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25,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Secession Verlag für Literatur
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 272
  • Ersterscheinung: 28.02.2022
  • ISBN: 9783907336137
Małecki Jakub

Saturnin

Saturnin
Renate Schmidgall (Übersetzer)

Warschau 2014: Saturnin, ein alleinstehender Handelsvertreter und ehemaliger Leistungssportler, erhält eines Abends einen Anruf von seiner Mutter: Sein 96jähriger Großvater Tadeusz ist verschwunden. Entschlossen fährt er in sein Heimatdorf, um den Vermissten zu suchen.

Wie in einer Familienchronik entfaltet sich die Geschichte dreier Generationen. Sie ist stark von den Erlebnissen eines Mannes geprägt, der vor allem eines war: ein zärtlich liebender Musiker, der nie Soldat sein wollte und wider Willen zum rächenden Partisanen wurde. Später wird er sich in tiefes Schweigen vergraben.
Es ist der Enkel, der seinen Großvater zum Sprechen bringt und eine Geschichte erfährt, die seine eigene Jugend plötzlich in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt.

Jakub Małecki erzählt in den vielen Registern seiner äußerst lebendigen Sprache – anhand einfacher und selbstbewusster Landbewohner – die jüngere Geschichte Polens. Sein reifes, psychologisch fundiertes Verständnis des Menschen, sein humaner Blick und seine Vorstellungskraft machen seine Werke zu einer wichtigen, versöhnenden Stimme der europäischen Gegenwartsliteratur.

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 21.05.2024

Familienchronik und Kriegsdrama

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»Leute wie mich nennt man »Singles«, aber ich bin kein Single, ich bin einfach nur einsam.« S.13

Der 30-jährige Handelsvertreter mit dem sonderbaren Namen Saturnin würde gern die nette Apothekerin ansprechen, ...

»Leute wie mich nennt man »Singles«, aber ich bin kein Single, ich bin einfach nur einsam.« S.13

Der 30-jährige Handelsvertreter mit dem sonderbaren Namen Saturnin würde gern die nette Apothekerin ansprechen, kauft aber stattdessen ständig Ohrstöpsel und tröstet sich mit Süßigkeiten. Sein Traum, Profisportler im Gewichtheben zu werden, ist längst geplatzt. Fast widerwillig kehrt er in sein Heimatdorf zurück, als seine Mutter Hania ihn anruft, dass sein Großvater Tadeusz verschwunden sei.

Małecki entblättert die Geschichte der Familie Markiewicz, über der ein bedrückendes Schweigen liegt, das jeder für sich mit etwas auszufüllen gelernt hat. Die Mutter mit Wörtern, der Großvater mit Arbeit und der kleine Saturnin mit Träumen und Selbstzweifeln.
Vieles in seinem Leben bleibt Saturnin lange ein Rätsel, woher sein bescheuerter Name kommt, wieso sein Vater in den entscheidenden Momenten abwesend ist. Er hadert mit seinen Sommersprossen, mit seiner Unfähigkeit, Frauen anzusprechen, mit seinem Hang, sich ständig zu überfressen.
Hania weiß das Schweigen zu füllen und klebt Wörter um sich, durch die sich Saturnin auf der Suche nach der eigentlichen Information hindurchwühlen muss.
Seine Mutter leide an »Satzlosigkeit, an fehlenden Punkten und anderen Satzzeichen«.

»Sie überschüttet mich mit Wörtern, und es ist unmöglich, diejenigen herauszufischen, die sie wirklich sagen will, denn sie sind mit dem ganzen Rest vermischt, mit all den Ausstopfwörtern, die ihr, seit sie denken kann, dazu dienen, sämtliche Ritzen und Risse zu schließen, all das, was sie nicht sehen will.« S.29

Dann endlich bricht der Großvater sein Schweigen. Die Erinnerung an den Krieg kehren zurück, an seine tote Schwester Irka, über die er nicht spricht. An Dinge, die er getan hat, die er wie seine Trompete am liebsten im Wald vergraben hätte.

Eine äußerst bewegende Geschichte über verpasste Chancen, unerfüllte Träume, Scham, Trauer und Verlust, die von ihrer Zartheit lebt, von virtuos komponierten Sätze, durchzogen von Zeitschleifen. Małecki spielt mit den schriftstellerischen Möglichkeiten, wechselt die Perspektiven, die Erzählform, streut einen Hauch magischen Realismus ein, weiß zu überraschen – vor allem mit seinem allerletzten Satz. Spannung schwebt über all dem, wie ein leichter Wind, der über die polnische Landschaft streicht. Doch die Molltöne der Melancholie schälen sich durch. Kriegstraumata, Tote, die auf seltsame Weise noch zwischen den Lebenden hängen und sich in dem Schweigen festgesetzt haben. Das transgenerationale Trauma der Sprachlosigkeit. Das Trauma eines ganzen Landes.

»… kurz danach ziehen die Polen wieder ein, beladen mit den Erlebnissen der Vertreibung. … Schöne Sätze von Krieg, Mut und Freiheit, er hätte Lust, sie alle zu sammeln und in den Ofen zu werfen.« S.248

Małeckis Geschichten tröpfeln in die Seele, wärmen, versöhnen und richten sich ein, um zu bleiben. Er ist aufrichtig, unverblümt mit seinen bodenständigen Figuren, die so wenig heldenhaft sind, wie polnisches Ackerland sehenswert ist. In denen wir unsere eigene Verzweiflung und Ängste entdecken können. Die Vergangenheit klebt an ihnen wie die Erde der Ackerscholle nach einem Regen. Traurigkeit hat tiefe Furchen gezogen, die Małecki mit der Magie des Alltags füllt, auf so traurig schöne Weise, dass ich seine Worte einatmen will.

Ich bin begeistert. Auch von der großartigen Übersetzung durch Renate Schmidgall.

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