß, dass ein Kind, ohne menschliche Zuwendung aufgezogen, bestenfalls naiv, schlimmstenfalls zum Psychopathen wird. Außerdem hätte irgendein moralisch denkender Mensch zu irgendeinem Zeitpunkt Zweifel an der Art von Sams Erziehung. Jede Ethikkommission würde hier die Wände hochgehen!

Dieses Buch will uns offensichtlich irgendetwas Wichtiges mitteilen, das gelingt aber nur bedingt, weil der Zugang zur Geschichte durch die umständliche und etwas schleppende Erzählweise erschwert bzw. versperrt wird. So bleibt nur zu sagen, dass der Plot durchaus interessant klingt, das Buch durch die umständliche Umsetzung und die unzureichenden Erklärungen aber leider enttäuscht.

Wer gerne interpretiert wird hier seinen Spaß haben, aber wer gerne eine abgeschlossene Geschichte mit nachvollziehbarer Handlung und Charakteren liest, wird dieses Buch vermutlich nicht mögen.

Veröffentlicht am 22.09.2018

Krimi mal anders!

Mexikoring
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Wer hätte gedacht, dass man dem Genre Krimi noch neue Facetten entlocken könnte, aber siehe da: Es geht doch!

Es brennt ständig und überall in diesem Kriminalroman, in Hamburg, Bremen, Berlin, München, ...

Wer hätte gedacht, dass man dem Genre Krimi noch neue Facetten entlocken könnte, aber siehe da: Es geht doch!

Es brennt ständig und überall in diesem Kriminalroman, in Hamburg, Bremen, Berlin, München, auf der ganzen Welt brennen Autos. Und in einem dieser Autos in Bremen wird Nouri Saroukhan gefunden. Er stirbt kurze Zeit später im Krankenhaus und Staatsanwältin Chastity Riley und ihre Polizeikollegen beschäftigen sich mit den Umständen unter denen Nouri zu Tode kam. Sein Tod führt sie in die Welt der kriminellen Familienclans und Versicherungsgesellschaften.

Es geht gar nicht hauptsächlich darum, wer Nouri umgebracht hat. Die Geschichte entwickelt eine ganz eigene Dynamik und fesselt durch die Nähe zu den Hauptcharakteren. Es geht eigentlich um Chastity Riley, die auf ihre rotzige, direkte, schnoddrige Art durch den Roman führt oder uns einfach so reinschmeißt ins Geschehen (wie sie jetzt schreiben würde) und wir können dann selber kucken wie wir da wieder rausfinden.

Dies gelingt Simone Buchholz überzeugend und konsequent, der Roman liest sich sehr schnell, gut und trotzdem eindrucksvoll. Manche Sätze sind derart auf den Punkt geschrieben, dass man sie sich ausdrucken und an die Wand hängen möchte, andere sind haarscharf dran vorbei.

Ich mochte den Schreibstil sehr und er bietet auch eine sehr angenehme Abwechslung zu den üblichen Krimis. Ich bin gespannt, wie es weitergeht mit Riley und ihren Kollegen und hoffe auf mehr Polizistinnen in den nächsten Bänden!

Am besten hat mir übrigens die Widmung gefallen, in diesem Sinne: Für Carrie Fisher ❤