Profilbild von Jumari

Jumari

Lesejury Star
offline

Jumari ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Jumari über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 13.06.2025

Die Geschichte atmet

Zypressensommer
0

1998, Hamburg: Der Nonno, Julias italienischer Großvater Gianni Conti, stirbt und hinterlässt der Enkelin eine „Bucket-List“. Julia ist eine junge Goldschmiedin, die sich bisher noch nicht so sehr mit ...

1998, Hamburg: Der Nonno, Julias italienischer Großvater Gianni Conti, stirbt und hinterlässt der Enkelin eine „Bucket-List“. Julia ist eine junge Goldschmiedin, die sich bisher noch nicht so sehr mit der Vergangenheit ihrer italienischen Familie und den Vorfahren beschäftigt hat. Kurzentschlossen wird sie in die Toskana, ins kleine Dorf Lucignano reisen, um die offenen Fragen, die dem Großvater wohl viel bedeutet haben, zu klären. Sie lernt den attraktiven Italiener Matteo Conti kennen und findet nach einigem Hin und Her eine schöne Unterkunft bei seiner Familie. Auch ihr Nonno war ja ein Conti, bei Julia klingeln alle Alarmglocken. Nicht immer zur Freude der Contis und anderer Einheimischer beginnt sie allerlei Nachforschungen. Und wird fündig!
Die zweite Zeitebene sind die 1940er Jahre, der Zweite Weltkrieg ist schon weit fortgeschritten, es zeichnet sich ab, dass die Deutschen ihn nicht gewinnen werden. Gianni Conti wird als Kriegsgefangener nach Deutschland deportiert und muss dort Zwangsarbeit leisten. Zu seinem Entsetzen in einer Fischräucherei, wo er doch Fisch hasst wie die Pest. Im Laufe der Zeit findet er in der Chef-Tochter Marieke eine Freundin und Geliebte. Zum Ende des Krieges ist er als Fremdarbeiter zwar nicht mehr ans Lager gefesselt, aber seine Kräfte für Aktivitäten nach Feierabend schwinden ob der geringen Essensrationen. Zur gleichen Zeit toben in Italien schwere Kämpfe, die Partisanen machen den Deutschen die Hölle heiß, es gibt Tote und Verletzte auf beiden Seiten. Die Deutsche lassen ihre Wut, auch angesichts der Invasion der Alliierten in Italien oftmals an den Zivilisten aus. Immer auch auf der Suche nach Helfershelfern der Partisanen sind sie sehr brutal. Auch Giannis Familie gerät in diese Falle. Zudem gibt es einen unerbittlichen Kampf zwischen den verfeindeten Brüdern Gianni und Vito Conti, der seine Auswirkungen auch noch 1998 zeigt. Nicht einmal die gemeinsame Trauer um die tote kleine Schwester Anna konnte daran etwas ändern.
1998: Julia und Matteo suchen gemeinsam nach lange vergangenen Ereignissen, nach der Wahrheit und bisher verschwiegenen Geheimnissen und erleben dabei einige Überraschungen. Und Julia wird ihren bisherigen Lebensentwurf vielleicht am Ende völlig über den Haufen werfen. Ich will nicht zu viel verraten, aber es ist wirklich spannend und auch sehr unterhaltsam, der Geschichte zu lauschen. Besonders der Rückblick auf die Zeit der Nazibesetzung Italiens ist gut gelungen.
Teresa Simon, die ich bisher überhaupt nicht als Autorin kannte, hat einen berührenden Roman geschrieben, mit Protagonisten, die man sich sehr gut vorstellen kann. Bei mir lief ein Film im Kopf ab, der mir sehr gefallen hat. Wie auch die Stimme von Tanja Fornaro, die sich ausdrucksstark in die einzelnen Personen verwandelte, jede bekam eine eigene Nuance. Manchmal hatte ich zwar den Eindruck, dass die Schilderungen etwas zu pathetisch klangen, aber das tut der Geschichte keinen Abbruch.
Einzig das Cover von Hörbuch bzw. Buch hat mich etwas verwirrt. Der Titel „Zypressensommer“ lässt vor meinem geistigen Auge die Toskana mit ihren eindrucksvollen Zypressenalleen aufscheinen. Aber das Titelbild zeigt einen Olivenzweig und nur ganz wenige winzige Zypressen. Dass die Contis Olivenbauern waren, das erfährt man natürlich im Roman.
Noch eines zum Schluss: Das Nachwort ist wirklich hörenswert, die Autorin erklärt die historischen Hintergründe, die im Roman nicht so ausführlich dargestellt sind.
Fazit: Ein Familienroman mit sehr ernstem und tragischem Hintergrund, eine echte Entdeckung für mich. Gute vier Sterne.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 11.06.2025

Éléonora verdient etwas mehr Glück

Ein Sommer in Salerno
0

Die Protagonistin Éléonora ist von ihren Gefühle hin- und hergerissen, als Putzfrau verdient sie zu wenig, um sich und den Kindern ein himmlisches Leben zu ermöglichen, obwohl sie im himmlischen Salerno ...

Die Protagonistin Éléonora ist von ihren Gefühle hin- und hergerissen, als Putzfrau verdient sie zu wenig, um sich und den Kindern ein himmlisches Leben zu ermöglichen, obwohl sie im himmlischen Salerno lebt. Warum sie "nur" als Putzfrau arbeitet, weiß ich nicht genau, aber dass sie außer Liebeskummer noch andere Talente hat, das merkt man bald. Das Verhältnis zu ihren Kindern könnte so manchen neidisch machen, der glaubt, Kinder brauchen nur ihre tägliche Ration Geschenke, um glücklich zu sein. Dass sie sich der jungen Laura, einer Freundin ihrer Zwillinge, annimmt, obwohl sie selbst in Tränen zerfließt wegen ihrer gescheiterten Liebesbeziehung, das finde ich ganz wunderbar. Genauso bezaubernd ist die kleine Freundschaft zur alten Kundin Geraldina, die sogar auf die Kinder überspringt. Das hat mich berührt, besonders, weil die echten Großeltern von Éléonoras Seite überhaupt kein Interesse an einer Begegnung hatten oder haben. Éléonora ist trotzdem in Liebesdingen recht unbedarft, ihr geschiedener Mann sticht als guter Mensch aus der Masse heraus, aber sie erwählt einen verheirateten Mann und verzehrt sich unsinnig und ewig nach ihm trotz der von ihr initiierten Trennung. Aus Fehlern lernt sie leider nicht so schnell. Dass Éléonoras Kunden auch nicht alle ein edles Verhalten an den Tag legen und eine Putzfrau so mancher als Putzlappen ansieht, ist die negative Seite ihrer Berufstätigkeit. Manch einer oder einem hätte sie vielleicht ganz gern mal den Lappen um die Ohren gehauen, aber sie trägts mit Fassung und hat sogar noch kleine Erziehungserfolge zu vermelden..

Ich hatte einen etwas fröhlicheren Sommerroman aus Salerno erwartet, in diesem flossen mir zu viele vergebliche Tränen. Aber schon Kurt Tucholsky schrieb "Und darum wird beim happy end im Film jewöhnlich abjeblendt." - deshalb verrate ich über den Verlauf und das Ende der Geschichte auch nicht noch mehr.

Fazit: ein kleiner Roman, der sich schnell liest und der mit einer sehr zu Herzen gehenden Danksagung endet.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 10.06.2025

Eine Jüdin sucht ihre Identität

Deutschstunden
0

Pippa Goldschmidt gehört zu jenen Juden, die einen deutschen bzw. österreichischen Familienhintergrund haben, aber in Großbritannien geboren, aufgewachsen und sozialisiert worden sind. Unabhängig voneinander ...

Pippa Goldschmidt gehört zu jenen Juden, die einen deutschen bzw. österreichischen Familienhintergrund haben, aber in Großbritannien geboren, aufgewachsen und sozialisiert worden sind. Unabhängig voneinander sind ihre Großeltern in den 1930er Jahren nach England emigriert, haben sich dort kennengelernt und eine Familie gegründet. Der Vater der Autorin wurde noch im Krieg geboren, sie ist Jahrgang 1968 und lebte bis 2020 in Edinburgh. Erst der Brexit zündete die Idee, die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen, für Nachkommen von emigrierten Juden, denen die deutsche Staatsbürgerschaft durch Nazideutschland aberkannt wurde, ist das problemlos möglich. Dass Pippa und ihr Vater ein Jahr warten mussten, bis sie ihre Pässe erhielten, war wohl dem ungewöhnlichen großen, plötzlichen Andrang wegen des Brexits geschuldet. Dass die Übergabe an Peinlichkeit nicht zu überbieten ist, wirft ein schales Licht auf deutsche Behörden. Pippa bekam nicht mal einen Händedruck, ihrem Vater schenkte man eine Tüte Haribo. Was Pippa Goldschmidt aber nicht davon abhielt, mit ihrem Lebenspartner in das Land der Vorfahren zu ziehen, nach Frankfurt am Main. Dort war vor 1933 die zweitgrößte jüdische Gemeinde beheimatet. Ursprünglich lebte der Großvater Ernst Goldschmidt im nahen Offenbach, später dann in Frankfurt am Main. Die Umstände des Umzugs der Autorin sind von der Coronapandemie, den Lockdowns und Unannehmlichkeiten überschattet, aber er gelingt. Rund ein Jahr später sucht das Paar dann eine andere Wohnung und zieht an den Stadtrand.
Pippa Goldschmidt, die promovierte Astronomin, schrieb bereits einen Roman (Weiter als der Himmel) und veröffentlichte eine Kurzgeschichtensammlung. Im Buch bemerkt man als Leser die wissenschaftliche Art ihres Herangehens, auch die Verknüpfung ihres Wissens über Astronomie mit ihren teilweise sehr philosophischen und psychologische Gedanken und der Herangehensweise an ihre familiäre Vergangenheit. Sie erzählt in diesem Buch nicht tagebuchartig von ihren Recherchen, sie verknüpft sie mit der Erzählung ihres neuen Alltags und der Erinnerung an die Familiengeschichte(n), die sie bewusst und unbewusst in ihrem früheren Leben aufgenommen hat. Denn sie hat das Problem, mit dem viele jüdische Nachfahren von Holocaustopfern, Emigranten und Überlebenden zu kämpfen haben: das Schweigen, der blinde Fleck in der Vergangenheit. „Schweigen erkennt den Schmerz, lockt nicht mit dem Versprechen, dass der Schmerz verschwindet, wenn die Geschichte erzählt wird.“ schreibt die Autorin.
Stück für Stück, anhand von Dokumenten und Erinnerungsstücken, anhand von Erkundigungen und Gesprächen, setzt sie das Leben ihrer Großeltern, speziell ihres Großvaters wieder zu einem Bild zusammen. Dieses wird niemals vollkommen sein, aber es fügen sich die Puzzleteile in das Denken von Pippa Goldschmidt hinein. Es sind berührende kleine Momente, wenn sie zum Beispiel an den Bembel erinnert wird, der bei ihrer Großmutter stand, oder wenn sie das Halstuch mit der Widmung ihrer Großmutter in den Händen hält. Der Pass des Großvaters wird zu einer wahren Fundgrube an Erkenntnissen.
Ganz offensichtlich hat Pippa Goldschmidt aber ein Problem mit der Stadt Frankfurt, von der sie wohl hoffte, eine neue deutsche Heimat zu finden, sich aber eher zurückgewiesen und abgestoßen fühlt. Nicht von den Menschen, eher von den Mauern. Ich fand es merkwürdig, dass sie so ein Unbehagen angesichts der rekonstruierten Innenstadt empfindet, aber in Dresden „das heutige Simulakrum aus Gebäuden, die sowohl Kopien als auch Denkmäler ihres früheren Selbst sind“, so sehr lobpreist. Aber da zieht sie dann auch gleich Freud zu Rate, der betonte, dass das Unheimliche vom Standpunkt des Betrachters abhängt.
Mir sind einige Verallgemeinerungen aufgefallen im Verlauf des Buches, die mich etwas verunsichert haben. So heißt es mit Bezug auf die Judengesetze ab 1933, „durften Juden schon nicht mehr arbeiten“. Die Juden durften oftmals in ihren Berufen nicht mehr arbeiten, unterlagen Beschränkungen, aber sie wurden zum Reichsarbeitsdienst verpflichtet, mussten oft stundenlang zu ihren Arbeitsstätten laufen, weil sie unter 6 Kilometern Arbeitsweg keine Verkehrsmittel nutzen durften. Was die Kinder betrifft: Auch der Schulbesuch war bis 1938 möglich: zuerst hatten höhere Schulen zum Teil noch ein Limit von 1,5 % Juden erlaubt, aber erst ab 15.11.1938 galt das Verbot für alle Kinder, die danach nur noch jüdische Schulen besuchen durften.
Andererseits habe ich im Buch auch von Ereignissen und vielen Details gelesen, die mir noch nicht so geläufig waren, wie vom Internierungsaufenthalt des Großvater Ernst auf der Isle of Man. Dass dieser sich an das Gemälde von Max Liebermann „Zwei Reiter am Strand“ erinnert fühlt, ist ein winziger Blick in seine Gefühls- und Erfahrungswelt vor der Emigration. Er muss ein recht wohlhabender Mann gewesen sein, wenn er noch nach der Emigration mehrfach nach Deutschland reiste, um den Transport seines Hab und Guts nach England zu bewerkstelligen. Die Autorin beschreibt leider nicht, wie das ohne Schikanen möglich war, als Jude mehrfach ein- und auszureisen. Sie berichtet nur, „Seit 1935 darf Ernst nicht mehr selbst als Anwalt arbeiten, er muss einen nicht jüdischen Anwalt beauftragen, in seinem Namen zu handeln.“ 1936 musste er jedenfalls fliehen, reiste aber mit deutschem Visa 1937 und 1938 nach Deutschland. Es war eine Zeit, wo alle Normalitäten auf den Kopf gestellt wurden, aus heutiger Sicht schwer zu begreifen. Und „Nur wir, die Betrachter, wissen, was in der Zukunft geschehen wird.“, so Pippa Goldschmidt.
Ja, man sieht alles aus heutiger Sicht, mit heutigem Wissen. In meiner recht großen jüdischen Verwandtschaft gab es einige, denen die Emigration gelungen ist, vorrangig mit Hilfe eines einzigen reichen amerikanischen Verwandten. Sie alle sind verstreut in Kanada, den USA, Argentinien und Brasilien, nur einer nahm einen anderen Weg über England, wurde Angehöriger der britischen Armee und wanderte nach Australien aus. Kein einziger der Emigranten und ihrer Nachfahren hat meines Wissens die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt, keiner wollte jemals in das Land der Täter zurück. Der größte Teil meiner Verwandten ist aber in den Vernichtungslagern umgekommen. Den vielen Geschichten nachzuspüren, das war mir immer ein tiefes Bedürfnis, auch Stolpersteine zu verlegen ist eine Art von Trauerbewältigung. Pippa Goldschmidt erlebte das auch. So kann ich mich im Geiste mit ihr verbünden. Sie schreibt „Ich bin kein Opfer, und die Deutschen sind keine Täter mehr, und doch müssen wir uns mit den Erfahrungen unserer Familien auseinandersetzen.“ Dem stimme ich gern zu.
Fazit: Für mich eine interessante und neue Erfahrung, wie es sich anfühlt, in ein fremdes, doch eigenes Land zu reisen, bleiben zu wollen, dort leben zu wollen. Auch wenn ich die astronomischen Erzählungen und Erklärungen als etwas langatmig empfand, hat mir das Buch insgesamt gut gefallen. Ob sie nun auch richtig angekommen ist in Berlin, das wäre vielleicht ein Thema für ein neues Buch von Pippa Goldschmidt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 08.06.2025

Ma Fille – tragisch-schöne Liebesgeschichte

Die verschwundene Tochter
0

Dies ist schon der fünfte Band der achtteiligen Saga „Verlorene Töchter“ von Soraya Lane. Für mich war es die erste Begegnung mit dieser Schriftstellerin, die bei mir einen verborgenen Nerv getroffen hat. ...

Dies ist schon der fünfte Band der achtteiligen Saga „Verlorene Töchter“ von Soraya Lane. Für mich war es die erste Begegnung mit dieser Schriftstellerin, die bei mir einen verborgenen Nerv getroffen hat. Ich habe auch zwei Töchter, beinahe hätte ich beide auf ganz unterschiedliche Art verloren. Dass es das größte Glück einer Mutter ist, ihre Kinder glücklich zu sehen, das unterschreibe ich bedenkenlos.
Die Autorin hat einen geschmeidigen, leichten Stil, das Buch liest sich schnell. Aufgebaut ist es in zwei Zeitebenen, zuerst lernt der Leser Evelina Lavigne, Modedesignerin im Paris des Jahres 1937, vor ihrem ersten großen Erfolg kennen. Die Gegenwart füllt Blake aus, eine Journalistin mit angeborenem Hang zu Mode und enormem Kochtalent. Für Jahre hatte sie den Geschwistern die Mutter ersetzt, das Bekochen ist geblieben. Als ihre Zeitschrift in Bedrängnis gerät, macht sie in der Redaktionssitzung einen folgenschweren Vorschlag. Sie hat ein kurioses Erbe, ein kleines Kästchen mit einer Modezeichnung und einem wunderschönen Stoffmuster geerbt, es soll von ihrer Urgroßmutter stammen. Diese hat es in einem Haus für ledige Mütter hinterlassen als Erinnerung für ihre zur Adoption freigegebene Tochter. Aus diesem Erbe will Blake eine Fortsetzungsgeschichte entwickeln, die der Zeitung rettende Leserinnen bescheren soll.
Die Idee von Blake erfordert eine umfangreiche Recherche, die sie auch nach Paris führt. Dort lernt sie Henri, Modekurator und Charmeur, kennen und lieben. Für beide eine Bekanntschaft, die ihr ganzes weiteres Leben berührt. Die Erzählebene um das Leben von Evelina wechselt sich mit der Gegenwart ab und hält die Spannung über 360 Seiten aufrecht.
Das Einzige, was mir an diesem Roman nicht gefallen hat, ist der Name Blake, das ist für mich eher ein männlicher Vorname, aber auch ein Familienname, wie beim Dichter William Blake. Durch diesen Namen empfinde ich zur Hauptperson ein eher distanziertes Interesse. Man soll sich ja nicht von Äußerlichkeiten, der Name gehört auch dazu, leiten lassen, aber die Psychologie funktioniert bei mir offensichtlich anders.
Die Protagonisten sind lebendig und gut vorstellbar, am besten gefiel mir Abby, die Schwester von Blake. Aber auch das Buch selbst, das schöne Cover mit den bedruckten Innenflächen wirkt sehr edel. Der Spruch "Auch wenn die Wahrheit im Verborgenen liegt, das Herz findet seinen Weg." passt sehr gut zum Pariser Flair der Geschichte, das sich auf dem Cover spiegelt.
Fazit: Familienforschung interessiert mich im Allgemeinen sehr, aber dieses Buch ist doch mehr ein Liebes- und Unterhaltungsroman. Gut geschrieben und mit Tiefgang.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 06.06.2025

Niemand foltert uns – außer mit schlechtem Deutsch

Der große Sprachumbau
0

Ich beginne mit einem Zitat und möchte es erweitern: Niemand foltert uns – außer mit schlechtem Deutsch, aber es schmerzt (mich) sehr.
Angeregt zum Kauf dieses Buchs hat mich ein anderes Werk von Matthias ...

Ich beginne mit einem Zitat und möchte es erweitern: Niemand foltert uns – außer mit schlechtem Deutsch, aber es schmerzt (mich) sehr.
Angeregt zum Kauf dieses Buchs hat mich ein anderes Werk von Matthias Heine, „Verbrannte Wörter“, das ich in einer Leserunde gelesen und diskutiert habe. „Der große Sprachumbau“ ist vollkommen anders strukturiert, es ist kein Wörterbuch der Gendersprache oder der Diskriminierungsvokabeln. Vielmehr setzt sich der Autor hier umfänglich zuerst mit der deutschen Sprache, ihrer Entstehung und ihrer fortwährenden Veränderung auseinander. Nicht zuletzt die große Rechtschreibreform von 1996 mit den nachgelagerten Veränderungen und Abschwächungen nimmt er in den Fokus seiner Betrachtungen. Der sogenannte Sprachumbau, beherrscht von Luther über Opitz, Gottsched bis zu Grimm und Duden, bis hin zum Nationalsozialismus und den Blüten der DDR, hier erfährt der Leser, wie sehr Sprache auch immer mit Politik verknüpft war und – heute noch ist.
Mein besonderes Interesse an diesem Buch ist gleichzeitig meine Abneigung gegen die von Heine so schön titulierten „Schwundgeisteswissenschaften“ einschließlich des sogenannten „Neusprechs“, das sich zu einer woken und demagogischen linksorientierten Sprachdiktatur entwickelt. Gender- oder geschlechtergerechtes Sprechen und Schreiben sind mir ein Gräuel, sogenannte diskriminierungsfreie Sprache empfinde ich als aufgesetzt und unehrlich. Heine beschreibt sehr anschaulich den Drang, „sich an die Spitze der Sensibilitätspyramide hinaufzukämpfen“. Ich reagiere eher sensibel, wenn Bürgerinnen und Bürger oder Jüdinnen und Juden angesprochen werden. Frauen, die sich nicht mitgemeint oder gesehen fühlen, kann ich nicht verstehen. Hatten sie keinen Deutschunterricht wie ich? Was haben sie gelernt, dass sie die deutsche Sprache als eine Gerechtigkeitsinstitution verstehen?
Mittlerweile haben sich die unsäglichen und mehrfachen Doppelnennungen überall eingebürgert, auch dort, wo man vor kurzem noch Gendersternchen oder Doppelpunkte sah, ist doppelt jetzt das neue Sprech. Sollten Journalisten mancherorts immer noch nach Zeichen bezahlt werden, können sie sich freuen. Der Lesbarkeit der Texte ist es nicht zuträglich.
Heine nimmt sich aber auch der Leichten bzw. Einfachen Sprache an, die als herausragendes Inklusionsmerkmal gefeiert wird. Ich teile seine Ansicht, dass mit dem Vereinfachen der Sprache die Sprache selbst beschädigt wird und es den Lernunwilligen erspart, sich ernsthaft mit der deutschen Sprache auseinanderzusetzten. Wie in vielen Bereichen wird Leistungsbereitschaft nicht gefördert, sondern das Niveau abgesenkt. Für unsere Sprache kommt das einem Todesstoß gleich, der nächste folgt durch die „Verdenglischung“, der sich kaum eine Lehranstalt oder ein Unternehmen mit internationalen Kontakten entziehen kann. Und alle anderen machen mit. „Je denglischer die Reklame, desto minderwertiger das Produkt.“, schreibt Heine. Man kann bisweilen nur mit dem Kopf schütteln, was einem da so begegnet. Der wegen seiner Genderpolitik einstmals in die Kritik geratene Audi-Konzern trifft da genau ist Schwarze, wenn er auf seiner deutschsprachigen Internetseite, die „Stories of Progress“ heißt, schreibt „Bereit für Ihre Journey of Progress?“. Bei mir kommt einfach ein bisschen Schadenfreude auf, wenn ich sehe, wie man nicht nur bei Audi jetzt aus Angst vor Trumps anti-DEI-Ausbrüchen den Schwanz einzieht und die übertriebenen Inklusions- und Diversitätsaktivitäten reduziert. Dass man für Trump natürlich das Englische nicht reduziert, ist wohl folgerichtig.
Einen ordentlichen Nasenstüber bekommen die Experten aller Fachrichtungen von Heine mit auf den Weg, ich kann seinen Worten nur zustimmen und erinnere mich zusätzlich mit Schrecken an die Coronapandemie und die selbsternannten Experten, die unser Land da – mit immensen Schäden – durchführten.
Im Resümee heißt es dann „Aber ihr [bezieht sich auf die eher konservativen Bewahrer der Muttersprache] affektives Verhältnis zur deutschen Sprache, das mit Liebe zur Heimat einhergeht, macht sie nicht automatisch zu rechtsradikalen Demokratiefeinden.“ Danke, Herr Heine, da bin ich beruhigt.
Der Stil von Matthias Heine ist gut lesbar und ich muss sagen, das Buch ist tatsächlich trotz der vielen Erklärungen unterhaltsam geschrieben. Ich hätte mir aber gerade in den „Baustellen“ Zwischenüberschriften gewünscht, die bei der Orientierung etwas geholfen hätten. 10, 20 bis über 30 Seiten Fließtext würden dadurch aufgelockert, erhielten eine Struktur und wären überschaubarer.
Fazit: Ich habe das Buch einerseits als Weiterbildung und Wiederauffrischung der deutschen Sprachgeschichte gelesen, andererseits viel über die Ursprünge und Gründe der heutigen, kontrovers geführten Debatten erfahren. Leider erkenne ich aber keinen grundsätzlichen Ansatz, wie der woken Bewegung Einhalt geboten werden könnte. Es ist nicht nur der ÖRR, nein, es sind generell alle Medien, die mit Doppelnennungen und geschlechtergerechten Verrenkungen das Lesen und Zuhören/Zusehen zur Qual machen. Siehe Überschrift. Und es schmerzt wirklich.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung