Cover-Bild Ruhrgemüse, polnisch
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25,00
inkl. MwSt
  • Verlag: STROUX edition
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: Besondere Themen
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 188
  • Ersterscheinung: 27.05.2025
  • ISBN: 9783948065409
Birgitta M. Schulte

Ruhrgemüse, polnisch

roman
Eine Familiengeschichte im Ruhrgebiet, die vom Ankommen in der Fremde, von Zusammenhalt, Kampf gegen Ausgrenzung, Ungerechtigkeit und Armut erzählt – am Ende des 19. Jahrhundert bis in die 1930er Jahre. Adam und Zuzanna erleben als polnische Zuwanderer ein Dortmund im Pulsschlag der enormen industriellen Entwicklung. Durch einen Arbeitsunfall verliert Adam ein Auge und wenig später seine Stelle. Er tritt einem Spar- und Bauverein bei, engagiert sich in der Gewerkschaft, bei den Socialdemokraten und für die neue Arbeiter-Zeitung. Um die Familie zu unterstützen, nimmt Zuzanna Kostgänger auf und verdingt sich als Näherin. Die Familie wächst, kämpft um ihre Identität und die neue Heimat. Birgitta M. Schulte spürt in „Ruhrgemüse, polnisch“ den familiären Wurzeln nach. Wie es den Urgroßeltern ergeht, die als Westpreußen und Polen in stürmischen Zeiten im Ruhrgebiet gegen Widerstände von verschiedenen Seiten – Kirche, Nationalverbände, politsche Positionen, Arbeitshierarchien – zu kämpfen haben. Wie sie gezwungen werden, ihren Familiennamen zu ändern – aus Koszyński wird Kosshofer. Wie sie aber dennoch oder auch gerade deswegen ihren Platz finden.

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Lesejury-Facts

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 27.05.2025

Ruhrpott, Ruhrpolen, Ruhrgemüse – wie man eine neue Heimat findet

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Die Autorin Birgitta M. Schulte kannte ich bisher nicht. Mit „Ruhrgemüse, polnisch“ hat sie bei mir mit ihrem offenbar ersten Roman einen Nerv getroffen. Meine Großeltern waren auch sogenannte Ruhrpolen, ...

Die Autorin Birgitta M. Schulte kannte ich bisher nicht. Mit „Ruhrgemüse, polnisch“ hat sie bei mir mit ihrem offenbar ersten Roman einen Nerv getroffen. Meine Großeltern waren auch sogenannte Ruhrpolen, um 1900 aus Westpreußen eingewandert und in Hamborn (heute Duisburg) sesshaft geworden. Über meine eigenen Vorfahren und ihre Lebensbedingungen weiß ich aber fast gar nichts, so dass dieses Buch jetzt auf ganz besondere Weise eine Lücke gefüllt hat.
Der Leser lernt die Koszyńskis kennen, die Ende des 19. Jahrhunderts aus dem äußersten, immer ärmlicher werdenden Westpreußen nach Dortmund kommen. Westpreußen gehörte zwar nach den Teilungen Polens zu Preußen, aber viele Bewohner waren polnischer Herkunft, sprachen besser Polnisch als Deutsch. Adam Koszyński findet Arbeit in einer großen Fabrik, seine Ehefrau Zuzanna ist vorerst zu Hause, es kommen die ersten Kinder. Das Leben in einer kleinen Wohnung ohne jeglichen Komfort ist beschwerlich, die Lebensbedingungen sind von verpesteter Luft bis hin zu stinkenden Abwässern in den Straßen geprägt. Krankheiten sind an der Tagesordnung und gefährden besonders die nicht gut ernährten Kinder. Schmalhans ist Küchenmeister, trotz eines besseren Verdienstes als in Westpreußen. Doch dann verliert Adam zuerst durch einen Arbeitsunfall ein Auge, später durch widrige Umstände auch seine Arbeit. Er ist ein engagierter Arbeiter gewesen, nun wird er ein engagierter Sozialdemokrat. Zuzanna versucht das fehlende Geld mit Näharbeiten auszugleichen, was ihr aber immer schwerer fällt, je größer die Familie wird.
Das Polnischsein wurden den Koszyńskis schon rechtzeitig ausgetrieben, sie heißen nun Kosshofer. Aber Polen sind sie immer noch, Polak ist noch das geringste Schimpfwort, das sie aushalten müssen. Aber besonders Zuzanna versucht sich zu integrieren, ständig schimpfende und wütende polnische Nachbarinnen und Freundinnen sind dem nicht zuträglich.
Schwer lastet auf beiden bis zum Schluss, dass der Kontakt in die alte Heimat abgebrochen bzw. nie wieder hergestellt wurde. Auch die Scham, nicht so zu sein wie die Deutschen, bedrückt. Kinder und Enkelkinder wollen andere, neue Wege gehen, aber die Last der polnischen Herkunft lässt sich nicht so einfach abschütteln.
Die politischen Bedingungen sind für Zuwanderer noch schwerer, als für die Einheimischen. Die Entwicklung der Sozialdemokratie, der Große Krieg, 1918 die Soldatenräte, Bürgerkriegsähnliche Zustände, Kapp-Putsch, französische Besatzungszeit und Weimarer Republik, beginnende Inflation, all das wirkt sich auch bedrohlich auf den Haushalt der Kossdorfers aus. Die Autorin flicht in die Familiengeschichte auch gekonnt die deutsche Geschichte ein. Das hat mir sehr gefallen, auch wenn mir nur die Details aus Dortmund neu waren.
Beim Epilog habe ich geschmunzelt und an meine mühsam erarbeitete Vater-Biografie gedacht. Auch mein Vater (Jahrgang 1911) verleugnete seine polnische Herkunft. Selbst der eingedeutschte Familienname war ihm nicht gut genug, er änderte die Endung von k auf g. Und er erfand sich eine hugenottische Herkunft und hielt daran bis zum Tode fest. Als Kind lernte ich meine Oma bei einem einzigen Besuch in Ostberlin kennen, ich verstand sie kaum, erst 20 Jahre nach dem Tod meines Vaters erfuhr ich, dass meine Großeltern polnischer Herkunft waren. Meine Großmutter war vielleicht auch ein bisschen wie Zuzanna, klein und zäh, brachte sie die große Familie durch die schweren Zeiten. Selbst meine Mutter, die damals noch lebte, konnte die Wahrheit über die Herkunft meines Vaters kaum glauben. Mein Großvater war Maschinist und Kranführer in der August-Thyssen-Hütte in Duisburg, ähnlich wie Vater Adam im Buch, ein gut ausgebildeter Facharbeiter.
Mehr will ich jetzt auch nicht erzählen über die Lebenswege der Koszyński/Kosshofer-Familie. Ich kann das Buch aber mit gutem Gewissen jedem empfehlen, der sich für deutsche, auch polnische Geschichte interessiert, der authentische Familienromane mag und außerdem einen Blick für gute Typografie hat. Denn dieses Buch bietet nicht nur blanken Text, es ist mit einigen wunderbaren, passenden Illustrationen zu jedem neuen Kapitel geschmückt, die mich sehr angesprochen haben. Initialen und eine Jugendstilschrift für die Überschriften runden das Gesamtbild perfekt ab. Das Personenverzeichnis hätte ich mir an den Anfang gewünscht. Normalerweise beginnt man ein Buch vorne, so habe ich es erst sehr spät entdeckt. Schade ist, dass nicht ein einziges Foto der Familie (es wird zumindest eines erwähnt), im Buch gezeigt wird. Es hätte die Authentizität sicher noch mehr erhöht.
Das Cover scheint mir zumindest online nicht besonders gut gelungen, der Gegensatz zu den Illustrationen im Inneren ist sehr stark. Ob ich das Buch auf dem Ladentisch ergriffen hätte, das kann ich nicht sagen, meine Rezension bezieht sich auf eine digitale Version.
Fazit: ein gut geschriebener Familienroman, gleichzeitig ein Geschichtsbild des Ruhrgebietes ab Ende des 19. Jahrhunderts. Leseempfehlung von mir. Glatte 5 Sterne.

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Veröffentlicht am 09.09.2025

Ein literarisches Denkmal

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Es sind große Hoffnungen und genügsame Träume, die Zuzanna und Adam Koszyński Ende des 19. Jahrhunderts aus ihrer Heimat Westpreußen ins ferne Ruhrgebiet treiben. Hier, im Industrie-strotzenden Dortmund, ...

Es sind große Hoffnungen und genügsame Träume, die Zuzanna und Adam Koszyński Ende des 19. Jahrhunderts aus ihrer Heimat Westpreußen ins ferne Ruhrgebiet treiben. Hier, im Industrie-strotzenden Dortmund, wollen sie wie so viele ihrer Landsleute den Schritt in ein neues, ein besseres Leben wagen.

Adam findet rasch Arbeit in der Maschinenfabrik, Zuzanna kümmert sich um das Häuschen und die kleine Tochter Ania, die man flugs in Anja umbenennt – so klingt’s doch gleich deutscher! –, desgleichen wird verräterische Nachname Koszyński alsbald in Kosshofer geändert. Denn: „Mit -ski ist’s schon aus! Ja, mit -ski bist du der dumme, dreckige Pole, der noch in Erdhütten lebt.“ (S. 34)

Es könnte alles in allem ein vielversprechender Neuanfang werden, wenn – ja, wenn Adam nicht einen schweren Arbeitsunfall erlitte und das bescheidene Auskommen der kleinen Familie auf dem Spiel stünde. Wenn den „Ruhrpolen“, so begehrt und benötigt ihre Arbeitskraft auch sein mochte, nicht allenthalben mit Vorurteilen, Herablassung, Ressentiments begegnet würde. Und wenn da nicht diese innere, seelische, inkurable Zerrissenheit wäre, die ein Abschließen mit der einen Identität und ein Ankommen in der Neuen so furchtbar schwierig machte … Doch Adam und Zuzanna lassen sich nicht unterkriegen. Mit einer ebenso bewunderns- wie liebenswerten Mischung aus Beharrlichkeit und Stoizismus trotzen sie den Widrigkeiten und Unbilden, erfreuen sich an der stetig wachsenden Nachkommenschaft und ergreifen beherzt Gelegenheiten beim Schopfe. Sie bahnen sich unbeirrt ihren Weg – und ebnen ihn für ihre Kinder und Enkel.

Mit „Ruhrgemüse, polnisch“ spürt Birgitta M. Schulte den Wurzeln ihrer eigenen Familie nach und nimmt ihre Leserschaft mit in eine Zeit, die im Grunde genommen gar nicht so lange her ist – und doch in einer vollkommen anderen Welt zu spielen scheint. Über einen Zeitraum von knapp vierzig Jahren begleiten wir Zuzanna, Adam und ihre Nachkommen bei ihren alltäglichen Sorgen und Freuden, Herausforderungen und Chancen, die scheinbar so klein und privat, tatsächlich aber kultur- und epochenumspannend sind. Denn diese vier Jahrzehnte von 1893 bis 1931 sind eine Zeit größter Umwälzungen, sodass die Familiengeschichte der Koszyński/Kosshofers gleichzeitig ein Stück Industrie- und Wirtschafts-, Sozial- und Kulturgeschichte widerspiegelt.

„Ruhrgemüse, polnisch“ ist ein besonderer Roman, den ich ganz besonders all jenen ans Herz legen möchte, die (wie ich) polnische Wurzeln haben und in der Erzählung ein kleines – oder auch größeres – bisschen ihre eigene Familie wiederfinden.

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