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Veröffentlicht am 13.03.2024

Sprachlich sehr gelungen, atmosphärisch sehr bleiern und diffus

Krummes Holz
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Krummes Holz, so heißt der inzwischen heruntergewirtschaftete Bauernhof, auf dem Jirka (der eigentlich Georg heißt, wie sein Vater) und seine Schwester Malene aufwuchsen. Es war keine glückliche ...

Krummes Holz, so heißt der inzwischen heruntergewirtschaftete Bauernhof, auf dem Jirka (der eigentlich Georg heißt, wie sein Vater) und seine Schwester Malene aufwuchsen. Es war keine glückliche Kindheit, kein Bullerbü auf dem Land, sondern es gab Verlust, Lieblosigkeit und Gewalt.
Die Mutter starb früh, da war Jirka sechs Jahre alt. Vorher war sie psychisch krank und in der Heilanstalt. Die Großmutter übernahm den Haushalt, sie war aber kein Mutterersatz, sondern kaltherzig und distanziert. Der Vater war sowohl ein schlechter Bauer als auch ein schlechter Vater. Dafür gab es wohl Gründe, die werden auch angedeutet - es bleibt jedoch alles ein wenig im Nebel. Wie vieles in diesem Buch. Jirka kehrt jedenfalls am Anfang des -Romans nach mehreren Jahren im Internat auf den Hof zurück und trifft auf eine demente Großmutter, einen abwesenden Vater und eine verbitterte Schwester. Nur der Sohn des ehemaligen Gutsverwalters, Leander, wirkt gesprächsbereit. Es passiert vordergründig zumindest am Anfang nicht so sehr viel, wie Blei die Atmosphäre. Dies wird sprachlich sehr gut dargestellt, die Autorin ist eine Meisterin darin, die passenden Worte und Beschreibungen zu finden. Allerdings macht es die Lektüre nicht gerade leicht. Mir persönlich war vorher bewusst, dass dies kein Unterhaltungsroman wird. Ich musste trotzdem öfter als gedacht unterbrechen, ruhen lassen, neue Kraft tanken. Obwohl es durchaus ein paar wenige schön-skurrile Szenen und etwas Hoffnungsschimmer gibt, muntert die Geschichte nicht gerade auf.
Allerdings zeigt sie sehr bildhaft, wie sich eine lieblose, schwierige Kindheit auf das spätere Leben und auf die Fähigkeit zu Liebe und Beziehungen auswirken kann.
Obwohl ich den Roman nicht ganz "rund" fand, würde ich 3,5 Sterne vergeben. Und auf jeden Fall ein neues Buch der Autorin lesen. Da gibt es ein riesiges Potential.

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Veröffentlicht am 19.02.2024

Genial geschrieben. Szenisch wie im Film

Lichtspiel
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Wir hatten einen interessante Abend im Lesekreis mit dem neuen Buch von Daniel Kehlmann. Lichtspiel erzählt vom Film. Und entsprechend hat der Autor diesen Roman auch geschrieben: Szene, Wechsel Perspektive, ...

Wir hatten einen interessante Abend im Lesekreis mit dem neuen Buch von Daniel Kehlmann. Lichtspiel erzählt vom Film. Und entsprechend hat der Autor diesen Roman auch geschrieben: Szene, Wechsel Perspektive, Schnitt. Eindrucksvoll. Genial auch der Bogen vom Prolog mit dem halb-dementen ehemaligen Regieassistenten, der am Ende noch einmal auftaucht.

Dreh- und Angelpunkt ist die (historische) Person des Regisseurs G.W. Pabst. In der Stummfilmzeit berühmt als "Roter Pabst". Er hat die Garbo groß gemacht und Louise Brooks, hat mit allen berühmten Schauspielern gearbeitet und hatte dann eigentlich vor, Hollywood zu erobern und den Nazis zu entgehen. Das hat nicht geklappt. Er konnte zu wenig Englisch, er war nicht bereit, sich auf die vollkommen anderen Verhältnisse und Umgangsformen in den USA einzustellen und aus einer ziemlich ausgeprägten Hybris heraus wollte er auch nicht als Regieassistent arbeiten, als sein erster Hollywoodfilm scheiterte. Statt dessen ist er mit der Familie zurück nach Frankreich und als sich dort die Projekte auch zerschlugen, wollte er nach seiner zunehmend dementen Mutter in Österreich sehen, damals schon "Ostmark". Das war eine Falle, aus der er nicht mehr herauskam. Die Nazi-Hausmeister-Familie hat das Regiment auf dem "Schloss" übernommen (eher so ein verfallenes Teil inmitten der Steiermark, auch so eine falsche Entscheidung von Pabst) und der Krieg bricht aus. Die Familie sitzt fest und Pabst wird von den Nazis angeworben, für sie Filme zu produzieren. Da der Regisseur außerhalb seines Wirkens eher unfähig fürs Leben zu sein scheint, blüht er auf. Stellt sich aber schon die Frage, ob Kunst und Anpassung und Politik überhaupt zusammengehen und ob die Kunst alles rechtfertigt. Ein wichtiges Thema, oft literarisch oder filmisch verarbeitet. Hier zentral, für mich persönlich spielten jedoch die Systeme innerhalb der Familie und innerhalb der Gesellschaft die wichtigste Rolle.

Leider fragt der Protagonist sich nämlich viel zu wenig, was er seiner Familie mit all dem antut. Seine Frau sieht sich als plötzlich komplett abhängige Ehefrau und muss sich in Nazi-Lesekreisen arrangieren (es wird nur ein einziger Autor gelesen: Karrasch) und sein Sohn? Der muss das tun, was alle Kinder tun: Sich anpassen, um nicht unterzugehen. Zuerst Schüler in Los Angeles, dann in Frankreich, dann kurz in der Schweiz, dann in der Steiermark und schließlich im Internat Salem: Der (fiktive) Sohn Jakob wird ein begeisterter HJ-ler und will unbedingt in den Krieg...er wird bitter dafür bezahlen. Pabst auch und seine Frau auch. Und eigentlich alle. Toxische Männlichkeit, wohin man auch blickt. Realistich. Kehlmann hat seinen Protagonisten im Roman fiktionalisiert. Ich habe vieles nachgelesen, einiges ist Fiktion. So hatte Pabst zwar Söhne, aber keinen, der Jakob heißt. Und es gab auch keinen Kuno, der ihn an den Propagandaminister vermittelte. Den Film "Der Fall Molander" gab es zwar - er ist aber verschollen. Laut Roman wissen wir nun, wieso und wohin. Aber natürlich auch Fiktion.

Sehr beeindruckt war ich wieder einmal vom Schreibstil von Kehlmann. Die vielen Perspektiven, diese Schlaglichter, die plötzlich aufleuchten und enden, dann ein Szenenwechsel, dann eine neue Perspektive. Perfekt passend zum Inhalt, perfekt kombiniert. Dazu eine Rundum-Betrachtung der damaligen Zustände, ohne eindeutige Schwarz-Weiß-Malerei (wobei ich persönlich schon den Eindruck hatte, dass Kehlmann darstellen wollte, dass die Frau von Pabst die eigentlich Fähigere gewesen wäre, um durch diese Umstände zu navigieren....?). Über den Protagonisten habe ich mich persönlich geärgert, ich hätte mich auch gar nicht für ihn interessiert. Inzwischen ist Pabst auch weitgehend vergessen. Aber es ist das Verdient von Daniel Kehlmann, dass er dermaßen mitreißend, spannend und vielschichtig schreibt, dass ich als Leserin einfach nur begeistert war.

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Veröffentlicht am 12.02.2024

Dieses Buch ist ein kleines Juwel

Südfall
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Ein kleines, feines, ruhiges Buch über Menschlichkeit inmitten des 2. Weltkriegs. Erzählt wird die Geschichte von Dave, der als britischer Soldat über dem nordfriesischen Wattenmeer abgeschossen wird und ...

Ein kleines, feines, ruhiges Buch über Menschlichkeit inmitten des 2. Weltkriegs. Erzählt wird die Geschichte von Dave, der als britischer Soldat über dem nordfriesischen Wattenmeer abgeschossen wird und sich wohl als einziger mit dem Fallschirm retten kann. Er kommt mitten im Watt zu sich und hat zwei Vorteile: Er kennt die Tücken des Watts aus seiner englischen Heimat und er spricht Deutsch, weil seine Großmutter Deutsche war. Eine Frau rettet ihn, die (historische Figur) sogenannte Halliggräfin auf der Hallig Südfall. Dort könnte er bleiben. Aber er will nach Hause. Zu viel an altem Leid schleppt er mit sich herum. Dave macht sich also auf den Weg gen Norden, nach Dänemark, um von dort aus hoffentlich mit einem Boot zurück nach England zu gelangen. Auf seinem Weg findet er zwar viele Gefahren (und einmal wird er fast verraten), doch es gibt auch viel Hilfe, von ganz normalem Menschen, die einem anderen Menschen einfach nur helfen. Obwohl es auch für sie gefährlich ist. Dies wird ohne Pathos, in einer sehr ruhigen Art und mit viel Inneneinblick in die jeweiligen Helfer erzählt. Die Perspektive wechselt jeweils mit den einzelnen Beteiligten. Zunächst ist dies ungewohnt, eröffnet jedoch eindrucksvolle Einsichten in das Leben in Nordfriesland im Jahr 1944. Obwohl der Krieg hier gefühlt weit weg ist. so ist doch jeder betroffen. Die Schüler in der HJ, die Frauen, die um ihr Männer an der Front bangen, die Menschen, die mit dem Regime nicht einverstanden sind und das nicht überall äußern können.... dazu kommt eine Fülle von Einblicken in das Gefühlsleben der jeweiligen Protagonisten und in die gesellschaftlichen Rollenerwartungen an Mann und Frau, die wohl keinen glücklich zu machen scheinen....

Dem Autor ist hier ein Kunststück gelungen: Ruhig und gleichzeitig poetisch und doch ohne Pathos und ohne Kitsch eine wahrhaft menschliche Geschichte zu erzählen. Wir leiden als Leser:innen mit, fühlen mit den Protagonisten und freuen uns, wie auch Dave langsam seine Traumata verarbeitet und (trotz Krieg) wieder positiv ins Leben blicken kann. Große Kunst!

Erinnert ein wenig an "Offene See" von Benjamin Myers, hat aber einen ganz eigenen Sound.

Jetzt muss ich bald die anderen Bücher des Autors Florian Knöppler lesen.

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Veröffentlicht am 29.12.2023

Wow! Was für ein Buch.

Endling
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Beängstigend, bedrohlich, mysteriös, spannend und gleichzeitig mit Humor und menschlicher Wärme. So zeigt sich der dritte Roman von Jasmin Schreiber, der mich sehr beindruckt hat. Die Autorin zeigt eine ...

Beängstigend, bedrohlich, mysteriös, spannend und gleichzeitig mit Humor und menschlicher Wärme. So zeigt sich der dritte Roman von Jasmin Schreiber, der mich sehr beindruckt hat. Die Autorin zeigt eine Zukunftsszenario, das beängstigend realistisch erscheint. Das ist am Anfang nicht ganz leicht zu ertragen. Aber es gibt auch viel Zusammenhalt, Widerstand und eine berührende Familiengeschichte. Das ließ mich nur so durch die Seiten fliegen. Und dann kam noch eine Wanderung durch einem mehr als mysteriösen Wald dazu....

Aber von Anfang an: Zoe ist Mitte dreißig und forscht als Biologin an bestimmten Insekten. Denn diese sind aufgrund des fortschreitenden Klimawandels häufig ausgestorben bzw. fast ausgestorben. Es gibt viele "Endlinge", die letzten ihrer Art. Daher der Titel. Außerdem ist es ind den Sommern wahnsinnig heißt, der Permafrostboden taut immer weiter auf und die Alpengipfel brechen ab. Denn wir schreiben das Jahr 2041. Nicht wirklich weit weg. Daher umso beängstigender. Außerdem hat eine rechts-konservative Regierung übernommen, seit acht Jahren gab es keine richtigen Wahlen mehr wegen Notstandsgesetzen, die EU hat sich komplett von ihren Idealen verabschiedet (die skandinavischen Länder sind inzwischen ausgetreten und letzte Zufluchtshorte) und die Rechte der Frauen wurden immer mehr beschnitten. Abtreibung und Verhütung sind verboten und wenn jemand seinen Job verliert, dann Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund.

Die Menschen arrangieren sich, wie auch Zoe und ihre Familie, die allerdings bedingt durch die vielen Pandemien den Vater verloren hat. Als sich die familiären Probleme zuspitzen, geht Zoe kurzzeitig zu ihrer Familie zurück und aufgrund weiterer tragischer Ereignisse mit Schwester und Tante auf wilde Roadtrips nach Südtirol und Schweden. Hier ereignen sich seltsame Dinge und es gibt Dörfer, in denen nur Frauen leben.... Der Weg dahin führte durch tiefe Wälder und besonders im zweiten Teil des Buches wird es hier so Fantasy-Mystik-mäßig. Damit hatte ich nicht gerechnet. Es war aber spannend.

Das alles wird rasant und mit wissenschaftlichen Einschüben (die Autorin ist selbst Biologin) erzählt. Und nebenher erfuhr ich als begeisterte Leserin von "Marianengraben" (dem Debüt von Jasmin Schreiber) auch etwas über das weitere Leben von Paula, der damaligen Protagonistin.

Insgesamt ein Roman, der nachdenklich stimmt und trotzdem irgendwie spannend und unterhaltsam ist. Eine wilde Mischung aus Mystik, Fantasy, politisch negativem Szenario und kleinen Hoffnungsschimmern. Letztere resultieren vor allem aus Gemeinschaft, Hilfsbereitschaft und den vielen kleinen Widerständen, die jeder Einzelne gegen eine restriktive Politik leisten kann.

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Veröffentlicht am 06.12.2023

Sehr atmosphärisch -Ideal für die Winterzeit

Tief im Schatten
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Dieser Krimi ist perfekt für die Winterzeit geeignet! Denn die Handlung spielt hoch im Norden von Schweden, im bekannten Wintersportort Are.
Dorthin hat es Hanna Ahlander verschlagen, nachdem ...

Dieser Krimi ist perfekt für die Winterzeit geeignet! Denn die Handlung spielt hoch im Norden von Schweden, im bekannten Wintersportort Are.
Dorthin hat es Hanna Ahlander verschlagen, nachdem sie in Stockholm sowohl ihren Job als Polizistin als auch ihren Lebenspartner verloren hat.
Inzwischen ist sie schon einige Monate in Are, hat sich gut eingelebt und erholt sich gerade von den Folgen einer Mordermittlung (das war der erste Band der Reihe, auch sehr empfehlenswert). Aber jetzt steht erst einmal viel Arbeit bevor, denn die schwedischen Winterferien im Februar stehen an und der Ort wird überfüllt sein. Da kommt der Fund einer Leiche genau zum falschen Zeitpunkt! Es gibt nur wenige Anhaltspunkte und die Ermittlungen gestalten sich schwierig, außerdem muss Hannas Kollege Daniel sich wieder mit etwas unschönen Problemen mit seiner Partnerin herumschlagen. Und ein Kollege (der bisher kaum erwähnt wurde) gerät in Liebeswirren... und dann wird noch eine zweite Geschichte erzählt, von einer Frau, die in einer unglücklichen Ehe gefangen ist und keinen Ausweg sieht, weil in ihrer freikirchlichen Gemeinschaft ein äußerst traditionelles Frauenbild gelebt werden soll.

Meiner Meinung nach verrät der Klappentext zwar ein wenig zu viel, trotzdem ist das Buch äußerst spannend und durch die kurzen Kapitel wird es nie langweilig und nie zu viel. Schwedische Autor:innen scheinen die Themen "Gewalt gegen Frauen" und "Freikirche" fast "gewaltsam" in jedem Buch oder Krimi unterbringen zu müssen. Das hat mich auf den ersten Blick etwas gestört, wurde aber im Zusammenhang mit dieser Geschichte gut integriert. Weiterhin nervte mich irgendwann das Thema von der Balance zwischen Beruf und Familie (bei Daniel, dem Kollegen von Hanna), das konnte ich aber gut überlesen (außerdem ist es eigentlich ja wirklich ein wichtiges Thema, nur im Hinblick auf Ermittlungsarbeit eher störend).

Auf jeden Fall gab es viel Schnee, viel Landschaft, viele Insights in das Alltagsleben in einem Skiort und eine äußerst spannende Geschichte mit einigen unerwarteten Wendungen. Die Personen entwickelten sich auch weiter und ich bin gespannt auf die weiteren Teile der Reihe.
Für alle, die gerne Winterbücher lesen, eine große Empfehlung.

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