Cover-Bild Im Keller
16,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Hamburger Edition, HIS
  • Themenbereich: Biografien, Literatur, Literaturwissenschaft - Biografien und Sachliteratur
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 222
  • Ersterscheinung: 15.01.1997
  • ISBN: 9783930908295
Jan Philipp Reemtsma

Im Keller

»Die Tür wurde geschlossen. Er zog das Klebeband vom Kopf, sah sich an: die linke Hand voll Blut, am rechten Fuß die Kette. Er sah sich um: ein weiß verputzter Raum, etwa drei mal vier Meter, niedrig, knapp über zwei Meter.«

Am 25. März 1996 wurde Jan Philipp Reemtsma vor der Tür seines Hauses in Hamburg-Blankenese niedergeschlagen und verschleppt. 33 Tage lang hielten ihn seine Entführer im Kellerraum eines angemieteten Hauses bei Bremen gefangen; erst nach Zahlung eines in der Geschichte der Bundesrepublik einmaligen Lösegeldes von 30 Millionen Mark kam er frei.

»Eine Entführung, eine Zeit außerhalb aller anderen sozialen Kontakte als der antisozialen mit den Entführern, ist eine Zeit aufgezwungener Intimität. Und dies innerhalb eines extremen Machtgefälles: absolute Macht dort, absolute Ohnmacht hier. Das lässt man nicht im Keller zurück. Denn den Keller lässt man nicht zurück. Der Keller wird in meinem Leben bleiben, aber so wenig wie möglich von der mir dort aufgezwungenen Intimität soll in meinem Leben bleiben. Das einzige Mittel gegen Intimität ist Veröffentlichung.«

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 15.09.2020

33 Tage - „eine aufgezungene Intimität zerstören“

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Mich beeindruckt, wie Herr Reemtsma versucht, für sich einen Weg der Verarbeitung zu gehen. Seine Darstellung ist oft abstrakt (über Erlebnisse während der Entführung schreibt er in der dritten Person, ...

Mich beeindruckt, wie Herr Reemtsma versucht, für sich einen Weg der Verarbeitung zu gehen. Seine Darstellung ist oft abstrakt (über Erlebnisse während der Entführung schreibt er in der dritten Person, um bei der Einschätzung dazu aus heutiger Sicht wieder zur ersten Person zu wechseln), sein Vokabular kann sehr anspruchsvoll sein, viele seiner Vergleiche sind literarisch, einiges stammt aus Kinderzeit und „Familienvokabular“ (Tiere, Zitieren von Macken etc.).
Ich kann und möchte Fiktion rezensieren. Ich kann und möchte „normale“ Sachbücher rezensieren, gerne auch Tatsachenberichte der Sorte „Meine Weltreise“ – über etwas, was jemand freiwillig getan hat. Hier geht es um einen Tatsachenbericht über ein Verbrechen. Die Worte können aus meiner Sicht daher nur von dem kommen, an dem es verübt wurde.

Direkt nach der Freilassung:
„Warum fahren wir eigentlich nach New York? Ob ich eine Ahnung habe, wie es ‚zu Hause‘ aussehe? Als ob wir Greta Garbo zu Besuch hätten.

Man kommt da nicht nach Hause, sondern ins Fernsehen.“ S. 10

Gründe für das Buch:
„Warum mit diesem Buch noch einmal das Gesicht zeigen, diesmal in Worten, diesmal freiwillig? Einmal eben darum, weil es bereits in der Öffentlichkeit ist, weil meine Geschichte schon überall kursiert, weil sie schon wenige Stunden nach meiner Freilassung öffentlicher Besitz geworden ist, so daß ich sie mir nicht nur für mich selbst (das ist der Grund, warum ich sofort nach meiner Freilassung begonnen habe, die Geschichte aufzuschreiben), sondern auch in der Öffentlichkeit wieder aneignen will.“ S. 15

„Ich habe festgestellt, dass es mir geholfen hat, von anderen Entführungsfällen zu wissen.“ S. 16

„warum…dieses Buch so bald…. … Die Antwort führt direkt … in den Keller. Eine Entführung, eine Zeit außerhalb aller anderen sozialen Kontakte als der antisozialen mit den Entführern, ist eine Zeit aufgezwungener Intimität.…. All das innerhalb eines extremen Machtgefälles: absolute Macht dort, absolute Ohnmacht hier. Das läßt man nicht im Keller zurück. Denn den Keller läßt man nicht zurück. Der Keller wird in meinem Leben bleiben, aber sowenig wie möglich von der mir in diesem Keller aufgezwungenen Intimität soll in meinem Leben bleiben. Das einzige Mittel gegen ungewollte Intimität ist Veröffentlichung.“ S. 17

während der Entführung – im Keller

s. 106 „If you want to cut my finger off – read this first!!“ (auf einem Zettel für die Entführer, als im Raum steht, an die Familie Reemtsmas zur Bekräftigung einen seiner Finger zu senden – innen unter anderem Gedanken über eine mögliche Gefahr der Infektion, Penizillinallergie etc.)

S. 138 "Daß der Engländer [einer der Entführer] sich gleichsam als Verdienst anrechnen lassen wollte, was er in den 33 Tagen im Keller alles nicht tat, ist allerdings Zeichen einer signifikanten moralischen Verwahrlosung."

im Rückblick:
S. 180 "Man verliert diesen Gedanken nie: Dieser Mensch verfügt über mein Leben."
S. 186 "...was sie seiner Familie angetan hatten, würde er ihnen nie verzeihen können."
S. 190 „Er hatte in seinem Keller oft das Gefühl, aufgeben zu wollen; er empfand es als gleichsam ungerecht, daß er gar nicht die Chance hatte, aufzugeben und dadurch irgend etwas zu bewirken. Mit der Möglichkeit aufzugeben war ihm auch die Möglichkeit genommen, nicht aufzugeben, aktiv durchzuhalten."
S. 191 „Vielleicht wird Übermächtigung immer von Gefühlen der Scham begleitet.“