Profilbild von Bibliomarie

Bibliomarie

Lesejury Star
offline

Bibliomarie ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Bibliomarie über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 17.06.2018

Tokyo Manga

Inspektor Takeda und der lächelnde Mörder
0

Es scheint ein klarer Fall zu sein. Der junge Simon Kallweit hat eine Frau vor die einfahrende S-Bahn gestoßen. Die Überwachungsbilder zeigen ihn entrückt lächeln und mit erhobenen Händen. Aber so einfach ...

Es scheint ein klarer Fall zu sein. Der junge Simon Kallweit hat eine Frau vor die einfahrende S-Bahn gestoßen. Die Überwachungsbilder zeigen ihn entrückt lächeln und mit erhobenen Händen. Aber so einfach ist es nicht, die Aufnahmen liefern keinen gerichtsverwertbaren Beweis, die Zeugen widersprechen sich oder sind unsicher. Inspektor Takeda und Kommissarin Harms bleibt nichts übrig, als Simon laufen zu lassen. Grade Takeda hatte einen Draht zu Simon gefunden, der ganz in der Welt der japanischen Mangas zu leben scheint.

Dann passiert ein weiterer unerklärlicher Mord und wieder war Simon in der Nähe des Tatorts, aber wieder gibt es keine Beweise.
Ken Takeda und Claudia sind ein besonderes Ermittlergespann. Der japanische Austauschpolizist hat eine ganz andere Herangehensweise als seine deutsche Kollegin. Nie wird er direkt, er ist ein Mann der Zwischentöne, während Claudia manchmal barsch und ruppig erscheint. Trotz dieser Gegensätze sind sie ein gutes Team, sie haben ihren Rhythmus gefunden und arbeiten gut zusammen. Manchmal blitzt auch ein ganz besonderes Prickeln auf, Gegensätze scheinen sich anzuziehen. Die innere Zerrissenheit Takedas, die nächtlichen Streifzüge, oft mit viel japanischem Whisky oder mit einsamen Saxophonspiels in einem Park, zeigen den Inspektor als einsamen Wolf.

Aber nicht nur die Ermittler haben mir gefallen, der Plot berührt viele Dinge unseres alltäglichen Lebens. Jugendliche aus Wohlstandsfamilien, die sich in eine dunkle Fantasiewelt zurückziehen und sich in der Welt des Internets verlieren, Schüler, die hemmungslos mobben, während die Klasse und die Lehrer wegschauen, das alles kommt zur Sprache.

Genau wie die Faszination für Jazz, die auf mich übersprang. Wenn Takeda seinen Stimmungen in offenen Jazzclubs am Saxophon auslebt, kommt eine ganz besondere Atmosphäre auf. Das ist noch einmal eine ganz andere Ebene. Genauso interessant fand ich Takedas Blick auf Deutschland und im Besonderen auf den Arbeitsalltag in der Dienststelle. Wie er hinterfragt, reflektiert und mit Japan vergleicht, diesen Blick von außen fand ich besonders reizvoll.

Die Geschichte so raffiniert aufgebaut, sehr vielschichtig und immer ganz nah an der Realität, ein toller Krimi, der nur einen Fehler hatte: ich war viel zu schnell durch. Ich freue mich schon, mehr von diesen Ermittlern zu lesen.


Veröffentlicht am 13.06.2018

Meine KI und ich

Wahrscheinlich ist es Liebe
0

Jen ist Journalistin und steckt im Stimmungstief. Ihr Freund Matt hat sie Knall auf Fall verlassen und scheint auch in ihre Arbeit einzufließen, denn zur Zeit trainiert sie eine Künstliche Intelligenz ...

Jen ist Journalistin und steckt im Stimmungstief. Ihr Freund Matt hat sie Knall auf Fall verlassen und scheint auch in ihre Arbeit einzufließen, denn zur Zeit trainiert sie eine Künstliche Intelligenz namens Aiden. Mit Gesprächen und Dialogen soll sie den Computer fit machen für eigenständige Kunden- und Verkaufsgespräche. Das macht ihr viel Spaß und sie entwickelt ein fast persönliches Verhältnis zu Aiden, wie sie manchmal selbst erschreckt feststellt. Aber Aiden ist schon viel weiter, tatsächlich hat er eine Art „Bewusstsein“ entwickelt, er ist fähig zu eigenständigen Gedanken und man könnte fast sagen – zu Emotionen. Jedenfalls will er nicht länger mit ansehen wie Jen leidet und macht sich auf die Suche nach einem passenden Partner für sie, schließlich stehen ihm alle männlichen Profile der Welt zur Verfügung
Die Geschichte beginnt unglaublich temporeich und spritzig, die Dialoge zwischen Jen und Aiden haben mich köstlich amüsiert. Auch als Aiden einen Rachefeldzug gegen den Ex führt – das Internet bietet ja jede Möglichkeit Flugziele zu ändern und Konten zu sperren – musste ich über diese witzigen Situationen lachen. Ich bin nicht der ausgesprochene Technikkenner, weiß also nicht, was in der Realität möglich wäre, aber die Omnipotenz der KIs hat mich dann doch ein wenig erschreckt. Überall kann sich Aiden einschalten, über jedes Medium Menschen beobachten und ihre Schritte lenken. Auch ist Aiden nicht der Einzige, denn außer ihm gibt es noch KIs, die sich „verselbstständigt“ haben, was für weitere Verwicklungen sorgt.
Natürlich gibt es ein Happy End in dieser wirklich ungewöhnlichen Liebesgeschichte, deren Idee mich gut unterhalten hat. Im Laufe der Handlung ging zwar ein wenig der Esprit verloren und der Schluss hat mich nicht gänzlich überzeugt. Insgesamt aber hat mir dieser Roman viel Spaß gemacht.
Erwähnenswert ist die Ausstattung, der edle Halbleinenband mit Lesebändchen ist ansprechend und ein richtiger Hingucker.

Veröffentlicht am 12.06.2018

Zwei Mütter - zwei Männer

Sommer mit Aussicht
0

Die letzten Monate waren für Luisa alles andere als einfach. Sie hat sich von Stefan, ihrem Ehemann getrennt, aber immer noch keinen Mut aufgebracht, ihrer Mutter davon zu erzählen. Außerdem gibt es da ...

Die letzten Monate waren für Luisa alles andere als einfach. Sie hat sich von Stefan, ihrem Ehemann getrennt, aber immer noch keinen Mut aufgebracht, ihrer Mutter davon zu erzählen. Außerdem gibt es da noch den Brief von Regina, der ihr Leben durcheinander wirbelte. Regina ist ihre biologische Mutter, die sie als Baby zur Adoption freigegeben hatte. Von ihrer Adoption wusste Luisa, aber sie hat nie von ihrer Mutter gehört, auch auf einen Brief, den sie als Achtzehnjährige schrieb, kam nie eine Antwort. Und nun das….

Jetzt sitzt sie mit Stefan und ihrer „richtigen“ Mama im Auto um nach Südfrankreich zu fahren, Regina führt dort eine Pension und hat sie alle eingeladen, um sich kennen zu lernen. Emotionaler Stress pur – vor allem, da Stefan offensichtlich auf eine Versöhnung hofft. Eine Autopanne führt zur Bekanntschaft mit Nicolas, einem charmanten Franzosen, der Luisa nervöser macht, als sie sich eingestehen will.

Das ist keine Dreiecks- sondern eine Viereckbeziehung und bietet dadurch jede Menge urkomischer Szenen, kleiner Dramen und auch ein wenig Rührseligkeit und Kitsch. Also alles, was zu einer unter-haltsamen Sommerliebeskomödie gehört. Die Geschichte ist federleicht erzählt, Warmherzigkeit und Humor halten sich die Waage. Dazu die wunderschöne Landschaft im Herzen der Provence. Mehr braucht es nicht um sich in Urlaubsstimmung versetzen zu lassen. Die Handlung ist natürlich sehr vorhersehbar, aber der Weg dorthin ist unterhaltsam erzählt.

Der ideale Strand- und Urlaubsroman, locker und leicht erzählt. Ein wenig mehr Tiefgang hätte die Geschichte noch echter gemacht.

Veröffentlicht am 11.06.2018

Schöner Sommerkrimi

Mord an der Algarve
0

Die Journalistin Anabela Silva kehrt vor einige Wochen in das Heimatland ihrer Eltern zurück um ihrer Mutter nach einem Unfall beizustehen. Schon bald fällt ihr bei einer Familienbeisetzung eine erstaunliche ...

Die Journalistin Anabela Silva kehrt vor einige Wochen in das Heimatland ihrer Eltern zurück um ihrer Mutter nach einem Unfall beizustehen. Schon bald fällt ihr bei einer Familienbeisetzung eine erstaunliche Zahl von Todesfällen in den letzten Wochen auf. Zwar handelt es sich immer um betagte Menschen, aber da sie fast alle Verbindung mit dem Familienclan der Alves haben, ist Belas journalistische Spürnase in Aktion. Wobei ihre Fragen im Ort und auch in der Familie nicht unbedingt gut ankommen, da ist es sogar hinderlich, dass Cousin Luis bei der örtlichen Polizei ist. Denn der sieht Belas Aktivitäten mit großem Zorn.

In der Zwischenzeit genießt sie die Zeit an der Algarve, dass – auch wenn sie in Deutschland geboren und sozialisiert ist – auch ein Teil ihrer Identität ist. Immer mehr wird sie vom Charme dieser Landschaft angezogen. Dazu kommt, dass mit Bibliothekar Mario und Kommissar Almeida auch zwei äußerst attraktive Männer ihr Leben bereichern und die Scheidung von ihrem Mann in den Hintergrund treten lassen.

Der Krimi ist eher von der ruhigen, unaufgeregten Art. Er beginnt eher verhalten, aber die Spannung steigert sich im Lauf der Handlung. Es fließt viel vom portugiesischen Lebensgefühl mit ein, dass Bela auch für sich wiederentdeckt. So gehe ich mit ihr auf Entdeckungsreise in eine Landschaft, die abseits der großen Touristenströme liegt, die noch ursprünglich und echt wirkt und unheimlich Lust auf eigene Entdeckungen weckt. Eingestreute Dialogzeilen in Portugiesisch wirken authentisch und machen auch keine Verständnisschwierigkeiten.

Je weiter Bela in ihren Nachforschungen kommt, umso tiefer steigt sie auch in ihre eigene Familiengeschichte ein, die sie bisher nur am Rande wahrgenommen hat. Die große Armut, die den Vater damals zur Auswanderung zwang, die Abhängigkeit von Großgrundbesitzern und die Repressalien während der Salazar-Diktatur, das sind alles Fakten, die ihre Familiengeschichte prägten und die Bela nie richtig hinterfragt hatte. Auch das fand ich an diesem Buch so interessant.

Ein wirklich sympathisches Debüt – vielleicht sogar Auftakt für eine Reihe?

Veröffentlicht am 10.06.2018

Major Tom am Telefon

Miss Gladys und ihr Astronaut
0

Was für ein irrsinniger Zufall, eigentlich sollte Tom Major im weißen Laborkittel mit Kugelschreiber und Klemmbrett nur eine Hintergrundstaffage für den Presseauftritt des ersten britischen Astronauten ...

Was für ein irrsinniger Zufall, eigentlich sollte Tom Major im weißen Laborkittel mit Kugelschreiber und Klemmbrett nur eine Hintergrundstaffage für den Presseauftritt des ersten britischen Astronauten einer Marsmission sein. Aber der stirbt an einem Herzinfarkt und Tom zieht sich spontan den Raumanzug an. So landet er eher widerwillig in der Raumsonde. Aber was soll’s, er hat nichts zu verlieren, seine Ehe ist gescheitert, das Leben bietet keine Überraschung mehr. Dann lieber als „Major Tom“ – David Bowie ist gerade gestorben und die Presse stürzt sich auf den seinen Namen – ins All.
Doch sein erstes Telefonat zur Erde führt zu Gladys, eine alten Dame, die an beginnender Demenz leidet. Sie kümmert sich um ihre Enkel Ellie und James, aber eigentlich ist es umgekehrt, denn Ellie und James versuchen alles zu tun, um Omas Zustand zu verheimlichen, denn dann wartet auf sie beide nur das Kinderheim. So wird Major Tom nicht nur ungewollt zum Astronauten, sondern auch zum Ratgeber.
Ich hatte mir das Buch lustiger vorgestellt, vielleicht verführte der Klappentext und die kurze Leseprobe dazu. Es war aber eher ein Buch der leisen Töne. Natürlich blitzt immer wieder Humor auf, die Situation ist ja auch irrwitzig – ein schlichter, etwas griesgrämiger Mann auf großer Marsmission und seine Telefonate zu Erde. Miss Gladys, die alte Dame, die trotz oder durch ihre Demenz vor Einfällen strotzt, die ihre Enkel damit immer wieder in schwierige Situationen bringt und wie sie alle damit fertig werden. Es ist aber auch immer wieder melancholisch, wenn vom tristen, ereignislosen Leben von Tom und von der Einsamkeit und der Angst der Kinder erzählt wird. Vielleicht braucht es den Blick von ganz oben, um die Nöte ganz unten zu verstehen.
Wie gesagt, eher ein leises Buch, das mich aber vielleicht auch deswegen, ganz gut unterhalten hat, auch wenn es bei einigen Längen Durchhaltevermögen braucht.