Profilbild von Beust

Beust

Lesejury Profi
offline

Beust ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Beust über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 03.04.2018

„Eine Legende ist eine Lüge, eine allgemeine Wahrheit zu erklären“

Das Labyrinth der Lichter
0

Zafón beendet seinen vierbändigen Zyklus um den „Friedhof der Vergessenen Bücher“ in seiner geliebten Heimatstadt Barcelona mit dem „Labyrinth der Lichter“. Zwar versichert die Vorbemerkung, man könne ...

Zafón beendet seinen vierbändigen Zyklus um den „Friedhof der Vergessenen Bücher“ in seiner geliebten Heimatstadt Barcelona mit dem „Labyrinth der Lichter“. Zwar versichert die Vorbemerkung, man könne den vierten Band auch lesen, ohne die anderen drei zu kennen, aber für den sättigenden Lesegenuss sollte man dieser Vorbemerkung nicht trauen.
Zur Handlung
Der im Franco-Regime emporgekommene Minister Mauricio Valls ist 1958 verschwunden, und die ungewöhnliche Geheimpolizistin Alicia Gris sowie der altgediente Hauptmann Vargas sollen ihn in Barcelona aufspüren. Alicia ist die zentrale Figur des Romans - eine bisweilen zynische, desillusionierte Femme fatale mit besonderen Ermittlerqualitäten, deren Vergangenheit mit dem Personal der anderen drei Bände verwoben ist - mit Fermín und der Familie Sempere. Alicia und Vargas begeben sich auf Valls‘ Spur, folgen den mysteriösen Hinweisen auf die Bücher des Schriftstellers Víctor Mataix und folgen den verschlungenen Pfaden durch das magische Barcelona und die Zeit der sterbenden Republik 1936-1944. Nach dem Angriff auf Vargas und Alicia am Ende des zweiten Buchdrittels wechseln die Akteure: Alicia tritt in den Hintergrund und die grausamen Täter des Regimes und ihre Opfer treten hervor: Leandro, Hendaya, Valls sowie David Martín, Mataix, Ariadna und Mercedes. Den Roman beschließt eine epilogische Sequenz aus der dritten Sempere-Generation und eine Rückkehr zu Julián Carax und dem „Schatten des Windes“
Drei starke Frauenpersönlichkeiten beweisen ihre selbstbewusste Eigenständigkeit: Alicia, Ariadna und die mit Daniel Sempere verheiratete Bea. Auch an diesen drei Frauenfiguren wird deutlich, dass Zafón sich für seine Figuren nicht gleich viel Mühe gegeben hat: Während Alicia vielschichtig und interessant ist, bleibt Bea eindimensionales Abziehbild. Regelrecht hölzern kommt ihr Gatte Daniel daher. Mit Vargas und Fermín schafft Zafón zwei gelungene Sympathieträger, mit Leandro und Hendaya zwei Antagonisten, die stets am Rande des Klischees wandeln.

Was ist besonders gelungen?
Zafón versteht es, seine Geschichten so zu schreiben, dass sie sich in einem Taumel aus Bewegung und Farbe, Atmosphäre und Stimmung wie von selbst lesen. Die Lektüre geschieht in höchster Rasanz, man fühlt sich durch die Handlung getragen, nie gehetzt. Gerade der Einstieg in das „Labyrinth der Lichter“ - Fermíns Ankunft in Barcelona und die Bombennahct, in der die junge Alicia verletzt wird - erzeugt den „Zafónschen Leserausch“, der seine Romane so besonders macht. „Eine Legende ist eine Lüge, eine allgemeine Wahrheit zu erklären“ (S. 184)
Die besondere Chemie zwischen Alicia und Vargas sowie die Atmosphäre bei den Semperes sind ebenfalls gelungen und beweisen die Erzählkunst des Autors, der den Schriftsteller David Martín sagen lässt, „… dass es in der Literatur nur ein wirkliches Thema gebe: nicht was man erzählt, sondern wie man es erzählt.“ (S. 784) Das hat Zafón drauf, auch wenn die Liebeserklärungen an sein Barcelona bisweilen entweder überziehen („Barcelona ist ein verhextes Haus.“ S. 389) oder ins Banale abrutschen („Licht und Schatten wie diese Stadt“ S. 485).

Was hat nicht gefallen?
Zafón reißt seine Leser mit in eine gelungene Kriminalhandlung, bei der sein Ermittlerteam aus Alicia, Vargas und ein paar Statisten in die Abgründe der frühen Franco-Ära und die vielen tragischen Geschicke der Opfer und ekelhaften Missetaten der Täter steigt. Dabei breitet sich der Plot in vielfachen Verzweigungen aus und ist bei der Lektüre nur schwer in Händen zu halten. Dass hier Längen entstehen, ist allerdings deutlich verzeihlicher als die Tatsache, dass der Autor seine Leser um den Erfolg der Ermittlungen bringt: Es sind nicht Alicia und Vargas, die dem Leser die Zusammenhänge um Minister Valls‘ Verschwinden und seine Verbrechen enthüllen, sondern die darin verstrickten Personen. Nach den Attacken auf Vargas und Alicia endet die zentrale Handlung zugunsten mitunter retrospektiver Zusammenfassungen, vor allem aber den Aktionen anderer Figuren. Wer die anderen Bände des „Friedhofs der vergessenen Bücher“ kennt, mag ab Seite 600 immer noch auf seine Kosten kommen, weil nicht nur die Mysterien des vierten Bandes aufgeklärt werden; wer aber nur Band vier kennt, darf sich zu Recht um einen ordentlichen Abschluss des auf den ersten 600 Seiten Erzählten betrogen fühlen.
Der Epilog um Julián Semperes Vergangenheitsbewältigung und seine Parallelisierung mit Zafón selbst gewähren zwar interessante Einblicke in die Konzeption des Zyklus‘des „Friedhofs der verschollenen Bücher“ (S. 896-898), wirkt aber erzählerisch und inhaltlich wie ein Fremdkörper.

Fazit
„Das Labyrinth der Lichter“ ist glänzend geschrieben und bereitet großes Lesevergnügen. Selbst die oben beschriebenen Schwächen trüben den Gesamteindruck nicht übermäßig. Der Roman ist ein empfehlenswerter Schmöker, den man allerdings erst nach Genuss der anderen drei Bände lesen sollte.

Veröffentlicht am 03.04.2018

Techno-Gebrabbel und explodierende Köpfe

Extinction
0

Der Wissenschaftsthriller Extinction dreht sich um die Fragen: Wie gefährlich wäre eine neue Spezies Mensch für den heutigen Menschen, wenn der Entwicklungssprung so groß wäre wie vom Schimpansen zum ...

Der Wissenschaftsthriller Extinction dreht sich um die Fragen: Wie gefährlich wäre eine neue Spezies Mensch für den heutigen Menschen, wenn der Entwicklungssprung so groß wäre wie vom Schimpansen zum Molekularbiologen? Und wie gefährlich wäre der heutige Mensch für den Evolutionsfortschritt?

Takano strickt hierum eine abenteuerliche Story um einen Evolutionssprung bei den Pygmäen im Kongo, der von der richtigen Forschergruppe entdeckt und gedeckt wird. Gemeinsam mit der jüngst in die Welt gekommenen überlegenen Intelligenz versuchen sie, den neuen Menschen aus Afrika heraus- und nach Japan zu bringen. Dazu folgt das Buch einem verwinkelten Plan, der den Einsatz einer Söldnertruppe um den Amerikaner Jonathan Yeager einschließt, der gemeinsam mit dem als Antihelden erfolgreichen jungen Molekularbiologen Kento Koga das gegensätzliche Protagonistenpaar bildet, das sich allerdings erst auf den letzten Seiten persönlich begegnet. dass der ganze Plan immer haarscharf am Scheitern vorbeischrammt, macht den Roman spannend, auch wenn die Handlung an den Haaren herbeigezogen ist. Es fängt damit an, dass der ganze Staatsapparat der USA - NSA, CIA, Air Force und private Sicherheitsdienste - ausgetrickst werden müssen, um sich ihrer gelichzeitig als Vehikel aus Afrika heraus zu bedienen, weil … ja weil das eben der Plan ist. Dass man den neuen Menschen auch einfacher aus Afrika hätte fliegen lassen können, wenn man die USA gar nicht informiert hätte, gehört zu den Konzeptionsinfarkten des Romans.
Die Handlung bedient sich der jüngsten weltpolitischen Ereignisse wie etwa des Kriegs gegen den Terror und stellt die amerikanische Machtpolitik unter Präsident Burns (gemeint ist Georg W. Bush) ironisch an den Pranger.
Zwei Momente stören gewaltig: Das eine sind die gewalttätigen Szenen im kongolesischen Bürgerkrieg, die nicht mit platzenden Kindersoldatenschädeln sparen. das andere ist das enervierende Techno-Gebrabbel der japanischen Laborhandlung, deren Absurdität daran kulminiert, dass der Gegner die schreckliche Lungensklerose ist, deren unaussprechlicher vollständiger Name „pulmonale Alveolarepithelzellensklerose“ lautet. Mit diesen sechzehn Silben wird keine Spannung erzeugt, und wenn sie noch so häufig genannt werden.
Am Ende punktet der Roman durch seine cineastische Rasanz und seinen grundsätzlich humanistischen Ansatz sowie mit dem Reiz, den winzigsten David gegen den us-amerikanischen Goliath triumphieren zu sehen.

Veröffentlicht am 03.04.2018

Urlaubskabarett der farbechten Klischees

In der ersten Reihe sieht man Meer
0

Alexander Klein hat einen echten Trip vor sich: Er verreist mit Frau und Kindern sowie seinen Eltern mit dem Auto nach Italien, wie früher in der 80ern, als die Blechkolonnen anfingen, die Passstraßen ...

Alexander Klein hat einen echten Trip vor sich: Er verreist mit Frau und Kindern sowie seinen Eltern mit dem Auto nach Italien, wie früher in der 80ern, als die Blechkolonnen anfingen, die Passstraßen Richtung Adria zu verstopfen. Doch es kommt anders, als er denkt: Beseelt vom italienischen Rotwein träumt er sich zurück in die 80er Jahre, in einen dieser berüchtigten Urlaube. Er ist wieder 14 Jahre alt, pummelig und pickelig – aber er hat die Erinnerung an die seitdem vergangenen dreißig Jahre noch. Das ist ein gelungener Kunstgriff, um aus der Diskrepanz der Lebenswelt der 1980er, in denen es noch keine UV-Licht-Panik gab, keine Political Correctness oder Latte Macchiato an jeder Bude in Wuppertal, humoristisches Kapital zu schlagen.
Was auch immer die Familie Klein im „traumhaften“ Italienurlaub erlebt – es ist witzig gebrochen durch die Kommentare und erschrockenen Bewertungen des träumenden Alex. Kapitelweise tanzen die Klischees des deutschen Massentourismus durch die Szenerie. Sie wirken frischer als ihr Ruf. Überhaupt gelingt den Autoren ein lustiges, frisches, buntes Buch mit Herz und Witz, obwohl die Klischees abgegriffen und häufig benutzt sind. Die Familie Klein benimmt sich wie der leibhaftige Furor Teutonicus im Bermudahemd, erlebt Familien- und Strandabenteuer und freundet sich schließlich – Alex' weltmännische Erfahrung als Werbefachmann sei Dank – mit der Familie Berlusconi an, deren Kiosk auf den Geschmack der deutschen Touristen abgestimmt wird. Die immer wieder glutvoll durchs Bild gleitende Tante Maria ist ein weiterer gelungener Regieeinfall des Autorenduos.
Der Roman ist ein leichtes Spiel mit Vorurteilen und Klischees, die mit wenigen Ausnahmen nicht wie wiedererweckte Mumien wirken, sondern den Leser immer wieder mit seiner eigenen Vergangenheit konfrontieren. Wer auch noch eigene Erinnerungen an vergleichbare Italienfahrten hat, dürfte umso mehr auf seine Kosten kommen. Insgesamt 3,5 Sterne, die sich auf vier aufplustern, weil gerade Urlaubszeit ist.

Veröffentlicht am 03.04.2018

Le Carré in der Post-Karla-Ära

Verräter wie wir
0

Dima ist nicht nur ein Mensch mit Vergangenheit, einem wertvollen Geheimwissen über die Geldwäschepraxis im postsowjetischen Russland, das er verhökern möchte, und einem Plan, wie er seine Geheimnisse ...

Dima ist nicht nur ein Mensch mit Vergangenheit, einem wertvollen Geheimwissen über die Geldwäschepraxis im postsowjetischen Russland, das er verhökern möchte, und einem Plan, wie er seine Geheimnisse an den (westlichen) Mann bringen will. Er ist vor allem ein Mensch mit Herz. John le Carré ist mit seinen Figuren in „Verräter wie wir“ ein großer Wurf gelungen, wobei vor allem Dimitri Krasnow, genannt „Dima“ ein kraftstrotzender Vertreter der russischen Seele ist: gemütvoll, breitbeinig, leutselig und trinkfest. Und dabei extrem gefährlich, ein Familienmensch, der über viele Leichen ging.
Die Idee, dass Dima sein Wissen über die Geldwäsche russischer Mafiaclans an den britischen Geheimdienst verkaufen möchte, reflektiert die veränderten politischen Rahmenbedingungen in le Carrés Lieblingsspannungsfeld zwischen Russland und Großbritannien. Im ewigen Sowjetreich haben keine Masterminds wie „Karla“ mehr das Sagen, sondern menschenverachtende Raffgeier und Mafiosi. Das ist gelungen und schmeckt hochaktuell. Dass der britische Geheimdienst aus einer Mischung aus bürokratischem Phlegma und ebenso menschenverachtendem Dünkel Dima die Tour vermasselt, weil Menschen in dem großen Spiel nur hohle Figuren sind, passt zur Kälte der Welt er Spione.
Dass aber ein Tennisturnier den Hintergrund bildet und das unschuldig ins Spiel gezogene Pärchen Oxford-Dozent Perry Makepiece und Rechtsanwältin Gail Perkins zum Überlaufzirkus gehört, beschert der Handlung einige Längen vor allem beim Einstieg in die Geschichte und wirkt nicht immer ganz rund.
Unter dem Strich ein gelungener Geheimdienstroman mit hervorragend gezeichnetem Personal, aber gewiss nicht le Carrés stärkster Wurf.

Veröffentlicht am 03.04.2018

Was gehen euch meine Lumpen an?

Wer ist B. Traven?
0

Wie ist es, mit Humphrey Bogart am Set von „Der Schatz der Sierra Madre“ Drambuie zu schlürfen und Hollywood-Gerüchte auszutauschen? Wie unheimlich ist es, einem belesenen Zwergen von ungarischem Adel ...

Wie ist es, mit Humphrey Bogart am Set von „Der Schatz der Sierra Madre“ Drambuie zu schlürfen und Hollywood-Gerüchte auszutauschen? Wie unheimlich ist es, einem belesenen Zwergen von ungarischem Adel durch das kriegszerstörte Wien zu folgen, um eine geheime Bibliothek aufzustöbern? Schon einmal von einem mexikanischen Luchador vermöbelt worden oder in einer finsteren Maya-Höhle verschwunden, wo die letzte Stunde schlägt?
Diese Abenteuer lassen sich in Torsten Seifferts Roman „Wer ist B. Traven?“ erleben, in dem sich der Journalist Leon Borenstein auf die Suche nach dem mysteriösen Schriftsteller B. Traven macht, dessen Leben so abenteuerlich gewesen zu sein scheint wie seine Bücher und dessen Pseudonym bis heute ein Mysterium ist, das nicht letztgültig aufgeklärt wurde. „Was gehen euch meine Lumpen an“, singt das „Tanzlied des Totenschiffs“. Man muss B. Travens Texte gar nicht kennen, um sich in dessen „Totenschiff“, den „Schatz der Sierra Madre“ oder die „Brücke im Dschungel“ zu vernarren. Anschließend will man sie lesen.
Seifert ist ein starkes Buch gelungen, das nicht der Marotte verfällt, unbedingt alle Informationen zu liefern, die sich aus der Autorenrecherche ergeben haben, sondern locker und leicht Hintergründe und Schauplätze verbindet und mit einem romantischen Schleier versieht.