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Veröffentlicht am 29.10.2018

Schöne Geschichte - sprachlich leider weniger gelungen - zu seicht

Das rote Adressbuch
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Doris ist 96, wohnt alleine in Stockholm und die Alltagsbewältigung fällt ihr zunehmend schwer. Und dann kommt sie nach einem Sturz auch noch ins Krankenhaus.

Einziger Lichtblick in ihrem Leben ...

Doris ist 96, wohnt alleine in Stockholm und die Alltagsbewältigung fällt ihr zunehmend schwer. Und dann kommt sie nach einem Sturz auch noch ins Krankenhaus.

Einziger Lichtblick in ihrem Leben ist ihre Großnichte Jenny, die mit Familie in San Francisco lebt. Mit ihr skypt sie regelmäßig, das hat sie im hohen Alter noch gelernt, um Kontakt zu Jenny zu halten. Denn ansonsten ist Doris einsam. Fast alle Menschen, die sie im Laufe des Lebens kennengelernt hat, sind tot. So steht es auch neben fast allen Namen in ihrem roten Adressbuch.

Das Adressbuch hatte Doris 1928 als Zehnjährige von ihrem Vater geschenkt bekommen.
Und es dokumentiert ein bewegtes Leben.
Die Armut nach dem Tod des Vaters, die erzwungene frühzeitige Verdingung als Dienstmädchen, weil ihre Mutter sie nicht durchbringen konnte. Einige Glanzjahre als Mannequin in Paris. Eine grosse, tragische Liebe. Eine lebenslange Freundschaft zu einem Maler.

All dies schreibt Doris ihrer Nichte als Brief in Tagebuchform, während sie immer schwächer und dem Tod immer näher kommt.

Die Geschichte eines solchen bewegten Lebens bietet in einem Roman viel Potential. Viel Tragik, viel Liebe, viel Armut, viele neue Anfänge. Eigentlich hätte ich das Buch mit Begeisterung lesen müssen. Aber dazu war mir die Sprache zu einfach, die Beschreibungen zu klischeehaft, manchmal unangemessen kitschig. Die Sprache war der Tragik und den geschilderten Gefühlen nicht angemessen. Denn eigentlich wird eine große Geschichte erzählt. Aber leider hat die sprachliche Gestaltung dies nicht entsprechend dargestellt. Schade.

Veröffentlicht am 27.09.2018

Spannend mit unerwarteten Wendungen

Bluthaus
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Im Prolog läuft ein Mädchen am Strand entlang zu einem alten Reetdachhaus. Und dort findet sie ihre Familie erschossen auf.

Danach geht es in der heutigen Zeit weiter, einiges an Jahren später. Wir treffen ...

Im Prolog läuft ein Mädchen am Strand entlang zu einem alten Reetdachhaus. Und dort findet sie ihre Familie erschossen auf.

Danach geht es in der heutigen Zeit weiter, einiges an Jahren später. Wir treffen Frida wieder, die schon im ersten Fall involviert war. Sie pausiert vom Polizeidienst und arbeitet auf dem Apfelhof ihrer Eltern in der Elbmarsch. Ihre Schulfreundin aus dem Internat, Johanna, meldet sich plötzlich bei ihr. Sie wurde in einen Todesfall verwickelt. Und taucht unter, nachdem die Polizei sie verhört hat..
Und schon kommt Bjarne ins Spiel, der Kommissar, der im ersten Band schon ermittelt hatte.
Auch er leidet noch unter den Nachwirkungen des letzten Falles. Und privat ist einiges zu klären.
Und es wird noch eine große Neuigkeit in seinem Leben geben.

Aber jetzt kümmern sich Frida und Bjarne erst einmal um den aktuellen Todesfall, in den Johanna verwickelt war. Und Frida sucht zusätzlich nach einem alten Haus, das auf einem Foto zu sehen war, das in Johannas Diele hing.

Auf der Suche nach den Geheimnissen in Johannas Vergangenheit und nach Motiv und Mörder des aktuellen Todesfalls geraten Frida und Bjarne immer tiefer in ein Dickicht aus LKA, undurchsichtigen Dorfbewohnern und Spuren, die im Sande verlaufen.

Gewohnt routiniert hat die Autorin einen spannenden Krimi konzipiert, der das Privatleben der Ermittler wohl dosiert weiter entwickelt und darüber den Fall nicht vernachlässigt. Und es gibt immer neue, überraschende Wendungen. Bis zum Schluss.

Dies ist der zweite Band über die Ermittler Frida und Bjarne, die schwerpunktmäßig in der Elbmarsch und in Schleswig-Holstein ermitteln. Dieser Band lässt sich sehr gut unabhängig vom ersten Band lesen, es wird nichts verraten und man benötigt keine Vorkenntnisse.

Aber man wird sicherlich nach "Bluthaus" unbedingt den anderen Band lesen wollen!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Spannung
  • Charaktere
  • Atmosphäre
Veröffentlicht am 27.09.2018

Ein wahres Lesevergnügen

Manhattan Beach
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Anna Kerrigan wächst in den 30er Jahren in New York auf. Die Weltwirtschaftskrise trifft ihre Familie hart. Die Mutter kann nicht mehr als Tänzerin arbeiten, da sie sich um Annas behinderte kleine Schwester ...

Anna Kerrigan wächst in den 30er Jahren in New York auf. Die Weltwirtschaftskrise trifft ihre Familie hart. Die Mutter kann nicht mehr als Tänzerin arbeiten, da sie sich um Annas behinderte kleine Schwester kümmern muss. Und der Vater hält die Familie mit Gelegenheitsjobs im Hafen über Wasser. Als das nicht mehr reicht und Lydia einen Rollstuhl braucht, sucht der Vater den Kontakt zu Dexter Styles, einem Geschäftsmann aus dem Ganoven-Milieu, der unter anderem mit Nachtclubs und illegalen Spielstätten sein Geld verdient.

Anna lernt Dexter Styles als 12jährige nur kurz kennen. Aber er wird in ihrem Leben noch eine Rolle spielen.

1943 ist Anna um die 20, der 2. Weltkrieg tobt und Annas Vater ist schon seit Jahren spurlos verschwunden. Die Mutter arbeitet Zuhause als Näherin und Anna arbeitet in der Marinewerft von New York. Anna hat großes technisches Geschick und will unbedingt Taucherin werden und Kriegsschiffe unter Wasser reparieren. Doch eine Frau als Taucherin? Unvorstellbar! Für Männer. Aber irgendwann sind alle Männer an der Front. Und Frauen werden widerwillig in die Arbeitsbereiche der Männer aufgenommen.

Anna wächst in ein eigenständiges Leben hinein, verdient gut und als sie Dexter Styles wieder trifft, begibt sie sich auf die Suche nach ihrem Vater. Und die Geschichte wird sehr spannend.


Jennifer Egan ist mit diesem Roman ein wahrhaft feministisches Buch gelungen. Und nicht nur die Ungleichbehandlung von Frauen ist Thema - auch Rassismus und weitere Ungerechtigkeiten finden ihren Ausdruck.
Hört sich jetzt nach einer trockenen Lektüre mit erhobenem Zeigefinger an? Ist es aber nicht - im Gegenteil. Die Gabe von Jennifer Egan ist das Erzählen. Sie schafft es mit einer wunderbar klaren und doch poetischen Sprache eine ganz eigene Atmosphäre zu schaffen. Als Leser taucht man ein in die Geschichte, kann sich die Schauplätze gut vorstellen, die Konflikte spüren. Und kann sich in die verschiedensten Charaktere einfühlen. Jeder Charakter ist lebensecht gezeichnet, mit allen Facetten, negativen und positiven Zügen. Auch ein Gangster wie Dexter Styles schleicht sich irgendwie ins Herz des Lesers.
Und Anna sowieso. Sie ist eine starke Frau, auf gewisse Weise ihrer Zeit voraus. Und doch eigentlich nicht. Denn in Kriegszeiten waren die Frauen gefragt. Als Taucherinnen, als Schweißerinnen. Und nach dem Krieg sollten die Frauen wieder an den Herd. Was viele Frauen nicht akzeptieren wollten.
Und Anna wollte es von Anfang an nicht akzeptieren.

Mich hat dieses Buch in Bezug auf Feminismus weit mehr beeindruckt als "Das weibliche Prinzip" von Meg Wolitzer. War bei Wolitzer alles gefühlt sehr theoretisch, sachlich und distanziert, so transportiert Jennifer Egan ihre ihre Botschaft über Schreibstil, sprachliche Finesse und über eine beeindruckende Geschichte.

Und das ist doch der Grund, Bücher zu lesen: In der Geschichte versinken, mit den Protagonisten mitleiden. Und dadurch neue Erkenntnisse gewinnen.

Ich habe recht lange für die Lektüre gebraucht. Zum einen, weil die Geschichte zu Beginn recht behäbig beginnt. Zum anderen, weil ich einfach länger in den Genuss des Lesens kommen wollte.

Jennifer Egan hatte mich schon mit "Die größere Teil der Welt" beeindruckt. Dieser Roman ist ganz anders konzipiert. Aber zeigt auch das großartige Talent der Autorin.

Ich war sehr froh, dass ich eine Lesung mit Jennifer Egan in Köln besuchen konnte. Das hat mein Lesevergnügen noch gesteigert. Und ich habe einiges an Hintergrundinformationen erhalten.

Veröffentlicht am 25.09.2018

Eine Zeitreise in die 70er. Mit unerwartet viel Tiefgang.

Sommer in Super 8
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Clara wächst als mittleres von 5 Kindern in einer Arztfamilie in Schleswig-Holstein auf. Es sind die 70er Jahre, die Frauen tragen meist Kittelschürzen, wollen perfekte Hausfrauen sein und so sauber und ...

Clara wächst als mittleres von 5 Kindern in einer Arztfamilie in Schleswig-Holstein auf. Es sind die 70er Jahre, die Frauen tragen meist Kittelschürzen, wollen perfekte Hausfrauen sein und so sauber und ordentlich wie die Häuser sollen auch die Familien sein. Aber natürlich ist vieles ganz anders, als es die glänzende Fassade vorspielt. Auch in Claras Familie.


Die Mutter musste ihr Studium aufgeben, als sie schwanger wurde. Sie trägt zwar keine Kittelschürzen sondern Twinset - eine Arztfamilie hat auf dem Land eben einen Status - aber in der typischen Frauenrolle ihrer Zeit scheint die Mutter doch gefangen. Trotz schicker Partys und schicker Kleidung wirkt sie wenig glücklich. Und der Vater? Er kümmert sich liebevoll um Clara, die als Sandwich-Kind immer ein wenig unterzugehen droht in der Großfamilie - aber auch er hat seine eigenen Probleme. Und je älter Clara wird, desto bewusster wird ihr das.
Und dann wird eines Mittwochs etwas mit dem Vater passieren - das wird direkt am Anfang des Buches verraten.

Aber bis dahin kann der Leser/die Leserin eine Zeitreise zurück in die 70er antreten. Mit Tri-Top, Schnittchen beim Fernsehabend, Samstag-ist-Badetag und den Super-8-Filmen, die damals aufkamen.

Wir begleiten Clara durch Kindheit und Jugend, über Streit mit Klassenkameraden bis hin zum ersten Kuss und zur ersten Verliebtheit. Man kann sich die Zeit richtig vorstellen - wie in Super-8 eben.

Der Autorin gelingt es mit ihrem Debüt-Roman, eine vergangene Zeit wieder auferstehen zu lassen. Und eine Art Coming-of-age-Roman zu schreiben, der anders ist als andere Romane dieser Art. Und eine wunderbare Balance zwischen Nostalgie, Humor und Tragik bewahrt.

Ich habe das Buch sehr gerne gelesen, habe geschmunzelt bei den Erinnerungen an die 70er und war betroffen, als die tragischen Ereignisse eintraten. Ein Buch mit vielen Facetten.

Veröffentlicht am 17.09.2018

Unvorhersehbare Wendungen

Der Schatten
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Norah ist Mitte 30 und hat nach einer "Katastrophe" ihr altes Leben und ihre Beziehung in Berlin hinter sich gelassen und fängt in Wien neu an. Es ist kalt und düster in Wien und Norah fällt ...

Norah ist Mitte 30 und hat nach einer "Katastrophe" ihr altes Leben und ihre Beziehung in Berlin hinter sich gelassen und fängt in Wien neu an. Es ist kalt und düster in Wien und Norah fällt der Neubeginn schwer. Und dann sagt ihr eine Bettlerin auf der Straße voraus, dass sie am 11. Februar im Prater einen Mann Namens Arthur Grimm ermorden wird.

Norah nimmt dies anfangs nicht sehr ernst. Aber an einem 11. Februar vor vielen Jahren hat sich ihre beste Freundin umgebracht. Und dieses Erlebnis hat Norah geprägt. Und dann begegnet sie immer öfter dem Namen Arthur Grimm. War es eventuell doch kein Selbstmord? Hatte Grimm Schuld am Tod ihrer Freundin?

Die Ereignisse werden immer mysteriöser und Norah verfängt sich immer mehr in den Nachforschungen, die sie dann doch beginnt. Das Buch entwickelt einen Sog, ich konnte kaum aufhören, zu lesen.

Und dann kam der 11. Februar - und es waren immer noch recht viele Seiten übrig. Erst war ich verwirrt - dann begeistert. Denn die Autorin bringt anschließend noch viele unvorhersehbare Wendungen ins Spiel. Nichts ist in diesem Buch so, wie es am Anfang erscheint. Die Auflösung werde ich hier natürlich nicht verraten - aber sie ist genial.

Melanie Raabe hat einen phanastisch konstruierten Thriller geschrieben, dessen Spannung vor allem aus psychologischer Spannung besteht - was ich persönlich sehr schätze. Es gibt also keine Mengen an Leichen und Blut - aber eine Menge Unvorhersebares.