Platzhalter für Profilbild

Buecherhexe

Lesejury Star
offline

Buecherhexe ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Buecherhexe über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 25.09.2022

Vielschichtig und spannend

Das Kind der Lügen
0

Helga Glasener hat uns hier einen sehr interessanten Krimi vorgelegt. Die Handlung spielt im Jahr 1929 und neben der Handlung kommen auch brisante Themen jener Zeit auch zu Tage. Dabei stellen wir fest, ...

Helga Glasener hat uns hier einen sehr interessanten Krimi vorgelegt. Die Handlung spielt im Jahr 1929 und neben der Handlung kommen auch brisante Themen jener Zeit auch zu Tage. Dabei stellen wir fest, es ist nichts Neues unter der Sonne: Gewalt gegen Frauen und Kindern und Tieren ist ja heute noch weit verbreitet. Es geschieht aber nicht mehr im öffentlichen Raum. Damals, 1929, wurde das absolut öffentlich ausgetragen: Ein auf brutale Art und Weise getöteter Hund, ein gepeitschtes Pferd, ein paar in aller Öffentlichkeit sexuell belästigte Frauen? Aber meine Herren, wer wird sich so echauffieren? War doch nur Spaß, die Herren Studiosi haben nur Kurzweil betrieben, alles ganz harmlos. Oder?
Im Nachhinein betrachtet frage ich mich, ob die Studenten zufällig da aufgetaucht sind? (ja, sie tauchen nämlich im weiteren Verlauf des Romans nicht mehr auf). Zuerst wird Signes Hund getötet, Kurz darauf wird Paulas Kollegin und Freundin lebensgefährlich verletzt, sie erliegt dann ihren Verletzungen. Der Leiter der Spurensicherung hat einen Unfall, weil an seinem Auto herum manipuliert wurde. Alles nur Zufälle? Oder auch falsche Spuren, so von der Autorin gelegt, um den Leser zum Raten und Spekulieren zu animieren.


Wo ich einige Fragen hätte: wieso können in Deutschland des Jahres 1929, im Jahr der
Weltwirtschaftskrise und des erstarkenden Faschismus zwei lesbische Frauen offen
miteinander leben und in der gleichen Behörde, sprich Kriminalamt arbeiten? Absolut
unerhört für die Zeit. Aber vielleicht waren die Menschen noch toleranter als vier Jahre
später?

Die drei Familien, die wir hier kennenlernen dürfen, scheinen alle dysfunktional zu sein:
Paulas Eltern können ihre Berufswahl nicht akzeptieren und wollen sie zurück “auf den Pfad
der Tugend” bringen, sprich sie soll heiraten, Kinder kriegen und als Hausfrau ihre Erfüllung
finden. Interessant, dass ausgerechnet Paulas Mutter, am Ende, als sie fast in die Luft
geflogen wäre bei dem Anschlag auf dem Friedhof, zur Besinnung kommt und Paulas Beruf
akzeptiert und gut heißt.
Martins Eltern sind noch schlimmer. Obwohl Student, meldet sein Vater ihn bei den
Rekrutierungsbüros heimlich an, Martin wird eingezogen, er muss in den Ersten Weltkrieg. Was für ein Vater macht so etwas? Riskiert das Leben seines einzigen Sohnes für was? Das deutsche Reich? Auch seine Sprüche im Buch lassen klar erkennen: Herr Bruder Senior ist ein Anhänger der NSDAP reinsten Wassers. Seine Mutter flüchtet sich in Liebesromane wie sie in der “Gartenlaube” gängig sind, baut sich ihre Welt genau nach diesen Romanen aus. So hat sie eine “Gesellschaftsdame”, von der sie träumt, sie und ihr Sohn sollen ein Paar werden, heiraten und glücklich bis ans Lebensende leben, wie in Märchen oder Trivialliteratur. Dass diese Dame ihrem Sohn ein Kind vorgetäuscht hat, 11 Jahre lang, spielt wohl keine große Rolle. Wer sein Leben nach Groschenromanen ausrichtet, geht über solche Betrügereien großherzig hinweg. Wie soll Martin mit diesen Eltern auskommen? Die Mutter ist in ihrer Verblendung wohl noch harmlos, die Verblendung des Vaters wird sich zukünftig böse auswirken.
Dritte Familie, die auch zu diesem Kreis der dysfunktionalen Typen gehört, sind Signes Zieheltern. Signes Ziehmutter lässt kein gutes Haar an ihrer Ziehtochter. Mannstoll sei sie als Kind gewesen, wäre allen Männern nachgelaufen, sie hätte ihr Neugeborenes im Stich gelassen und wäre weggelaufen. und sie, Signes Zieheltern hätten nun auch ihren Sohn großgezogen, da der eigene Sohn in Amerika sei.


Der Kreis schließt sich auf unerwartete Weise. Der Roman beginnt mit einer offiziellen
Hinrichtung. Von Amts wegen müssen zwei der Polizisten, die in diesem Fall ermittelt haben,
anwesend sein. Paula Haydorn und Martin Bruder sind offiziell die Zeugen der Hinrichtung.
Und der Roman schließt mit den Folgen dieser Hinrichtung.

Eigentlich haben wir es hier mit zwei Kriminalfällen zu tun: einmal die Folgen der Hinrichtung
von Mette und zweitens die Entführung von Signes kleiner Tochter. Hinzu kommt noch die
sich vielleicht und eventuell anbahnende Liebesgeschichte zwischen Paula und Martin. Auf eine Fortsetzung dieser Romanserie können wir hoffen. Vielleicht erfahren wir dann auch wie es mit Paula und Martin weitergeht.

Christiane Marx macht einen phantastischen Job als Vorleserin in diesem Hörbuch. Die Bandbreite und Modulierbarkeit ihrer Stimme ist phänomenal. Vor allem, wenn die Autorin Signe mit anderen Personen im Buch zu Wort kommen lässt, kann man das sehr gut hören.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 25.09.2022

Der Großmeister hat erneut zugeschlagen

Bullauge
0

Friedrich Ani ist ein Großer seines Fachs. Außergewöhnliche und doch zutiefst menschliche Charaktere, fließende natürliche Dialoge, spannender Stil kennzeichnen dieses Buch. Schlichte, einfache geradlinige ...

Friedrich Ani ist ein Großer seines Fachs. Außergewöhnliche und doch zutiefst menschliche Charaktere, fließende natürliche Dialoge, spannender Stil kennzeichnen dieses Buch. Schlichte, einfache geradlinige Sprache, die in den kurzen Sätzen die einander folgen, ganz klare und oft erstaunliche Bilder bieten: so beschreibt Kay Oleander seine Bekannte Via Glaser: “Sie führte eine Apotheke und dann nicht mehr. Sie verdingte sich als Fahrerin für einen Lieferservice und dann nicht mehr, sie war eine quirlige, gesunde, übermütige Frau und dann nicht mehr, sie war neugierig und den Menschen zugewandt und dann nicht mehr. Sie war unpolitisch und dann nicht mehr. Sie war friedliebend und dann nicht mehr. Sie war am Leben und dann nicht mehr. (S.181) Mit diesen knappen Worten erfahren wir, wie tief der Fahrradunfall Via verunsichert und verängstigt hat, wie sehr ihr Leben dadurch verändert wurde. Friedrich Anis Stil ist nicht einfach, aber wenn man sich darauf einlässt, ist das Buch eine Wucht und man mag es nicht mehr aus der Hand zu lassen. Fast surreal mutet der Dialog zwischen Kay und seinem Nachbar Gustav, Seiten 136 - 139, die mit den Worten enden: “Ein geschorener Maulwurf? Ich?” (S. 139)
Kay Oleander sieht sich selbst “- wie ein Schiffbrüchiger auf hoher See einen Leuchtturm. So einer war ich auch. Mein Schiff war gebrochen, mein Kompass zersplittert, über mir der Himmel sternenleer” (S. 152) nach seinem schrecklichen Unfall, bei dem er ein Auge verlor. Und doch lässt er sich nicht unterkriegen. Er will herausfinden, wer die Flasche geworfen hat, die ihn das Auge kostete. Letzten Endes findet er heraus, wer ihn so schwer verletzt hat, er kann auch einen rechtsgerichteten terroristischen Anschlag vereiteln, einen Mord aufklären, die Tatwaffe sicherstellen.
Die Flaschenscherben auf dem Titelbild stehen für den Auslöser der Handlung. Und das Opfer des Anschlags: Ein Bulle - also ein Polizist - hat ein Auge verloren.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 19.09.2022

Ein Krimi aus Down Under

Der Sturm
0

Der Roman beginnt ganz harmlos. Nach einigen Jahren Abwesenheit kehrt ein Mann in seine alte Heimat zurück, mit seiner Frau, die auch aus diesem Ort an der tasmanischen Küste stammt, und seiner kleinen ...

Der Roman beginnt ganz harmlos. Nach einigen Jahren Abwesenheit kehrt ein Mann in seine alte Heimat zurück, mit seiner Frau, die auch aus diesem Ort an der tasmanischen Küste stammt, und seiner kleinen Tochter. Er will der Mutter helfen, den Haushalt der Eltern aufzulösen. Der Vater ist an Demenz erkrankt, er muss in ein Pflegeheim. Die Mutter will in seine Nähe ziehen, um bei ihm zu bleiben, solange es geht. Zwischen Kieran und seinen Eltern scheint etwas zu stehen, etwas Störendes, nie Ausgesprochenes. Auch beim Treffen mit den Kumpels in der Kneipe am Abend offenbart sich: Es gibt verschiedene Animositäten, unausgesprochene Geschichten aus der Vergangenheit, Probleme de bisher nie geklärt wurden. Ganz allmählich steigert sich die Unruhe, die zwischen Kieran und seinen Kumpeln herrscht. Und dann geschieht ein Mord. Bronte, die junge Bardame, die nur für einen Sommer in der Bar arbeiten wollte, wird tot am Strand aufgefunden. Und plötzlich sind all die Traumata, die während und nach einem Sturm vor 12 Jahren geschahen, wieder präsent, in all ihrer Schärfe. Erst wenn aufgeklärt wird, was damals wirklich geschah, kann man auch den aktuellen Mordfall lösen und die Zusammenhänge verstehen.
Das geschieht nur allmählich, teilweise in Rückblenden, in dem zur Sprache gebracht wird, wie die unterschiedlichen Protagonisten vor 12 Jahren die Zeit vor, während und nach dem Sturm verbracht haben. Parallell dazu ermittelt die Polizei weiter am aktuellen Mord.
Sehr spannend erzählt, mit steigender Intensität von dem schönen und ruhigen Anfang am Strand bis zum großen Showdown ebenfalls am Strand, aber an einer anderen Stelle, hält uns der Roman fest an der Kandare. Es kommt zu diversen Aussprachen, wir erfahren, weshalb Kierans Eltern trotz aller Leibe zu ihm, ihm nie verzeihen konnten, dass er den Tod seines Bruders auf dem Gewissen hat. Aber er war nicht Schuld daran. Sein Bruder und sein Geschäftspartner haben nicht wegen Kieran das Boot zu Wasser gelassen und sind dann im Sturm umgekommen. Aber das erfahren wir und Kieran erst viel später, während des großen Showdowns bei stürmender Flut. Die beiden Fälle werden letztendlich restlos aufgeklärt, Kieran und seine Eltern finden ihren Frieden, Mutter und Schwester des verschwundenen Mädchens vor 12 Jahren können die Kleine in ihren Gedanken loslassen, der Polizist, der damals wider sein besseres Wissen, den Mund gehalten hat, um die Gemeinde nicht noch mehr zu beunruhigen, kann nun sein Gewissen entlasten.
Der Krimi endet in einer sehr versöhnlichen Note, fast wie in einem Märchen. Der Bösewicht erhält seine gerechte Strafe, ob Gottesgericht oder weltliche Instanz, die anderen Gestalten können befreit aufatmen und ihr Leben unter geänderten, positiven Voraussetzungen weiterleben.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 18.09.2022

Das Fräulein vom Amt - ein ausgestorbener Beruf

Fräulein vom Amt – Der Tote im Kurhaus
0

Was für ein anspruchsvoller Beruf das eigentlich war! Die jungen Frauen mussten Hochdeutsch sprechen, gebildet sein, über ein Elefantengedächtnis verfügen, immer höflich, freundlich und unpersönlich bleiben. ...

Was für ein anspruchsvoller Beruf das eigentlich war! Die jungen Frauen mussten Hochdeutsch sprechen, gebildet sein, über ein Elefantengedächtnis verfügen, immer höflich, freundlich und unpersönlich bleiben. Alma entspricht allen Anforderungen. Und noch mehr. Denn sie setzt Herz und Verstand ein, wenn sie etwas beschäftigt. Ein zufällig mitgehörtes Gespräch bringt sie auf einen Mordfall im mondänen Baden Baden, mit seinen Luxushotels, Restaurants, offiziellen und klandestinen Spielkasinos. Es ist eine Welt des Luxus, des Glamours, des großen Geldes, in der sie nur eine kleine Telefonistin ist. Trotzdem meldet sie das mitgehörte Telefonat der Polizei, wo niemand sie ernst nimmt. Außer Kriminalkommissaranwärter Ludwig Schiller. Er scheint etwas in ihr zu sehen, Gemeinsam nehmen sie die Ermittlungen auf, vor allem, nachdem Alma herausfindet, dass die Ermordete keine namenlose Prostituierte war, die ihren gewaltsamen Mord verdient hätte (unter uns gesagt, kein Mensch verdient so etwas, Berufsstand egal), sondern eine Dame der allerhöchsten Gesellschaft war. Alma ermittelt mal mit Ludwig zusammen, mal allein, auf eigene Faust und begibt sich dadurch in Gefahr, oder sie bittet ihren Cousin, den Medizinstudent Walter, ihr Zugang zur Pathologie zu verschaffen, wo sie die ermordete Margarete Kern in Augenschein nehmen kann. Ich möchte nur daran erinnern: wir schreiben das Jahr 1922, also vor genau hundert Jahren. Da übten ehrbare junge Frauen einen Beruf aus, bis sie heirateten, dann gaben sie den Beruf auf. sie waren Sekretärinnen, Lehrerinnen, Blumenverkäuferinnen oder Verkäuferinnen in anderen Läden, oder eben “Fräulein vom Amt”. Nach der Heirat wurde der Beruf aufgegeben und die junge Frau ging in ihrem Dasein als Ehefrau und Mutter auf. ein Alptraum. Alma mischt sich in Polizeiermittlungen ein, schreibt eigenmächtig den Ehemann der Ermordeten in Hamburg an, sucht zwielichtige Spielhöllen auf, kommt auf den Auftraggeber der Morde an zwei Frauen durch eigene Schlussfolgerungen. Solch eine Frau gehört nicht in eine Telefonzentrale oder an den Herd, sie gehört in ein Ermittlerteam der Polizei.
Der gradlinige Stil, die linear erzählte Handlung, ohne Rückblenden, ohne Nebenstränge, lassen diesen klassischen Kriminalfall zu einer angenehmen Lektüre werden, ohne dass man sich ständig auf neue Situationen oder Personen der Nebenschauplätze einstellen muss.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 18.09.2022

Eines jener Bücher

Die Stimme meiner Schwester
0

Dies ist eines jener Bücher, die man gelesen haben sollte. Es vermittelt fundierte Kenntnisse über eine Zeit und Gesellschaftsschicht, von denen wir in Europa so gut wie gar nichts wissen: es gab Sklaven, ...

Dies ist eines jener Bücher, die man gelesen haben sollte. Es vermittelt fundierte Kenntnisse über eine Zeit und Gesellschaftsschicht, von denen wir in Europa so gut wie gar nichts wissen: es gab Sklaven, die wurden irgendwann befreit, so wie in den USA während des Bürgerkriegs und alles war gut. Mitnichten. Die ehemaligen Sklaven und ihre Nachkommen waren nur dem Namen nach frei. Wie und wo lebten sie? Hatten sie die gleichen Rechte wie die weißen Plantagenbesitzer? Dieses Buch zeigt, wie ehemalige Sklaven zurechtkamen. Es gibt diesen bisher stimmlosen Menschen eine Stimme, beziehungsweise viele Stimmen. Sie haben nun, nach der Freilassung, die Freiheit, die sie so heiß ersehnt hatten, aber vor dem Gesetz sind sie rechtlos. Sie dürfen zwar gerne von einer Fazenda zur anderen ziehen, aber überall sind die Bedingungen gleich. Sie dürfen sich zwar Häuser bauen, aber nur aus Lehm, der erste Regen vernichtet sie wieder. Sie dürfen für Eigenbedarf Gemüse- und Obstgärten anlegen, aber in den Überschwemmungsgebieten der Flüsse oder wo der schlechteste Boden ist. Anbauen dürfen sie nur, nachdem sie auf den Feldern der Gutsbesitzer gearbeitet haben. Und wenn die Zeit ist, die eigenen Gärten abzuernten, kommt der Verwalter und nimmt ihnen die ganze Ernte weg. Wer nicht beizeiten einen Teil seiner eigenen Ernte versteckt, muss mit seinen Kindern hungern. Kinder dürfen diese ehemaligen Sklaven haben, je mehr, je besser, denn das sind nur zukünftige billigste Arbeiter auf den Plantagen. Schulbildung? Brauchen sie nicht, die Kirche und der Faziendero sagt ihnen alles, was sie wissen müssen. Wenn ein Fazendero zu Tode kommt, kommt sofort die Polizei und ermittelt gegen alle und jeden, Verhaftungen, Schläge, Beschuldigungen, alles was die Exekutive leisten kann. Wenn ein Schwarzer getötet wird, vor aller Augen, legt die Polizei den Fall schnell zu den Akten, als Streit unter Alkohol oder Drogeneinfluß und stellt alle Ermittlungen ein.
Den Menschen steht eigentlich eine Rente zu, für die vielen langen Jahre als Löhner auf den Gütern der weißen Grundbesitzer. Aber dafür benötigen sie Papiere, die beweisen, dass sie tatsächlich gearbeitet haben. Nur haben sie immer ohne Verträge und ohne Bezahlung gearbeitet. Für das Bleiberecht und für die Karen aus Lehm haben sie unentgeltlich auf den Feldern gearbeitet. Also können sie nicht ihre Arbeitsjahre belegen. Die wenigsten Fazenderos sind bereit, ihnen solche Dokumente auszustellen. Dabei werden die Schwarze nicht als Nachkommen der Sklaven anerkannt. “Auf diesen Ländereien hat es nie Quilombolas gegeben” (S. 263), äußern sich die Gutsbesitzer, um die Ansprüche der Schwarzen abzuwehren. Wenn die Schwarzen aber belegen können, dass der Besitzer die Grundsteuer für die Fazenda errichtet hat, können sie aufgrund dieser Urkunde, den Rentenantrag stellen. “Eine Kopie der Bescheinigung über die Bezahlung der Grundsteuer durch den Eigentümer wurde von Hand zu Hand gereicht. Sie galt als Nachweis dafür, dass die Älteren auf der Fazenda gearbeitet und somit Anspruch auf eine Rente hatten.” (S. 184)
Schulen? Werden nur unter Druck errichtet. Weil ein schwarzer Heiler das Kind eines Bürgermeisters geheilt hat und der Heiler als Dank und Lohn den Bau einer Schule erbittet, wird die Schule tatsächlich errichtet. Da trägt auch der Fazendero sogar mit dazu bei, aber nur, weil es ihm gerade in den Kram passt, sich wohltätig zu zeigen, zu beweisen, dass er demokratisch denkt und ein großes Herz für die Schwarzen hat.
Die Religion der Schwarzen in Brasilien ist ein faszinierender und eigenartiger Mix aus Elementen des Voodoo, des Christentums und Bruchstücken des alten animistischen Glaubens, den sie aus Afrika mitbrachten. Die Heiler können ihre Körper und Stimmen Geistern zur Verfügung stellen, die merkwürdige Namen tragen: Santa Rita Pescadeira. Eine heilige Rita gibt es im katholischen Glauben, aber sie ergreift nicht Besitz von Frauen oder Männern. Andere Verzauberte heißen Oxóssi, Mâe d’Água - die Meerjungfrau, Ventania - der Sturm. diese Verzauberten begleiten die Menschen und helfen ihnen, mit ihrem schweren Leben fertig zu werden. Aber nur solange die Menschen noch an sie glauben.
Die Heiler tragen zwei Namen: den offiziellen, José Alcino da Silva, aber auch einen Heilernamen, unter dem sie eher bekannt sind: Zeca Chapéu Grande. José Alcino da Silva muss schuften, wie ein Sklave, der er im Grunde immer noch ist, trotz der posaunten Freiheit. Als Zeca Chapeu Grande wird er verehrt, sein Wort hat Gewicht und er ist bestrebt, Gutes zu tun. Er heilt Menschen, nimmt sie unentgeltlich in seinem Haus auf, bis die Behandlung gewirkt hat, er überredet den Bürgermeister, eine Schule zu bauen, ist dabei aber bitterarm und haust mit Frau und Kindern in einer Lehmhütte, die jeder Regen in den Boden spülen kann.
Das Buch ist faszinierend. Die Menschen die da zu Wort kommen, hätten wir sonst nie kennengelernt, In einfachen Sätzen erzählen sie unaufdringlich von ihrem harten Leben, den Entbehrungen und ihren Schmerzen. Das Buch offenbart uns ein Leben, wie wir es uns nie hätten vorstellen können im 20. Jahrhundert.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere