Cover-Bild Böse Jahre, gute Jahre
Band 6088 der Reihe "Beck'sche Reihe"
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14,95
inkl. MwSt
  • Verlag: C.H.Beck
  • Themenbereich: Biografien, Literatur, Literaturwissenschaft - Biografien und Sachliteratur
  • Genre: Sachbücher / Politik, Gesellschaft & Wirtschaft
  • Seitenzahl: 420
  • Ersterscheinung: 12.02.2013
  • ISBN: 9783406645556
Hans Maier

Böse Jahre, gute Jahre

Ein Leben 1931 ff.

Hans Maier hat ein wunderbares, vornehm schönes Buch der Erinnerungen geschrieben. Es enthält nicht nur treffsichere, subtil geschliffene Portraits zahlreicher Menschen, denen er auf seinem Lebensweg begegnet ist – darunter Martin Heidegger, Franz Josef Strauß und Joseph Ratzinger. Zugleich bietet es auch Einblicke in die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts, die Hans Maier als teilhabender Zeitzeuge miterlebt hat und mit großer atmosphärischer Dichte schildert.

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 09.01.2022

Alemannisches Lamm mit Schlitzohren

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An Neujahr 2011 schrieb Hans Maier (HM, Jg.1931) das Nachwort zu seinem Buch der Erinnerungen. „Ein Leben 1931ff“, salopp betitelt, beginnt in Freiburg im Breisgau, in dem 1907 erbauten Kaiserhof in der ...

An Neujahr 2011 schrieb Hans Maier (HM, Jg.1931) das Nachwort zu seinem Buch der Erinnerungen. „Ein Leben 1931ff“, salopp betitelt, beginnt in Freiburg im Breisgau, in dem 1907 erbauten Kaiserhof in der Oberau - „an unserer Wohnung floss die Dreisam vorbei.“ (10) Die Verwandtschaft in der Nähe prägen Landwirte und Winzer, in der Ferne gibt es zahlreiche Ausgewanderte in den USA und in Japan. Die Land-Verwandtschaft hält den werdenden Akademiker, den ersten in ihren Reihen, für „nicht mehr als ein(en) Sozialfall, als eine zur Hälfte oder zur Gänze gescheiterte Existenz“ (94), was sich erst ändert, als sich Maiers Habil.schrift auf den Spuren von De la Mares „Traité de la Police“ zu einer „Strukturanalyse der deutschen Territorialstaaten des 16. - 18. Jhts.“ ausgeweitet hatte, wie ihm sogar Gerhard Ritter in einem Brief bescheinigte. (87-93) Bis dahin war es aber ein weiter Weg, denn „ein böses Doppeljahr, von Mitte 1931 zu Mitte 1932“, kostete ihn und seine fürsorgliche Mutter zuerst den älteren Bruder Ernst, der achtjährig in den Treppenschacht stürzt und einen Schädelbruch nicht überlebt, dann den Vater und Ernährer, der mit nur 44 Jahren an einer Sepsis nach Lungenentzündung verstirbt. (14) Die Mutter überwindet den Schock nie und trägt bis zu ihrem Tod 1981 „beide Eheringe, den des verstorbenen Mannes und den eigenen“ und unterschreibt mit Paula Maier Wwe, „wie es die Witwen früher taten.“ (15) Im Raufen ungeübt missfällt dem Volksschüler Hans Maier seine Schule am Messplatz und die Klassen mit Bänken für 40 (männliche) Schüler. (29) Abhilfe schafft das seit 1942 besuchte Gymnasium, denn dort herrschte trotz der finalen Nazi-Zeit und der Hochphase des Weltkrieges „ein freundlicherer Ton als an anderen Schulen.“ (37) „Lehrer am Gymnasium“ nennt HM mit der Formel Fontanes „ein weites Feld“ (38) und beklagt zum 27.11.1944 den „Luftangriff der britischen Royal Air Force, der das schöne Freiburg in Schutt und Asche legte.“ (44) Die Jahre 1946 -1962 hat HM „überwiegend in Freiburg verbracht, als Schüler und Student und später als Assistent und Dozent.“ (49) 1948 sitzt er beim Jobben mit Günter Gaus und Hans Magnus Enzensberger im Funkhaus des SWF in Günterstal am runden Tisch (52) oder lässt sich von Kurt Sontheimer interviewen (55), der ihm auch den Wechsel von dem heiß geliebten, aber problematischen Hauptfach Geschichte zur neuen Politikwissenschaft schmackhaft machte. (79) Während in Basel Karl Barth über das „Jasperle-Theater“ am Ort lästerte, in Frankfurt Adorno über Hindemith herzog, die „Ordinarien alten Stils“ sich mithin „als autoritäre Lehrer mit wenig Fähigkeit zur Selbstkritik“ erwiesen, mussten die Nachwuchskräfte in Freiburg bei Arnold Bergstraesser „nie das Rauchfass der Verehrung schwingen.“ (83) Und auch bei den Ökonomen vor Ort war noch keine Spur von Gary S. Beckers imperial economics zu entdecken: „Sie hatten ein waches Gefühl für die nichtökonomischen Voraussetzungen der Ökonomie.“ (100) Im Laufe des Jahres 1962 erhält HM drei (!) Rufe und entscheidet sich für die LMU in München (115), wo Eric Vögelin seit 1957 das Fach vertrat und einen Kärrner brauchte (127), also gegen Mainz und das abgelegene Berlin, wo es noch ein sog. „Zittergeld“ gab. „Die Studenten waren nur wenige Jahre jünger als ich“ (132), eine Zeitlang war HM sogar „der jüngste Professor an der LMU.“ (120) Parallel ist er mit dem vatikanischen Konzil beschäftigt (138ff) und natürlich mit den 68ern (152ff), hier eher bremsend, dort zuweilen antreibend: Die Universität erscheint HM schon Anfang der 60er Jahre als „das ringsum von Schul- und Berufsbedürfnissen eingekreiste Eiland eines mehr und mehr romantisch werdenden Gelehrtentums.“ (154) Dem Professor im Junioralter gefallen weder „die lärmenden Revolutionsspiele der Bürgerkinder“ noch „der elitäre Erzieher-Hochmut des SDS und seiner Trabanten“ (167), dabei sieht er den Umbruch schon klar als das Ende einer „auf Askese, Disziplin und Leistung gestimmte (Nachkriegs-)Zeit.“ (159) Am 22.11.1970 entscheiden sich dann für HM die nächsten 16 Berufsjahre, die er mit einem „Sinn für Symmetrie“ (241) als bayerischer Kultusminister auf 8 Jahre im Kabinett „Goppel III + IV“ sowie auf zwei Amtszeiten unter Strauß (FJS) verteilte. (175ff) Der „Quer- und Seiteneinsteiger“ aus dem Alemannischen ist ohne Mandat (im Landtag) und ohne Parteibuch (der CSU) in sein Amt gekommen und wird nun jeden Morgen mit dem Dienstauto samt Chauffeur ins Amt oder zu Terminen gefahren - manchmal kommt sogar ein Hubschrauber zum Einsatz, um learning und doing unter einen Hut zu bringen. Neben dem Metier des Kultus galt es die CSU - Vertreter in den Wahlkreisen zu besuchen und deren Wähler auf den Versammlungen und Festen kennen zu lernen, die „Bavarität“. (243) Denn die CSU jener Jahre war noch eine im Volk verankerte Partei, ihre Volksvertreter hatten diesen Namen noch verdient und sie stammten selber noch von diesen kleinen Leuten ab, von denen sie sich nur durch Ehrgeiz und Aufstieg ein wenig abhoben. (189ff) Der Kultusetat betrug rd. 4 Mrd. - „mehr als ein Viertel des bayerischen Staatshaushaltes“ jener Zeit. (196) Als sich dann FJS wieder auf die Landespolitik besann, wurde es in München ungemütlich, wie nicht nur HM (+ seine Frau!) zum Beispiel auf der Seiser Alm in Tirol am 8.10.1976 erfahren sollten. (249) Politik ist ja vor allem Streit und Auseinandersetzung, zumal wenn ein Landesvater (Goppel) von einem Bayernherrscher (Strauß) abgelöst werden sollte und letzterer sein „singuläres Redetalent“ oft nicht mit der notwendigen Selbstbeherrschung zügeln konnte. (250ff) HMs Bilanz: 3 Kabinette Strauß haben „im Land weit weniger bewegt als die vier Kabinette Goppel.“ (259) Kein Wunder also, dass die letzten Jahre 1982-86 mit FJS (Strauß III) „schwierig, oft quälend“ waren (263/285), sodass es, mit Böll gesprochen, zum „Ende einer Dienstfahrt“ kommen musste. Obwohl plötzlich zum „Watschenbaum“ geworden, wird HM von FJS nach gewonnener Wahl dennoch angeboten, „dass ich das Ministerium für Wissenschaft und Kunst übernehme.“ (299) Der Ablehnung folgt der Abgang und ein Übergang auf den vakanten Guardini-Lehrstuhl an der LMU. (303ff) 1988 ist HM also wieder „Kollege unter Kollegen“ (316) wie Frühwald, Boehm, Henrich oder Spaemann. Die Antrittsvorlesung, seine dritte nach Freiburg und München, widmet sich „der - seltsam unbekannten - Geschichte der christlichen Zeitrechnung.“ (322) 1999 wird HM dann emeritiert und zum Abschied aus der Universität spricht er „Von der Schönheit des Christentums.“ (330) Dieses aus meiner Sicht ungemein reich- und werthaltige Buch hat noch viele weitere Facetten, darunter (nicht zuletzt) die Existenz von sechs (!) erwachsenen Töchtern, denen vom eigenen Vater die Frage vorgelegt wurde, was es für sie bedeutet habe, in Zeiten eines KuMI Maier Schülerinnen gewesen zu sein. Die Antworten sind ausführlich dokumentiert. Auf dem Mädchenklo (!) fand sich etwa der die Leserin schockierende Spruch: „Haut dem Maier in die E...!“ (308)
Michael Karl

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