Muss man gelesen haben
Mit seinem Debütroman „Pranztal“ erzählt Paul Tremmel die Geschichte des Hansi Kaiblinger. Er erzählt sie uns mit klaren, nüchternen Worten. Seine Charaktere werden nur angedeutet, oft ist es nur ein Satz, ...
Mit seinem Debütroman „Pranztal“ erzählt Paul Tremmel die Geschichte des Hansi Kaiblinger. Er erzählt sie uns mit klaren, nüchternen Worten. Seine Charaktere werden nur angedeutet, oft ist es nur ein Satz, ein beschreibendes Wort, das uns einen Charakter erkennen lässt, dass eine Assoziation zur Haltung werden lässt.
Es ist eine gute Geschichte, die uns Tremmel erzählt, aber keine schöne Geschichte. Hansi Kaiblinger wird in sein Elend hineingeboren. Es ist jene Fahrt vom Krankenhaus seiner Geburt zum elterlichen Hof in der Obersteiermark, Ilg im Pranztal, die gleich der Ruhe vor dem Sturm der einzige Moment seiner Kindheit sein wird, der liebevoll und verbindend ist. Danach wird alles anders. Es sind Prügel, Rohheiten, Verwahrlosung, eine rigide und starre Familienhierarchie, die ihn prägen werden. Tante Floras Matriarchat ist nicht liebevoll, Onkel Konrads Intellektualität und Kultiviertheit flüchtet in die Lektüre seiner Zeitung, sein Widerspruchsgeist, so hart wie der wabernde Rauch seiner Zigaretten. Aus Mutter Rose spricht die Derbheit und Rohheit von Generationen von an der Scholle gebundenen Mägden. Der Vater behauptet sich im Dorf durch rohe, stumpfe Trunksucht, die ihm keinen Respekt aber zumindest Achtung einbringt. Hansi flieht in den Stall, um etwas Wärme zu erfahren und gerade dieser Stallgeruch ist es, der ihn von den Kindern im Dorf trennt, zum Außenseiter macht.
Es ist die Geschichte eines Grenzgängers. Gefangen in dem Stigma seiner Herkunft ahnt er wohl, dass es noch etwas anderes gibt. Es gibt die anderen, die Durchreisenden, Auswärtigen, Städter. Ein rotes Spielzeugauto wird zum Symbol wortlosen, zutiefst menschlichen Verstehens und Hansi erahnt, dass das Menschsein jenseits des Bekannten auch Wärme und Freundschaft bieten kann. Es ist dieser Gegensatz zwischen der Rohheit, Trost- und Lieblosigkeit der Herkunft und der Aussicht auf Besserung, Linderung jenseits der Grenze des Bekannten, die die Geschichte formt. Tremmel gelingt es, in diesem Spanungsfeld fluide Beziehungen zu verorten, die Hansis Entwicklung beständig vorantreiben. Unser Protagonist sucht die Flucht in den Alkohol, den Rausch der Geschwindigkeit, er flieht in die Stadt und entkommt doch nicht. Es gelingt ihm nicht, die Grenze zu überschreiten, die ihn vom Tal befreien würde.
Es ist kein Sittenbild der Obersteiermark, keine Geschichte über die Stadt oder das Land, die Religion, Liebe, Schätze oder Abenteuer. Es ist die Geschichte einer Wunde, die in früher Kindheit geschlagen wird, vernarbt, und als Narbe den Menschen formt, die hier erzählt wird. Tremmel verspricht in diesem Roman keine Heilung, kein Happy End, aber zumindest die Aussicht auf Versöhnung. Er bedient sich hierbei einer Sprache, die schnörkellos und klar ist. Er verzichtet auf soziologische oder psychologische Erklärungen, er moralisiert nicht und bewertet nicht. Er erzählt. Und in der einfachen Ästhetik des minimalistischen Ausdrucks schafft er klare, anschauliche Bilder. Dieser Roman ist durch und durch lesenswert. Nicht weil er ein wohlig schönes Gefühl des Unterhalten Werdens hinterlässt, das tut er nicht, sondern uns mit einer unglaublichen Intensität dem Abgründigen, Rohen und doch so Menschlichen aussetzt. Es ist eine Geschichte, die man nicht lesen will. Es ist eine Geschichte, die man lesen muss, bis zum Schluss gebannt von der Frage, wieviel tiefer dieser Abgrund noch werden wird.