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Veröffentlicht am 22.08.2025

Überspitzt und entlarvend

Nach Mitternacht
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Irmgard Keun schieb einen großen Teil des Romans vor ihrem Exil 1936. Sie ist daher ganz nah dran am alltäglichen Leben in Deutschland, das durch die NS-Diktatur vergiftet wird. Ihre Ich-Erzählerin, die ...

Irmgard Keun schieb einen großen Teil des Romans vor ihrem Exil 1936. Sie ist daher ganz nah dran am alltäglichen Leben in Deutschland, das durch die NS-Diktatur vergiftet wird. Ihre Ich-Erzählerin, die 19-jährige Sanne, stammt aus kleinbürgerlichen Verhältnissen. Durch ihre Augen und Ohren sehen und hören wir, wie das Regime in den Alltag hineinwirkt. Ein besonderes Augenmerk richtet sie auf die Sprache, den Gespräche werden viele geführt in diesem Roman, in den Kneipen, auf der Straße, bei Festen und Aufmärschen. Einerseits entlarvt die überspitzte Darstellung und die scheinbare Naivität der Protagonistin die Diktatur und ihre Machthaber und macht sie lächerlich, andererseits wird deutlich, wie sich der willkürliche Terror ausgebreitet hat. Das Denunziantentum spielt dann auch eine wichtige Rolle im Leben von Sanne und ihrem Freund Franz und zwingt die beiden zu einer Entscheidung nach Mitternacht.

Trotz der Kürze des Textes (173 Seiten) entfaltet Keun ein Panorama der Zeit. Das Nachwort von Heinrich Detering trägt sehr zum Verständnis des Textes bei, vor allem was den Ursprung der "verklausulierten" Sprache betrifft. Ein wichtiger Klassiker, den ich gerne gelesen habe.

Ich habe mir viele Textstellen markiert, hier nur zwei Beispiele, wie Keun mit der besonderen Sprache dieses Romans den Alltag schildert:

"Und langsam fuhr ein Auto vorbei, darin stand der Führer wie der Prinz Karneval im Karnevalszug. Aber er war nicht so lustig und fröhlich wie der Prinz Karneval und warf auch keine Bonbons und Sträußchen, sondern hob nur eine leere Hand." (S. 31)

"Und immer mehr Menschen strömen herbei, das Gestapo-Zimmer scheint die reinste Wallfahrtsstätte. Mütter zeigen ihre Schwiegertöchter an, Töchter ihre Schwiegerväter, Brüder ihre Schwestern, Schwestern ihre Brüder, Freunde ihre Freunde, Stammtischgenossen ihre Stammtischgenossen, Nachbarn ihre Nachbarn. Und die Schreibmaschinen klappern, klappern, klappern, alles wird zu Protokoll genommen, alle Anzeigenden werden gut und freundlich behandelt." (S. 80)

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Veröffentlicht am 14.08.2025

Erinnern im Exil

Sunset
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Lion Feuchtwanger lebt seit 1941 im amerikanischen Exil in Kalifornien, seit 1919 ist er mit Bertolt Brecht bekannt, den er stetig förderte und freundschaftlich verbunden ist. 1956 erreicht Feuchtwanger ...

Lion Feuchtwanger lebt seit 1941 im amerikanischen Exil in Kalifornien, seit 1919 ist er mit Bertolt Brecht bekannt, den er stetig förderte und freundschaftlich verbunden ist. 1956 erreicht Feuchtwanger ein Telegramm, das ihm den Tod des Freundes mitteilt. Allein in seinem Haus in Pacific Palisades erinnert er sich an Begegnungen mit Brecht und läßt diese Revue passieren, nicht ohne auch über das eigene Leben zu sinnieren.

In wunderbarer Sprache belebt Modick die Freundschaft zwischen den beiden Autoren, die so unterschiedlich waren. Brecht, das große aber mittelloseTalent, entpuppt sich stellenweise als Schnorrer erster Klasse. Feuchtwanger - immer großzügig - sieht souverän darüber hinweg. Großartig auch die Schilderungen des künstlerischen (Exil-)Kreises, der sich in Kalifornien gebildet hat - Hollywood ist nicht weit. Dort trifft sich alles, was Rang und Namen hat. Die Beziehung zu den Manns ist dagegen nur an der Oberfläche höflich korrekt: Erika ("spitzzüngige Giftspritze", S. 55) und Thomas bekommen ihr Fett weg und Klaus wird eher bedauert, als der "unglücklichste aller Söhne" (S. 69). Über diesen Rückblenden schwebt immer die Angst vor den McCarthy-Ausschüssen und der sich hinziehende Prozeß der Verleihung der amerikanischen Staatsbürgerschaft.

Mir hat dieser kleine - teilweise fiktive - Einblick in die Beziehung zwischen Brecht und Feuchtwanger sehr gefallen. Die Zusammentreffen der beiden sind lebendig, farbig, sprachlich kunstvoll und auch witzig geschildert.

Zwei Jahre nach Brecht stirbt Feuchtwanger an Magenkrebs, den Modick zu Beginn des Romans bei Feuchtwangers Morgengymnastik bereits "zwickend" in Erscheinung treten läßt.

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Veröffentlicht am 14.08.2025

Idabel und Dill

Harper Lee und Truman Capote
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Mit diesen zwei literarischen Figuren haben Harper Lee und Truman Capote den bzw. die jeweils andere in ihren Werken verewigt.

Die beiden Außenseiter kannten sich seit Kindertagen, eine eher schicksalhafte ...

Mit diesen zwei literarischen Figuren haben Harper Lee und Truman Capote den bzw. die jeweils andere in ihren Werken verewigt.

Die beiden Außenseiter kannten sich seit Kindertagen, eine eher schicksalhafte Begegnung, da Capote einige Jahre bei Verwandten wohnte und Lee ein Nachbarskind war. Sie besaß ein Baumhaus; dorthin zogen sich die beiden oft zurück, um sich vorzulesen und sich Geschichten auszudenken. Die Grundsteine für zwei unterschiedliche literarische Karrieren und Werke von Weltruhm wurde dort gelegt.

Das kleine Büchlein (141 Seiten) ist schnell gelesen, enthält auf kleinem Raum aber so viele spannende und interessante Informationen, die zur weiteren Beschäftigung mit den beiden nahezu verpflichten. Einiges war mir schon bekannt, vieles neu. (Die Biografie von Capote ist in Folge dessen schon bei mir eingezogen.) Lavizzari beschreibt die Sommer, die beide als Kinder gemeinsam verbrachten, dann die örtliche Trennung. Den raschen Erfolg Capotes zunächst in der New Yorker Szene, dann weltweit, während es um Lee zunächst still bleibt. Als Capote, gerade frenetisch gefeiert für "Frühstück bei Tiffany" für seine Recherchen zu "Kaltblütig" eine Art Leibwächter und mehr oder weniger eine Sekretärin (offiziell: assistant researchist) braucht, ist Lee zur Stelle, die gerade ihr Manuskript von "Wer die Nachtigall stört" abgeliefert hat. Noch während der Recherchen avanciert ihr Buch zum Beststeller, wird mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet und ungemein erfolgreich mit Gregory Peck in der Hauptrolle verfilmt. Während Lee sich im folgenden aus der Öffentlichkeit zurückzieht, sucht Capote weiterhin das Rampenlicht. Die Arbeit an "Kaltblütig" kostet Capote sechs Jahre seines Lebens und trotz des großen Erfolgs läutet es seinen Untergang ein.

Das hat richtig Spaß gemacht und zeigt wieder einmal, was ich alles noch lesen will ... Immer wieder überraschend, wer wie im Netzwerk der New Yorker Künstlerszene verankert war.

Einziges Ärgernis: Eine der bekanntesten literarischen Figuren, geradezu eine Ikone für Integrität, der Anwalt Atticus Finch, Protagonist in "Wer die Nachtigall stört", wird durchgehend (!) mit einem falschen Nachnamen, nämlich Fink, versehen.

Unbedingt auch empfehlenswert: Der Film "Capote" mit Philip Seymour Hoffman, verdient mit einem Oskar belohnt.


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Veröffentlicht am 14.08.2025

Gelungener Serienauftakt

15 Sekunden
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Gerade noch wurde die Rechtsmedizinerin Professorin Farah Rosendahl auf einer einsamen Landstraße von zwei Rowdies in einem Golf belästigt, als ihr kurz darauf in einer unübersichtlichen Kurve ein Mann ...

Gerade noch wurde die Rechtsmedizinerin Professorin Farah Rosendahl auf einer einsamen Landstraße von zwei Rowdies in einem Golf belästigt, als ihr kurz darauf in einer unübersichtlichen Kurve ein Mann vor das eigene Fahrzeug läuft. Der Schwerverletzte rappelt sich jedoch auf und schleppt sich Richtung Wald. Farah schwankt - soll sie ihm folgen oder nicht? In jedem Fall informiert sie - schlau, dass das mal jemand in einem Thriller macht - einen Freund bei der Polizei per Handy: Kriminalhauptkommissar Wase Rahimi. Und so beginnt ziemlich spektakulär der Serienauftakt um eine Rechtsmedizinerin und einen Kommissar.


Mir haben neben dem spannenden Fall besonders die Charaktere sehr gut gefallen. Allesamt sehr glaubwürdig ausgearbeitet, mit interessanten Backgrounds und einigen losen Fäden im Leben, die in den nächsten Bänden noch zusammengeführt werden müssen. Obwohl die Handlung rasch vorangetrieben wird, gibt die Autorin immer wieder Einblick in die Polizeiarbeit, die mühsam, manchmal enttäuschend und dann wieder erfolgreich in Einzelaspekten ist. Als Lesende sind wir ganz nah am Geschehen und schauen der Soko am Tatort oder im Besprechungsraum über die Schulter. Vorgehensweisen, Dienstbesprechungen und wichtige Fakten werden geschmeidig in das Geschehen eingebaut, so dass man nicht aus der Handlung herausgerissen wird. Das scheint mir an einem frischen Schreibstil zu liegen, der sich sehr gut lesen läßt und an jeder Stelle authentisch wirkt. Zudem konzentriert sich der Blick auf die Opfer, auch auf Angehörige, und nicht auf die Tat. Ohne zu viel zu verraten, sei nur erwähnt, dass wir alles Wissenswerte über die Spurensicherung und die Rechtsmedizin erfahren und nicht aus der Tätersicht.


Insgesamt ein gelungener Serienauftakt, mit tollen Figuren, einem zugänglichen, modernen Schreibstil, der nicht künstlich wirkt, und einer Empathie für die Opfer, die sich auch in den Protagonisten spiegelt.


Wer die Möglichkeit hat, Chris Warnat bei einer Lesung zu erleben, sollte die Gelegenheit nutzen. Eine sehr sympathische Autorin, die viel über die Entstehungsgeschichte ihres ersten Thrillers verrät.

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Veröffentlicht am 14.08.2025

Der Un-Ruhestand

Spy Coast - Die Spionin
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Tess Gerritsen hatte ab Beginn der frühen 2000er Jahre einen riesigen Erfolg mit ihren Rizzoli und Isles-Thrillern. Auch ich war ein Fan und konnte das nächste Buch kaum abwarten. Mit Spy Coast startet ...

Tess Gerritsen hatte ab Beginn der frühen 2000er Jahre einen riesigen Erfolg mit ihren Rizzoli und Isles-Thrillern. Auch ich war ein Fan und konnte das nächste Buch kaum abwarten. Mit Spy Coast startet die Autorin eine neue Reihe, die im beschaulichen Purity in Maine ihren Ausgang nimmt. Dort hat sich eine Gruppe von Ruheständlern niedergelassen, die nach außen ganz harmlos wirkt, jedoch mit einer kapitalen Vergangenheit aufwarten kann: Die Arbeitgeberin aller war die CIA. Daher ist es nicht völlig überraschend, als diese Vergangenheit in Form einer zunächst lebendigen, dann äußerst toten Frau an die Tür der Protagonistin Maggie Bird klopft. Ein lange zurückliegendes Fiasko schleicht sich wieder an die Oberfläche und zwingt die Ruheständler zur Tat - zur völligen Verblüffung der örtlichen Polizei.

Das war ganz nett, mehr aber auch nicht. Es erinnert natürlich von der Konstellation her an den Donnerstagsmordclub von Osman. Charmant ist jedoch, dass die Autorin auf eigene "Anschauung" in ihrem Heimatort zurückgreifen kann, denn dort soll es gerade diese besonderen Rentnerinnen und Rentner auch gegeben haben. Den Thriller kann man gut lesen, allerdings hatte das Buch für mich auch Längen. Ich habe ziemlich lange dafür gebraucht. Die Handlung springt zwischen zahlreichen Orten, Zeiten und Personen hin und her und man benötigt schon ein bisschen Geduld, bis man alles sortiert hat. Mir hat auch in diesem Fall die Mischung von Krimielementen und Humor nicht so gut gefallen. Da wirken manche humorvollen Einsprengsel in Bezug auf die Einmischung der Pensionäre in die Untersuchungen (unfreiwillig) albern. Die Charaktere sind individuell und haben durchaus Potential, was auch schon zu zwei weiteren Bänden der Reihe geführt hat. Insgesamt ein durchschnittlich guter Thriller/Krimi, der mich aber für einen weiteren Teil nicht überzeugen konnte.

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