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Veröffentlicht am 07.01.2018

Rezension zu "Nur wenn du allein kommst" (Souad Mekhennet)

Nur wenn du allein kommst
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Souad Mekhennet wurde 1978 als Kind türkisch-marokkanischer Eltern in Frankfurt/Main geboren und wuchs in den ersten Jahren bei ihrer Großmutter in Marokko auf, um im Sinne des Islam erzogen zu werden. ...

Souad Mekhennet wurde 1978 als Kind türkisch-marokkanischer Eltern in Frankfurt/Main geboren und wuchs in den ersten Jahren bei ihrer Großmutter in Marokko auf, um im Sinne des Islam erzogen zu werden. Mit drei Jahren kehrte sie nach Deutschland zu ihren Eltern und Geschwistern zurück. Sie ist Journalistin und Autorin und beschäftigt sich seit dem Anschlag auf das World Trade Center 2001 intensiv mit dem islamistischen Terror.

Im vorliegenden Buch erzählt sie zuerst ihre eigene Geschichte und die ihrer Eltern, einem schiitisch-sunnitischen Paar, das sich fernab der Heimat in Deutschland als Gastarbeiter kennen- und lieben gelernt hatte. Es folgen Berichte aus Mekhennets journalistischer Tätigkeit im Ausland von 2003 bis heute. Sie fuhr unter Anderem in den Irak und Libanon, nach Algerien, Jordanien, Pakistan, Ägypten, Tunesien und Bahrain, um dort vor Ort zu recherchieren und sich mit Tätern und Opfern des Terrorismus zu treffen. Sie wagt sich viele Male in das Herz von Terrorgruppen wie Al-Quaida, Taliban oder IS(IS), redet mit den selbsternannten "Gotteskriegern", um auch beide Seiten zu Wort kommen zu lassen. Sie möchte Mittlerin sein zwischen der arabischen und der westlichen Welt.

Ihre Erlebnisse schildert sie eindrücklich und sehr detailliert. Viele der Treffen mit ihren Interviewpartnern sind nur möglich, weil Mekhennet selbst Muslimin ist, weil sie sich auf die arabische Gastfreundschaft und auf die Abstammung ihrer Familie mütterlicherseits vom Propheten Mohammed beruft. Oft hört sie Sätze wie "Wären Sie eine Deutsche/Amerikanerin, würden wir Sie entführen/töten." Als gebildeter Araberin jedoch wird sie meist mit Respekt behandelt, es werden ihr sogar einige Vertraulichkeiten entgegengebracht. So benennt z. B. ein Taliban-Kommandeur seine neugeborene Tochter nach der Journalistin. Doch kommt sie auch in viele bedrohliche Situationen und muss um ihr Leben und das ihrer Kollegen fürchten.

Ich habe viele Wochen für dieses Buch gebraucht, und wenn ich ehrlich bin, wich meine anfängliche Neugier nach einiger Zeit einer gewissen Ermüdung beim Lesen. Zu viele Namen, Daten, Gruppierungen - ich habe ehrlich gesagt oft gar nicht richtig durchgeblickt, wer jetzt wer ist und wo gerade wer gegen wen kämpft, wer welche Rolle wobei spielt. Manchmal hätte ich mir irgendwelche Übersichten in Form von Tabellen oder Karten (bezüglich der erwähnten Gebiete) oder zumindest ein Glossar gewünscht.

Zu den detaillierten Ausführungen kommen noch viele Fußnoten dazu. Ich bin ja ein Fan davon, Fußnoten, die nicht nur Literaturquellen, sondern auch Erläuterungen beinhalten, in der Fußzeile der jeweiligen Seite zu drucken und nicht in einem Anhang am Ende des Buches. Leider ist hier letzteres der Fall, und da die Autorin öfter in ihren Fußnoten Dinge erläutert und erklärt, war es ein nerviges Hin- und Herblättern, das meinen Lesefluss doch sehr beeinträchtigte.

Ich kann gar nicht sagen, ob ich die Autorin sympathisch finde oder nicht. Man erfährt zwar in den ersten Kapiteln vieles aus ihrem Leben, aber ich konnte keine Beziehung zu ihr aufbauen. Dies ist aber nicht nötig, um auf jeden Fall sagen zu können, dass sie eine kluge und mutige Frau ist, die sich ständig in die Höhle des Löwen begibt, um die Welt über den Terrorismus aufzuklären, und allein dafür muss man sie bewundern. Selbst in brenzligen Situationen behält sie einen kühlen Kopf.

Man merkt ganz stark, dass sich die Autorin als Araberin fühlt, dass ihr Herz in der arabischen Welt und im muslimischen Glauben verankert ist. So ist es für sie selbstverständlich, dass ihr zukünftiger Mann von arabischer Herkunft sein muss. Eine andere Möglichkeit zieht sie, die weltoffene und intellektuelle Frau, scheinbar gar nicht erst in Betracht.

Befremdlich fand ich auch ihre Schlussfolgerung, als sie erfährt, dass sie durch ihre zahlreichen engen Kontakte zu Terroristen vom US-Geheimdienst beobachtet wird. Sie konstatiert, dass dieser wohl kein Problem damit hätte, wenn sie ins Kreuzfeuer und in Lebensgefahr geriete. Denn ihr amerikanischer Kollege wurde vorher durch eine fingierte Morddrohung genötigt abzureisen, um ihn in Sicherheit zu bringen, während man abwartete, ob die Autorin ein Treffen mit einem hochrangigen Terroristen, an dem der Geheimdienst herankommen will, trotzdem durchführen würde. (Was sie zum Glück nicht tat.) Sie kommt zu dem Schluss, dass dem Westen ein muslimisches Leben (also ihres) weniger bzw. nichts wert sei, wie es ja auch die Terroristen immer propagieren. Jedoch stellt es sich für mich so dar, dass ihr amerikanischer Kollege nichtmal Arabisch spricht und Mekhennet die Interviews selbst organisiert und leitet, während ihr Kollege - auch nicht immer, falls die Interviewpartner nicht für seine Sicherheit garantieren wollen, weil er Amerikaner ist - sie nur unterstützend begleitet und dann später mit ihr die Artikel aufbereitet und veröffentlicht. Dass er da weniger in Verdacht steht als sie, ist eigentlich logisch.

Die Autorin hat viel erlebt und viel zu erzählen, und ihre Berichte sind gleichermaßen spannend und schockierend. Sie versucht, sich eine gewisse Objektivität zu erhalten, was meist, aber nicht immer gelingt. Aber sie ist eben auch nur ein Mensch. Es ist sowieso bewundernswert, dass sie nach all diesen Erlebnissen noch immer mit der gleichen Unterschütterlichkeit ihrer Arbeit nachgeht und sich nicht abbringen lässt, auch weiterhin in Kriegsgebiete zu fahren und dort mit gefährlichen Funktionären zu reden. Denn es ist wahrscheinlich, dass sie sich mit ihrer Arbeit auch einige Feinde macht.

Emotional ist nochmal der Epilog, in dem man erfährt, dass beim Amoklauf in München 2016, als ein junger Deutsch-Iraner im Olympiazentrum gezielt mehrere Menschen mit Migrationshintergrund tötete, auch der 14jährige Cousin der Autorin sowie sein bester Freund starben. Und so schließt das Buch mit den berührenden und weisen Worten: "Wenn ich eins gelernt habe, dann dies: Die Schreie einer Mutter, die ihr getötetes Kind beweint, klingen immer gleich, egal ob sie nun schwarz, braun oder weiß, Muslimin, Jüdin, Christin, Schiitin oder Sunnitin ist. Wir werden alle in derselben Erde begraben."

Veröffentlicht am 03.01.2018

Einfühlsamer Jugendroman über die erste große Liebe, Schuld und Vergebung

Viel näher als zu nah
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Die Geschichte ist aus Lucas‘ und Feys Sicht geschrieben. Der Perspektivenwechsel wird durch zwei verschiedene Schriftarten deutlich gemacht, wodurch Verwechslungen vermieden werden. Lucas‘ Sicht ist hier ...

Die Geschichte ist aus Lucas‘ und Feys Sicht geschrieben. Der Perspektivenwechsel wird durch zwei verschiedene Schriftarten deutlich gemacht, wodurch Verwechslungen vermieden werden. Lucas‘ Sicht ist hier jedoch eindeutig dominierend. Dies war zwar manchmal etwas schade, aber letztendlich finde ich, dass es gut so ist. Der Fokus liegt hier eben auf Lucas, der eine ganz starke Wandlung erfährt und sich von einem eingebildeten, sich selbst unwiderstehlich findenden Typen zu einem sympathischen, nachdenklichen und feinfühligen jungen Mann entwickelt. Zwar entwickelt sich Fey auch weiter, aber nicht in dem Maße wie Lucas. Während ich Lucas anfänglich sehr unsympathisch fand und erst nach und nach begann, ihn zu mögen, hinterlässt Fey direkt zu Beginn einen positiven Eindruck.

Neben den beiden Protagonisten spielt noch Lucas’ bester Freund Ben eine wichtige Rolle, der ebenfalls in den Unfall verwickelt war und mit seinen Schuldgefühlen ganz anders umgeht als Lucas, der im Gegensatz zu Ben auch körperlich stets an sein Fehlverhalten erinnert wird. Die Freundschaft zwischen Lucas und Ben empfand ich als etwas Besonderes. Heutzutage bezeichnet man sowas wohl als echte „Bromance“. Nach außen hin die coolen Typen, die auf keiner Party fehlen dürfen, ist ihre Beziehung zueinander jedoch echt und tiefgehend, was bei Jungs in diesem Alter nicht selbstverständlich ist.

Der flüssige Schreibstil ist angenehm zu lesen, und ich bin förmlich durch die Seiten geflogen. Angela Kirchner schreibt anspruchsvoll, aber dennoch jugendgerecht. Ihre Schreibweise ist gefühlvoll, sie drückt vieles mit Bildern aus. Sehr gut dargestellt werden die Emotionen der Figuren. Die Anziehungskraft zwischen Fey und Lucas, aber auch und vor allem die Schmerzen, die die beiden nach dem Unfall haben. Man schleppt sich förmlich mit den lädierten Protagonisten durch die Welt und fühlt die Beklemmung beim Lesen.

Es ist eigentlich ein eher leises Buch, das sich zum Großteil im Innenleben der Protagonisten abspielt, und so wirkt auch die Liebsgeschichte zwischen Fey und Lucas zart und fast schon unschuldig. Diese leisen Töne transportiert die Autorin sehr gut.

Ein paar Kritikpunkte hätte ich dennoch:

Mir waren es nach dem Unfall zu viele zufällige Begegnungen zwischen Lucas und Fey. Ok, sie wohnen in der gleichen Stadt und sind ungefähr gleich alt. Da kann man sich schon öfter über den Weg laufen. Aber wenn sie sich jetzt erst kennengelernt haben, ist es komisch, dass sie danach plötzlich überall gleichzeitig sind. Auf Veranstaltungen, in der Physiopraxis, auf dem Friedhof. Natürlich muss man Möglichkeiten für Begegnungen schaffen, es war auch nicht total unrealistisch, aber halt ein bisschen zu konstruiert.

Des Weiteren hätte ich gerne mehr über Jennifer, Feys beste Freundin und das Unfallopfer mit den schwersten Verletzungen, erfahren. Sie taucht erst am Ende des Buches kurz auf und hat dann einen Auftritt, als wäre sie eine Heilige ohne irgendwelche Makel. Ich denke aber, sie hätte mehr „leisten“ können für die Geschichte und wäre ein bereichender Charakter gewesen. Andererseits kann ich auch nachvollziehen, dass die Autorin den Fokus ganz bewusst auf Lucas und Fey gelegt hat und nicht alle Figuren gleichermaßen tief gezeichnet wurden. Trotzdem schade.

Der Konflikt, dass Fey Lucas total anziehend findet, aber ihn eigentlich hassen sollte, hätte für meinen Geschmack stärker ausfallen dürfen. Trotz des ewigen Hin und Her zwischen den beiden war das Ende natürlich relativ vorhersehbar, wie bei den meisten Liebesgeschichten. Das letzte Gespräch zwischen den Protagonisten empfand ich als viel zu schmalzig. Aber bei diesem Kritikpunkt darf man natürlich der Autorin zu Gute halten, dass das Buch in erster Linie Jugendliche ansprechen soll und ich mit 36 nicht mehr zur eigentlichen Zielgruppe gehöre.

Doch trotz dieser Kritikpunkte hat mir die Lektüre dieses Romans viel Freude bereitet, und so ist Angela Kirchners Debütroman „Über den Dächern wir zwei“ schonmal direkt auf meine Leseliste gewandert.

„Viel näher als zu nah“ ist ein empfehlenswerter Roman, nicht nur für junge Leser – und nicht nur für weibliche, wohlgemerkt, auch wenn das feminin wirkende Cover dies vielleicht vermuten lässt. In diesem Buch steckt viel mehr drin als eine Liebesgeschichte zwischen zwei jungen Menschen. Ich kann mir den Roman auch wunderbar als Schullektüre vorstellen, da hier ernste und wichtige Themen einfühlsam aufgearbeitet werden. Die Gefühle zwischen Lucas und Fey spielen zwar eine große Rolle, aber es gibt noch so viele andere Themen und Emotionen, die aufgearbeitet werden: Schuld, Verantwortung, Verzeihen, Freundschaft, Neuanfang.

Veröffentlicht am 10.12.2017

Rezension zu "Papa ruft an" (B. Bielendorfer)

Papa ruft an
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Bastian Bielendorfer hat sich in Deutschland als Autor und Comedian einen Namen gemacht und ist vielen als "Lehrerkind" bekannt. Nach den Bestsellern "Lehrerkind", "Lebenslänglich Klassenfahrt" und "Mutter ...

Bastian Bielendorfer hat sich in Deutschland als Autor und Comedian einen Namen gemacht und ist vielen als "Lehrerkind" bekannt. Nach den Bestsellern "Lehrerkind", "Lebenslänglich Klassenfahrt" und "Mutter ruft an" hat er nun sein viertes Buch veröffentlicht, das sich vor allem, aber nicht nur, seinem Vater widmet.

Ich selbst kannte bislang von ihm nur das Buch "Mutter ruft an" und habe ihn einmal im Rahmen der "Komischen Nacht" erlebt, wo ich ihn sehr lustig und sympathisch fand. Und wenn man schonmal die Mutter-Variante kennt, muss der Vollständigkeit halber natürlich auch das Vater-Buch gelesen werden! Wobei auch hier selbstverständlich Mutter Ingrid gerne im Hintergrund wütet, während Vater Robert seinen Stammhalter in den Wahnsinn treibt.

Vater Robert ist - ebenso wie Mutter Ingrid - pensionierter Lehrer und stets mit dem Rotstift bewaffnet. Seine dezent besserwisserische Art, sein als am Existenzminimum knapsender Lehrer angebrachter Geiz und seine Unfähigkeit, alleine im Haushalt zu überleben, sorgen für viele komische und skurrile Momente. Man darf davon ausgehen, dass so manche Situation vom Autor überspitzt dargestellt und etwas ausgeschmückt wurde. Knallharte Recherchen meinerseits haben zum Beispiel ergeben, dass allein schon die elterlichen Vornamen verfälscht wurden. Aber ein gewisser Grundwahnsinn ist bei der Familie Bielendorfer sicherlich vorhanden.

Das Buch liefert zahlreiche Gesprächsprotokolle zwischen Eltern und Sohn. Dazu kommen noch ein paar Kindheitserinnerungen an missglückte Familienurlaube, kurze Streitgespräche zwischen Bastian und Gattin Nadja sowie Erlebnisse mit Neffe Ludger. Und natürlich dürfen Mops Otto sowie die rattenfressende Mischlingshündin Maja nicht fehlen.

Nadja ist mir sehr sympathisch. Sie erträgt die angeheiratete Sippe mit stoischer Gutmütigkeit sowie geduldiger Grazie und kommt mit den Eigenheiten der Schwiegereltern viel souveräner zurecht als ihr Mann. Neffe Ludger ist der Sohn von Bastians Cousine und das Produkt zweier Waldorflehrer. Ich weiß nicht, ob es Ludger wirklich in dieser Form gibt, aber er ist der Grund, weshalb ich für nächste Woche einen Termin für eine Sterilisation beim Krankenhaus um die Ecke vereinbart habe.

Der Autor versteht es wirklich, die Situationen und Gespräche mit seiner Familie plastisch wiederzugeben, so dass sofort das Kopfkino losgeht. Ich liebe Bielendorfers Humor. Er haut eigentlich permanent und eloquent einen Kracher nach dem nächsten raus, und schon allein sprachlich war das Buch für mich ein Genuss. Manche Begebenheiten waren gar nicht mal so wahnsinnig komisch, konnten mich aber allein schon durch den witzigen Schreibstil zum Lachen bringen.

Es ist eigentlich erstaunlich, dass der Autor nicht schon längst eine Selfmade-Vollwaise ist. Aber trotz all der Macken bzw. Special Effects seiner Eltern, die es kaum überwunden haben, dass der Sohn nur Bestsellerautor (Trivialliteratur!!!) und nicht Chefarzt ist, schwingt doch auch immer unterschwellig eine kleine Liebeserklärung an die Erzeuger mit.

Natürlich muss man noch als Kritikpunkt anmerken, dass die Grundidee nach "Mutter ruft an" nicht neu ist. Als Kenner von Bielendorfers bisherigen Büchern sollte man also nicht erwarten, dass Bastian Bielendorfer das Rad neu erfindet. Aber es ist eine nette Fortsetzung des alltäglichen Bielendorferschen Wahnsinns.

Alles in Allem liefert "Papa ruft an" lockere und lustige Unterhaltung mit skurrilen Charakteren, die die eigene Familie plötzlich nicht mehr ganz so wahnsinnig erscheinen lässt.

P.S.: Bevor ich diesen Text online stelle, muss ich nochmal ganz genau Korrektur lesen, denn ich möchte nicht, dass Herr Bielendorfer senior mir irgendwann eine ausgedruckte und mit Rotstift korrigierte Version dieser Rezension zukommen lässt...

Veröffentlicht am 03.12.2017

Eine graue Protagonistin und ein leidenschaftlicher Priester in einem tristen Paris

Nur ein Wort
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Die Geschichte ist aus Annas Sicht erzählt, und ich fand leider keinen Zugang zu ihr. Sie war mir zwar nicht komplett unsympathisch, aber ich fand sie spröde, introvertriert - einfach anstrengend. Sie ...

Die Geschichte ist aus Annas Sicht erzählt, und ich fand leider keinen Zugang zu ihr. Sie war mir zwar nicht komplett unsympathisch, aber ich fand sie spröde, introvertriert - einfach anstrengend. Sie scheint regelrecht mit ihren melancholischen Gedanken in ihrem eigenen Kopf, in ihrer kalten winzigen Wohnung eingesperrt zu sein. Dadurch wirkte die Geschichte für mich lange Zeit sehr bedrückend und trist. Der vielgepriesene Pariser Charme half hier leider auch nichts. In diesem Buch kam mir die Stadt wie ein schmuddeliger Moloch kaputter Gestalten vor.

Pedro blieb mir bis zum Schluss fremd. Er ist ein guter Kerl, aber ein extremer Mensch mit viel (übertriebener) Leidenschaft. Männer, die schon nach einer Nacht eine Frau heiraten und mit ihr Kinder haben wollen, sind mir etwas suspekt. Zusammen wirken Anna und Pedro einfach nicht. Man fragt sich, worin die gegenseitige Anziehungskraft liegt. Kein Knistern, kein Beben - bei mir kamen null Emotionen an. Dann auch noch Szenen, in denen Anna sich bei Pedro wie ein Schaf verhält, das zu allem Ja und Amen sagt, während es "Hilfe, nein!" denkt.

Bei den anderen Charakteren fehlte mir ebenfalls die Tiefe, auch wenn sie alle sehr interessante Figuren sind. Gefallen hat mir aber Annas gutes Verhältnis zu ihrer Schwester Nat und ihrer kleinen Nichte. Interessant auch die Familiengeschichte: Der Vater kam bei einem Unglück ums Leben, die Mutter unterhält seitdem eine bereits lang anhaltende Beziehung zu einem katholischen Pfarrer. Diese Thematik wird oft in Rückblenden aufgegriffen. Später lernt der Leser dann auch die vielzitierte Mutter samt Priester-Freund kennen, was nochmal für Dynamik in der Geschichte sorgt.

Die ersten zwei Drittel des Buches bin ich etwas lustlos durch die Seiten geschlichten. Erst im letzten Drittel hat es die Autorin meines Erachtens herausgerissen. Die Geschichte dümpelt nicht mehr so vor sich hin, und zum Schluss habe ich die Gefühle zwischen Anna und Pedro sogar einigermaßen abgekauft. Nichtsdestotrotz muss ich wiederum kritisieren, dass sich die ganzen Probleme und Missstände, die sich vorher langwierig durch das Buch zogen, nun fast alle nach und nach in Gefälligkeit auflösten. Dies hat mich einerseits für die Figuren gefreut, die sich diese Wendungen zum Positiven hin auch verdient hatten. Andererseits war es zu konstruiert und zu gewollt.

Der Schreibstil ist einerseits relativ einfach gehalten. Allerdings unterhalten sich die Figuren öfter über sehr anspruchsvolle Themen aus den Bereichen Politik oder Philosophie, was auch dem Leser stellenweise Konzentration abringt. Es werden Stilmittel wie eingeschobene Liedtexte, Schlagzeilen aus Zeitungen oder Geräusche ("dopp, tschick, klack") verwendet, was ich persönlich eher störend fand, was aber vielleicht Annas teils wirre Gedankengänge ganz gut wiedergibt. Generell lässt sich der Schreibstil aber schnell und angenehm lesen.

Zu guter Letzt muss ich noch anmerken, dass das Layout mehrmals meinen Lesefluss gestört hat. Oft gab es abrupte Wechsel von Block- in Flattersatz, mitten in den Zeilen gab es Worttrennungen. Da dies auffallend häufig vorkam, würde ich hier dem Verlag empfehlen, das Layout nochmal zu überprüfen.

"Nur ein Wort" ist eine etwas schwere Liebesgeschichte mit einer grauen Protagonistin, die mich nicht so ganz überzeugen konnte, die aber im letzten Drittel nochmal das Ruder herumreißt und sich immerhin schnell weglesen lässt. Ich persönlich fand leider keinen Zugang zu den Figuren und hatte beim Lesen wohl nicht den nötigen Hang zur Melancholie.

Veröffentlicht am 19.11.2017

Kurzweilige Unterhaltung, komplexer Fall mit solider Ermittlungsarbeit

Mordsleben. Ostfrieslandkrimi
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Ich kenne bereits alle bisher erschienenen Bände von Ulrike Buschs Nordfriesland-Krimireihe "Kripo Wattenmeer", die mir sehr gut gefallen hat. Gerne habe ich mich deshalb mit der Autorin nun nach Ostfriesland ...

Ich kenne bereits alle bisher erschienenen Bände von Ulrike Buschs Nordfriesland-Krimireihe "Kripo Wattenmeer", die mir sehr gut gefallen hat. Gerne habe ich mich deshalb mit der Autorin nun nach Ostfriesland begeben.

"Mordsleben" ist der dritte "Kripo Greetsiel"-Band rund um das Ermittler-Duo Fenna Stern und Tammo Anders. Die ersten beiden Teile sind mir bislang unbekannt, da es sich jedoch um eine Reihe handelt, sind die Einzelbände problemlos unabhängig voneinander zu lesen. Ich hatte zu keiner Zeit Probleme, der Handlung zu folgen, da es ein in sich abgeschlossener Fall ist.

Fenna Stern war mir ziemlich sympathisch. Sie geht systematisch vor, versucht sich in Opfer und Täter einzufühlen und hat einen angenehmen Charakter. Mit Tammo Anders hingegen wurde ich nicht warm. Er ist zickig, unfreundlich und wenig einfühlsam. Außerdem hat er keine rechte Lust auf den Fall, da er, wie es scheint, erst frisch mit Fenna zusammengekommen ist und einfach nur die Zweisamkeit mit ihr genießen möchte. Die Liebesgeschichte um die beiden ist mitunter ein Grund, weshalb ich die ersten beiden Bände auf jeden Fall auch noch lesen werde, da ich gerne mehr über die beiden erfahren möchte.

Ulrike Buschs Schreibstil ist wie erwartet lebendig und lässt sich flüssig lesen. Auch wenn es sich um einen Krimi handelt, ist der Grundton locker und subtil humorvoll. Dafür sorgen schon die verschiedenen Charaktere, meist typische Nordlichter mit Ecken und Kanten.

Die Geschichte wird aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt, so dass man nicht nur gute Einblicke in die Ermittlungsarbeit erhält, sondern neben den Kommissaren auch weitere wichtige Charaktere - z. B. das Opfer und die Verdächtigen - näher kennenlernt, die wieder allesamt liebevoll detailreich gezeichnet sind.

Ulrike Buschs Krimis leben nicht von Blut und Action, sondern von kluger Ermittlungsarbeit, Geheimnissen und Verflechtungen. Diese aufzudecken bzw. zu entwirren ist die Aufgabe der Kommissare und somit auch des Lesers. Ich habe gerne mitgerätselt und muss leider zugeben, dass ich nicht wirklich wusste, wer der Täter ist. Den wahren Täter hatte ich zwar auch unter Verdacht, aber eigentlich nur, weil ich so planlos war, dass ich letztendlich jeden verdächtigt habe.

"Mordsleben" ist ein kurzweiliger Krimi mit einer komplexen Story, der mich sehr gut unterhalten hat. Lediglich mit dem Ermittlerduo muss ich noch ein bisschen warm werden.