Dichte Atmosphäre der 20er Jahre mit Geschichten des Lebens – melancholisch, schön und tragisch zugleich.
Menschen im HotelMenschen im Hotel, erschienen im Jahr 1929, machte Vicki Baum weltberühmt. Der mit leichter Hand, Poesie und subtilem Witz erzählte Roman führt eine Handvoll Menschen im Grand Hotel zusammen, zeigt sie ...
Menschen im Hotel, erschienen im Jahr 1929, machte Vicki Baum weltberühmt. Der mit leichter Hand, Poesie und subtilem Witz erzählte Roman führt eine Handvoll Menschen im Grand Hotel zusammen, zeigt sie in ihren Krisen, Träumen und Enttäuschungen und liefert ein atmosphärisch dichtes Bild vom Berlin der 20er-Jahre… (Klappentext)
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„Hier traf die Jazzmusik des Tea-Rooms mit dem Geigenschmachten des Wintergartens zusammen, dazwischen rieselte dünn der illuminierte Springbrunnen in ein unechtes venezianisches Becken, dazwischen klirren Gläser auf Tischchen, knisterten Korbstühle, und als dünnstes Geräusch schmolz das zarte Sausen, mit dem Frauen in Pelzen und Seidenkleidern sich bewegen, in den Zusammenklang. Bei der Drehtüre schraubte sich Märzkühle in kleinen Stößen herein, sooft der Page Gäste ein- und ausließ.“
(S. 6)
Stellt Euch vor Ihr befindet Euch im Berlin der 20er Jahre. Ihr betretet ehrfurchtsvoll das Grand Hotel, schreitet durch das Foyer und bestaunt die pompöse Ausstattung, die Pagen, die geschäftig herumlaufen und die illustren Gäste.
Alle möglichen Weltsprachen schwirren Euch um die Ohren und der Duft von alter Möbelpolitur und Zigarren steigt Euch in die Nase. Ihr setzt Euch in einen der tiefen Ledersessel im Foyer und beginnt so manche Gäste zu beobachten.
Euch schräg gegenüber sitzt ein etwas schrulliger Herr, dessen eine Gesichtshälfte entstellt ist und der mürrisch und abwesend vor sich hin murmelt. Kriegsveteran vermutet Ihr.
Dann huscht ein älterer Herr mit abgetragener Kleidung direkt vom Eingang zur Rezeption und versucht in hitzigem Ton unbedingt ein Zimmer im Hotel zu ergattern. Ihr überlegt, ob sich dieser Herr hier überhaupt ein Zimmer leisten kann, denn er passt so gar nicht zu den übrigen Gästen.
Euer Blick schweift weiter durch das Foyer und plötzlich schreitet eine elegante Dame an Euch vorbei, begleitet von einem Schwarm persönlicher Assistenten. Ihr nehmt an, dass dies wohl einer dieser Filmdiven sein muss, so wie sie umschwärmt wird und folgt ihr mit bewunderndem Blick.
Dabei entdeckt Ihr einen jungen und äußerst gut aussehenden und elegant gekleideten Mann. Selbstsicher und mit einem spitzbübischem Lächeln um die Lippen stolziert er ebenfalls der Drehtür zu. Der bewohnt sicher einer der teuersten Suiten, mutmaßt Ihr.
Dann hetzt ein älterer wohlgenährter Herr herein. Koffer und Aktenkoffer in den Händen, teurer Anzug und Hut, der etwas schief auf dem Kopf des schwitzenden und rotgesichtigen Mannes sitzt. Das kann nur ein Geschäftsmann sein, denkt Ihr.
Und dann…
„Dann schließen sich die Türen im Hotel, Doppeltüren fallen hinter jedem Menschen ins Schloß und lassen ihn allein mit sich und seinen Geheimnissen.“
(S. 56)
Vicki Baum lässt uns LeserInnen jedoch nicht mutmaßend im eleganten Foyer sitzen, sondern lässt uns hinter die Türen und die Geheimnisse dieser Gäste blicken.
So erfahren wir, dass der mürrische und in Selbstgespräche vertiefte Herr ein gewisser Doktor Otternschlag ist und im Hotel ein kleines Zimmer bewohnt. Er ist des Lebens überdrüssig und findet alles schrecklich und furchtbar langweilig, kann sich jedoch nicht aufraffen auch nur aus dem Hotel zu gehen, um etwas zu erleben.
Der Herr mit der abgetragenen Kleidung ist Herr Kringelein. Dieser hat vor Kurzem eine schlimme Diagnose erhalten – er hat nicht mehr lange zu leben. Er beschließt sein ganzes Geld zusammenzukratzen, die Familie zu verlassen und endlich nicht immer nur zu schuften, sondern so viel wie möglich zu erleben … er will endlich LEBEN und nicht immer nur an die anderen denken. Er will all das, was sein Firmenchef Herr Preysing auch hat und dieser residiert immerhin auch regelmässig in diesem Grand Hotel.
„Er kenne wenig vom Leben, aber nun möchte er es kennenlernen, er möchte das wirklich große Leben kennenlernen, eigens dazu sei er hier.
>>Aber<<, so sagte Kringelein, >>wo ist das wirkliche Leben? Ich habe es noch nicht erwischt. Ich war im Kasino, ich sitze hier mitten im teuersten Hotel, aber es ist immer noch nicht richtig. Ich habe immer den Verdacht, das richtige, das wirkliche, das eigentliche Leben spielt sich ganz woanders ab, das sieht ganz anders aus.<<“ (S. 50)
Herr Preysing residiert tatsächlich ebenfalls hier. Er ist dieser abgehetzte Geschäftsmann. Doch bei ihm verläuft nicht alles so glänzend und pompös, wie Herr Kringelein denkt. Seine Firma ist dabei zu Grunde zu gehen und es hängt alles von dieser Geschäftsreise ab.
Die elegante Diva ist die russische Primaballerina Grusinskaja. Auf den ersten Blick wirkt die Dame arrogant und herrisch, spricht sie doch hauptsächlich im Kommandoton. Doch ihr wird zunehmend klar, dass sie mit ihrem Alter langsam aber sicher ausgetanzt hat und was bleibt ihr dann noch? Gleichzeitig ist sie ausgelaugt und müde … so müde.
Last, but not least, der junge gut aussehende Herr. Das ist Baron Gaigern, welcher jedoch nicht wirklich ein Baron ist, sondern ein Hochstapler und Dieb, der mit seinem Charme jeden um den Finger wickeln kann. Er hat es auf die wertvollen Perlen der Primaballerina abgesehen und ist fest entschlossen sich diese anzueignen.
„Was im großen Hotel erlebt wird, das sind keine runden, vollen, abgeschlossenen Schicksale. Es sind nur Bruchstücke, Fetzen, Teile; hinter den Türen wohnen Menschen, gleichgültige oder merkwürdige, Menschen im Aufstieg, Menschen im Niedergang; Glückseligkeiten und Katastrophen wohnen Wand an Wand.
Die Drehtür dreht sich, und was zwischen Ankunft und Abreise erlebt wird, das ist nichts Ganzes.“
(S. 309)
Diese Gäste stehen alle an einem Wendepunkt ihres Lebens, treffen im Verlauf aufeinander, die Dominosteine fallen und am Ende ist nichts mehr so wie es vor dem Aufenthalt war.
Die Autorin entwarf hier ein atmosphärisches Sittengemälde der 20er Jahre und der oberen Gesellschaft.
Die Figuren stehen hierbei natürlich im Vordergrund und diese sind äußerst vielschichtig gezeichnet, während einem das Setting des Grand Hotels umgibt.
Mit einem flüssigen Schreib- und ruhigen Erzählstil, welcher direkt und poetisch zugleich ist, wird man in den Bann gezogen und blickt hinter so manche Türen des Grand Hotels. Man ist heimlicher Beobachter und erlebt die Gäste in ihren persönlichsten und intimsten Momenten – Momente, welche sie vor der Öffentlichkeit geheim halten und nur für sie bestimmt sind und somit wirft man einen Blick hinter all den Schein, welchen diese Figuren unbedingt aufrecht erhalten wollen.
Dabei wird einem klar, dass man Personen niemals nach dem äußeren Schein beurteilen sollte und jeder seine Kämpfe auszutragen hat.
„Zehn Minuten nach neun fegt das unausgeschlafene Stubenmädchen in Numero 68 flüchtig den Staub fort, es wirft die welken Blumenarrangements weg, trägt die Teetasse hinaus, und zuletzt bringt es neue Bettwäsche – noch feucht vom Bügeln – für den nächsten Gast…“ (S. 163)
Fazit:
Mit diesem Buch tauchte ich in eine atmosphärische und auch tragische Geschichte ein, bzw. in tragische GeschichtEN.
Das Flair der 20er Jahre und des imposanten Grand Hotels umgaben mich und die Figuren zogen mich in ihren Bann. Wer auf ein Happy End hofft wird wohl nach dem Beenden des Buches enttäuscht sein, doch meiner Meinung nach war dieses Ende perfekt und authentisch, denn die Geschichte erzählt die Geschichte des Lebens.
Und am Ende sitzt man eventuell mit dem Buch in der Hand da und denkt über das Leben nach.
Das wird für mich mit Sicherheit nicht das letzte Buch von Vicki Baum sein.
© Pink Anemone (mit Bildern aus dem Buch, Autoren-Info, Link zu meinem Retro-Christmas-Special und Info zu den Verfilmungen)