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Veröffentlicht am 06.01.2017

Bewegendes Buch über ein brandaktuelles Thema

Auf der Flucht
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Kein Thema ist wohl momentan so aktuell und von enormer Wichtigkeit wie die Flüchtlingskrise. Sie beherrscht seit Monaten die Medien, und mittlerweile wird wohl jeder in einer Stadt oder einem Dorf leben, ...

Kein Thema ist wohl momentan so aktuell und von enormer Wichtigkeit wie die Flüchtlingskrise. Sie beherrscht seit Monaten die Medien, und mittlerweile wird wohl jeder in einer Stadt oder einem Dorf leben, in der/dem bereits Geflüchtete untergebracht sind. Wir sind schier ohnmächtig angesichts der Massen, die ihre Heimat verlassen und den beschwerlichen, oft tödlichen Weg nach Europa auf sich nehmen. In der Flüchtlingskrise läuft vieles schief. Und ja, auch ich habe Zweifel und Ängste, dass wir irgendwann überrannt werden und nicht mehr wissen, wie wir die vielen traumatisierten Menschen, die hier mit der Hoffnung auf eine friedliche Zukunft ankommen, so versorgen können, damit man sagen kann: „Ja, jetzt führen sie ein würdevolles Leben.“ Es muss noch vieles getan werden.

Doch damit beschäftigt sich dieses Buch hier und heute nicht, das sollte man vielleicht wissen. Es werden keine Lösungen oder Vorschläge, wie man besser mit der Flüchtlingskrise umgehen kann, präsentiert. Im Mittelpunkt stehen hier die menschlichen Schicksale.

Die beiden Autoren sind mit Leib und Seele Journalisten und selbst an die Orte gereist, an denen es brennt: Zum Beispiel in die großen Flüchtlingslager der Nachbarstaaten Syriens, wo diejenigen in Slums leben, die nicht die Mittel und die Kraft haben, es bis nach Europa zu schaffen; nach Lampedusa, wo Freiwillige tagtäglich um das Leben von verunglückten Flüchtlingen kämpfen; in das österreichische Dorf Großraming als gelungenes Beispiel für das friedliche Zusammenleben zwischen Einheimischen und Flüchtlingen. Sie berichten von der Arbeit der Schlepper und der römischen "Mafia Capitale", die mit dem Elend der Flüchtlinge Milliarden verdient.

Zahlen sind nunmal Zahlen, und es ist mittlerweile auch egal, wer da eigentlich gegen wen kämpft. Letztendlich geht es um Menschen, was viele vergessen (wollen). Der Flüchtlingskrise Gesichter geben, das tun El-Gawhary und Schwabeneder hier, und das trifft den Nerv der Leser. Dieses Buch macht nicht nur betroffen, es laugt einen regelrecht aus, und El-Gawhary fragt auf Seite 73 zu Recht, ob der Leser nicht irgendwann aussteigt, weil er die furchtbaren Geschichten nicht mehr aushält. Ja, die Geschichten SIND furchtbar - aber aussteigen? Nein. Wie kann man die Augen vor etwas verschließen, das gerade jetzt passiert? Wie kann man kapitulieren vor etwas, das man „nur“ liest, während Andere es durchleben mussten?

Ich habe schon viele Sachbücher mit grauenhaftem Inhalt gelesen, die meisten davon über den Holocaust. Man ist immer wieder schockiert und vergießt auch die ein oder andere Träne. Doch dann klappt man das Buch zu und sagt: „Aber das ist alles 70 Jahre her. Wir haben aus der Geschichte gelernt, so etwas wird nicht mehr passieren.“

Nur das, was im Irak, in Syrien, in Afghanistan, in Eritreia und anderen Ländern weit weit weg von uns passiert, passiert JETZT. In der Zeit, in der ich diese Rezension verfasse, wird vielleicht einem weiteren Baby der Kopf weggeschossen, muss wieder eine Mutter hilflos mitansehen, wie ihre entkräfteten Kinder eines nach dem anderen von ihr wegtreiben und im Mittelmeer ertrinken, wird eine weitere junge Frau entführt und auf dem Sklavenmarkt für 12 € verkauft, nachdem sie mitansehen musste, wie ihr Mann, ihr Vater und ihr Bruder hingerichtet wurden.

Zu viel für jemanden, der in einem friedlichen, wohlhabenden Land aufgewachsen ist? Ja, vielleicht. Sich vorzustellen, das Gleiche durchleben zu müssen wie die hier Interviewten, ist ehrlich gesagt zu viel für meinen Verstand und vor allem mein Herz. Aber manche von uns müssen mit dem Vorschlaghammer lernen, warum seit Monaten 100.000e Menschen nach Europa strömen. Wenngleich ich zu behaupten wage, dass ja gerade die ignorantesten Menschen mit den größten Vorurteilen nicht zu diesem Buch greifen werden...

Veröffentlicht am 06.01.2017

Viel auf Spekulationen basierende Biographie einer umstrittenen Persönlichkeit

Die Kriege der Viktoria Savs
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Ich habe ja schon viele Bücher über den Zweiten Weltkrieg und die Nazizeit gelesen, aber über den Ersten Weltkrieg weiß ich ehrlich gesagt nicht sonderlich viel. Dass es damals auch so genannte "Heldenmädchen" ...

Ich habe ja schon viele Bücher über den Zweiten Weltkrieg und die Nazizeit gelesen, aber über den Ersten Weltkrieg weiß ich ehrlich gesagt nicht sonderlich viel. Dass es damals auch so genannte "Heldenmädchen" gab, also Frauen, die als große Ausnahmen im Militärdienst dienten, obwohl dies nicht vorgesehen war, fand ich sehr spannend. Deshalb wollte ich die Geschichte von Viktoria Savs unbedingt lesen.

Es gibt zahlreiche (historische) Zeitungsberichte über diese Frau, die damals zur Heldin hochstilisiert wurde, letztendlich aber eine umstrittene Figur auch unter Militärangehörigen blieb. Sowohl im Ersten als auch Zweiten Weltkrieg war sie aktiv und wurde dort für Propagandazwecke "missbraucht" - oder auch nicht, denn so wie es aussieht, hat die kampfbegeisterte Viktoria selbst all die Heldengeschichten um ihre Person nur zu gerne in Umlauf gebracht bzw. bestätigt.

Nun ist also der Journalist Frank Gerbert auf Viktoria Savs Spuren gewandelt. Gleich im Vorwort kam für mich das überraschende Eingeständnis, dass Gerbert lediglich den Versuch vornehmen kann, ein Bild von Viktoria Savs zu zeichnen. Ich hatte eigentlich vermutet, dass er mehr gesicherte Informationen über diese Frau zu bieten hätte und hier mit einer fundierten Biographie aufwartet. Dem ist jedoch nicht so, und so sind die meisten Geschichten rund um die Savs mit Vorsicht zu genießen, in einigen Teilen gibt es auch widersprüchliche Überlieferungen. Es muss also meist bei Mutmaßungen bleiben, was ich sehr schade fand. Immerhin ist der Autor aber diesbezüglich ehrlich, so dass man gleich zu Beginn weiß, worauf man sich beim Lesen einlässt.

Gerber rekonstruiert also anhand von Zeitungsberichten, erhaltenen Dokumenten, bereits vorhandenen Recherchearbeiten und Gesprächen mit Zeitzeugen Viktoria Savs Leben und ihren Charakter. Viele Überlieferungen bleiben hierbei umstritten und gehören in den Augen des Journalisten eher in das Reich der Mythen. So ist es zum Beispiel fraglich, ob Viktoria Savs wirklich als Soldatin an der Front gekämpft hat oder lediglich niedrige Aufgaben übernahm, für die durchaus auch Frauen eingesetzt werden konnten. So gibt es gar einen Leserbrief von anderen Soldaten, denen die Heroisierung ihrer "Kameradin" in den Zeitungen so sauer aufstößt, dass sie behaupten, ihr wurde der Fuß völlig unprätentiös bei einer Sprengung von Felsgestein abgerissen, als die Dame gerade auf dem Lokus weilte...

Die Frau, die der Leser kennenlernt, ist doch eher unsympathischer Natur. Viktoria war ein "Tomboy", verhielt sich Zeit ihres Lebens wie ein Mann, hatte vermutlich auch eine lesbische Beziehung mit einer jüngeren Frau, die sie offiziell nach dem Zweiten Weltkrieg adoptierte. Ihre Halbschwester, mit der sie jedoch kaum etwas zu tun hat, beschreibt Viktoria als herrisch, egozentrisch und wenig liebenswert. Dem Vater folgt sie begeistert in den Krieg, sie möchte unbedingt gegen die Italiener kämpfen. Auch nach dem Unfall, bei dem Viktoria einen Fuß verlor, wollte sie sofort wieder zurück an die Front. Später dann ließ sie sich nur allzu gern von den Nationalsozialisten einspannen und arbeitete u. a. als Spionin gegen ihre eigene Heimat. Ein Bild zeigt sie mit hohen Funktionären der gefürchteten Waffen-SS. Spätestens hier werden wohl alle Sympathien für sie verpuffen. So bezeichnet Gerber sie denn auch im seinem Schlusswort als "ebenso faszinierendes wie abstoßendes politisch-psychologisches Unikum".

Die ersten Kapitel fand ich noch etwas holprig, ich kam nicht so recht in den Schreibstil hinein. Das mag aber auch daran liegen, dass ich erstmal dem Buch gegenüber negativ eingestellt war, nachdem ich gelesen hatte, dass es lediglich auf Rekonstruktionen und Mutmaßungen basiert. Im Laufe des Buches fand ich jedoch immer mehr hinein, und dann ließ es sich auch flüssig und durchaus unterhaltsam lesen. Gerber hat keinen nüchtern-sachlichen Stil, sondern einen lockeren, ja mitunter humorigen Erzählstil, der das Buch recht kurzweilig gestaltete.

Alles in allem wird dem Leser hier eine interessante, wenn auch nicht gerade sympathische Persönlichkeit vorgestellt, von der leider noch zu viele Fakten im Dunkeln liegen, so dass man sich zusammen mit dem Autor oft mit Spekulationen zufrieden geben muss.

Veröffentlicht am 06.01.2017

Guter Überblick über dieses Krankheitsbild mit vielen Tipps

Lipödem
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Zum ersten Mal kam ich mit dem Thema Lip-/Lymphödem in Berührung, als eine Freundin von mir daran erkrankte. In über zehn Jahren konnte ich selbst miterleben, wie die Krankheit trotz Behandlung fortschreitet ...

Zum ersten Mal kam ich mit dem Thema Lip-/Lymphödem in Berührung, als eine Freundin von mir daran erkrankte. In über zehn Jahren konnte ich selbst miterleben, wie die Krankheit trotz Behandlung fortschreitet und sie immer mehr einschränkt. Bis dato war mir nicht bewusst, dass es eigentlich wahnsinnig viele Frauen betrifft - das Buch spricht von Millionen allein in Deutschland und einem zweistelligen Prozentsatz weltweit!

Mittlerweile ist das Lipödem auch innerhalb meiner Verwandtschaft aufgetaucht. Da es immer noch von den Ärzten schlecht erkannt und mit reinem Übergewicht verwechselt wird (Standardspruch: "Sie sind halt zu dick, Sie müssen abnehmen."), kommt es oft - wie bei zwei Frauen in meiner Verwandtschaft - erst viel zu spät zur richtigen Diagnose und Behandlung. Das ist sehr fatal, denn die Symptome eines Lip- oder Lymphödems lassen sich niemals rückgängig machen, deshalb ist eine möglichst schnelle Behandlung enorm wichtig! Das Lipödem bricht in unterschiedlichen Lebenszyklen aus, z. B. in der Pubertät, während einer Schwangerschaft oder in den Wechseljahren (sprich: bei einer hormonellen Umstellung). Es kann also wirklich nicht verkehrt sein, sich als Frau eingehender damit zu beschäftigen.

Das Buch ist in folgende Hauptkapitel aufgeteilt:

1. "Grundlagen": Hier wird ausführlich geschildert, wie das Lymphsystem funktioniert und was genau im Körper passiert.

2. "Lipödem - schmerzhafte Schwellungen": Hier wird nun das Lipödem auf über 30 Seiten genauer vorgestellt. Die unterschiedlichen Stadien, der Krankheitsverlauf, die Ursachen.

3. "Cellulite - mehr als nur unschöne Dellen": Das Buch ist auch für Frauen geeignet, die "nur" an Cellulite leiden, da die Anwendungen für Lipödeme auch bei Cellulite hilfreich sind.

4. "Vermehrte Wassereinlagerungen": Hier wird ein weiteres Krankheitsbild, das "Flüssigkeitsretentionssyndrom", das ebenfalls Ödeme bildet, vorgestellt.

Manchmal ist es schwierig, zwischen diesen drei verschiedenen Krankheitsbildern zu unterscheiden. Auch die Adipositas wird kurz angesprochen. Letztendlich ist es wichtig, dass man einen guten Facharzt aufsucht, der die richtige Diagnose stellt.

5. "Therapieverfahren": Der größte Teil des Buches beschäftigt sich mit den bekannten und weniger bekannten Therapiemöglichkeiten bei Lipödemen. Hier werden nicht nur die gängigen Anwendungen vorgestellt, die vom Arzt verschrieben werden (müssen), wie Lymphdrainage und Kompressionsstrümpfe, sondern auch eigene Möglichkeiten, die Beschwerden zu verbessern (z. B. Ausdauertraining, Trockenbürsten, Schwimmen,...).

6. "Das 14-Tage-Selbsthilfe-Programm": Hier geht es v. a. um eine zweiwöchige Ernährungsumstellung. Es werden auch konkrete Rezeptvorschläge für jeden Tag vorgestellt.

Die Grundlagen haben mir sehr geholfen zu verstehen, was eigentlich im Körper so passiert. Ich habe mich noch nie mit dem Lymphsystem und seinen großartigen Leistungen beschäftigt und wusste echt gar nichts darüber. Ich gebe aber zu, dass ich die teils detaillierten Ausführungen nicht in ihrer Gänze verstanden habe. Ich war in punkto Medizin/Biologie/Anatomie schon immer recht begriffsstutzig. Es hätte für mich also gar nicht so ausführlich sein müssen und ich habe mich da stellenweise schon ein bisschen durchgequält.

Sehr interessant waren natürlich die vorgestellten Therapieverfahren. Ich kannte bislang nur die Lymphdrainage und das Tragen von Kompressionsstrümpfen. Dr. Weiss geht hier auch darauf ein, was in punkto Bewegung und Ernährung gut und weniger gut für Lipödem-Patientinnen ist. Manchmal denken diese, sie tun ihrem Körper etwas Gutes, schaden ihm aber nur, da z. B. viele Sportarten auf die Körper von Lip-/Lymphödem-Erkrankten eine andere Auswirkung haben als auf die Körper von gesunden Frauen (v. a. bei der Gewichtsreduzierung).

Das 14-Tage-Programm habe ich natürlich nicht ausprobiert. Dies ist für Frauen gedacht, die bereits die Diagnose eines Lipödems erhalten haben und auch von ihrem Arzt Lymphdrainage und Kompressionsstrümpfe verschrieben bekommen, da das Programm nur zusammen mit der Anwendung dieser beiden Dinge sinnvoll und effizient ist. Zudem ist das Programm so konzipiert, dass man sich mehrere Stunden am Tag freihalten muss, für Vollzeitkräfte also eher etwas, das man in die Urlaubszeit legen sollte.

Im Programmteil findet man v. a. Rezepte für eine gesunde Ernährung. Ich persönlich hätte so meine Probleme damit, denn das meiste klingt recht extravagant und nicht so, als wäre es ratzfatz gekocht, z. B. "Mit Orange aromatisierte Sellerie-Quinoasuppe" oder "Klare Ingwer-Soja-Limetten-Brühe mit Bulgur". Hier hätte ich als Alternative lieber eine Lebensmittelübersicht gehabt, die mir zeigt, was erlaubt ist und was nicht, so dass ich auch einfach selbst kombinieren könnte. Außerdem soll man das Programm ja auch mit körperlicher Aktivität verbinden. Hier fehlen mir konkretere Angaben und Vorschläge, was sich besonders eignet und wie viele Trainingseinheiten empfehlenswert sind bzw. wie lange sie sein sollen. Dies muss man sich alles aufgrund der vorherigen Ausführungen irgendwie selbst zusammenbasteln.

Die Sprache ist so gehalten, dass sie für Laien leicht verständlich ist. Der Autor gibt nicht mit Fachchinesisch an und hat - so weit bei einem medizinischen Ratgeber möglich - eine recht einfühlsame Art.

Die Aufmachung des Buches ist sehr ansprechend und abwechslungsreich gestaltet. Neben Bildern und Infokästen gibt es QR-Codes, die auf kurze Videos auf der Autorenhomepage verlinken. Diese Idee fand ich ganz nett, auch wenn ich mit meinem Handy keine QR-Codes lesen kann. (Dafür gibt es dann noch einen Link zum Eingeben.) Es ist durchaus sinnvoll, sich die Videos parallel zur Lektüre anzuschauen, da sie Informationen aus dem Buch anschaulicher machen und ergänzen sowie Fallbeispiele zeigen. Ich empfehle allgemein einen Blick auf die Homepage des Autors (www.weiss.de), da sich hier noch weitere Informationen und auch die im Buch erwähnten Formulare finden lassen.

Dieser Ratgeber ist für Leute empfehlenswert, die einen guten Überblick über die Krankheit Lipödem erhalten möchten, egal ob aus reiner Neugier oder wegen eigener Betroffenheit. Frauen, die schon seit Langem mit dieser Krankheit zu tun haben und sich damit gut auskennen, können die ersten 140 Seiten vermutlich überspringen und sich direkt dem 14-Tage-Programm widmen. Die Effizienz dieses Programms kann ich aber leider nicht bewerten.

Veröffentlicht am 06.01.2017

Beeindruckendes Zeitzeugnis einer starken Persönlichkeit

Denn Liebe ist stärker als Hass
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Diese Autobiographie handelt nicht nur über den Holocaust, sondern erzählt Shlomo Grabers ganzes Leben: Von seiner Kindheit in der Obhut des gläubigen und gütigen Großvaters, seiner Jugend, den Erlebnissen ...

Diese Autobiographie handelt nicht nur über den Holocaust, sondern erzählt Shlomo Grabers ganzes Leben: Von seiner Kindheit in der Obhut des gläubigen und gütigen Großvaters, seiner Jugend, den Erlebnissen im Zweiten Weltkrieg sowie der Zeit nach dem Holocaust - der Hachschara (der Vorbereitung auf die Übersiedlung nach Palästina), seiner Zeit beim israelischen Militär bis in die Gegenwart, in der der Autor mittlerweile als Künstler seine Erlebnisse auf Bildern verarbeitet.

Das Buch ist aus Sicht des Autors geschrieben, und bis auf ein kurzes Vor- und Nachwort kommt hier Shlomo Graber ganz ungefiltert selbst zu Wort. Neben seinen persönlichen Erinnerungen erläutert er auch meist noch kurz die politischen und geschichtlichen Hintergründe der jeweiligen Zeit, was ich sehr praktisch und hilfreich fand, da ich nicht immer die historischen Zusammenhänge im Kopf hatte.

Der Schreibstil ist lebendig, und man merkt einfach, dass der Autor ein lebensfroher, humorvoller Mensch ist. Viele Erlebnisse werden mit einem Augenzwinkern erzählt, und manche Begebenheiten - vor allem jene, in denen attraktive Frauen vorkommen - schienen mir durch die Augen des Autors im Rückblick etwas verklärt wiedergegeben, aber dies tut er mit solch einem Charme, dass ich einfach schmunzeln musste.

Es scheint deshalb manchmal schwer vorstellbar, dass dieser Mensch solch grausame Dinge erlebt haben soll. Selbst in den Kapiteln über den Holocaust verfällt er nicht in Jammern und Wehklagen, wirkt nicht verbittert.

Die Zeit im KZ wird sehr eindrücklich geschildert und wirkte auf mich äußerst beklemmend, auch wenn Graber versucht, den Leser zu schonen und allzu grausame Details auszusparen. Mehr als einmal entkam er nur knapp dem Tod, teils aus eigener Kraft, teils aus purem Zufall. Und auch er kam, wie so viele KZ-Insassen, an den Punkt, an dem er einfach sterben und von seinem Leiden erlöst werden wollte. Doch das Schicksal hatte eben andere Pläne mit ihm.

Ich habe schon viele Berichte von Holocaust-Überlebenden gelesen, aber oft enden diese mit der Befreiung. Deshalb fand ich das Kapitel über die Zeit direkt nach der Befreiung fast noch spannender als die Erlebnisse in den KZs selbst. Wie der Autor selbst bemerkt, musste damals das Leben einfach irgendwie weitergehen. Es wird erzählt, wie die befreiten Juden in die von den meisten Einwohnern verlassene Stadt Görlitz zogen und dort für einige Zeit die Häuser der Deutschen sowie deren Habseligkeiten in Beschlag nahmen, bevor sie in ihre Heimatländer zurückkehrten. Er leugnet nicht, dass auch bei den Opfern der Nazis der Überlebenswille und der Wunsch nach Vergeltung oft dazu führte, dass Mitgefühl und Menschlichkeit abgetötet wurden, die Opfer zu Tätern wurden.

Shlomo Grabers Biographie ist ein weiteres wichtiges Zeitzeugnis über den Holocaust. An dieser Stelle möchte ich meine Rezension mit den folgenden Worten des Autors beschließen, die mich tief beeindruckt haben:

"Dennoch ist es mir wichtig, an dieser Stelle anzumerken, dass ich keinen Groll gegen die Deutschen hege, zumal die nachfolgenden Generationen nichts mehr mit den Nazis der damaligen Zeit gemein haben. Ich verabscheue bis zum heutigen Tag jede Art von Gewalt - gegen wen auch immer! Ich bin mein ganzes langes Leben lang für ein friedliches Auskommen der Menschen eingetreten - egal welcher Konfession, Hautfarbe, Rasse oder Nationalität diese angehören mögen. Und ich werde für diese meine Ideale einstehen - bis zu meinem letzten Atemzug!"

Veröffentlicht am 06.01.2017

Heiter-tragischer Roman um eine aussterbende Spezies - regt zum Nachdenken an

Das letzte Nashorn
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Der Roman um Albrecht & Co. spielt in einem Zeitraum von insgesamt vier Jahren. Da es keine konkreten Datumsangaben gibt, bleibt es offen, ob wir uns hier in der Gegenwart oder (nahen) Zukunft befinden. ...

Der Roman um Albrecht & Co. spielt in einem Zeitraum von insgesamt vier Jahren. Da es keine konkreten Datumsangaben gibt, bleibt es offen, ob wir uns hier in der Gegenwart oder (nahen) Zukunft befinden. Es gibt ja durchaus noch Nashörner auf der Welt, aber wenn man mal nachforscht, so findet man schnell heraus, dass viele Nashornarten bereits ausgestorben sind und der Fortbestand dieses wunderschönen Tieres in Gefahr ist. Schuld daran sind vor allem Wilderer, die die Tiere wegen ihres wertvollen Hornes töten.

Die Geschichte wird abwechselnd aus drei Perspektiven erzählt: Neben dem ehrgeizigen Zoodirektor Edo Morell kommen auch die Tierschützerin Sariah Malan und der betagte Vorsitzende des Zoovorstandes, Frank Rida, zu Wort. Die drei Protagonisten wechseln sich pro Kapitel der Reihe nach ab. Trotzdem hat es bei mir manchmal schon ein bis zwei Seiten gedauert, bis mir anhand des Kontextes klar war, wer nun erzählt. Hier hätte ich mir vielleicht einen kleinen Verweis auf den aktuellen Erzähler gewünscht (z. B. in der Überschrift). Aber das nur am Rande.

Die verschiedenen Perspektiven machen die Geschichte noch spannender, als sie ohnehin ist. An und für sich waren mir alle drei Figuren recht sympathisch, aber Edo hat bei mir ambivalente Gefühle ausgelöst. Auf der einen Seite ist ihm sehr an dem Fortbestand der Nashörner gelegen und auch an dem Wohlergehen der anderen Zootiere. Doch mit der Zeit lernt man, dass es ihm hier vor allem um eine gelungene Präsentation nach außen geht. Denn nur, wenn die Besucher den Eindruck haben, den Tieren geht es gut, werden sie auch wiederkommen. Auch wenn Edo durchaus eine gewisse Verbundenheit zu "seinen" Tieren spürt, so ist ein gelungenes Marketing und die Unterhaltung der Besucher für ihn immer vorrangig, er betrachtet die Tiere als Mittel zum Zweck.

Sariah hingegen liebt Tiere über alles, und eigentlich findet sie es grausam, sie in Käfige zu sperren und auszustellen. Auf Edos Projekt lässt sie sich nur ein, da sie einsieht, dass das Nashorn in der Wildnis keine Überlebenschance mehr hat. Vielleicht gelingt es ja tatsächlich, diese Spezies zumindest in Gefangenschaft vor dem Aussterben zu bewahren. Umso tragischer, dass die Wilderer nun mittlerweile sogar schon ihre Wege in Zoos gefunden haben...

Zwischen Edo und Sariah entspinnt sich eine zarte Liebesgeschichte, die jedoch unter ihren häufigen Meinungsverschiedenheiten leidet. Die Storyline zwischen den beiden wird aber eher in den Hintergrund gerückt, hier steht wirklich Nashon Albrecht im Mittelpunkt.

Frank ist ein gutmütiger, gebildeter Herr, der für Edo väterliche Gefühle hegt und ihn deswegen uneingeschränkt in seinem Vorhaben unterstützt. Als Kunsthistoriker beschäftigt er sich viel mit der Vergangenheit und bietet dem Leser historische Fakten, vor allem aus der Kunstwelt, über das Nashorn. Dies war teilweise interessant, zuweilen aber auch etwas langweilig. Da Frank sich auch mit Sariah gut versteht, steht er oft zwischen den Stühlen.

Der Schreibstil ist lebendig, mit vielen Dialogen. Die Geschichte ist eine Mischung aus heiter und tragisch und hat mit dem Thema "Bedrohte Tierarten" einen sehr ernsten Hintergrund. Dadurch, dass die Nashörner Namen haben, werden sie - zumindest empfand ich es als Leserin so - vermenschlicht, und das macht das Ganze nur noch tragischer, als es sowieso schon ist. Ich habe öfter Seufzer des Bedauerns und der Enttäuschung von mir gegeben, das Schicksal von Albrecht und seinen Artgenossen ließ mich nicht kalt. Ich verrate nicht, ob die Nashörner am Ende aussterben, aber sagen wir so: Das Ende ist sehr realistisch.

Dank Edo lernt man viel über Marketing und Eventmanagement. Seine Ideen sind einerseits tatsächlich erstaunlich kreativ und wirkungsvoll, andererseits überschreiten sie irgendwann auch eine Grenze. Gerade auf den letzten Seiten wurde ich als Leserin mitten hineingezogen in die Gewissenskonflikte der Protagonisten. Wir müssen Tiere anständig behandeln, ihr Überleben sichern - aber dürfen wir aus ihnen Menschen machen? Stört es Tiere überhaupt, wenn ihre Art ausstirbt? Trauern sie um ihre Artgenossen, oder ist es ihnen nur wichtig, dass sie ihre Triebe befriedigen können? Ist das Aussterben von Tierarten nicht seit jeher gängig und gehört einfach zum natürlichen Prozess? Sollten wir aussterbende Tierarten in Ruhe ihre letzte Zeit auf Erden verbringen lassen, oder sollten wir sie herumreichen wie einen Superstar und den Menschen noch einmal die Gelegenheit geben, die letzten lebenden Exemplare aus der Nähe betrachten zu können?

Das Buch regt zum Nachdenken an. Darüber, wie wir Menschen mit Tieren umgehen. Darüber, wie man Zoos betrachten soll. Manche Leute gehen gerne hin, da sie sie als einzige Möglichkeit sehen, bestimmte Tiere aus nächster Nähe bewundern zu können. Manche Leute wiederum meiden Zoos, da sie es nicht ertragen können, wie die Tiere dort eingesperrt sind. Ich bin hin- und hergerissen, und auch in diesem Buch werden verschiedene Sichtweisen dargestellt, die alle für sich eine Daseinsberechtigung haben.

Ich habe "Das letzte Nashorn" in einem Rutsch gelesen, und Albrechts Schicksal hat mich berührt, auch wenn es - vorerst - nur fiktiv war. Ich lege das Buch vor allem - aber nicht nur! - denen ans Herz, die sich für Tiere und bedrohte Arten interessieren.