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Veröffentlicht am 31.05.2025

Frau Thomas Mann macht Ärger

Unheimliche Gesellschaft
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Nach „Gefährliche Betrachtungen“ hat Tilo Eckardt nun einen Folgeband seines Thomas-Mann-Krimis geschrieben. Der Ich-Erzähler Žydrūnas Miuleris alias Müller soll dem berühmten Autor aus der Patsche helfen, ...

Nach „Gefährliche Betrachtungen“ hat Tilo Eckardt nun einen Folgeband seines Thomas-Mann-Krimis geschrieben. Der Ich-Erzähler Žydrūnas Miuleris alias Müller soll dem berühmten Autor aus der Patsche helfen, seine Ehefrau Katia wurde in einen läppischen Verkehrsunfall verwickelt und soll vor Gericht. Das erfährt Müller aber erst, als er den langen Weg von Nidden an der Ostsee bis ins Schweizer Idyll Küssnacht vollbracht hat, das mittlerweile Thomas Manns Exilwohnort geworden ist.
Eine „Bleibe“, wie er betont, kein Zuhause, man schreibt das Jahr 1933. Nach der Machtübernahme Hitlers in Deutschland konnte Mann mit seiner Frau von einer Vortragsreise nicht mehr nach München zurückkehren, nun versucht er eher schlecht als recht mit den Exilgegebenheiten klarzukommen. Die rasante Fahrweise seiner Ehefrau, noch dazu ohne Führerschein bedroht nun aber das Bleiben. Und Mann fiel nichts Besseres ein, als Müller um sein Kommen und um Hilfe zu bitten. Dieser nimmt den Hund seiner abgebrannten Wirtin Bryl mit und begibt sich in ein weiteres Abenteuer.
Tilo Eckardt beschreibt ausführlich die umständlichen Versuche, das Rätsel des Unfalls und des dabei Verletzten zu entschlüsseln, ganz im Stile Thomas Manns.
Der unterdessen uralte Žydrūnas Miuleris alias Müller erzählt die ganze Geschichte seinem Enkel, der ihn bisweilen mit Zwischenfragen nervt. Ganz zum Ende wird er durch einen Traum an Erika Manns Auftritt mit der Pfeffermühle erinnert, die das Bedrohliche der deutschen Heimat, die für sie und ihre Familie Feindesland geworden war, besingt:
»Bei mir daheim im Lügenland
Darf keiner mehr die Wahrheit reden,
Ein buntes Netz von Lügenfäden
Hält unser großes Reich umspannt.«
Wie Müller Frau Katia Mann aus der Affäre zieht und was er dabei herausfindet, werde ich hier nicht spoilern.

Fazit: Eher ein fiktionaler historischer Roman im Stile Thomas Manns, als ein spannender Krimi, aber wieder unterhaltsam.

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Veröffentlicht am 30.05.2025

Fantasievoll, spannend und sehr gut gelesen

Aschesommer (Gruppe 4 ermittelt 2)
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„Aschesommer“ ist schon der zweite Teil der Reihe „Gruppe 4 ermittelt“, den ersten, „Krähentage“, muss man aber für das Verständnis des neuen Thrillers von Benjamin Cors nicht unbedingt gelesen oder gehört ...

„Aschesommer“ ist schon der zweite Teil der Reihe „Gruppe 4 ermittelt“, den ersten, „Krähentage“, muss man aber für das Verständnis des neuen Thrillers von Benjamin Cors nicht unbedingt gelesen oder gehört habe. Ich werde es trotzdem noch nachholen, weil mir besonders der Sprecher Oliver Siebeck sehr gefallen hat, der spannende Thriller natürlich auch.
Ein Serienmörder wird gejagt, der mit kompliziert ausgetüftelten und perfekt ausgeführten Morden die Polizei in Atem hält und den die Gruppe 4 unter Leitung von Ermittlerduo Jakob Krogh und Mila Weiss zur Strecke bringen soll. Beide haben nicht nur mit ihren persönlichen Untiefen, über die man wahrscheinlich im ersten Teil schon ausführlicher informiert wurde, sondern auch mit dem seit acht Jahren in der Forensischen Psychiatrie einsitzenden Mörder Bode einige Probleme zu bewältigen. Ist Bode der Drahtzieher der neuen Mordserie oder verirren sich beide in den Indizien, die sie finden? Die Ermordung der jeweiligen Opfer folgt jedenfalls einem archaischen Muster, gelingt es Jakob und Mila, den Täter zu stoppen?
Nicht alles, was sich abspielt, ist auch realitätsnah, aber es bleibt spannend bis zum Schluss. Die Protagonisten und ihre Stimmungen werden von Oliver Siebeck gekonnt in Szene gesetzt.
Fazit: Über 11 Stunden gute Unterhaltung und spannendes Miträtseln. Mir hat es sehr gefallen. 4 Sterne plus.

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Veröffentlicht am 28.05.2025

Wir sehen uns wieder

Die Liebe sucht ein Zimmer
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Vor zwei Jahren habe ich die ergreifende Lebens- und Familiengeschichte „Solange wir leben“ von David Safier gelesen, Katharina Thalbach kenne ich seit frühester Jugend als Theater-, später als Filmschauspielerin. ...

Vor zwei Jahren habe ich die ergreifende Lebens- und Familiengeschichte „Solange wir leben“ von David Safier gelesen, Katharina Thalbach kenne ich seit frühester Jugend als Theater-, später als Filmschauspielerin. Beide zusammen ergeben eine brisante Mischung für das neue Buch von Safier, dass die Thalbach mit ihrer wahnsinnig intensiven Stimme liest.
Safier fokussiert seinen Roman auf wenige Stunden im Warschauer Ghetto, im Theater, das an diesem einen Abend das Stück „Die Liebe sucht ein Zimmer“ als Premiere aufführt. Dieses unfassbar traurige, trotzdem manchmal zu Lachtränen führende Stück hat Darsteller, die am Rande ihres Grabes, ihres Daseins auf der Bühne den Zuschauern vor sich 90 Minuten Ablenkung bieten. Die junge Sara, hin- und hergerissen zwischen Edmund und Michal, wie wird sie sich entscheiden? Michal macht ihr ein verlockendes Fluchtangebot, aber sie hängt genauso am Leben wie an ihrem Edmund. Wird sie das Ghetto und Edmund in dieser Nacht für immer verlassen? Oder denkt sie an die Waisenkinder, die dann niemanden mehr haben werden, der ihnen Geschichten erzählt.
Jeder weiß, dass das Warschauer Ghetto und seine Bewohner den Nazis zum Opfer fiel, dass kaum jemand überlebt hat. Diesem Hörbuch über sechseinhalb Stunden zuzuhören mit der Gewissheit, dass die meisten der Protagonisten über kurz oder lang ihr Leben verlieren werden, ist eine harte Probe. Besonders auch deshalb, weil die Stimme von Katharina Thalbach das Grauen so miterlebbar macht.
Fazit: Ja, hören oder lesen sie dieses Buch. Es ist faszinieren und einzigartig. Und es schnürt einem die Luft ab, so nahe ist man den Helden. 5 Sterne.

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Veröffentlicht am 27.05.2025

Ruhrpott, Ruhrpolen, Ruhrgemüse – wie man eine neue Heimat findet

Ruhrgemüse, polnisch
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Die Autorin Birgitta M. Schulte kannte ich bisher nicht. Mit „Ruhrgemüse, polnisch“ hat sie bei mir mit ihrem offenbar ersten Roman einen Nerv getroffen. Meine Großeltern waren auch sogenannte Ruhrpolen, ...

Die Autorin Birgitta M. Schulte kannte ich bisher nicht. Mit „Ruhrgemüse, polnisch“ hat sie bei mir mit ihrem offenbar ersten Roman einen Nerv getroffen. Meine Großeltern waren auch sogenannte Ruhrpolen, um 1900 aus Westpreußen eingewandert und in Hamborn (heute Duisburg) sesshaft geworden. Über meine eigenen Vorfahren und ihre Lebensbedingungen weiß ich aber fast gar nichts, so dass dieses Buch jetzt auf ganz besondere Weise eine Lücke gefüllt hat.
Der Leser lernt die Koszyńskis kennen, die Ende des 19. Jahrhunderts aus dem äußersten, immer ärmlicher werdenden Westpreußen nach Dortmund kommen. Westpreußen gehörte zwar nach den Teilungen Polens zu Preußen, aber viele Bewohner waren polnischer Herkunft, sprachen besser Polnisch als Deutsch. Adam Koszyński findet Arbeit in einer großen Fabrik, seine Ehefrau Zuzanna ist vorerst zu Hause, es kommen die ersten Kinder. Das Leben in einer kleinen Wohnung ohne jeglichen Komfort ist beschwerlich, die Lebensbedingungen sind von verpesteter Luft bis hin zu stinkenden Abwässern in den Straßen geprägt. Krankheiten sind an der Tagesordnung und gefährden besonders die nicht gut ernährten Kinder. Schmalhans ist Küchenmeister, trotz eines besseren Verdienstes als in Westpreußen. Doch dann verliert Adam zuerst durch einen Arbeitsunfall ein Auge, später durch widrige Umstände auch seine Arbeit. Er ist ein engagierter Arbeiter gewesen, nun wird er ein engagierter Sozialdemokrat. Zuzanna versucht das fehlende Geld mit Näharbeiten auszugleichen, was ihr aber immer schwerer fällt, je größer die Familie wird.
Das Polnischsein wurden den Koszyńskis schon rechtzeitig ausgetrieben, sie heißen nun Kosshofer. Aber Polen sind sie immer noch, Polak ist noch das geringste Schimpfwort, das sie aushalten müssen. Aber besonders Zuzanna versucht sich zu integrieren, ständig schimpfende und wütende polnische Nachbarinnen und Freundinnen sind dem nicht zuträglich.
Schwer lastet auf beiden bis zum Schluss, dass der Kontakt in die alte Heimat abgebrochen bzw. nie wieder hergestellt wurde. Auch die Scham, nicht so zu sein wie die Deutschen, bedrückt. Kinder und Enkelkinder wollen andere, neue Wege gehen, aber die Last der polnischen Herkunft lässt sich nicht so einfach abschütteln.
Die politischen Bedingungen sind für Zuwanderer noch schwerer, als für die Einheimischen. Die Entwicklung der Sozialdemokratie, der Große Krieg, 1918 die Soldatenräte, Bürgerkriegsähnliche Zustände, Kapp-Putsch, französische Besatzungszeit und Weimarer Republik, beginnende Inflation, all das wirkt sich auch bedrohlich auf den Haushalt der Kossdorfers aus. Die Autorin flicht in die Familiengeschichte auch gekonnt die deutsche Geschichte ein. Das hat mir sehr gefallen, auch wenn mir nur die Details aus Dortmund neu waren.
Beim Epilog habe ich geschmunzelt und an meine mühsam erarbeitete Vater-Biografie gedacht. Auch mein Vater (Jahrgang 1911) verleugnete seine polnische Herkunft. Selbst der eingedeutschte Familienname war ihm nicht gut genug, er änderte die Endung von k auf g. Und er erfand sich eine hugenottische Herkunft und hielt daran bis zum Tode fest. Als Kind lernte ich meine Oma bei einem einzigen Besuch in Ostberlin kennen, ich verstand sie kaum, erst 20 Jahre nach dem Tod meines Vaters erfuhr ich, dass meine Großeltern polnischer Herkunft waren. Meine Großmutter war vielleicht auch ein bisschen wie Zuzanna, klein und zäh, brachte sie die große Familie durch die schweren Zeiten. Selbst meine Mutter, die damals noch lebte, konnte die Wahrheit über die Herkunft meines Vaters kaum glauben. Mein Großvater war Maschinist und Kranführer in der August-Thyssen-Hütte in Duisburg, ähnlich wie Vater Adam im Buch, ein gut ausgebildeter Facharbeiter.
Mehr will ich jetzt auch nicht erzählen über die Lebenswege der Koszyński/Kosshofer-Familie. Ich kann das Buch aber mit gutem Gewissen jedem empfehlen, der sich für deutsche, auch polnische Geschichte interessiert, der authentische Familienromane mag und außerdem einen Blick für gute Typografie hat. Denn dieses Buch bietet nicht nur blanken Text, es ist mit einigen wunderbaren, passenden Illustrationen zu jedem neuen Kapitel geschmückt, die mich sehr angesprochen haben. Initialen und eine Jugendstilschrift für die Überschriften runden das Gesamtbild perfekt ab. Das Personenverzeichnis hätte ich mir an den Anfang gewünscht. Normalerweise beginnt man ein Buch vorne, so habe ich es erst sehr spät entdeckt. Schade ist, dass nicht ein einziges Foto der Familie (es wird zumindest eines erwähnt), im Buch gezeigt wird. Es hätte die Authentizität sicher noch mehr erhöht.
Das Cover scheint mir zumindest online nicht besonders gut gelungen, der Gegensatz zu den Illustrationen im Inneren ist sehr stark. Ob ich das Buch auf dem Ladentisch ergriffen hätte, das kann ich nicht sagen, meine Rezension bezieht sich auf eine digitale Version.
Fazit: ein gut geschriebener Familienroman, gleichzeitig ein Geschichtsbild des Ruhrgebietes ab Ende des 19. Jahrhunderts. Leseempfehlung von mir. Glatte 5 Sterne.

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Veröffentlicht am 25.05.2025

Französisch ist seine Spezialität

Sputnik
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Christian Berkel, bekannt durchs Schauspiel, Fernsehen, Filme und bei mir seit rund 20 Jahren besonders durch Hörbücher beliebt, versucht sich an einer Autobiographie. Das Buch habe ich noch nicht gelesen, ...

Christian Berkel, bekannt durchs Schauspiel, Fernsehen, Filme und bei mir seit rund 20 Jahren besonders durch Hörbücher beliebt, versucht sich an einer Autobiographie. Das Buch habe ich noch nicht gelesen, das neue Hörbuch mit etwas Mühe zu Ende gehört. Seine teilweise auch biografischen Romane Der Apfelbaum und Ada hatten mir wesentlich besser gefallen.
Der Spitzname Sputnik geht auf den ersten von den Sowjets ins All geschickten Satelliten zurück. Berkel beginnt aber weit vor seiner Geburt, noch im Bauch seiner Mutter, dem Hörer/Leser über seine schwierige Kindheit und Jugend und die problematische Beziehung zu seiner Mutter zu berichten. Die zum Vater ist auf andere Art nicht weniger konfliktreich. Man hört sich durch all seine Kinder- und feuchten Jugendträume und hofft als Außenstehender bisweilen nur, dass er endlich zum Punkt kommt. Man begleitet ihr auf seine Reise nach Paris, die doch etwas länger als gedacht, mit einer enttäuschten Heimkehr endet. Er muss feststellen, dass auch sein exzellentes Französisch nicht ausreicht, um ihn zu einem Bühnenstar der Comédie française zu machen. Wobei mich die betont exaltiert gesprochenen französischen Passagen im Buch doch arg genervt haben. Beim Lesen des E-Books wäre es ja ein Leichtes, sich schnell die Übersetzung anzeigen zu lassen, im Hörbuch plätschert der Text so schnell vorüber, dass ich nicht alles verstehen konnte. Und nicht alles wurde, zumindest sinngemäß, auch übersetzt. Zumindest bekommt man einen Eindruck von der Stadt Paris in den späten 1960er Jahren, die Lebensentwürfe seiner neuen Freunde dort sind dann doch andere, als er sie in Berlin kennenlernte.
Berkel berichtet die tragische Lebensgeschichte seiner Mutter, die wegen ihrer jüdischen Abstammung in Frankreich verhaftet und im Lager Gurs gefangen gehalten wurde, nach dem Krieg aber nach Argentinien auswandern konnte und dort auch mit ihrer Tochter Ada lebte, ehe sie zurück nach Berlin übersiedelte. Der Holocaust aber bleibt ihr Trauma. Als Anfang 1979 die Fernsehserie Holocaust auch in die (west)-deutschen Wohnzimmer eindrang, war Berkel erst 21 Jahre. Zu dieser Zeit endet auch sein autobiografischer Bericht.
Fazit: Berkel gelingt es mit seiner Stimme, den Hörer zu faszinieren und bei der Stange zu halten. Über die Längen und Untiefen im Buch tröstet er damit hinweg.

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