Intensive Geschichte
Johanna wurde abgelehnt, zum Studiengang Regie in Berlin. Als Caro die Treppe hochgelaufen kommt und die Tür aufschließt, sitzt Johanna in der Küche und heult in ihre Spaghetti. Caro könnte das Ablehnungsschreiben ...
Johanna wurde abgelehnt, zum Studiengang Regie in Berlin. Als Caro die Treppe hochgelaufen kommt und die Tür aufschließt, sitzt Johanna in der Küche und heult in ihre Spaghetti. Caro könnte das Ablehnungsschreiben küssen. Sie hatte sich nicht vorstellen wollen, dass Johanna vier Jahre wegging, ohne sie.
Acht Jahre tingelte Johanna jetzt durch die Theaterwelt, hatte alles gemacht, Praktikantin, Schauspielerin, Komparsin, Regieassistenz und Mädchen für alles. Sie hatte jedes Angebot angenommen, viele unbezahlte Stunden in Kauf genommen und sich unter Wert verkauft. Caros eigenes Leben fühlte sich leer an, vollgestopft mit Arbeit zwar, mit dem Studium und den Verpflichtungen und dennoch leer. Sie wollte einfach nicht wie die Frauen in ihrer Familie werden, mit den Betonterrassen, dem Ehering an den geschwollenen Fingern und dem Busen über dem Einkaufswagen. Sie wollte, dass etwas von ihr blieb. Deshalb studierte sie Naturwissenschaften.
Seit dem Biochemiestudium, als eine der wenigen Frauen unter hunderten Männern, war Caro noch härter geworden. Sie hatte ihre weibliche Seite abgelegt, um möglichst unauffällig zu bleiben. Manchmal sehnte sie sich nach dieser weichen Zartheit, die nur Johanna aus ihr herauszaubern konnte. Johanna hatte sie vor fünf Jahren nach einer Party aus einem Hauseingang aufgegabelt. Caro hatte wiederholt Abstürze mit Filmrissen gehabt. Johanna hatte das nicht bewertet und ihr ihre Nähe geschenkt.
Fazit: Tara C. Meister hat in ihrem Debüt zwei Frauen zusammengebracht, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Caro ist verschlossen und zielstrebig. Sie war als einziges Mädchen neben zwei Brüdern und einem cholerischen Vater immer untergegangen. Ihre Strategie, durch Leistung zu glänzen, ging zum Teil auf. Johanna ist offen, liebevoll und chaotisch. Sie verlor ihre alleinerziehende Mutter an eine psychische Krankheit und musste sich immer wieder allein durchschlagen. Beide sind seelisch versehrt. Als Johanna schwanger wird und beschließt, das Kind zu behalten, schweißen die Fliehkräfte sie zusammen und treiben sie wieder auseinander. Die Bedürftigkeit auf beiden Seiten kann augenscheinlich nicht gut ausgehen. Diese Reibungen zwischen den beiden Frauen macht den Roman ungemein interessant. Der Erzählstil ist frei von Pathos, zeigt einfach die teils schwierigen Interaktionen und lässt mich in die Gefühlswelten der beiden Frauen eintauchen. Zum Ende spitzt sich die Situation dermaßen zu, dass ich Schnappatmung bekam. Eine intensive Geschichte mit langsamem aber stetigem Spannungsbogen. Sehr lesenswert.