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Veröffentlicht am 12.10.2022

Unterhaltsamer Fantasy-Roman, spicy abgeschmeckt

Spicy Noodles – Der Geschmack des Feuers
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Als klar ist, dass Toma keinen Studienplatz bekommt und folglich nicht in die beruflichen Fußstapfen seines leistungs- und karriereorientierten Vaters treten wird, setzt ihn dieser in Folge eines Streits ...

Als klar ist, dass Toma keinen Studienplatz bekommt und folglich nicht in die beruflichen Fußstapfen seines leistungs- und karriereorientierten Vaters treten wird, setzt ihn dieser in Folge eines Streits auf die Straße. Was für jeden jungen Menschen herausfordernd wäre, gestaltet sich für Toma sogar gefährlich, schließlich treibt ein Serienmörder sein Unwesen auf den Straßen New Yorks, der seine Opfer auf brutale Art und Weise tötet und die Polizei vor ein Rätsel stellt. Toma, der weder eine Vorstellung von seiner beruflichen Zukunft noch eine Idee hat, wie er sich eine Wohnung leisten soll, kommt schließlich bei seinem Großvater Shiro unter. Dieser betreibt seit Jahrzehnten das „Spicy Noodles“, ein Restaurant, in dem ebenso viel Herzblut steckt wie in den dort angebotenen, von ihm persönlich und mit langer Tradition verfeinerten Ramen. Shiro nimmt seinen Enkel herzlich bei sich auf, stellt ihm eine kleine Wohnung zur Verfügung und bindet ihn in den Restaurantbetrieb ein. Die Dankbarkeit, die Toma ihm gegenüber empfindet, lässt ihn über die verwirrte und schrullige Seite seines Großvaters hinwegsehen. Dieser ist felsenfest davon überzeugt, dass die Familie von einem Feuergott abstammt und - dank der sich im Familienbesitz befindlichen, von Shiro gehüteten, magischen Essstäbchen - zu Großem fähig ist. Toma belächelt diese vermeintlichen Hirngespinste so lange, bis immer mehr zwielichtige Gestalten auftauchen und die Essstäbchen plötzlich gestohlen werden. Gemeinsam mit Akari, einer Stammkundin des „Spicy Noodles“, begibt er sich auf die Jagd nach den Dieben und gerät so in einen gefährlichen Kampf, bei dem er nicht nur feststellen muss, dass sein Großvater weitaus weniger senil ist als angenommen, und bei dem er dem gefürchteten Serienkiller näherkommt als ihm lieb ist…

Während die Geschichte zunächst nur langsam an Fahrt aufnimmt, entwickelt sich „Spicy Noodles“ schließlich zu einer unterhaltsamen und einfach zu lesenden Fantasy-Lektüre, die gerade im finalen Endkampf mit raffinierten Stilmitteln spielt und so für Spannung sorgt.

Marie Graßhoff bedient sich souverän unterschiedlicher Schreibtempi und verleiht mit ihrem Wechsel aus eher dichten, „eiligen“ Kapiteln einerseits und detailverliebten, sich zeitnehmenden Passagen andererseits, ihren Charakteren Authentizität und Kontur. In Form von Toma ist es ihr gelungen, einen sensiblen, gutgläubigen und sympathischen „Antihelden“ zu erschaffen, mit dem man ebenso wie mit dem liebenswerten Shiro gerne mitfühlt und mitfiebert. Die weiteren Protagonisten werden eher knapp beschrieben, sodass ein klares Gefühl für die Figuren ausbleibt. Dies stellt insofern keinen Abbruch für das Lesevergnügen dar, als dass dadurch ein Misstrauen bleibt, wodurch beim Lesen immer wieder neu versucht wird die Charaktere in die Kategorien „Gut“ und „Böse“ einzuordnen.

Mit der Erwartungshaltung des Vaters, wonach sein Sohn in seine beruflichen Fußstapfen treten soll, ohne dass dieser überhaupt eine Idee von seinen persönlichen Fähigkeiten und Interessen hat, greift Marie Graßhoff wichtige Themen auf: Identität und Autonomie – zwei Aspekte, die den Zeitgeist der heutigen Jugend mehr denn je treffen. Es gelingt Toma zwar sich den Vorstellungen seines Vaters zu widersetzen und dahingehend eine Vorbildrolle einzunehmen, er lässt sich dann aber fast wie von selbst in den Restaurantbetrieb des Großvaters einbinden und kann sich von dessen Erwartungshaltungen wiederum nicht lösen. Hinterfragt wird dies jedoch nicht, sodass das gesellschaftlich relevante Thema nicht konsequent zu Ende geführt wird und Toma ein wenig an Glaubwürdigkeit verliert. Der Geschichte tut dies jedoch keinen Abbruch.

Gesellschaftlich relevante Bezüge stellt Marie Graßhoff auch insofern her, als dass sie mit der Gefahr, die durch den Serienkiller ausgeht, eine Situation schafft, die an die Corona-Pandemie erinnert: Begriffe wie „Lockdown“ und „Homeoffice“ werden beim Lesen unweigerlich mit der gesundheitspolitischen Lage der vergangenen zwei Jahre verknüpft. Das kann im ersten Moment auf sensiblen Grund stoßen und im schlimmsten Fall etwas säuerlich aufstoßen, könnte aber mit einigen Jahren Abstand eine wertvolle Hommage „an alte Zeiten“ sein und den „Ich-War-Dabei-Nerv“ treffen.

Marie Graßhoff ist es in „Spicy Noodles“ gelungen, eine fantasievolle, kreative und detailreiche Welt zu schaffen, die viel Potential für weitere Bücher und Erzählungen bietet und hinsichtlich Humor, Sprache und Schreibstil gerade auch den Geschmack einer jüngeren Leserschaft treffen dürfte.

Insgesamt stellt „Spicy Noodles“ wenig Anspruch – die Geschichte möchte einfach gelesen werden, unterhalten und Freude machen. Genau das ist Marie Graßhoff gelungen.

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