Kein Entkommen
To Cage a Wild BirdTo Cage a Bird ist ein Roman, der sich nicht damit zufriedengibt, eine dystopische Geschichte zu erzählen. Er wirft einen mitten hinein und lässt einen kaum wieder los. Schon die ersten Kapitel erzeugen ...
To Cage a Bird ist ein Roman, der sich nicht damit zufriedengibt, eine dystopische Geschichte zu erzählen. Er wirft einen mitten hinein und lässt einen kaum wieder los. Schon die ersten Kapitel erzeugen ein bedrückendes Gefühl, als würde man selbst durch die engen, schmutzigen Straßen laufen, in denen die Menschen kaum Platz zum Atmen haben. Die Kälte dieser Welt ist fast körperlich spürbar und je weiter die Handlung voranschreitet, desto stärker drückt die Atmosphäre auf die Stimmung. Besonders der Abschnitt, der in der späteren Anlage spielt, bleibt einem noch lange im Kopf, weil seine Brutalität so nüchtern beschrieben wird, dass man beinahe erschrickt, wie glaubwürdig das alles wirkt.
Im Mittelpunkt steht Raven, eine junge Frau, die man nicht als klassische Heldin bezeichnen kann, und genau das macht sie so faszinierend. Ihre Entscheidungen entstehen aus Angst, Wut und Verantwortung zugleich und oft merkt man, wie stark sie innerlich zerrissen ist. Ihre Verbundenheit zu Jet, ihrem Bruder, zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch und sorgt dafür, dass viele ihrer Handlungen eine greifbare emotionale Schwere bekommen. Zwischen beiden liegt so viel Vergangenheit, unausgesprochene Schuld und familiäre Liebe, dass jede Szene zwischen ihnen etwas in einem auslöst.
Eine ganz andere Art von Spannung bringt Vale hinein, der immer wieder auftaucht wie jemand, der mehr weiß als er zeigt und dessen Verhalten nie eindeutig einzuordnen ist. Er hat Momente, die unglaublich intensiv wirken, ohne dass je klar wird, wohin das alles führt. Zwischen ihm und Raven baut sich eine Anziehung auf, die durch das Umfeld noch gefährlicher und gleichzeitig glaubwürdiger wird. Nichts davon ist kitschig, eher ein leises Knistern, das stetig wächst, weil sie beide im gleichen Sumpf stecken, aber von völlig unterschiedlichen Seiten kommen.
Die Handlung entwickelt sich stetig weiter und wird mit jedem Kapitel druckvoller. Die Regeln verändern sich, das System wird unberechenbarer und man hat permanent das Gefühl, dass die Figuren nur einen Atemzug vom Abgrund entfernt sind. Dabei schafft es die Autorin, die emotionalen Momente und die brutalen Ereignisse miteinander zu verweben, ohne dass eines das andere überlagert. Alles wirkt miteinander verbunden: die Gewalt, die Hoffnung, die Loyalität und die ständigen moralischen Entscheidungen.
Der letzte Abschnitt des Buches ist kaum auszuhalten. Er ist chaotisch, schnell, voller Hindernisse und gleichzeitig unglaublich emotional. Ohne etwas zu verraten kann man sagen, dass man die Seiten mit angespannten Schultern liest und das Gefühl hat, gemeinsam mit den Figuren durch diese engen, dunklen Momente zu stolpern. Am Ende bleibt man atemlos zurück, erschüttert, beeindruckt und ein bisschen leer.
To Cage a Bird hinterlässt den Eindruck eines Buches, das nicht nur Spannung liefert, sondern einem etwas über Menschlichkeit unter extremen Umständen erzählt. Es ist roh, intensiv und voller kleiner Momente, die zwischen all der Dunkelheit wie winzige Lichtpunkte leuchten. Ein Roman, der nicht loslässt, auch wenn man ihn längst zugeklappt hat.