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Veröffentlicht am 22.07.2024

Sprachlich gelungen, tragisch und stimmungsvoll zugleich

Cascadia
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Ehrlich gesagt hätte ich das Buch nie begonnen nur aufgrund der Leseprobe. Zu düster die Ausgangssituation. Eine Tragödie über verpasstes Leben, Armut und Chancenlosigkeit.
Da ich jedoch "Das Verschwinden ...

Ehrlich gesagt hätte ich das Buch nie begonnen nur aufgrund der Leseprobe. Zu düster die Ausgangssituation. Eine Tragödie über verpasstes Leben, Armut und Chancenlosigkeit.
Da ich jedoch "Das Verschwinden der Erde" der Autorin gelesen hatte und das damals überaus beeindruckend fand, habe ich dann doch zugegriffen. Zunächst ist die Lektüre tatsächlich alles andere als leicht. Zwei Schwestern leben auf den idyllischen San-Juan-Inseln vor Seattle. Eigentlich eine begehrte Inselgruppe, hier haben die Reichen ihre Ferienvillen oder Wohnsitze inmitten einer großartigen Natur. Aber es gibt auch die Einheimischen, die für den Komfort der Reichen arbeiten müssen. So wie Elena, die im Service im örtliche Golfclub ihr Geld verdient und Sam, die andere Schwester, die auf den Fähren Kaffee & Snacks verkauft. Beide verdienen nicht genug, um die Arztrechnungen und alle weiteren Kosten für ihre todkranke Mutter zu begleichen. Beide Schwestern träumen davon, die Inseln zu verlassen und endlich ein neues, besseres Leben zu beginnen. Aber dazu müssten Sie das Haus verkaufen und das geht nicht, wegen der Mutter. Wie sich herausstellt, gibt es für die Schwestern eigentlich wenig Grund, die Mutter zu beschützen. Aber wie das so ist, Kinder lieben ihre Mutter, egal was war.... und so leben die Schwestern mit Ende zwanzig immer noch nicht ihr Leben, sondern sind erstarrt und hängen fest. Als ein Bär auf der Insel und sogar vor dem Haus auftaucht, gerät alles in Bewegung, vor allem das Verhältnis der Schwestern zueinander .....
Der Bär ist sicherlich eine interessante Metapher, auch literarturwissenschaftlich zu interpretieren. Das will ich hier nicht anfangen. Jedoch anmerken, dass ein wichtiges Anliegen der Autorin anscheinend das Gefangen sein in bestimmten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ist. Die meisten Menschen können sich nicht frei entscheiden, nicht frei agieren, jedenfalls wird dies hier eindrücklich so dargestellt. Die Möglichkeiten sind begrenzt durch die sozialen und gesellschaftlichen Verhältnisse. Dabei bedient die Autorin bewusst kein West-Ost-Klischee. Denn der erste Roman spielte auf der abgelegenen russischen Halbinsel Kamtschatka, auf der das Leben nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion alles andere als leicht war. Auch dort konnten die Protagonisten kaum aus ihrer Haut und vieles nicht tun, wie zum Beispiel auf ihre Kinder aufpassen, während sie doch arbeiten mussten (die Kinder wurden dann entführt). Hier ist es wieder eine abgelegene Gegend und wieder sind die Menschen nicht nur aufgrund der Abgelegenheit der Region gefangen, sondern auch aufgrund der sozialen Rahmenbedingungen. Ein Ausbruch aus dieser Tristesse scheint nur theoretisch möglich. Mit der großen Selbstverwirklichung ist hier nicht. Auch nicht in diesem Roman. Jedenfalls nicht so, wie man es vielleicht gerne lesen würde.
Mich hat das Buch sehr beeindruckt, auch wenn ich vieles schwer zu ertragen fand und die Schwestern am liebsten spontan mal durchgeschüttelt hätte. Ich mag den Schreibstil der Autorin und werde wahrscheinlich jedes ihrer Bücher lesen, daran verzweifeln und dann doch weiterlesen.

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Veröffentlicht am 21.07.2024

Stilistisch sehr gut, konnte mich aber nicht komplett begeistern

Long Island
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Brooklyn von Colm Toibin hatte mich vor Jahren restlos verzaubert. Der Sprachstil, diese ruhige und doch eindringliche Geschichte. Deshalb wollte ich unbedingt Long Island lesen, denn dort begegnen wir ...

Brooklyn von Colm Toibin hatte mich vor Jahren restlos verzaubert. Der Sprachstil, diese ruhige und doch eindringliche Geschichte. Deshalb wollte ich unbedingt Long Island lesen, denn dort begegnen wir der Protagonistin aus Brooklyn wieder.

Eilis wohnt mittlerweile mit Mann und zwei Kindern auf Long Island in einem Haus, das von den Häusern der Schwiegerfamilie umzingelt ist. Und so fühlt sich Eilis auch manchmal, umzingelt, eingegrenzt und nur so halbwegs akzeptiert. Als sich dann herausstellt, dass Ihr Mann eine Affäre hatte und aus dieser ein Kind unterwegs ist, das bei der Familie ihres Mannes aufwachsen soll, flieht Eilis vor allem zurück in ihre Heimat Irland. 20 Jahre war sie nicht mehr dort und irgendwie scheint vieles unverändert. Auch Jim ist noch da, ihre Jugendliebe. Gibt es eine Chance auf einen Neubeginn? Denn da sind noch ihre beiden Kinder und ihre ewig quengelnde Mutter, eine geheime Affäre von Jim und überhaupt die ewig neugierige Bevölkerung der Kleinstadt. Raum für Dramen also. Auf den ersten Blick passiert aber zunächst gar nicht so viel, das ist aber nur gefühlt so, denn der Autor erzählt sehr speziell. Toibin ist quasi ein Meister der personalen Erzählung. Dadurch sind wir als Leser:innen den Protagonisten zwar irgendwie nahe, erfahren jedoch fast nichts über die Motivation ihrer Entscheidungen. Nichts wird analysiert, nicht psychologisch erläutert. Daher erscheinen die Protagonisten oft unentschieden, mutlos und passiv. Sind sie vielleicht gar nicht, aber das wird nicht deutlich. Das Lesen ist mir zwischendurch sehr schwer gefallen, denn scheinbar ging nichts voran. Allerdings muss ich ehrlicherweise sagen, dass dem Autor die Charaktere dadurch sehr menschlich und realistisch gelungen sind. So ist das Leben, so sind die Menschen. Manchmal hätte ich als Leser:in gerne mehr Mut, mehr Entscheidungen, mehr Neubeginn und vor allem mehr Erklärungen. Aber die bleibt uns der Autor weitgehend schuldig. Genauso, wie wir auch bei unseren Mitmenschen nie so ganz genau wissen, warum diese jenes tun und anderes lassen.

Leider bleibt vieles unklar und leider liest sich das Ende wie das Ende des Mittelteils einer Trilogie. Allerdings ist dabei nicht sicher, ob es überhaupt einen dritten Teil geben wird. Fazit: Sprachlich gelungen, interessante Konstellationen und lebensnahe Charaktere. Aber so richtig begeistert bin ich diesmal nicht von Colm Toibin.

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Veröffentlicht am 18.06.2024

Unterhaltsame Suche nach den familiären Wurzeln in Mexiko

Die Blumentöchter (Die Blumentöchter 1)
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Dieses Buch ist ideal als Ferienlektüre, nicht nur dann, wenn die Reise nach Mexiko gehen soll. Die junge Dalia ist in der Gärtnerei ihrer Großeltern in Cornwall aufgewachsen, mit Tanten, Onkeln ...

Dieses Buch ist ideal als Ferienlektüre, nicht nur dann, wenn die Reise nach Mexiko gehen soll. Die junge Dalia ist in der Gärtnerei ihrer Großeltern in Cornwall aufgewachsen, mit Tanten, Onkeln und Cousinen. Ihre Mutter ist bei der Geburt gestorben und der Vater war unbekannt. Allerdings taucht nach dem Tod der Großmutter ein Brief des Vaters auf, der ein völlig neues Licht auf die Geschichte wirft. Und Dalia macht sich auf nach Mexiko City und Chitzen Itza, um das Geheimnis um ihre Eltern zu lüften. Sie hat nur den Vornamen des Vaters "Ricardo" (ein wirklich sehr weit verbreiteter Name in Mexiko) und sie weiß, dass ihr Mutter als Studentin bei Ausgrabungen an den Maya Stätten war....
Es folgt eine unterhaltsame und stimmungsvolle Reise durch Mexiko auf der Suche nach Ricardo. Natürlich mit viel Flair, einigen hübschen Anekdoten und natürlich darf die Liebe nicht fehlen. Die Autorin schreibt gut und flüssig und hat anscheinend recht gut recherchiert (wenn ich auch persönlich den Eindruck hatte, das sie nicht vor Ort war, das kann aber täuschen... aber egal). Sehenswürdigkeiten, Lebenslust und Familienzusammenhalt in Mexiko werden recht realistisch dargestellt. Unrealistisch war allerdings die Tatsache, dass Dalia erst einmal mit Kriminellen mitgeht. Angehörige der Generation von Dalia nehmen ein Uber und lassen sich zu einem vorher gebuchten AirBnB fahren! Aber gut, wir lesen einen Unterhaltungsroman und der ist weitgehend gelungen, ich habe das Buch an einem Tag am Strand ausgelesen. Nein, nicht in Mexiko, ich war aber schon zweimal dort.

Der Roman ist der Auftakt einer mehrbändigen Saga über fünf Cousinen, die alle nach Blumen benannt sind. So ein wenig nach dem Rezept der "Schwestern-Reihe" von Lucinda Riley. Jedes Mal wird es einen anderen Schauplatz geben, denn die Familie ist sehr international. Außerdem geht es zwischendurch immer mal zurück zur beschaulichen Gärtnerei in Cornwall, also auch ein wenig Rosamunde-Pilcher-Feeling. Wird sicherlich erfolgreich. Ich werde in den nächsten Band auch hineinschauen.

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Veröffentlicht am 07.06.2024

Bildhaft, unterhaltsam und doch nicht seicht

Mühlensommer
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Maria hat es als einzige aus ihrer Familie geschafft, Abitur zu machen und in die Stadt zu ziehen. Sie leitet eine Werbeagentur, hat zwei Teenagertöchter und eigentlich ist alles etwas stressig ...

Maria hat es als einzige aus ihrer Familie geschafft, Abitur zu machen und in die Stadt zu ziehen. Sie leitet eine Werbeagentur, hat zwei Teenagertöchter und eigentlich ist alles etwas stressig - aber gut. Als sie gerade zu einem verlängerten Wochenende in den Bergen unterwegs ist, bekommt sie einen Anruf von Zuhause: Der Vater ist im Krankenhaus und die Mutter schafft es alleine nicht mit Kühen, Schweinen und der dementen Großmutter. Also muss Maria ran. Und während sie die nächsten Tage auf dem Bauernhof arbeitet, kommen viele Erinnerungen hoch an ihre Kindheit, an die schwere Arbeit, an das recht karge Leben, das Nie-in-den-Urlaub-fahren, die Vorurteile gegenüber Bauernkinder aber auch an sonnige Tage am Mühlenbach und an den familiären Zusammenhalt. Alte Konflikte kommen ans Licht und Maria fühlt sich hin- und hergerissen.
Die Autorin beschreibt hier warmherzig und humorvoll und ohne Kitsch in Form von Anekdoten sehr realistische Szenen aus dem Landleben, weitab von aller Biomarkt-Romantik aus den Städten. Es wird deutlich, wie sehr Maria kämpfen und sich durchsetzen musste, um ihren eigenen Weg zu gehen. Dabei hat ihre Familie sie zwar teilweise unterstützt, andererseits konnten auch sie nicht aus ihrer Haut und sehen und sahen in Maria diejenige, die sich "aus dem Staub" machte und "etwas Besseres sein" will.

Ich habe den Roman sehr gerne gelesen. Die Schilderungen des Lebens im Jetzt und Früher, der Wunsch von Maria nach mehr Bildung, ihre Enttäuschungen, wenn sie nie mithalten konnte und ihren Wunsch danach, einmal in Urlaub zu fahren, konnte ich sehr gut nachvollziehen.
Allerdings fehlte mir zum Schluss etwas, vielleicht eine konkrete Entscheidung, vielleicht eine Aussicht, wie es weitergeht (auch mit diesem sehr attraktiven Mann...). Und im Endeffekt fehlte mir auch ein wenig mehr an Information über Maria, über die Beziehung zum Vater ihrer Kinder, über ihre Herausforderungen als Alleinerziehende.... aber insgesamt eine sehr empfehlenswerte, atmosphärische Lektüre. Und obwohl ich nicht von einem Bauernhof komme, sondern nur aus einem kleinen Dorf, wurde mir persönlich wieder bewusst, wie gut ich doch in die Stadt passe. So idyllisch es auch zwischendurch auf dem Land ist. Irgendwann ist es gut und ich muss wieder in die Stadt.

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Veröffentlicht am 23.05.2024

Drei Frauen, drei Zeiten und ein toller Schreibstil

Unter dem Moor
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In zwei Tagen habe ich das Buch ausgelesen, jede freie Minute genutzt. Was gibt es Besseres über einen Roman zu sagen?

Eher zufällig bin ich auf dieses Buch aufmerksam geworden, die Stimmen waren positiv ...

In zwei Tagen habe ich das Buch ausgelesen, jede freie Minute genutzt. Was gibt es Besseres über einen Roman zu sagen?

Eher zufällig bin ich auf dieses Buch aufmerksam geworden, die Stimmen waren positiv und deshalb habe ich es mir auf den Tolino geladen. Und ich muss sagen: Ich bin sehr begeistert! Viel Zeitgeschichte, aktuelle Themen und dann mochte ich natürlich, dass die Protagonisten und die Zeiten sich abwechselten. Das erhöht für mich stets die Spannung. Es geht um drei Frauen, einmal Heute, einmal in der Nazizeit und einmal Ende der 70er Jahre in der DDR. Handlungsort ist vor allem das Stettiner Haff, eine wunderschöne, ruhige und einsame Landschaft, heute an der Grenze zu Polen gelegen. Kraniche, Wölfe und viele weitere Tiere leben in dieser sehr besonderen Naturlandschaft, die auch die Atmosphäre des Romans prägt mit der Weite des Himmels, der Einsamkeit, der Nähe zum Meer, den Stürmen und den hübschen Stränden und den heißen Sommern. Hierher zieht sich im Frühherbst die junge Ärztin Nina zurück. Sie ist erschöpft. Zu viele Dienste während der Corona Zeit in der Charité, zu wenig Freude. Nina kündigt, nimmt sich eine Auszeit und fährt mit ihrem neu erworbenen Hund ans Haff. Dort findet ihr Hund alte Knochen....Menschliche Knochen.

1936 ist Gine in der gleichen Gegend, sie wurde dorthin zum Landarbeitsjahr abkommandiert und leidet unter der schweren Arbeit und unter der strengen Zucht der Nazi-Aufseherinnen. Und dann passiert etwas Schreckliches.... 1979 wohnt die junge Mutter Sigrun mit Mann und Sohn am Haff und hat eine verbitterte Schwiegermutter, die alten Zeiten nachtrauert, während Sigrun sich nach mehr Freude und Leichtigkeit im Leben sehnt....

Ich fand die jeweiligen Zeiten, die damit verbundene Problematik und die Situation der Frauen sehr gut dargestellt, abseits von rein klischeehaften Beschreibungen, mit viel Tiefe. Besonders gelungen fand ich (in Nachhinein betrachtet) die Analyse bezüglich Nina, einer modernen jungen Frau, beruflich erfolgreich, die scheinbar immer alles richtig gemacht hat und dann nach der Pandemie nicht mehr in ihr altes Leben zurück kann/will/möchte. Ein interessanter Aspekt, weil tatsächlich aktuell viel über Erschöpfung, Burn-out, Work-Life-Balance und über den Sinn des Lebens sinniert wird, gerade bei jüngeren Menschen. Die Pandemie hat anscheinend viele Werte verschoben und die alten Lebensentwürfe scheinen nicht mehr passend zu sein. Fand ich sehr aufschlussreich. Die Probleme von Gine, deren Eltern Künstler sind und mit dem Nazi-Regime hadern, waren da schon klassischer. Ihre Überlebensstrategien jedoch sehr individuell ausgearbeitet. Ein wenig Probleme hatte ich mit Sigrun, die in der DDR lebt, dort gerne lebt, sich aber mehr "Farbe" im Leben wünscht. Okay... sie ist noch jung. Ihre Geschichte fand ich trotzdem nicht ganz rund, vor allem zum Ende hin. Es gibt einiges an Tragik in diesem Buch, aber auch viele schöne Momente. Beleuchtet wird auch die Frage, ob sich Schuld, die sich über Generationen anhäuft, irgendwann rächt....

Zusammenfassend: Chapeau! Ein ganz tolles Buch. Unterhaltsam, spannend und gleichzeitig zum Nachdenken anregend. Sehr empfehlenswert.

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