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Veröffentlicht am 26.02.2022

So habe ich Wilhelm Tell noch nie gesehen

Tell
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Das Titelbild lässt mich sofort an die Tell-Saga denken.
Wilhelm Tell. Literaturunterricht am Gymnasium, war ziemlich langweilig, muss ich gestehen. Vielleicht weil ich damals selbst in meinen Sturm und ...

Das Titelbild lässt mich sofort an die Tell-Saga denken.
Wilhelm Tell. Literaturunterricht am Gymnasium, war ziemlich langweilig, muss ich gestehen. Vielleicht weil ich damals selbst in meinen Sturm und Drang Jahren war. Dunkel noch einige Zitate, wie „Mit dem Pfeil, dem Bogen, / Durch Gebirg und Tal / Kommt der Schütz gezogen / Früh am Morgenstrahl…“ oder „Vater schieß zu, ich fürcht mich nicht.“ Oder „Durch diese hohle Gasse muss er kommen" und ein Pfahl an dem ein Hut hing, ein Apfel den ein Kind auf dem Kopf tragen musste, zwei gezogene Pfeile, einen für den Apfel, einer für den Landvogt. Ein nächtliches Treffen auf einer Wiese am Uri See. Ich habe nun Schillers Wilhelm Tell auch wieder gelesen, um einen direkten Vergleich zu Joachim B. Schmidts Thriller zu haben.
Denn was uns Diogenes hier präsentiert ist unglaublich! Rasante, kurze Kapitel, immer aus der Perspektive einer anderen Person geschrieben, treiben den Leser weiter, immer weiter wie eine wilde Jagd durch die Berge. Doch auch Schillers Werk hat es in sich. Für Anfang des 19. Jahrhunderts war seine Sprache gewagt und mächtig. Aber Anfang des 21. Jahrhunderts hat die Sprache eine allgewaltige Entwicklung gemacht. Kurze prägnante Sätze, schonungslos wie das harte Leben der Bergbauern, wie die verhasste Fremdherrschaft der Habsburger. So führt Harras einen inneren Monolog nach dem Meisterschuss, was er mit Wilhelm Tell machen würde, der vor den Augen seiner Landsleute Gessler beschämt hat: „…Jeden einzelnen Finger würde ich ihm abschlagen, die Ohren, seinen Schwanz und seine Eier. Blenden würde ich diesen Mistkerl. Das Alpenvölklein soll mitansehen, was mit Helden passiert“ (S. 179). Bei Schiller ist Gessler die blutrünstige Bestie und Harras die Stimme der Vernunft im Habsburger Lager, bei Schmidt ist Harras der brutale Schlächter, während Gessler hilflos dahintreibt, nicht gegen Harras aufkommt.
Die Handlung an und für sich ist bekannt. Schiller hat die Aufständischen noch in beeindruckenden Szenen zum Rütli-Schwur, zu Altdorf am Markt oder in den Häusern der Verschwörer auftreten lassen, Schmidt fokussiert sich auf Wilhelm Tell und die Personen, die ihn unmittelbar umgeben. Neu bei Schmidt treten Kindheitserinnerungen von Tell, von Vater Taufer auf, oder dass Wilhelm Tell nach dem Tod seines Bruders Peter seinen Platz am Hof einnimmt und seine Witwe ehelicht.
Schmidts Tell ist atemberaubend und glaubwürdig zugleich. Und vielleicht werden sich Leser dieses Buches auch an die große Vorlage von vor 210 Jahren wieder heranwagen.

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Veröffentlicht am 21.02.2022

Wunderschöner und spannender Spaziergang durch Triest

Ein Giro in Triest
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Das spannungsgeladene Titelbild: ein einsamer Spaziergänger in einer nächtlichen Gasse einer Altstadt lässt ein Gefühl der drohenden Gefahr aufkommen.
Das Buch selber hat mir den Eindruck eines Tanzes ...

Das spannungsgeladene Titelbild: ein einsamer Spaziergänger in einer nächtlichen Gasse einer Altstadt lässt ein Gefühl der drohenden Gefahr aufkommen.
Das Buch selber hat mir den Eindruck eines Tanzes auf dem Vulkan vermittelt. Es sind die Tage kurz vor und kurz nach dem 28. Juni 2014, als in Sarajevo ein serbischer Student das Kronprinzenpaar der Habsburger Monarchie erschießt. Binnen kürzester Zeit hat das zum Ausbruch des ersten Weltkriegs geführt. Parallelen zu unserer Zeit im Hier und Jetzt, mit dem Konflikt zwischen der Ukraine und Russland sind leider höchst evident. Damals, 1914 war der Balkan das Pulverfass Europas, jetzt, 2022 spielt Osteuropa leider diese traurige Rolle.
Wie sorglos das Leben im Nachhinein erscheint. Ein kleiner Mord oder doch Selbstmord, Männer mit dicken rauschenden Backenbärten nach Kaiser Art oder dünnen Oberlippenbärten, gezwirbelt nach „neumodischer“ Art, Fahrradsport der noch in den Anfängen steckte und in manchen Städten strikt verboten weil unnatürlich war, Vater - Sohn Konflikt, kleine Schwester die zum ersten Mal verliebt ist, Gaetano der seine erste unglückliche Liebe überwinden muss, Sonne über einer schönen alten Stadt, in der sich österreichische, serbische und italienische Interessen und Gruppierungen die Stadt teilen, Kaffee und Rotwein in den zahlreichen größeren und kleineren Cafés der Stadt genossen, alles scheint fast idyllisch verklärt, wenn man weiß, nur wenige Tage später wird ein Schuss in einer der Provinzen der KuK Monarchie zum Weltenbrand führen.
Doch der Schuss von Sarajevo wird auch in Triest ungeahnte Folgen haben. Gaetano Lamprecht entlarvt Machenschaften und Komplotte die bis in die höchsten Kreise der Stadt reichen. Immer wieder gerät er in bedrohliche Situationen aus denen er nur mit knapper Not entkommt, es bleibt ihm kaum Zeit zu verschnaufen, sich zu erholen. Und wir hechten mit ihm von einer Gefahr in die nächste. Aber wir können mit Gaetano auch durch die Straßen Triests flanieren, einen Kaffee genießen, mit dem Fahrrad im Umland Ausflüge machen. (Unter uns: habe ich mir alles vorgenommen für den nächsten Coronafreien Urlaub!).
Das Ende des Buches fand ich herrlich: nach all den Strapazen, den Adrenalinschüben und Aufregungen, die nächtlichen Fahrradtouren, die Gaetano durchgemacht hat, soll er nun endlich mit dem Zug, sein geliebtes Fahrrad im Gepäckwagen, zu seinem ersten Rennen fahren. Doch was geschieht? Die durchwachten Nächte und die Aufregungen der letzten Tage holen ihn ein und Gaetano wacht 12 Stunden später an der Endhaltestelle in Genua auf, er hat seinen Ausstieg und das Radrennen verpasst.
Die Sprache ist den KuK Gepflogenheiten angepasst: Gaetano siezt seine Eltern, Prinz Hohenlohe und Oberst Waldenhoff schwadronieren und dreschen wohlklingende und patriotische Phrasen um dann aber, wenn es kritisch wird, sofort in den normalen Umgangston zu verfallen. Ab und zu fallen kurze italienische Sätze, die das Lokalkolorit unterstreichen.
Und nun, zum Schluss, ein kleiner Gedanke über etwas, das gleich am Anfang des Buches steht: der Titel. „Giro“ bedeutet auf Italienisch eine Rundfahrt, ein Rundgang oder Spaziergang. Wir werden praktisch aufgefordert Gaetano Lamprecht auf seinen vielen Gängen durch die Stadt zu begleiten und so Triest näher kennenlernen. Wie gesagt, nach Corona werde ich dieser unausgesprochenen Einladung gerne Folge leisten.

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Veröffentlicht am 20.02.2022

Große Literatur ist nie tot oder überholt. Sie ist immer zeitgemäß weil keiner Epoche direkt untertan.

Die Feuer
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Claire Thomas zeigt uns, wie das Leben in Down Under während der großen Waldbrände sein kann. Leben mit der Gefahr, trotzdem Weiterleben, ins Theater gehen, seinem Beruf oder Ausbildung nachgehen. Da passt ...

Claire Thomas zeigt uns, wie das Leben in Down Under während der großen Waldbrände sein kann. Leben mit der Gefahr, trotzdem Weiterleben, ins Theater gehen, seinem Beruf oder Ausbildung nachgehen. Da passt ein absurdes Theaterstück gerade richtig. Die Regie hat das Stück „Happy Days“ von Samuel Beckett in unsere Zeit verpflanzt und dadurch gezeigt wie zeitlos aktuell die Tragikomödie ist. Wenn Winnie, die Protagonistin im Stück im ersten Akt bis zum Oberkörper in der Erde steckt und nicht mehr handlungsfähig ist, so steckt sie im zweiten Akt schon bis zum Hals in diesem Berg, der sich nun aber in einen Müllberg verwandelt hat. Wenigstens kann sie noch reden während ihr Partner, Willie, nur noch einsilbig antworten kann oder grunzen. Rund um dieses Theaterstück spielen sich andere Dramen im Zuschauerraum ab: Margot, die siebzigjährige Literaturprofessorin lebt mit ihrem dementen Ehemann, der sie malträtiert und schlägt, während sie versucht hat, dies vor ihrem Sohn zu verbergen. Doch nun, während des Stückes, fasst sie den Entschluss, ihrem Sohn ihre Probleme offen darzulegen. Auch an der Uni läuft es nicht so rund für sie. Dann wäre da noch Ivy, reiche Mäzenin und Mutter eines kleinen Jungen. Nach einer Kindheit in Armut hat sie dennoch studiert und eine reiche Erbschaft gemacht. Aber den schweren Verlust ihres Erstgeborenen lässt sie nicht los und manchmal reagiert sie zu heftig, für den Geschmack ihres Mannes. Die dritte Protagonistin, die junge Theaterstudentin und Platzanweiserin Summer sorgt sich um ihre Freundin April die versucht, ihre Eltern aus dem Buschfeuer zu retten. Hinzu kommt ihr Ärger mit ihrer Mutter, die sich weigert, der Tochter ihre Herkunft zu verraten. Diese drei Frauen finden sich in diversen Aussprüchen von Winnie auf der Bühne wieder, werden zum Nachdenken über sich, ihr Leben und ihre Empfindungen und die Welt, die sie umgibt angeregt. Der Twist ist, in der Pause zwischen den beiden Akten des Beckett-Stücks treffen die drei Frauen aufeinander und diese Szene ist auch wie ein Theaterstück in Dialogform dargestellt.
Wenn in Becketts Stück die Sinn- und Hilflosigkeit der eigenen Existenz auf der Bühne thematisiert wird, geschieht im Saal bei Margot, Ivy und Summer ein innerer Wandel. Alle drei Frauen beschließen jede für sich Änderungen in ihren Leben herbeizuführen, sich nicht mehr von den Umständen oder von Mitmenschen (und sei es die eigene Mutter oder der Ehepartner) bestimmen zu lassen. Und Ivy will die Verbindung zu Margot, ihrer ehemaligen Literaturprofessorin nicht abreißen lassen.
Das hinreißend schöne und absolut passende Titelbild – elegantes Abendkleid und Hinweis auf die Buschfeuer die rings um Melbourne unkontrollierbar lodern ist ein Hingucker schlechthin.

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Veröffentlicht am 20.02.2022

To live or not to live, that is the question

Ende in Sicht
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Der Anfang ist vielversprechend: Eine Frau mit reichlich Lebenserfahrung will ihrem Leben ein Ende setzen. Dazu fährt sie in die Schweiz, wo Suizid unterstützt wird. Ob die Schweizer stolz auf diese Art ...

Der Anfang ist vielversprechend: Eine Frau mit reichlich Lebenserfahrung will ihrem Leben ein Ende setzen. Dazu fährt sie in die Schweiz, wo Suizid unterstützt wird. Ob die Schweizer stolz auf diese Art des finalen Tourismus sind?
Ein junges Mädchen will ihrem Leben auch ein Ende setzen, aber auf viel schnellere und rabiatere Art. Diese zwei so unterschiedlichen Frauen verbindet nur der Todeswunsch.
Juli stürzt sich von einer Autobahnbrücke auf die Fahrbahn, Hella Licht unterwegs auf dieser Autobahn, bremst ab, untersucht Juli und zerrt sie ins Auto. Juli ist zwar am Knie verletzt, hat etliche Prellungen und Schürfungen davongetragen, aber ist am Leben. Und nun raufen sich diese zwei Frauen zusammen, von Bielefeld bis Lindau dauert ihre gemeinsame Reise an. Unterwegs bestehen sie so einige Abenteuer, einige lachhaft, wie z.B. der mürrische Toilettenwächter auf einer Autobahnraststätte, oder wenn Hella Licht als Schlagersängerin auf einem Feuerwehrfest irgendwo in der fränkischen Pampa erkannt wird. Am schönsten fand ich die Nacht die beide in dem Spaßbad verbringen und am Schluss noch 10 Euro, die sie nie ausgelegt haben, zurückbekommen. Dabei lernt Hella auch noch Schwimmen mit ihren 69 Jahren. Einige Abenteuer hätten auch gefährlich ausgehen können, als z.B. Juli zu einem fremden Lastwagenfahrer in die Kabine steigt. Der Fahrer war harmlos, er wollte Juli nur helfen, weil er auch eine Tochter daheim hatte, in etwa Julis Alter. Aber wie leicht hätte da Juli den falschen Brummifahrer erwischen können.
Das Hörbuch, wunderbar gelesen von Ronja von Rönne, der Autorin, hat bei mir einen tiefen Nachhall hinterlassen. Einerseits hat Hella Licht nun auf ihren Suizid in der Schweiz verzichtet, andererseits aber wissen wir nicht genau, ob Juli nun sich vor den einfahrenden ICE geworfen hat, oder war es der nervöse junge Mann neben ihr? Als einige Wochen später Hella einen offiziellen Auftritt bei der Eröffnung eines neuen Möbelhauses einen Auftritt hat, sieht sie Juli, die ihr aus einem grünen Sessel zuwinkt. Aber sieht nur Hella Licht das junge Mädchen? Oder ist Juli auch für die anderen Menschen sichtbar und sie hat nicht ihr Ende vor dem Zug gefunden? Diese Frage bleibt offen, lässt uns hoffen oder sicher sein. Ich persönlich wünsche mir, Juli hat auch nicht diesen letzten Schritt getan, sie hat sich für das Leben im hier und jetzt entschlossen.

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Veröffentlicht am 06.02.2022

Held oder nicht Held? Auch eine Frage.

Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße
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Wann wird jemand zum Helden? Wenn er bewusst eine Tat mit positiven Folgen anstößt? Ohne auf die Konsequenzen für sich selbst zu achten? Oder ist er auch dann ein Held, wenn er unbewusst und unabsichtlich ...

Wann wird jemand zum Helden? Wenn er bewusst eine Tat mit positiven Folgen anstößt? Ohne auf die Konsequenzen für sich selbst zu achten? Oder ist er auch dann ein Held, wenn er unbewusst und unabsichtlich eine Kette von Ereignissen in Gang gesetzt hat? Spannende Frage. Kann man ein Held sein, auch wenn man es nicht weiß? Meiner Meinung nach wohl eher nicht. Aber Michael Hartung wird mit Sicherheit in dem Augenblick zum Helden, in dem er in der allergrößten denkbaren Öffentlichkeit Farbe bekennt, ungeachtet aller Konsequenzen und Drohungen, die ihm von offizieller Seite und von der kasachischen Unterwelt angekündigt werden.
Das ganze Malheur beginnt mit dem Auftauchen des ersten Reporters, Alexander Landmann in der kleinen Videothek Michael Hartungs. Es ist Landmanns Ehrgeiz, der den nun folgenden Ereignissen den entscheidenden Schwung gibt. Eine Geschichte, die alle an ihr Beteiligten am liebsten für immer vergessen würden, wird ins Rampenlicht gezerrt, gepusht und erlangt nun immer größere Dimensionen. Es folgen Interviews, Fernsehauftritte, Einladung zum Präsidenten, Werbeverträge. Am Anfang spielt Hartung mit, weil dringend benötigtes Geld hereinkommt und weil Landmann ihn dazu drängt. Landmann hätte viel mehr zu verlieren, außerdem verdient er selbst an dieser aufgebauschten Geschichte riesig mit. Aber Michael Hartung will nicht mehr. Er ist am Ende seiner Kräfte und will aussteigen. Denn nach der Rede im Bundestag soll er auch noch in das Karussell der EU-Politik mit einsteigen. Und spätestens da ist es Zeit für Hartung die Reißleine zu ziehen. Doch das sieht Landmann anders. Er schickt ihm einen Schläger zu, der Hartung brutal zusammenschlägt und das Leben seiner Tochter bedroht. Und jetzt zeigt Hartung was in ihm steckt. Er wird zum echten, wahrhaften Helden. Ansätze dazu hatte er schon gezeigt, als er Paula, seiner großen Liebe, die Wahrheit erzählt hat und die ihn daraufhin verlassen hat. Aber wie gesagt, das waren erst die Ansätze.
Das wahre Ausmaß seines Heldentums offenbart sich während seiner Rede im Bundestag, am 09. November 20219, zum 30. Jahrestag des Mauerfalls. In seiner Rede, die er frei hält und nicht die vom Kanzleramt gestellte Rede abliest, erklärt er, er hätte in den letzten Wochen viele „Politiker, Historiker, Journalisten, Verleger, Filmproduzenten, Werbeprofis“ kennengelernt, die zwei Dinge gemeinsam hatten: „Sie kamen aus dem Westen und haben mir den Osten erklärt“. (S. 294) Und all diese Profis wollten von ihm wissen, warum „wir Ostdeutschen immer noch so anders sind? So undankbar? So schwer erziehbar?“ Was bedeutet „schwer erziehbar“ eigentlich? Nicht dem Standard entsprechend, von der Norm abweichend. Ist aber die westdeutsche Norm die einzig wahre?
Maxim Leo schreibt mit unnachahmlich leichter Feder über schwerwiegende Themen. Seine Ironie ist an manchen Stellen ganz fein und wie hingehaucht, an anderen Stellen tritt sie offen zu Tage, wenn z.B. Holger Röslein, Leiter des „Dokumentationszentrum Unrechtsstaat DDR“ sich mit dem Stasioffizier Fritz Teubner verbündet. Oder wenn Frau Dr. Munsberg, tätig im Bundeskanzleramt, unmissverständlich Wischnewsky und Röslein zu verstehen gibt, dass ihre Ämter gefährdet sind, sollten sie auf eine Enttarnung Hartungs bestehen. Zusätzlich ist sie sich nicht zu schade, ehemalige Stasi-Offiziere zu bestechen: Fritz Teubners Rechtstreit um ein Grundstück wird eingestellt. „Vier weitere ehemalige Stasi-Offiziere hatten erfreuliche Post von der Deutschen Rentenversicherung bekommen“ (S. 197). Auch zwei ehemalige Zeitzeugen, die auf Rösleins Betreiben Hartungs Aussagen bekräftigen, erhalten gute Nachrichten: „Ihre wegen zu großer Staatsnähe reduzierten Betriebsrenten konnten nunmehr vom kommenden Januar an voll ausbezahlt werden“ (S. 197). Der Sarkasmus dahinter ist unüberhörbar.
Das Buch endet in einer versöhnlichen Note. Ohne Pathos, ehrlich und unaufdringlich hat Michael Hartung seine Rede gehalten: „Ich werde versuchen, allen Menschen mit Offenheit zu begegnen…Mehr, meine Damenund Herren, kann ich persönlich nicht tun für dieses Land. Aber wenn Sie alle mitmachen, dann wird das schon werden“ (S. 295).

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