Profilbild von Corsicana

Corsicana

Lesejury Profi
offline

Corsicana ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Corsicana über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 12.02.2024

Dieses Buch ist ein kleines Juwel

Südfall
0

Ein kleines, feines, ruhiges Buch über Menschlichkeit inmitten des 2. Weltkriegs. Erzählt wird die Geschichte von Dave, der als britischer Soldat über dem nordfriesischen Wattenmeer abgeschossen wird und ...

Ein kleines, feines, ruhiges Buch über Menschlichkeit inmitten des 2. Weltkriegs. Erzählt wird die Geschichte von Dave, der als britischer Soldat über dem nordfriesischen Wattenmeer abgeschossen wird und sich wohl als einziger mit dem Fallschirm retten kann. Er kommt mitten im Watt zu sich und hat zwei Vorteile: Er kennt die Tücken des Watts aus seiner englischen Heimat und er spricht Deutsch, weil seine Großmutter Deutsche war. Eine Frau rettet ihn, die (historische Figur) sogenannte Halliggräfin auf der Hallig Südfall. Dort könnte er bleiben. Aber er will nach Hause. Zu viel an altem Leid schleppt er mit sich herum. Dave macht sich also auf den Weg gen Norden, nach Dänemark, um von dort aus hoffentlich mit einem Boot zurück nach England zu gelangen. Auf seinem Weg findet er zwar viele Gefahren (und einmal wird er fast verraten), doch es gibt auch viel Hilfe, von ganz normalem Menschen, die einem anderen Menschen einfach nur helfen. Obwohl es auch für sie gefährlich ist. Dies wird ohne Pathos, in einer sehr ruhigen Art und mit viel Inneneinblick in die jeweiligen Helfer erzählt. Die Perspektive wechselt jeweils mit den einzelnen Beteiligten. Zunächst ist dies ungewohnt, eröffnet jedoch eindrucksvolle Einsichten in das Leben in Nordfriesland im Jahr 1944. Obwohl der Krieg hier gefühlt weit weg ist. so ist doch jeder betroffen. Die Schüler in der HJ, die Frauen, die um ihr Männer an der Front bangen, die Menschen, die mit dem Regime nicht einverstanden sind und das nicht überall äußern können.... dazu kommt eine Fülle von Einblicken in das Gefühlsleben der jeweiligen Protagonisten und in die gesellschaftlichen Rollenerwartungen an Mann und Frau, die wohl keinen glücklich zu machen scheinen....

Dem Autor ist hier ein Kunststück gelungen: Ruhig und gleichzeitig poetisch und doch ohne Pathos und ohne Kitsch eine wahrhaft menschliche Geschichte zu erzählen. Wir leiden als Leser:innen mit, fühlen mit den Protagonisten und freuen uns, wie auch Dave langsam seine Traumata verarbeitet und (trotz Krieg) wieder positiv ins Leben blicken kann. Große Kunst!

Erinnert ein wenig an "Offene See" von Benjamin Myers, hat aber einen ganz eigenen Sound.

Jetzt muss ich bald die anderen Bücher des Autors Florian Knöppler lesen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 29.12.2023

Wow! Was für ein Buch.

Endling
0

Beängstigend, bedrohlich, mysteriös, spannend und gleichzeitig mit Humor und menschlicher Wärme. So zeigt sich der dritte Roman von Jasmin Schreiber, der mich sehr beindruckt hat. Die Autorin zeigt eine ...

Beängstigend, bedrohlich, mysteriös, spannend und gleichzeitig mit Humor und menschlicher Wärme. So zeigt sich der dritte Roman von Jasmin Schreiber, der mich sehr beindruckt hat. Die Autorin zeigt eine Zukunftsszenario, das beängstigend realistisch erscheint. Das ist am Anfang nicht ganz leicht zu ertragen. Aber es gibt auch viel Zusammenhalt, Widerstand und eine berührende Familiengeschichte. Das ließ mich nur so durch die Seiten fliegen. Und dann kam noch eine Wanderung durch einem mehr als mysteriösen Wald dazu....

Aber von Anfang an: Zoe ist Mitte dreißig und forscht als Biologin an bestimmten Insekten. Denn diese sind aufgrund des fortschreitenden Klimawandels häufig ausgestorben bzw. fast ausgestorben. Es gibt viele "Endlinge", die letzten ihrer Art. Daher der Titel. Außerdem ist es ind den Sommern wahnsinnig heißt, der Permafrostboden taut immer weiter auf und die Alpengipfel brechen ab. Denn wir schreiben das Jahr 2041. Nicht wirklich weit weg. Daher umso beängstigender. Außerdem hat eine rechts-konservative Regierung übernommen, seit acht Jahren gab es keine richtigen Wahlen mehr wegen Notstandsgesetzen, die EU hat sich komplett von ihren Idealen verabschiedet (die skandinavischen Länder sind inzwischen ausgetreten und letzte Zufluchtshorte) und die Rechte der Frauen wurden immer mehr beschnitten. Abtreibung und Verhütung sind verboten und wenn jemand seinen Job verliert, dann Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund.

Die Menschen arrangieren sich, wie auch Zoe und ihre Familie, die allerdings bedingt durch die vielen Pandemien den Vater verloren hat. Als sich die familiären Probleme zuspitzen, geht Zoe kurzzeitig zu ihrer Familie zurück und aufgrund weiterer tragischer Ereignisse mit Schwester und Tante auf wilde Roadtrips nach Südtirol und Schweden. Hier ereignen sich seltsame Dinge und es gibt Dörfer, in denen nur Frauen leben.... Der Weg dahin führte durch tiefe Wälder und besonders im zweiten Teil des Buches wird es hier so Fantasy-Mystik-mäßig. Damit hatte ich nicht gerechnet. Es war aber spannend.

Das alles wird rasant und mit wissenschaftlichen Einschüben (die Autorin ist selbst Biologin) erzählt. Und nebenher erfuhr ich als begeisterte Leserin von "Marianengraben" (dem Debüt von Jasmin Schreiber) auch etwas über das weitere Leben von Paula, der damaligen Protagonistin.

Insgesamt ein Roman, der nachdenklich stimmt und trotzdem irgendwie spannend und unterhaltsam ist. Eine wilde Mischung aus Mystik, Fantasy, politisch negativem Szenario und kleinen Hoffnungsschimmern. Letztere resultieren vor allem aus Gemeinschaft, Hilfsbereitschaft und den vielen kleinen Widerständen, die jeder Einzelne gegen eine restriktive Politik leisten kann.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 06.12.2023

Sehr atmosphärisch -Ideal für die Winterzeit

Tief im Schatten
0

Dieser Krimi ist perfekt für die Winterzeit geeignet! Denn die Handlung spielt hoch im Norden von Schweden, im bekannten Wintersportort Are.
Dorthin hat es Hanna Ahlander verschlagen, nachdem ...

Dieser Krimi ist perfekt für die Winterzeit geeignet! Denn die Handlung spielt hoch im Norden von Schweden, im bekannten Wintersportort Are.
Dorthin hat es Hanna Ahlander verschlagen, nachdem sie in Stockholm sowohl ihren Job als Polizistin als auch ihren Lebenspartner verloren hat.
Inzwischen ist sie schon einige Monate in Are, hat sich gut eingelebt und erholt sich gerade von den Folgen einer Mordermittlung (das war der erste Band der Reihe, auch sehr empfehlenswert). Aber jetzt steht erst einmal viel Arbeit bevor, denn die schwedischen Winterferien im Februar stehen an und der Ort wird überfüllt sein. Da kommt der Fund einer Leiche genau zum falschen Zeitpunkt! Es gibt nur wenige Anhaltspunkte und die Ermittlungen gestalten sich schwierig, außerdem muss Hannas Kollege Daniel sich wieder mit etwas unschönen Problemen mit seiner Partnerin herumschlagen. Und ein Kollege (der bisher kaum erwähnt wurde) gerät in Liebeswirren... und dann wird noch eine zweite Geschichte erzählt, von einer Frau, die in einer unglücklichen Ehe gefangen ist und keinen Ausweg sieht, weil in ihrer freikirchlichen Gemeinschaft ein äußerst traditionelles Frauenbild gelebt werden soll.

Meiner Meinung nach verrät der Klappentext zwar ein wenig zu viel, trotzdem ist das Buch äußerst spannend und durch die kurzen Kapitel wird es nie langweilig und nie zu viel. Schwedische Autor:innen scheinen die Themen "Gewalt gegen Frauen" und "Freikirche" fast "gewaltsam" in jedem Buch oder Krimi unterbringen zu müssen. Das hat mich auf den ersten Blick etwas gestört, wurde aber im Zusammenhang mit dieser Geschichte gut integriert. Weiterhin nervte mich irgendwann das Thema von der Balance zwischen Beruf und Familie (bei Daniel, dem Kollegen von Hanna), das konnte ich aber gut überlesen (außerdem ist es eigentlich ja wirklich ein wichtiges Thema, nur im Hinblick auf Ermittlungsarbeit eher störend).

Auf jeden Fall gab es viel Schnee, viel Landschaft, viele Insights in das Alltagsleben in einem Skiort und eine äußerst spannende Geschichte mit einigen unerwarteten Wendungen. Die Personen entwickelten sich auch weiter und ich bin gespannt auf die weiteren Teile der Reihe.
Für alle, die gerne Winterbücher lesen, eine große Empfehlung.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 06.12.2023

Gelungenes Debüt

Nach dem Schweigen
0

Dieses Buch konnte ich kaum aus der Hand legen. Zwei Abende (und ein nicht unerheblicher Teil meiner Nachtruhe) habe ich mit der Lektüre verbracht und ich war sehr beeindruckt. Zumal es sich um ein Debüt ...

Dieses Buch konnte ich kaum aus der Hand legen. Zwei Abende (und ein nicht unerheblicher Teil meiner Nachtruhe) habe ich mit der Lektüre verbracht und ich war sehr beeindruckt. Zumal es sich um ein Debüt handelt. Erzählt wird ruhig, doch damit eigentlich umso eindrucksvoller von Ausgrenzung, Familiengeheimnissen, Kriegstraumata und vom Leben auf dem Dorf, das längst nicht immer so idyllisch ist, wie das landläufig so angenommen wird.

Stella und Wiebke waren zu Grundschulzeiten beste Freundinnen in dem kleinen Dorf, in dem sie aufwuchsen. Allerdings war Stella relativ privilegiert, so als Tochter eines Bauern und Gemeindevorstehers, ganz im Gegensatz zu Wiebke, deren Eltern aus Ostpreußen flüchten mussten, relativ ausgegrenzt lebten und ihren Kindern wenig Liebe und Wärme schenkten. Irgendwann muss etwas passiert sein. Denn Jahrzehnte später treffen sich Stella als Kursleiterin und Wiebke als Insassin in einem Gefängnis wieder. Gemeinsam gehen Sie auf die Suche nach den Gründen für diese Entwicklung und decken so manches gerne gehütete oder gerne vergessene Geheimnis auf.....

Die Schilderung der Entwicklung von Wiebke, die sich dringend aus ihrer Opferrolle lösen muss und von Stella, auf die die Suche nach der Wahrheit auch nicht ohne Folgen bleibt, hat mich überzeugt. Das meiste war sehr verständlich und ein paar kleine, weniger nachvollziehbare Handlungsstränge (Stichwort: Liebe) werte ich mal nicht so streng, ist immerhin ein Debüt.

Die Themen Familiengeheimnisse, Ausgrenzung und Traumata von Krieg und Flucht beherrschen viele Familien und Gemeinschaften bis heute, umso wichtiger ist es, dass davon erzählt wird. Wie im Buch. Denn so können Verletzungen heilen, Traumata aufgelöst und Mitmenschlichkeit wachsen. Wer darüber lesen möchte, auf eine schöne, ruhige und durchaus auch hoffnungsvolle Art, dem sei dieses Buch empfohlen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 21.09.2023

Leben im Konjunktiv

Eigentum
0

Mit seinem Roman "Eigentum" hat Wolf Haas mich überrascht. Und berührt. Und an alte Geschichten aus meiner Familie erinnert.
In diesem, wohl als autofiktional zu bezeichnenden Buch, schreibt ...

Mit seinem Roman "Eigentum" hat Wolf Haas mich überrascht. Und berührt. Und an alte Geschichten aus meiner Familie erinnert.
In diesem, wohl als autofiktional zu bezeichnenden Buch, schreibt ein Autor über das Leben seiner Mutter und über deren letzte Tage vor dem Tod.
Plötzlich scheint es der Mutter gut zu gehen, sie will "zu ihren Leuten". Der Autor ist überrascht, ging es der Mutter doch stets schlecht. Kein Wunder, bei einem Geburtsjahr 1923, dem Jahr der höchsten Inflation, dem nachfolgenden Weltkrieg und den vielen schlechten Zeiten. Immer war die Mutter schlecht dran, immer reichte es nicht für sie, immer hat sie sich schwer getan. Und sich dadurch das Leben natürlich noch schwerer gemacht.
Zuerst war nicht genügend zu Essen da für alle, also musste sie schon früh auf einem anderen Bauernhof arbeiten. Dann kam ein Lichtblick: Sie durfte einen "Servierkurs" machen auf einer Art Hotelfachschule. Aber nur einen Tag, dann kam der Krieg. Danach noch mal der Kurs und viele Jahre in der Schweiz als Serviererin gearbeitet und immer brav das Geld nach Hause geschickt. Die Eltern haben davon ein Haus gebaut. Irgendwann kam sie (ungeplant) schwanger nach Hause und hat endlich ein eigenes Zimmer in diesem Haus bekommen. Aber für ein eigenes Haus reichte es nie. Der Mann zu arm und arbeitsscheu, die Inflation. Die Ersparnisse reichten nie aus, um die Anzahlungen zu leisten.... aber jetzt: Nach Ihrem Tod wird sie endlich Eigentum haben: Ungefähr 2 qm. Ihre Grabstäte. Schon makaber.

Wolf Haas schreibt lakonisch, manchmal fast sarkastisch. Aber immer mit viel Wärme im Tonfall über ein irgendwie typisches Leben einer Frau, die nie so richtig das bekam, was sie wollte. Trotz Intelligenz, trotz Fleiß. Weil: Alle Männer tot, nur einer ohne Schulabschluss übrig, die Inflation, die Armut....Glück wäre - hätte - könnte es gegeben haben. So lässt es sich zusammenfassen. Aber es gab nur "arbeiten, arbeiten, arbeiten" (die Mutter liebte das rhetorische Trias).
Der Schreibstil ist genial, irgendwie typisch österreichisch (der Konjunktiv!) und irgendwie salopp und doch ernsthaft. Eine Gradwanderung, so eine tragische Geschichte so zu erzählen. Funktioniert aber.

Ein schmales Buch, das sehr viel Inhalt hat. Nämlich ein ganzes Leben.

Für mich persönlich kamen viele Erinnerungen hoch an Erzählungen meiner Großmutter mütterlicherseits. Sie stammte auch aus einem kleinen Dorf aus einer armen und dafür kinderreichen Familie. Auch für Sie gab es nicht genügend zu essen und so musste sie schon als Kind Ziegen oder Schafe oder Kühe hüten oder Wäsche waschen bei anderen Leuten. Für ein Butterbrot. Sie waren 21 Kinder, allerdings nie alle zusammen. Weil einige starben früh, einige wurden erst geboren, als die Älteren schon aus dem Haus waren, die Jungs fielen im Krieg. (Kennengelernt habe ich als Enkelin dann nur noch 6 Schwestern). Nach 8 Schuljahren ging es bei meiner Oma dann "in Stellung". Irgendwo in Haushalt oder Landwirtschaft, weg von Zuhause. Meine Oma hatte ihr Leben lang gekrümmte Finger von der heißen Waschlauge als Kind und von der Eiseskälte draußen beim Aufhängen. Und auch sie kannte nur Armut. Sie hat es allerdings zu einem eigenen Haus gebracht. Aber nur, weil mein Opa ein Grundstück geerbt hatte. Es wurde nur gebaut, wenn Geld da war. Kredite waren nicht erwünscht (oder man hätte sie nicht bekommen, so als einfache Arbeiterfamilie). Mein Opa hat sicher nicht zum Spaß den gesamten Keller mit der Schaufel alleine ausgehoben... Bagger war zu teuer. Als meine Mutter nach der Ausbildung anfing zu arbeiten, ging ihr Verdienst an die Bauarbeiter. ..... Also hat mich die Geschichte auch persönlich berührt. Denn ja: So war es. Bei vielen. Nicht bei allen. Wer etwas darüber erfahren möchte, sollte dieses Buch lesen. Und wer eine sehr spezielle Art der Erzählung sucht, auch!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere